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Von borgesianischen Filiationen und parallelen Welten
Zur Quantenphysik als Erkenntnis- und ErzÀhlmodell der Comicserie Les Cités obscures

BetĂŒl Dilmac (Freiburg i. Br.)

François Schuiten und BenoĂźt Peeters haben mit ihrer Comicserie Les CitĂ©s obscures ein transmedial vermitteltes, fiktives Parallel­universum geschaffen, welches in einem vielfĂ€ltigen intermedialen sowie intertextuellen BeziehungsgefĂŒge steht (vgl. Peeters 2007, 143 oder Heydenreich). Aus diesem BeziehungsgefĂŒge sticht der Name von Jorge Luis Borges deutlich heraus, vor allem in Verbindung mit seinem Text Tlön, Uqbar, Orbis Tertius (Borges, 431–433). Das inter- bzw. prĂ€textuelle VerhĂ€ltnis zwischen Borges’ Text und der Comicserie erschöpft sich nicht in punktuellen BezĂŒgen, sondern betrifft den diskursiven Bauplan der CitĂ©s obscures im Ganzen. In der Tat kann Tlön, Uqbar, Orbis Tertius als eine Art narrative Keimzelle der CitĂ©s obscures gelten und begrĂŒndet ein VerhĂ€ltnis der literarischen Filiation. Borges’ Text erzĂ€hlt, wie eine Gruppe von MĂ€nnern ein geografisches Territorium namens Tlön erfindet, welches sodann ungeachtet seines eigentlich nichtexistenten Charakters zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Text­sorte gemacht wird, jener der EnzyklopĂ€die. Die Grenzen zwischen Erfundenem und Wirklichem verschwimmen jedoch nicht allein in textsortenspezifischer Hinsicht. Die Hybridisierung von Erfundenem und Wirklichem, so will uns Borges’ Text glauben machen, soll sich auch auf der Ebene der diegetischen RealitĂ€t ereignen. So dringen auf unerklĂ€rliche Weise nach und nach Objekte aus dem eigentlich nichtexistenten Tlön in die RealitĂ€t des ErzĂ€hlers ein.

Schuiten/Peeters haben nun das, was bei Borges allein auf der diegetischen Ebene verhandelt wird (d. h. die Idee, ein Territorium zu erfinden, welches dann wie ein realesTerritorium behandelt wird, indem man es etwa zum Gegenstand von EnzyklopĂ€dien macht), aufgegriffen und mit ihren CitĂ©s obscures in kĂŒnstlerische Praxis umgesetzt, d. h. in eine Reihe von kĂŒnstlerischen Manifestationen, unter die vor allem die ComicbĂ€nde, genauso aber auch andere Veröffentlichungen (wie Film, Musik, Internet etc.) und verschiedene Formen der kĂŒnstlerischen Öffentlichkeitsarbeit fallen.1 Diese lassen sich in zwei Gruppen einteilen.2 Die erste Gruppe umfasst die kĂŒnstlerischen PrimĂ€rformen, wie sie die Mehrzahl der ComicbĂ€nde darstellen, in denen einzelne, in ausgewĂ€hlten StĂ€dten des continent obscur spielende Geschichten prĂ€sentiert werden. Die zweite Gruppe bilden die kĂŒnstlerisch-(pseudo-)wissenschaftlichen Metaformen, die auf die Inhalte der kĂŒnstlerischen PrimĂ€rformen referieren und sich somit als Fiktionen zweiten Grades beschreiben lassen. In den Metaformen dominiert jedoch keine fantastische, sondern eine realistische ErzĂ€hl- bzw. Darbietungssituation, die das StĂ€dteuniversum als solches zum Gegenstand einer dezidiert metadiskursiv und als wissenschaftlich inszenierten Perspektive macht.

Nicht nur dieses Nebeneinander von kĂŒnstlerischen PrimĂ€r- und (pseudo‑)wissenschaftlichen Metaformen, d. h. dieses die Grenzen zwischen Fiktion und RealitĂ€t destabilisierende Spiel, verbindet die CitĂ©s obscures mit dem Autor Borges. Ein VerhĂ€ltnis der Filiation im Sinne einer regelrechten FortfĂŒhrung von Borges’ Text wird darĂŒber hinaus dadurch begrĂŒndet, dass die Autoren ihr fantastisches StĂ€dteuniversum explizit in geografischer NĂ€he zu Tlön situiert haben (vgl. GC, 182).3 Angesichts des Ausmaßes von Borges’ Patenschaft braucht es nicht zu verwundern, dass Peeters/Schuiten eine ihrer Figuren (die titelgebende Hauptfigur aus L’Archiviste namens Isidor Louis) auf unverkennbare Weise an Borges angelehnt haben (Abb. 1; vgl. DĂŒnne).

Abb. 1: L'Archiviste (Schuiten/Peeters, 63), Sigle: A.*

In einem VerhĂ€ltnis der Filiation zu Borges steht das Werk der Autoren auch im Hinblick auf die fĂŒr dessen Schreiben so kennzeichnende epistemologische HintergrĂŒndigkeit. Auf selbige weisen vor allem jene Lesarten hin, die die Quantenphysik als extraliterarischen Bezugs- und Interpretationshorizont fĂŒr Borges’ Text in Anschlag gebracht haben (z. B. de Toro; Merrell), ist doch mit der Quantenphysik ein Bereich benannt, der unauflöslich mit Fragen der Epistemologie verknĂŒpft ist. Im Unterschied zu Borges’ Text finden sich in den Texten von Schuiten/Peeters nicht nur implizite, sondern auch explizite Bezugnahmen auf die Quantenphysik. Inwiefern die Quantenphysik auf der thematischen Ebene der Comicserie einerseits als Erkenntnismodell zitiert, andererseits auf der Ebene der literarischen Selbstreflexion als ErzĂ€hlmodell genutzt wird, soll Gegenstand der folgenden AusfĂŒhrungen sein. In einem ersten Schritt wird hierfĂŒr zunĂ€chst die Hybridisierung kĂŒnstlerischer und wissenschaftlicher Textsorten in Schuitens/Peeters’ Comicserie behandelt.4
 

Hybridisierung von kĂŒnstlerischen und wissenschaftlichen Textsorten

Zu den Metaformen der CitĂ©s obscures zĂ€hlt der Band L’Archiviste. In diesem Band beauftragt das BrĂŒsseler Zentralinstitut fĂŒr Archivwesen, das ĂŒber den immer weiter ausgreifenden, fast sektenĂ€hnlichen Glauben an eine reale Exis­tenz des StĂ€dteuniversums beunruhigt ist, den Archivar Isidore Louis mit der AufklĂ€rung des Falles. Ausgehend von bildnerischem Archivmaterial erstellt Louis einen Bericht, der mit dem Band zwar zu großen Teilen, aber nicht vollstĂ€ndig identisch ist. Louis’ etwa 40-seitiger Bericht beruht auf der Kompilation und der Kommentierung von Bildtafeln, die einzelne Orte des StĂ€dteuniversums zum Gegenstand haben. Der Bericht mag zwar metadiskursiv-wissenschaftlich anmuten, doch spĂ€testens der Rahmen, in den er eingebettet ist, d. h. die Wiedergabe der UmstĂ€nde von Louis’ Beauftragung mit dem Fall, weist die dargestellte Geschichte in ihrer Gesamtheit als eine fiktive aus: So geht aus der Rahmenhandlung hervor, dass der Archivar schlussend­­lich entdecken muss, einen DoppelgĂ€nger im StĂ€dte­universum zu besitzen. Er schließt daraus, dass seine eigene Person Teil der geheimnisvollen StĂ€dte ist. Wann er tatsĂ€chlich in die Welt der geheimnisvollen StĂ€dte ĂŒbertreten werde, wird fĂŒr den Archivar nur noch zu einer Frage der Zeit.

