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Ãœber diese Ausgabe

 

Die Tage, in denen Comics ein Schattendasein führten, sind vorbei. Ganz im Gegenteil: Sie stehen gerade im hellsten Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die zahllosen Verfilmungen des Marvel-Universums erreichen ein Publikum, das zuvor noch nie von Ant-Man, den Guardians of the Galaxy oder The Walking Dead gehört hatte. Und dies rege Interesse strahlt auch auf die Comic-Szene aus: Der US-amerikanische Comic-Markt hat seinen Umsatz um 30,8 %, von 715 Mio. (2011) auf 935 Mio. US Dollar gesteigert. Und in deutschen Buchhandlungen sind Comics inzwischen wesentlich präsenter als noch vor zehn Jahren, nicht selten unter dem Label ›Graphic Novel‹.

Dem spürt Monika Schmitz-Emans (Bochum) in der Rubrik ›Schlaglicht: Comic und Literatur‹ nach, indem sie das Verhältnis von Comic und Literatur in den Blick nimmt: Ist ›Graphic Novel‹ mehr als nur ein Marketingbegriff oder lassen sich neue Erkenntnisse gewinnen, wenn wir die Selbstbezeichnung als ›grafischer Roman‹ ernst nehmen? Schmitz-Emans zeigt anhand der Gattungsentwicklungen von Roman und Graphic Novel die Verwandtschaften zwischen beiden. Dies bietet sich besonders im Falle einer Roman-Adaption an, und so vergleicht sie schließlich Laurence Sternes Roman-Klassiker Tristram Shandy mit der Comic-Adaption von Martin Rowson. Daran wird sichtbar, wie der Comic mit medienspezifischen Mitteln die Effekte des Romans nachbildet.

In dem hellen Scheinwerferlicht wird die ›dunkle Seite‹ der Comics umso interessanter, die den thematischen Fokus von CLOSURE #2 bildet. Unsere Autor_innen fragen in diesem ›Schwerpunkt: Die dunkle Seite‹ nach abseitigen Inhalten und Darstellungsweisen, sie widmen sich Comics, die im Zuge des Nobilitierungsprozesses und der Kanonbildung im Schatten anderer geblieben sind. Etwas Dubioses hat der Comic schon immer an sich gehabt, schließlich enthalte er, so die einseitig mahnenden Stimmen, gern eine »konzentrierte Dosis von Verbrechen, Horror und Gewalt« (Wertham). Von den Tabubrüchen der Underground Comix bis hin zu propagandistischer Instrumentalisierung tendiert das Medium immer wieder dazu, Grenzen des ›guten Geschmacks‹ zu überschreiten.

Die Kick-Ass-Serie um den jugendlichen Titelhelden und seinen weiblichen Sidekick Hit Girl (Mark Millar und John Romita jr.) ist ein solcher Affront gegen den ›guten Geschmack‹. Sexistisch, rassistisch, gewaltverherrlichend: Nicht ohne Grund wird der Comic immer wieder mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Jakob Kibala (Hamburg) hat sich mit der exzessiv gewalttätigen Serie genauso wie mit den Kick-Ass-Kritiken auseinandergesetzt und stellt eine positive Lesart des Comics zur Diskussion. Er zeigt, dass Hit Girl nicht nur ein Opfer männlicher Gewalt ist, sondern sich vielmehr als wandelbarer Charakter in einer ›Schule der Gewalt‹ emanzipiert. Die Grenzen zwischen Helden, Anti-Helden und Bösewichten verschwimmen im Blutrausch der Gewaltorgien – Frank Miller lässt grüßen.

Der dunklen Seite der Politik widmet sich Maurice Funken (Aachen), indem er sich mit den 9/11-Reflexen in den Marvel-Eventserien auseinandersetzt. Er beobachtet eine kulturell-ästhetische Entwicklung im Umgang mit dem Fall der beiden Türme, die sich in fünf Phasen einteilen lässt, von Authentifizierungsstrategien über ein ›Bilderverbot‹ bis hin zu Allegorien des Terrors. Immer wieder blitzt 9/11 zwischen den Superhelden-Panels auf – der Aufsatz zeigt die vielfältigen Funktionalisierungen dieser Realitätsreferenz.

Krieg und Gewalt sind auch der Kern des Beitrages von Johannes Schmid (Hamburg). Er untersucht die Verbindung von Zeichnung und Fotografie und beleuchtet ihren Einsatz in dokumentarischen Comics. Durch solche Medienkombinationen können etwa subjektive Eindrücke mit faktualen Sequenzen verknüpft oder ergänzende Informationen in einen Bericht eingefügt werden. Anhand von The Photographer und Waltz with Bashir wird deutlich, wie diese Ausdrucksformen eingesetzt werden können, um die Erfahrung von Kriegstraumata (und die Erinnerung daran) zu visualieren.

Was es mit ›Leopardenmännern‹ auf sich hat und inwiefern diese stellvertretend für die ›dunkle Seite‹ des Comics stehen, wird von Stephanie Zehnle (Kassel) ausgeführt. Der koloniale Comic spiegelt durch seine stereotypen Darstellungsweisen von Afrikaner_innen die Vorstellung der europäischen und US -amerikanischen Gesellschaft wider, die zwischen romantischer Verklärung und fremdenfeindlicher Angstvorstellung schwankt. Dabei verfolgt Zehnle die Entwicklung dieses Themas vom Anfang bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und erhellt damit einen bisher im Dunkeln gebliebenen Bereich der Comic-Geschichte.

Neu in CLOSURE #2 ist die Rubrik ›ComicKontext‹: Dort werden in Zukunft Institutionen aus der bunten und weit verzweigten Comic-Welt die Gelegenheit haben, sich kurz vorzustellen und zur Zusammenarbeit einzuladen. Ob Forschergruppen, Projekte, Ressourcen, ob Veranstaltungen, Conventions oder Kollektive: Diese Rubrik ist ihnen und Ihnen gewidmet. In dieser Ausgabe von ComicKontext präsentieren John Bateman und Janina Wildfeuer (Bremen) ihr Projekt zur multimodalen Linguistik.

Die Herausgeber_innen

 

Herausgeber_innen

Cord-Christian Casper
Chris Ullrich Cochanski
Sandro Esquivel
Yanine Esquivel
Julia Ingold
Gerrit Lembke
Susanne Schwertfeger
Rosa Wohlers

Redaktion & Layout

Cord-Christian Casper
Chris Ullrich Cochanski
Sandro Esquivel
Yanine Esquivel
Constanze Groth

Julia Ingold

Gerrit Lembke
Susanne Schwertfeger
Lukas Städing
Dennis Wegner
Rosa Wohlers
Nikolai Ziemer

Technische Gestaltung

Sandro Esquivel
Marie-Luise Meier

Cover & Illustrationen

Jan-Christoph Casper-Lahann (Ausgabe #2)
Matthias Latza (ComicKontext)

Kontakt

Homepage: www.closure.uni-kiel.de
E-Mail: closure[@]comicforschung.uni-kiel.de