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Ãœber diese Ausgabe

 

Androiden, Algorithmen, Automatisiertes Fahren: Formen Künstlicher Intelligenz sind im öffentlichen Diskurs so präsent wie nie zuvor. Von spielerischen Experimenten wie The Next Rembrandt (2016) über die düsteren Prognosen von Elon Musk oder Stephen Hawking, die technologische Singularität würde das Ende der Menschheit einläuten, bis hin zu aktuellen Publikationen von Thomas Ramge (2018), Manuela Lenzen (2018) oder Yuval Noah Harari (2015) – die Beiträge decken ein Spektrum zwischen euphorischen Heilsversprechungen, nüchternen Bestandsaufnahmen sowie düsteren Science-Fiction-Dystopien ab.

Sekundäre Weltentwürfe in Literatur, Film und im Comic sind ein Resultat unserer Vorstellungen von Möglichkeiten wie Grenzen zukünftiger Technologien und verleihen ihnen Sinn. Künstliche Menschen sind seit der Antike ein literarischer Topos (Pygmalion) und sind in Literatur 1 und Film2 so häufig untersucht worden, dass sich ein motivspezifischer Kanon von E.T.A. Hoffmanns Sandmann (1816) und Mary Shelleys Frankenstein (1818) über Film-Klassiker wie Metropolis (D 1927) bis hin zu Science-Fiction-Filmen wie Blade Runner (1982) oder der Terminator-Serie von James Cameron (seit 1984) etabliert hat.

Die obigen Beispiele zeigen, in welchem Maße das Thema als transmediales Phänomen betrachtet werden muss: Abgesehen davon, dass es sich bei Metropolis und Blade Runner ohnehin um Romanadaptionen handelt und Frankenstein durch die Filmadaption mit Boris Karloff in der Hauptrolle (1931) an Popularität gewann, liegen die genannten Klassiker allesamt auch im Medium des Comics vor. E.T.A. Hoffmanns Sandmann wurde erst jüngst von Andrea Grosso Ciponte (2014), Michael Mikolajczak und Jacek Piotrowski (2019) und Vitali Konstantinov (2019) auch grafisch-narrativ umgesetzt.

Künstliche Intelligenz, Post- und Transhumanismus sind im Comic bislang kaum erforscht worden.3 Dabei bieten sich so viele Comics und Mangas als Untersuchungsgegenstände an: Die japanischen Manga-Serien Astro Boy (1952–68), die Kurzgeschichtensammlung 2001 Nights (1984-86), Blame (1998-2003) oder Pluto (2003-09) sind nur einige von zahllosen Publikationen, in denen posthumanistische Settings expliziert werden. In amerikanischen und europäischen Comics lassen sich ebenso diverse Darstellungen von Künstlicher Intelligenz finden, etwa jüngst in Jeff Lemires Descender (2015-18) oder in Alex + Ada von Jonathan Luna und Sara Vaughn (2013-15).

Markus Oppolzer (Salzburg) kontextualisiert in seiner transmedialen Analyse »A man wants flesh and blood, not rubber and metal« eben diese Comic-Serie Alex + Ada nun vor dem Hintergrund der Filme Ex Machina (2014) und Her (2013) und untersucht, wie die Schöpfer_innen zeitgenössischer Android-Liebesgeschichten mit Stereotypen und Machtverhältnissen umgehen.

Joanna Nowotny (Zürich) betrachtet den künstlichen Familienvater The Vision und seine Familie, um Ãœberlegungen zur Aktualität von Cyborg-Narrativen als (Comic-)Spiegel der menschlichen Gesellschaft anzuregen, und wagt mit ihrer Untersuchung »Repetition oder Revolution? Posthumane Identitätsentwürfe im Superheldencomic der Gegenwart« die provokante Frage, was uns von Haraways Cyborg-Manifesto der 1980er Jahre an Aufruhr geblieben ist.  