Der Metaband Le Guide des citĂ©s, d. h. der FĂŒhrer durch die geheimnisvollen StĂ€dte, ĂŒbersteigt das metadiskursiv-wissenschaftliche Potenzial von L’Archiviste deutlich. Der Guide etikettiert sich mit seinem Titel zwar als ReisefĂŒhrer und ist formal auch als solcher gestaltet, doch lĂ€sst die enzyklopĂ€dische QualitĂ€t seines »Allgemeinen Teils« (vgl. GC, 5-54), d. h. die in wissenschaftlicher Manier dargebotenen Informationen zu Geografie, Natur, Bevölkerung, Geschichte und Zivilisation des StĂ€dte­universums, spĂ€testens jedoch das von den Autoren verfasste Vorwort an der intendierten (Pseudo‑)Wissenschaftlichkeit keinen Zweifel. Es heißt:

Le but du prĂ©sent Guide est de corriger de nombreuses inexactitudes que l’on a pu lire ici et lĂ  et de donner une information aussi complĂšte qu’il est aujourd’hui possible sur quelques particularitĂ©s de ce monde [
]. Nous n’en sommes que trop conscients, ce Guide a les dĂ©fauts de tous les ouvrages pionniers [
]. Pour apprĂ©hender de maniĂšre globale l’univers des CitĂ©s obscures, le concours d’un grand nombre de spĂ©cialistes, issus des disciplines les plus diverses, serait bien sĂ»r indispensable. Puisse le prĂ©sent volume inciter d’autres auteurs Ă  pousser les recherches plus loin que nous n’avons pu le faire! (ebd., 3)5

Schuiten/Peeters qualifizieren ihren Text als Versuch, die ĂŒber das StĂ€dteuniversum kursierenden Falschmeldungen richtigstellen zu wollen. Ein umfassendes Bild könne jedoch nur das Ergebnis der Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftler sein. Dergestalt zum Forschungsgegenstand der Wissenschaft erhoben, wird die fiktive Welt zu einer auch außerhalb der Fiktion existierenden RealitĂ€t deklariert. Ihrer ErklĂ€rung entsprechend geben die Autoren den Guide als Ergebnis ihrer Forschung bzw. ihrer recherches (ebd.) aus. Als PrimĂ€rquellen hierfĂŒr werden nun keineswegs die im Buchhandel erhĂ€ltlichen ComicbĂ€nde genannt, sondern in erster Linie eine angebliche Forschungsreise der Autoren zum continent obscur.

Es ist nur folgerichtig, wenn Schuiten/Peeters in einem weiteren Schritt so weit gehen, die eigene Autorschaft an diesem continent obscur zu leugnen:

Qu’il nous soit en tout cas permis de rĂ©agir d’emblĂ©e Ă  une rumeur aussi tenace que pernicieuse: contrairement Ă  une des lĂ©gendes les plus rĂ©pandues, nous ne sommes pas les inventeurs des CitĂ©s obscures ni mĂȘme les premiers Ă  les avoir Ă©voquĂ©es. (GC, 3)6

Das StÀdteuniversum soll demnach unabhÀngig von den von Schuiten/Peeters verfassten Texten existieren, wie die Autoren mit einem Blick in die Geschichte von Kunst, Wissenschaft und Philosophie zu belegen versuchen.7

Das Spiel mit dem VerhĂ€ltnis von Fiktion und RealitĂ€t der CitĂ©s obscures erfolgt nicht allein durch kĂŒnstlerische und wissenschaftliche Textsorten-Hybridisierung, sondern in vielgestaltiger Form: Verwiesen sei etwa auf die im Laufe der Jahre zunehmende mediale Diversifizierung des Stoffes vom Medium des Comics zu den Medien Film8 oder Internet9, die einen objektivitĂ€tssteigernden und damit das VerhĂ€ltnis von Fiktion und RealitĂ€t weiter destabilisierenden Effekt herbeigefĂŒhrt hat.10 Zudem wird eine KredibilitĂ€tssteigerung auch dadurch erreicht, dass zum einen die Frage nach der Möglichkeit von physischen ÜbergĂ€ngen zwischen unserer realen Welt und dem StĂ€dteuniversum behandelt wird. Die Autoren behaupten nicht nur, das StĂ€dteuniversum selbst bereist zu haben, sondern geben in ihrem Guide detailliert an, an welchen realen Orten der Übergang in das StĂ€dteuniversum möglich sein soll.11 Zum anderen hat Schuiten einzelne dieser behaupteten Orte des Übergangs, vor allem die Pariser Metrostation Arts et mĂ©tiers, in deutlicher Anlehnung an die architektonischen Besonderheiten des StĂ€dteuniversum, gestaltet.

Worin liegt nun aber der Mehrwert des gerade kĂŒnstlerische und wissenschaftliche Textsorten mischenden Verfahrens? Dieser entsteht weniger durch den Maximalgrad an ObjektivitĂ€t, den man dem – schließlich mit einem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gleichgesetzten – StĂ€dteuniversum zuzuschreiben geneigt ist. Der Mehrwert entsteht vielmehr durch den Effekt der verschiedenen Kredibilisierungsstrategien. So halten sie ĂŒber das Spiel von Fiktion und RealitĂ€t fest:

[Cela] produit un vacillement gĂ©nĂ©ral des repĂšres et des certitudes, une contagion du doute: celui-ci ne porte plus seulement sur l’existence des CitĂ©s, mais en vient Ă  affecter aussi, par une sorte d’effet de revers, ce que nous pensions savoir de ce â€șmonde rĂ©elâ€č. (Jans et al., 162)12

Schuiten/Peeters nehmen hier Bezug auf den Konstruktcharakter unserer Wirklichkeitsannahmen, d. h. darauf, dass diese unter dem Einfluss neuer Erfahrungen, neuer Annahmen und Hypothesen infrage gestellt und transformiert werden können. Solche Prozesse können durch Literatur ausgelöst und bewusst angestoßen werden. Es ist diese Ebene, auf der Literatur eine epistemologische Dimension erwĂ€chst. Gleichsam potenziert wird diese epistemologische Dimension der Literatur nun dort, wo sich kĂŒnstlerische mit wissenschaftlichen Textsorten mischen, wo eine mehr oder minder explizite Reflexion ĂŒber wissenschaftliche Prinzipien und das VerhĂ€ltnis von Literatur und RealitĂ€t inszeniert wird oder aber die Wissenschaft und ihr Wissen zum Gegenstand der kĂŒnstlerischen Auseinandersetzung werden. All dies trifft auf das StĂ€dteuniversum zu, dessen Autoren in vielfĂ€ltiger Form auf die Wissenschaft Bezug nehmen. Unter den zitierten WissensbestĂ€nden kommt der Quantenphysik durch ihre Verbindung mit epistemologischen Fragestellungen eine Ă€ußerst prominente Rolle zu. Mit dieser Disziplin, die zu Beginn des 20. Jh. zur Unterminierung und Infragestellung der wesentlichen StĂŒtzpfeiler der klassischen Physik und des aus ihr erwachsenen mechanistischen Weltbildes fĂŒhrte, setzen sich Schuiten/Peeters nicht nur auf der thematischen Ebene auseinander, sondern ebenso auf der Ebene der kĂŒnstlerischen Selbstreflexion.

Wissenschaft auf der thematischen Textebene: die moderne Physik

Wenn die Autoren verunsichernde epistemologische Reflexionsprozesse auf Seiten der Lesenden als den wesentlichen Effekt ihres Spiels mit Fiktion und RealitĂ€t nennen, so beruht dieser nicht nur auf dem formal, d. h. durch Textsortenhybridisierung gestalteten VerhĂ€ltnis von Kunst und Wissenschaft. Dieses VerhĂ€ltnis erfĂ€hrt seine Gestaltung ebenso auf der thematischen Ebene. Inwieweit diese thematische Gestaltung von Wissenschaft als einen ihrer Referenzpunkte die moderne Physik wĂ€hlt, soll durch BerĂŒcksichtigung folgender Aspekte dargelegt werden: Wie bestimmen an wissenschaftliche TĂ€tigkeit erinnernde Formen der Suche nach Wissen und ErklĂ€rung die Serie? Welche Semantiken sind mit dem Vorgang des Suchens, KlĂ€rens und ErklĂ€rens verwoben? In welchem Zusammenhang steht die Beantwortung dieser Fragen mit der modernen Physik, deren Rezeption sich in Schuitens/Peeters’ Textuniversum nicht nur in Form impliziter, sondern auch expliziter BezĂŒge manifestiert?

Abb. 2: L'enfant penchée (Schuiten/Peeters, Cover).*

Ein gemeinsamer Nenner zahlreicher BĂ€nde der CitĂ©s obscures ist die Zentrierung der Geschichten auf das Motiv der Suche nach ErklĂ€rung, AufklĂ€rung und Wissen, d. h. auf Grundprinzipien, die an die Arbeitsweisen der exakten Wissenschaften erinnern (vgl. Heydenreich, 176–180). Zum Auslöser hierfĂŒr werden teils alltagsweltliche Probleme, wie etwa das Ausbleiben von Kommunikation in dem Band La Tour. Der TurmwĂ€chter Giovanni Battista erhĂ€lt keinerlei Nachrichten mehr von seinen Vorgesetzten und entscheidet, seinen angestammten Platz verbotenerweise zu verlassen und sich (zwecks KlĂ€rung) auf eine Reise durch den Turm zu begeben. HĂ€ufiger zum Auslöser fĂŒr die Suche werden jedoch scheinbar unerklĂ€rliche, gravierende Probleme nach sich ziehende PhĂ€nomene: Zu denken ist etwa an den Band L’enfant penchĂ©e, in dem die jugendliche Protagonistin Mary von Rathen auf geheimnisvolle Weise und im wahrsten Sinne des Wortes in Schieflage gerĂ€t (vgl. Abb. 2); oder an La thĂ©orie du grain de sable, in dem gleich eine Reihe von mysteriösen PhĂ€nomenen einzelne Bewohner_innen der Stadt BrĂŒsel heimsucht (z. B. die unerklĂ€rliche Vermehrung von Sand oder Steinen in den Wohnungen). Die Rekurrenz des Themas der Suche nach ErklĂ€rungen und Wissen ist eng an das der Reise gekoppelt, auf die sich die Figuren – hĂ€ufig Wissenschaftler, Experten oder allgemein gesprochen: Beobachtende und Suchende – im fantastischen StĂ€dteuniversum begeben mĂŒssen.

Wie verlaufen diese Suchen nun? Ist ihnen Erfolg beschieden? Teils ist ihnen ein wenig zufriedenstellendes Ende beschert, was sich auch in der Tatsache niederschlĂ€gt, dass die Reisen hĂ€ufig ins Leere fĂŒhren. Zu denken ist erneut an La Tour: Die Reise des Protagonisten erbringt weder eine AufklĂ€rung ĂŒber das Ausbleiben der Kommunikation noch ĂŒber den geheimnisvollen Turm als solchen mit sich, sondern mĂŒndet in dessen Einsturz und der unmotivierten Involvierung des Protagonisten in eine Schlacht. Die Fragen, die das Reisen Battistas motiviert haben, bleiben offen, die Suche nach Wissen ergebnislos und das Geheimnis des Turms ungeklĂ€rt.13 In einzelnen Episoden der CitĂ©s obscures kommt es zwar zu einer Lösung der mit den unerklĂ€rlichen PhĂ€nomenen verbundenen Probleme, wie es etwa in L’enfant penchĂ©e und La thĂ©orie du grain de sable der Fall ist. Die tieferen Ursachen fĂŒr deren Auftreten bleiben jedoch im Dunkeln, es erfolgt keine vollstĂ€ndige AufklĂ€rung des Falles im Sinne der ursprĂŒnglich angestrebten lĂŒckenlosen Kausalkette.