Rebecca Haar (Tübingen) untersucht in ihrem Beitrag »Artifizielle Alterität im amerikanischen Alltagsleben am Beispiel der künstlichen Familie« die Darstellung alternativer, d.h. künstlicher Familienentwürfe ebenfalls anhand des Marvel-Comics The Vision von Tom King und Gabriel Hernandez. Sie zeigt, wie Wiederholungsstrukturen auf verschiedenen Ebenen (Grafik, Handlung, Sprache) die Ausgrenzung, aber auch die Anpassung der künstlichen Intelligenz an ihre Umgebung markieren.

Ina Kühne (Siegen) widmet sich in »Die Problematisierung sozialer Folgen und moralischer Dilemmata des Transhumanismus in Mil euros por tu vida« einem spanischen Comic aus der Feder von Elia Barceló, Jordi Farga und Luis Miguez (2008). In diesem Comic werden transhumanistische Bestrebungen im dystopischen Modus inszeniert. Die Autorin analysiert die ideologischen Implikationen, stellt sie in kulturhistorische Zusammenhänge und in den Kontext aktueller gesellschaftlicher Diskurse in Spanien.

Auch in unserer sechsten Ausgabe gibt es wieder einen offenen Themenbereich, dieses Mal mit Beiträgen von Elisabeth Krieber (Salzburg) und Amrita Singh (Delhi).

Elisabeth Kriebers Artikel »Adapting the Autobiographic Self« widmet sich der Inszenierung von autobiographischer Subjektivität in Alison Bechdels Fun Home und Phoebe Gloeckners The Diary of a Teenage Girl sowie drei Adaptionen der beiden Comics für die Bühne und den Film. Krieber spürt der comicspezifischen Performativität der Texte nach und zeigt, dass sich das Zusammenspiel von Text und Bild im Comic besonders dazu eignet, mit Konventionen des life writing zu spielen. Daran anschließend fokussiert sie den Adaptionsprozess und arbeitet heraus, wie sehr die Inszenierung von autobiographischer Subjektivität medial bedingt ist. Konzepte wie Zeitlichkeit oder Erinnerung werden so aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. 

Amrita Singh untersucht in ihrem Beitrag »Of Superheroes in Ordinary Clothing: Reinventing Biography, History and the Comics Form in A Gardener in the Wasteland« inwiefern Srividya Natarajans und Aparajita Ninans Comic eine Chance zum Verständnis sozialer Bewegungen im Indien der Gegenwart darstellt.

Wir danken den Autor_innen ebenso wie den Rezensent_innen, und besonders Jan-Christoph Casper-Lahann für die Gestaltung unseres Covers. Da sich das Team nur schwer zwischen den beiden Entwürfen entscheiden konnte, gibt es einfach kurzerhand ein erstes Wendecover bei CLOSURE. Die kurze Vorstellung des Künstlers findet sich hier.

Wir wünschen Ihnen und Euch viel Freude an dieser Ausgabe.

Kiel, Dezember 2019
Das CLOSURE-Team

 

  • 1]   Wolf-Andreas Liebert, Stefan Neuhaus, Dietrich Paulus, Uta Schaffers (Hg.): Künstliche Menschen. Transgressionen zwischen Körper, Kultur und Technik. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014; Gisela Febel (Hg.): Menschenkonstruktionen. Künstliche Menschen in Literatur, Film, Theater und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein, 2004.
  • 2]   Aurich, Rolf / Wolfgang Jacobsen, Gabriele Jatho (Hg.): Künstliche Menschen. Kontrollierte Körper. Berlin: jovis, 2000.
  • 3]   Lungershausen, Gerrit: Künstliche Intelligenz im Comic. In: Out of Office. Wenn Roboter und KI für uns arbeiten. Hg. von Rita Müller und Mario Bäumer. Ausstellungskatalog Museum der Arbeit Hamburg 2018, S. 66-68.