Abb. 3: La théorie du grain de sable (Schuiten/Peeters, 99), Sigle: TGS.*

Die Geschichten ĂŒber das vergebliche Suchen nach Wissen und ErklĂ€rung scheinen den Rezipienten_innen vermitteln zu wollen, dass das StĂ€dteuniversum anderen GesetzmĂ€ĂŸigkeiten unterliegt. So fallen die hĂ€ufig auftretenden unerklĂ€rlichen PhĂ€nomene auch weniger in das Ressort traditionell arbeitender Wissenschaftler_innen. FĂŒr ihre Erforschung gibt es vielmehr eine eigene Stabsstelle, deren Untersuchungshauptbeauftragte die, leidgeprĂŒfte, Mary von Rathen, das ehemals schrĂ€ge MĂ€dchen ist. Sie ist den im Raster einer traditionellen Wissenschaft denkenden Figuren, wie etwa Constant Abeels, insoweit voraus, als sie mit einer besonderen Gabe ausgezeichnet ist. Diese ermöglicht es ihr, auf intuitive Weise die tieferliegenden ZusammenhĂ€nge jener Probleme zu erkennen, die sich an der OberflĂ€che manifestieren. NĂ€here Informationen ĂŒber die besondere Gabe der Mary von Rathen, die zur ErklĂ€rung der GesetzmĂ€ĂŸigkeiten des StĂ€dte­universums beitragen könnten, werden jedoch nicht expliziert. Deutlich wird nur, dass das einfache Denken in Ursache-Wirkungs-Beziehungen, das Suchen nach BegrĂŒndungen und ErklĂ€rungen kein den GesetzmĂ€ĂŸigkeiten des fantastischen StĂ€dteuniversums adĂ€quater Untersuchungsmodus zu sein scheint. So hĂ€lt Mary gegenĂŒber Constant Abeels, diesen kritisierend, fest:

Vous ĂȘtes incorrigible, Constant, vous voudriez que le moindre dĂ©tail trouve une explication. Moi, ma vie et mon mĂ©tier m’ont appris que c’était rarement le cas
 (TGS, 99; Abb. 3)14

Was heißt dies nun fĂŒr die Rezipienten_innen der CitĂ©s obscures? Die Tatsache, dass es nur selten ErklĂ€rungen gibt, bedeutet, dass diese mit offenen Fragen zurĂŒckbleiben und letztlich auf das Aufstellen eigener Hypothesen, auf das Denken in Möglichkeiten zurĂŒckgeworfen werden. Diesem sich auftuenden Möglichkeitsraum wird nun aber eine ungewohnte, nĂ€mlich geradezu essentielle, d. h. wesensmĂ€ĂŸige Dimension verliehen, wenn das Vorhandensein der einen ErklĂ€rung negiert wird, mit anderen Worten: Wenn die Reduktion der Möglichkeiten auf eine einzige wahre Möglichkeit nicht gegeben zu sein scheint. Dies wirkt wie der springende Punkt: Es geht weniger darum, die Rezipienten_innen zum Aufstellen eigener Hypothesen anzuregen, sondern um die kritische Konfrontation mit den gĂ€ngigen, auf Ursache-Wirkungs-Beziehungen basierenden Deutungs- und ErklĂ€rungsmustern von Welt.

Ein von den gewöhnlichen Vorstellungen abweichendes Möglichkeits- bzw. WahrscheinlichkeitsverstÀndnis ergibt sich nicht nur aus der Handlungsstruktur in La théorie du grain de sable und den Kommentaren von Mary von Rathen. Der Guide des cités expliziert, dass Wahrscheinlichkeit ein grundsÀtzliches Charakteristikum jeglichen wissenschaftlichen Ergebnisses zu sein scheint. Die im StÀdteuniversum betriebene Wissenschaft zeichne sich also nicht durch die FÀhigkeit aus, VorgÀnge in aller PrÀzision berechnen und analysieren zu können; sie sei vielmehr grundsÀtzlich approximativen Charakters. In einer Welt, in der das Geheimnisvolle stark verehrt werde,15 brauche dies auch nicht weiter zu verwundern:

Il est peu surprenant [que] [d]ans un monde oĂč l’énigme et le mystĂšre sont unanimement rĂ©vĂ©rĂ©s, oĂč l’énoncĂ© d’une question est toujours prĂ©fĂ©rĂ© Ă  la rĂ©ponse, [
] la notion de science exacte n’a guĂšre de sens [
]: tout rĂ©sultat est approchĂ©. (TGS, 53)16

Dass sich im fantastischen StĂ€dteuniversum auch die wissenschaftlichen Ergebnisse nur in einem Möglichkeitsraum situieren, ist kein ausschließlich fiktives Element, sondern steht in Bezug zu unserer realen Welt. Dies insofern, als es die keine sicheren, sondern â€șnurâ€č wahrscheinliche bzw. mögliche Voraussagen beschreibende Quantenphysik ist, die als Referenzpunkt dieser Aussage zu gelten hat und sich dergestalt als Erkenntnismodell der Comicserie konzeptualisieren lĂ€sst. Die epis­temologische Brisanz der Quantenphysik beruht genau auf diesem Aspekt eines verĂ€nderten WahrscheinlichkeitsverstĂ€ndnisses  und relativiert entscheidende Pfeiler klassisch-physikalischen Denkens. Anders als in der Mathematik oder statistischen Mechanik ist die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit nĂ€mlich essentieller Natur, d. h. sie ist weder auf vorlĂ€ufiges menschliches Nichtwissen noch auf inhĂ€rente experimentelle Grenzen zurĂŒckzufĂŒhren. Die quantenmechanischen Unsicherheiten sind Indikatoren fĂŒr echte Unbestimmtheiten, echten Zufall in der Welt. Auf der thematischen Ebene findet dieser Aspekt einer nicht mehr sicheren, sondern nur noch nĂ€herungsweise bestimmbaren RealitĂ€t in der Ausgestaltung des erwĂ€hnten Motivs der (vergeblichen) Suche nach Wissen und Erkenntnis seine vielfĂ€ltige Gestaltung.17

Abb. 4: Le Guide des cités (GC, 19).*

Neben diesem impliziten Bezug auf die Quantenphysik wird diese von den Autoren auch in expliziter Form kreativ rezipiert, insoweit die entsprechenden BezĂŒge nicht im Zusammenhang mit dem Gegenstandsbereich der Physik auftreten, sondern mit jenem der Biologie bzw. Zoologie. Deren wichtigste Zweige sind auf dem â€șobskuren Planetenâ€č die sogenannte cryptobiologie und cryptozoologie (vgl. GC, 17f.). Die VerknĂŒpfung von Geheimnis und quantenphysikalischer Wissenschaft tritt hier nun in einen expliziten Zusammenhang, insoweit der Wissenschaftszweig der cryptozoologie, der die Semantik des Geheimnisvollen im Namen trĂ€gt, sich in Schuitens/Peeters’ Werk vor allem mit den sogenannten Quarxs befasst. Hiermit ist ein zwar kreativer, aber dennoch unverkennbarer Bezug auf die Quantenphysik und ihre eigentlich mit â€șkâ€č geschriebenen Quarks gegeben.18 Mit den Quarks scheinen die Quarxs zwar nur wenig zu tun zu haben, doch wird der quantenphysikalische Kontext, dem sie entstammen, aufgerufen, indem gesagt wird, dass sie gĂ€ngigen Beobachtungsverfahren nicht zugĂ€nglich seien und ihre Erforschung die grundlegendsten Gesetze der Naturwissenschaften in Frage gestellt habe.19 So heißt es in dem den Quarxs gewidmeten Teilkapitel des Guide:

Que sont au juste les Quarxs? Ni une espĂšce, ni un genre parmi d’autres, mais un vaste ensemble d’ĂȘtres vivants aux caractĂ©ristiques trĂšs diverses, ayant le point commun d’ĂȘtre inaccessibles aux observations courantes. [
] Seule l’obstination du Professeur Benayoun lui a permis de dĂ©duire, puis de prouver l’existence de â€șces ĂȘtres Ă©tranges, dĂ©fiant les lois scientifiques les plus admisesâ€č. (GC, 18)20

Die Quarxs zĂ€hlen, so der Guide, zu den erstaunlichsten PhĂ€nomenen der Geheimnisvollen Stadt. Über ihre Erforschung durch Professor Benayoun wird in BrĂŒsel, wie man in La thĂ©orie du grain de sable erfĂ€hrt, Akte gefĂŒhrt (vgl. TGS, 35) – eine â€șAkteâ€č, die Schuiten/Peeters sodann aus dem Medium der Literatur herausgelöst und der sie im Medium des Films eine weitere kĂŒnstlerische Gestalt verliehen haben.21

Von der Darstellbarkeit möglicher Welten: kĂŒnstlerische Selbstreflexion

In ihrem Guide lassen uns die Autoren wissen, dass es sich bei den Quarxs mittlerweile nicht mehr nur um ein auf die Cités obscures beschrÀnktes PhÀnomen handeln soll, sondern:

[que p]lusieurs manifestations rĂ©centes tendraient Ă  prouver que certains de ces animaux agissent aussi sur la Terre. Il a mĂȘme Ă©tĂ© prĂ©tendu que nous aurions Ă©tĂ© nous-mĂȘmes [Schuiten/Peeters], au retour de notre voyage sur le Continent obscur, les agents involontaires de l’irruption des Quarxs dans notre monde. (GC, 21)22

Was hier behauptet wird, ist die Vermischung unserer Welt mit dem StĂ€dteuniversum, d. h. der RealitĂ€t mit der Fiktion so wie es sich schon in Borges’ Text Tlön, Uqbar, Orbis tertius ereignet hatte.23 Aufgeworfen wird damit die Frage nach dem VerhĂ€ltnis zwischen unserer realen Welt und dem StĂ€dteuniversum, die beide, wie es an anderer Stelle heißt (vgl. GC, 8), eigentlich getrennt voneinander existieren und gegenseitig fĂŒreinander unsichtbar sind. Dass es gerade die Quantenphysik evozierenden Quarxs sind, die im Zusammenhang mit der Frage nach dem VerhĂ€ltnis zwischen realer und ersonnener Welt genannt werden, ist signifikant, was auch durch die WiederanknĂŒpfung an diesen metonymischen Verweis auf die Quantenphysik in jenem Gliederungspunkt des Guide verdeutlicht wird, der sich dem VerhĂ€ltnis zwischen den beiden Welten in ausfĂŒhrlicherer Form widmet. Die Autoren beleuchten dieses VerhĂ€ltnis, indem sie einen naturwissenschaftlichen Fragehorizont entwerfen. Es heißt dort, dass sich dem Besucher des StĂ€dteuniversums angesichts der gegebenen Ähnlichkeiten mit unserer RealitĂ€t der Eindruck aufdrĂ€nge, dass sich Ȉ partir de quelques Ă©lĂ©ments communs« (GC, 9), d. h. ausgehend von einigen gemeinsamen Elementen, irgendwann eine bifurcation, eine Auseinanderentwicklung der beiden Welten ereignet haben mĂŒsse. Was weitere Informationen und ErklĂ€rungen fĂŒr diese Bifurkation betrifft, hĂŒllen sich die Autoren in Schweigen und bleiben dabei ihrer Linie von Geheimnis und RĂ€tsel treu, indem sie erst einige naturwissenschaftliche Hypothesen in ErwĂ€gung ziehen, um diese sodann als unzureichend abzulehnen.

Abb. 5: Le Guide des cités (GC, 9).*

Der Eindruck einer Bifurkation zweier Welten, die viele gemeinsame Elemente aufweisen, mag auf den ersten Blick abwegig wirken. TatsĂ€chlich handelt es sich jedoch um wissenschaftliches Gedankengut, das seinen populĂ€rsten Ausdruck in der im Rahmen quantenphysikalischer Forschung formulierten Viele-Welten-Theorie von Everett und Wheeler (vgl. Baumann/Sexl) gefunden hat. Diese Theorie besagt – anders als die Standardinterpretation der Quantenphysik, d. h. die sogenannte Kopenhagener Deutung (vgl. Bohr/Heisenberg) – dass nicht nur eine der von der Quantenphysik beschriebenen Möglichkeiten bzw. Wahrscheinlichkeiten wirklich wird (nĂ€mlich jene, die sich im Akt der Messung einstellt), sondern dass alle von der Quantenphysik beschriebenen Möglichkeiten wirklich werden. Der entscheidende Punkt ist, dass sich die Welt dabei immer wieder so aufteilt, dass die verschiedenen sich ausschließenden Möglichkeiten in je verschiedenen Welten verwirklicht werden, welche danach keinerlei Verbindung mehr miteinander haben. Zeitlich neben unserer erlebten RealitĂ€t soll es also nach Everett und Wheeler viele andere Welten geben, die parallel zu unserer existieren, von denen wir aber fĂŒr immer abgeschnitten sind.

Abb. 6: Le Guide des cités (GC, 9).*

Die Theorie ĂŒber die gleichzeitige Existenz vieler möglicher Welten evozieren die Autoren nicht allein, um die Beziehung zwischen unserer Welt und jener der CitĂ©s obscures zu beschreiben.24 Den Autoren des Guide ist vor allem daran gelegen, das Multiple als Charakteristik der Fiktivwelt selbst herauszukehren. Gemeint ist damit, dass das StĂ€dteuniversum weniger eine Welt im Sinne einer Einheit zu bilden scheint, sondern dass es sich um viele Welten handelt, d. h. dass das StĂ€dteuniversum multiversalen Charakters ist. Hierauf verweisen nicht nur die im Guide erwĂ€hnten Probleme der Zeitrechnung  und der Geschichtsschreibung (vgl. ebd., 25 u. 27), die deutlich nahelegen, dass sich weitere Bifurkationen innerhalb des StĂ€dteuniversums selbst ereignet haben mĂŒssen, sondern vor allem das sogenannte â€șkartographische Problemâ€č: Der Tatsache ganz entsprechend, dass der Kartographie in den Geheimnisvollen StĂ€dten eine viel wichtigere Rolle als â€șbei unsâ€č zukommt (ebd., 9), kursiert dort eine Vielzahl von Landkarten (Abb. 5, 6, 7). Das â€șkartographische Problemâ€č besteht nun darin, dass diese Landkarten in dem, was sie darzustellen beabsichtigen, erheblich voneinander abweichen. Das StĂ€dteuniversum scheint unendlich viele Punkte und Linien, aber keinen gemeinsamen Ort auszubilden. So vermag selbst die kombinierte Verwendung der Karten kein einheitliches Bild zu vermitteln, entstehen doch dort, wo sich geografische Löcher schließen, an anderer Stelle sofort neue:

La superposition de ces images est pour le moins problĂ©matique. Certaines, comme celles de la Tour, sont manifestement archaĂŻques; d’autres, d’allure plus fiable, comportent d’incomprĂ©hensibles lacunes. (ebd.)25

Bei dem, was die Autoren hier unter dem â€șkartographischen Problemâ€č thematisieren, handelt es sich um selbstreflexive, d. h. das eigene kĂŒnstlerische Werk beschreibende bzw. problematisierende AusfĂŒhrungen. Hierauf verweist die Tatsache, dass in dem obigen Zitat nicht mehr von â€șKartenâ€č bzw. â€șcartesâ€č die Rede ist, sondern dass mit dem Wort image, d. h. â€șBildâ€č, ein weiter gefasster Begriff an deren Stelle tritt, der das Konnotat der Kunst aufruft.

Abb. 7: Le Guide des cités (GC, 9).*

Die Kartographie bildet gemeinsam mit der Viele-Welten-Theorie einen Themenkomplex aus, mit dem die Autoren – auf der Ebene der kĂŒnstlerischen Selbstreflexion – die Möglichkeiten und Grenzen des Darstellbaren in Szene setzen. Diese Selbstreflexion betrifft nicht nur einen nebensĂ€chlichen Aspekt der Textserie, sondern ist auf die Serie in ihrer Gesamtheit zu beziehen. Die Viele-Welten-Theorie und das sich daraus ergebende â€șkartographische Problemâ€č geben letztlich das ErzĂ€hlmodell der Serie ab: Mit dem â€șkartographischen Problemâ€č wird die Frage nach der KohĂ€renz und Einheitlichkeit der Serie bzw. der in zahlreichen Publikationen dargestellten, aber in ihrer MultiversalitĂ€t letztlich nicht darstellbaren Fiktivwelt problematisiert. Wie Peeters in seinem Sachbuch Écrire l’image festgehalten hat, ist das VerhĂ€ltnis zwischen den einzelnen Publikationen und dem damit erzeugten Gesamtkunstwerk als prekĂ€r zu betrachten:

ConsidĂ©rĂ©s comme un ensemble, Les CitĂ©s Obscures proposent une construction Ă  la fois trĂšs structurĂ©e et toujours sur le point de se dĂ©faire, un puzzle immense oĂč chacune des piĂšces qui vient complĂ©ter l’univers le rend en mĂȘme temps plus impossible Ă  totaliser. Beaucoup de lecteurs ont souhaitĂ© que Les CitĂ©s Obscures se bouclent et forment une image cohĂ©rente. Mais nous avons toujours eu la volontĂ© que ce puzzle ne puisse s’achever: si certaines parties se complĂštent, c’est pour mieux laisser apparaĂźtre de nouveaux trous.  (Peeters 2009, 62)26

Was im Guide mit Bezug auf die in den fantastischen StĂ€dten selbst betriebene Kartographie noch als Problem und damit negativ konnotiert erschien, ist hinsichtlich der Frage nach KohĂ€renz und Einheitlichkeit der Textserie als eine Art â€șgewolltes Problemâ€č zu betrachten. Dieses hat als Ausdruck einer Reflexion ĂŒber die kĂŒnstlerische ReprĂ€sentationsfĂ€higkeit und die Grenzen derselben zu gelten.

Nicht selten gehen Reflexionen dieser Art, wie im Fall der CitĂ©s obscures, mit dem Rekurs auf kunstexterne Bereiche einher, die sodann zum Mittel der kritischen kĂŒnstlerischen Selbstreflexion werden: Sei es die im Guide rezipierte Quantenphysik oder sei es der von Peeters an anderer Stelle erfolgte Verweis auf das in Douglas Hofstadters Buch Gödel, Escher, Bach prĂ€sentierte Gedankengut (vgl.  Peeters 2009, 62). Hofstadter beschĂ€ftigt sich in seiner Monografie u. a. mit Gödels UnvollstĂ€ndigkeitstheorem, welches, Ă€hnlich wie die Quantentheorie, als eine weitere Manifestationsform des fĂŒr das 20. Jh. so kennzeichnenden â€șIgnorabimusâ€č zu gelten hat. Der gemeinsame (und die Auswahl als Mittel kĂŒnstlerischer Selbstreflexion favorisierende) Nenner besteht in dem Nachweis, den diese Disziplinen im Hinblick auf die grundlegenden Begrenzungen des Wiss- und Darstellbaren erbracht haben, genauso wie in der damit verbundenen Herausforderung fĂŒr das alltagsweltliche Denken des Menschen. Elemente wie diese sind nun auch, wie eingangs im Zusammenhang mit der Textsortenhybridisierung gesagt wurde, fĂŒr das transmedial vermittelte StĂ€dteuniversum von Schuiten/Peeters kennzeichnend. Die CitĂ©s obscures laden den Menschen letztlich dazu ein, die Wirklichkeit nicht einzuengen, sondern anzunehmen, dass diese viel weiter ist als alles Denk- und Darstellbare.

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Bibliografie

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  • Schuiten, François (P) u. BenoĂźt Peeters (W), Marie-Françoise Plissart (Fotografien): Le guide des citĂ©s. 2. Aufl. Tournai: Casterman, 2002a [1996] [GC].
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Filmografie

  • les quarxs (F 1993; R: Maurice Benayoun).

Abbildungsverzeichnis

  • Abb.1: L‘Archiviste (Schuiten/Peeters, 63).
  • Abb. 2: L‘enfant penchĂ©e (Schuiten/Peeters, Cover).
  • Abb. 3: La thĂ©orie du grain de sable (Schuiten/Peeters, 99).
  • Abb. 4: Le Guide des citĂ©s, (Schuiten/Peeters, 19).
  • Abb. 5: Le Guide des citĂ©s (Schuiten/Peeters, 9).
  • Abb. 6: Le Guide des citĂ©s (Schuiten/Peeters, 9).
  • Abb. 7: Le Guide des citĂ©s (Schuiten/Peeters, 9).

* FĂŒr alle Abbildungen dieses Artikels gilt: ©Casterman. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren und der Editions Casterman.

 

  • 1] Zum transmedialen Charakter der CitĂ©s obscures und den innovativen Formen der kĂŒnstlerischen Öffentlichkeitsarbeit, zu denen z. B. die sogenannten confĂ©rences-fiction zĂ€hlen, siehe ausfĂŒhrlich Leinen, 243: »Die Autoren konzipierten VortrĂ€ge ĂŒber die CO, die mit Dias aus der monde obscur unterlegt waren und spontan zur Schaffung neuer Figuren oder neuer Geschichten fĂŒhren konnten. Mary von Rathen beispielsweise konturierte sich bei einem solchen Auftritt aus einer verschwommenen Fotografie Mary Tucholskys, und der Forscher Axel Wappendorf entstand als Figur spontan nach einem Zuruf aus dem Publikum.« Übers. d. Verf.
  • 2] FĂŒr eine ausfĂŒhrliche EinfĂŒhrung in die CitĂ©s obscures vgl. Darius.
  • 3] FĂŒr weitere FortfĂŒhrungen von Borges’ Text vgl. Schmitz-Emans. Schuiten/Peeters 2002a ab hier als GC abgekĂŒrzt.
  • 4] Unter Rekurs auf Vaihingers Philosophie des Als-ob hebt auch Alejandro Riberi die BezĂŒge zwischen Fiktion, Epistemologie und Wissen als grundlegendes Kennzeichen von Borges’ Schreiben hervor (Riberi, 4) und erwĂ€hnt, wenn auch nur kurz, die gegebenen diegetischen und strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen Borges und Schuiten/Peeters (ebd., 6f.). Über Riberis Beitrag geht der vorliegende Artikel hinaus, indem er sich auf die von Riberi völlig ausgesparte Rolle der Quantenphysik konzentriert und primĂ€r das Werk Schuitens und Peeters’ untersucht. Im Unterschied zu dem Beitrag von FrĂ©dĂ©ric Kaplan soll keine bloß assoziative Lesart der CitĂ©s obscures im Lichte der Quantenphysik erfolgen; Ausgangspunkt sind vielmehr die impliziten und expliziten BezĂŒge auf selbige.
  • 5] »Das Ziel des vorliegenden FĂŒhrers besteht [
] darin, die zahlreichen Ungenauigkeiten und Falschmeldungen, die man hier und dort ĂŒber die Geheimnisvollen StĂ€dte hat lesen können, richtigzustellen [
]. Wir sind uns bewusst, dass dieser FĂŒhrer wie jede Pionierarbeit seine MĂ€ngel hat. [
] Um die Welt der Geheimnisvollen StĂ€dte umfassend darzustellen, wĂ€re die Zusammenarbeit zahlreicher Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen unbedingt notwendig. Wir hoffen, dass andere Autoren durch den vorliegenden Band angeregt werden, die Forschung noch weiter voranzubringen, als es uns bisher gelungen ist!« Übers. d. Verf.
  • 6] »Wir erlauben uns [
] gleich hier, einem ebenso hartnĂ€ckigen wie bösartigen GerĂŒcht entgegenzutreten: Auch wenn es eine der weitverbreitesten Legenden ist, haben wir die Geheimnisvollen StĂ€dte nicht erfunden, und wir sind auch nicht die ersten, die sie je erwĂ€hnt haben.« Übers. d. Verf.
  • 7] So weisen die Autoren in ihrem Guide darauf hin, dass renommierte historische Persönlichkeiten Kenntnis von dem StĂ€dteuniversum gehabt haben mĂŒssten, z. B. der Philosoph Emanuel Swedenborg, der Mathematiker Evariste Gallois, KĂŒnstler wie Piranesi und Gustave DorĂ© oder Schriftsteller wie Novalis oder Italo Calvino etc. (s. GC, 3–4).
  • 8] Vgl. z. B. den mit einer Begleit-DVD ausgestatteten Comicband L’affaire Desombres.
  • 9] Vgl. die offizielle Webseite der Comicserie: <http://www.urbicande.be> (letzter Zugriff am 19.07.2014).
  • 10] Vgl. die Aussage von Peeters: »Au fil des annĂ©es, les prolongements de l’univers des CitĂ©s obscures se sont multipliĂ©s, sur les supports les plus divers. Sans l’avoir cherchĂ©, nous nous sommes engagĂ©s peu Ă  peu dans une aventure que l’on peut qualifier de transmĂ©diatique. Non seulement Les CitĂ©s obscures transgressent les limites de la bande dessinĂ©e, mais elles ne constituent pas un ensemble d’objets qu’il serait possible de possĂ©der. MĂȘme le plus acharnĂ© des collectionneurs ne pourrait rassembler l’ensemble de ces Ă©lĂ©ments, dont beaucoup furent Ă©phĂ©mĂšres. Mais curieusement la prĂ©sence de cet univers imaginaire, sa consistance si j’ose dire, semble s’ĂȘtre accrue pour bon nombre de lecteurs Ă  mesure que nous nous Ă©loignions de la bande dessinĂ©e proprement dite. Comme si un certain coefficient de rĂ©el (distinct de â€șl’effet de rĂ©elâ€č thĂ©orisĂ© par Barthes) Ă©tait liĂ© Ă  ce recours Ă  des techniques et des supports trĂšs variĂ©s. En passant d’un mĂ©dia Ă  un autre, Les CitĂ©s obscures sous-entendaient peut-ĂȘtre qu’il existait un univers de rĂ©fĂ©rence, indĂ©pendant de ces diverses traductions.« (Peeters 2009, 61) [»Im Laufe der Jahre hat sich das geheimnisvolle StĂ€dteuniversum kontinuierlich verĂ€stelt. Ohne dass wir es je beabsichtigt hĂ€tten, hatten wir uns in ein Abenteuer gestĂŒrzt, das man als transmedial beschreiben könnte. Weder beschrĂ€nken sich die CitĂ©s obscures auf das Medium des Comics, noch konstituieren sie ein greifbares geschlossenes Ganzes. Selbst der eifrigste Sammler könnte nicht alle Elemente, die hĂ€ufig nur ephemeren Charakters gewesen sind, zu einer Einheit zusammentragen. Doch merkwĂŒrdigerweise ist die Existenz dieses imaginĂ€ren Universums oder seine Konsistenz, wenn man so will, fĂŒr zahlreiche Leser in dem Maße immer glaubhafter geworden, in dem wir uns vom Medium des Comics im engeren Sinne entfernt haben. Es ist fast so, wie wenn eine Art realistischer Koeffizient, (der mit Barthes’ â€șeffet de rĂ©elâ€č nicht identisch ist) mit unserem RĂŒckgriff auf die unterschiedlichsten Techniken und Medien verbunden gewesen wĂ€re. Indem wir von einem Medium auf ein anderes ĂŒbergegangen sind, entstand der Eindruck, dass die CitĂ©s obscures auf ein reales Universum referieren, das unabhĂ€ngig von den unterschiedlichen kĂŒnstlerischen Umsetzungen existiert.« Übers. d. Verf.]
  • 11] Vgl. vor allem das Teilkapitel »Les moyens d’accĂšs« im Metaband Le Guide des citĂ©s (GC, 56–68), genauso wie z. B. den Band L’enfant penchĂ©e.  Vgl. weiter Aubin sowie Heinzelmann.
  • 12] »Dies fĂŒhrt zu einer Destabilisierung unserer generellen Bezugspunkte und Sicherheiten, zur Infiltration des Zweifels: Der Zweifel bezieht sich nicht allein auf die fragwĂŒrdige Existenz der CitĂ©s, sondern wirkt ebenso zurĂŒck auf das, was wir ĂŒber die reale Welt zu wissen glauben.« Übers. d. Verf.
  • 13] Vgl. auch das Urteil von Stefanie Diekmann: »There is a strong undercurrent of cultural pessimism in the stories about the Fantastic Continent [
] and it is in accordance with this pessimism that ambition turns into hubris and that hubris is punished by failure and humiliation in the face of the Cities’ unpredictability.« (Diekmann, 94f.); vgl. weiter die von Franck Thibault stammende Interpretation von La Tour, sowie die AusfĂŒhrungen von Libbie McQuillan.
  • 14] »Sie sind unverbesserlich, Constant, immer suchen Sie nach ErklĂ€rungen. Mein Leben und mein Beruf haben mir dagegen gezeigt, dass es selten ErklĂ€rungen gibt « Übers. d. Verf.
  • 15] So sind etwa, folgt man dem Guide des citĂ©s, »[l]e culte du secret, le goĂ»t des groupuscules et des rites d’initiation« (GC, 38) – d. h. GeheimniskrĂ€merei, GrĂŒppchenbildung und Initiationsriten – sehr weit verbreitet und die Philosophie des â€șobskuren Plantenâ€č verkĂŒndet unablĂ€ssig, »[que] l’essentiel reste un MystĂšre« (ebd., 39), d. h. dass das Wesentliche immer Geheimnis bleiben werde.
  • 16] »Es ist wenig verwunderlich, dass in einer Welt, in der RĂ€tsel und Mysterien einhellig verehrt werden und das Stellen einer Frage höher angesehen wird als ihre Beantwortung, [
] die Bezeichnung exakte Wissenschaft [
] keinerlei Sinn [
] [macht]: Jedes Ergebnis ist nur ein ungefĂ€hres.« Übers. d. Verf.
  • 17] Vgl. zum Status der Wissenschaft auf dem â€șobskuren Planetenâ€č: »[S]cience in the Obscure Cities is not â€șan exact scienceâ€č. It is constantly faced with inexplicable and uncontrollable phenomena, which disturb plans or the newly built cities.« (Ramalhete Gomes, 94)
  • 18] Das Verfahren, durch (nur geringfĂŒgige Abweichungen aufweisende) Homonyme und Homographe auf unsere reale Welt Bezug zu nehmen, ist charakteristisch fĂŒr die kĂŒnstlerische Arbeit von Schuiten/Peeters. Weitere Beispiele finden sich insbesondere in geografischer Hinsicht: Paris vs. PĂąhry, Bruxelles vs. BrĂŒsel.
  • 19] Vgl. die Abbildung 4, das den Quarx Spatio-striata darstellt. Dieser Quarx spielt auf jenen StĂŒtzpfeiler der klassischen Physik an, dessen GĂŒltigkeit fĂŒr den Mikrokosmos durch Max Plancks Quantenhypothese im Jahre 1900 in Frage gestellt wurde. Es handelt sich um die klassische Annahme von der Stetigkeit oder KontinuitĂ€t der NaturvorgĂ€nge, die in dem oft zitierten Satz Natura non facit saltus (die Natur macht keine SprĂŒnge) ihren Ausdruck gefunden hat. Dass ein â€șSpringenâ€č bzw. eine diskontinuierliche Folge von ZustĂ€nden jedoch alles andere als unmöglich ist, leitete sich aus den Arbeiten Max Plancks zur Hohlraumstrahlung ab.
  • 20] »Was sind die Quarxs eigentlich? Es handelt sich weder um eine Art noch um eine Gattung unter vielen, sondern um eine Vielzahl von völlig unterschiedlichen lebenden Wesen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, sich den gĂ€ngigen Beobachtungsverfahren zu entziehen. [
] Es ist allein dem Arbeitseifer von Professor Benayoun zu verdanken, dass dieser die Existenz â€șdieser seltsamenâ€č, den grundlegendsten naturwissenschaftlichen Gesetzen trotzenden Wesen zunĂ€chst logisch abgeleitet und sodann bewiesen hat.« Übers. d. Verf.
  • 21] Verwiesen sei auf den mit den Quarxs gleichnamigen Episodenfilm, der eine Koproduktion der Autoren mit Maurice Benayoun ist. Der Film hat die Forschungsergebnisse des Professors Benayoun zu einzelnen Quarx-Exemplaren zum Gegenstand. Vgl. les quarxs. Die französische und eine englische Version sind im Internet verfĂŒgbar unter: <http://www.youtube.com/watch?v=bFKtXNNwPDM> (letzter Zugriff am 19.07.2014), <http://www.youtube.com/watch?v=c8vpv6ijaGQ> (letzter Zugriff am 19.07.2014).
  • 22] »Gewisse Vorkommnisse jĂŒngeren Datums deuten darauf hin, dass diese Tierchen inzwischen auch auf der Erde ihr Unwesen treiben. Es wurde sogar behauptet, dass wir selbst es gewesen seien, die durch unsere RĂŒckkehr vom Geheimnisvollen Kontinent der hiesigen Quarxinvasion unfreiwillig den Weg bereitet haben.« Übers. d. Verf.
  • 23] So berichtet der ErzĂ€hler von mehreren Tlön-Objekten, die geheimnisvollerweise in Lateinamerika gefunden werden.
  • 24] Das VerhĂ€ltnis zwischen unserer realen Welt und dem StĂ€dteuniversum wird in wenigen ComicbĂ€nden auch auf der Ebene der Darstellung gestaltet. So etwa in dem Band L’enfant penchĂ©e durch den Kontrast zwischen Fotografie (eingesetzt fĂŒr Darstellungen unserer realen Welt) und Zeichnung (eingesetzt fĂŒr Darstellungen des StĂ€dteuniversums).
  • 25] »Eine kombinierte Verwendung dieser Bilder ist problematisch: Einige, wie die vom Turm, sind definitiv veraltet, andere wiederum, die auf den ersten Blick verlĂ€sslicher scheinen, weisen bei genauerer ÜberprĂŒfung unerklĂ€rliche LĂŒcken auf.« Übers. d. Verf.
  • 26] »Als Gesamtwerk beruhen die Geheimnisvollen StĂ€dte auf einer strengen Konstruktion, die aber gleichzeitig vom Zerfall bedroht ist, es ist ein riesiges Puzzle: Jedes Teil fĂŒgt diesem Universum eine neue Dimension hinzu und verhindert zugleich, dass es sich zu einem Ganzen vereint. Viele der Leser möchten, dass das Puzzle der Geheimnisvollen StĂ€dte sich vervollstĂ€ndigt und ein zusammenhĂ€ngendes Bild ergibt. Aber wir haben dabei immer die Vorstellung gehabt, dass dieses Puzzle unendlich ist, dass es sich auf der einen Seite nach und nach vervollstĂ€ndigt, wobei sich aber im selben Moment an anderer Stelle Löcher auftun.« Übers. d. Verf.