Spektakuläre Zeichenspiele – Gender, Genre und Medialität in Comic und Comicfilm

Comic – Film – Gender. Zur (Re-)medialisierung von Geschlecht im Comicfilm rezensiert von Marie Schröer

Comic – Film – Gender: Das Buch hält, was der Titel verspricht. Véronique Sina beleuchtet die drei Komponenten sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenspiel. Mit dem entsprechenden medien-und gendertheoretischen Rüstzeug gewappnet, demonstriert sie in den close readings bzw. watchings dreier Comicfilme (Sin City, Immortel und Kick-Ass), wie inspirierend das grenzüberschreitende Denken ist.

Comic, Film UND Gender? Fettgedruckt, groß und rot nehmen die drei Titelworte fast die Hälfte des Covers ein. Inhaltliche Band- und grafische Buchstabenbreite sorgen für einen selbstbewussten ersten Auftritt. Zu Recht.

Ganz klassisch eröffnet der Theorieteil die Dissertation von Véronique Sina. Weniger klassisch ist, dass diese mit einem Cartoon eingeläutet werden. Es handelt sich um eine Coverabbildung des Magazins Critical Inquiry, gezeichnet von der Comiclegende Robert Crumb. Zu sehen ist die Rückenansicht zweier Crossdresser, zu spüren die daraus resultierende Überforderung eines Standesbeamten. Comic und Gender, gleich zwei der drei Komponenten, werden also von Beginn an theoretisch und visuell behandelt. Durch ihre parodistische Ästhetik irritieren und kritisieren Comics Gender- und Genrekonventionen, so erläutert es Sina in Rückgriff auf Ole Frahm. Sie belässt es aber in diesem ersten Teil nicht bei der Betrachtung von Gender, Genre und Parodie-Potential, sondern versammelt in einer theoretischen Tour de Force Grundlagen diverser Bezugswissenschaften: Comic- und Filmforschung, Medienwissenschaften, Gender Studies. In Sinas Worten: »Medienwissenschaftliche Comicforschung trifft genderorientierte Medienwissenschaft.« Die auf den ersten Blick sperrig wirkenden Komposita erweisen sich dabei als produktive Kompositionen, die neue Perspektiven eröffnen. Die Autorin zeigt etwa, wie Gender und Medien sich in ihrer grundlegenden Unbestimmbarkeit ähneln und sich als »kulturelle Technologien« (auch gegenseitig) konstituieren. Wir erhalten einen Crash-Kurs in Sachen »Performativität«, doing gender und zugrundeliegende Machtstrukturen, der alle Judith-Butler-Unkundigen dank klarer Worte zu erhellen vermag. Gleichzeitig bildet er eine wesentliche Grundlage, um die Konzepte einzuführen, die die Analyse im Folgenden tragen werden. Wenn Gender durch die Wiederholung von Akten und Zeichen diskursiv konstruiert wird, so können Medien, wie beispielsweise der Comic dazu dienen, über diese ursprungslosen und künstlichen Setzungen nachzudenken. Der Comic bietet eine Projektionsfläche für Zeichenspiele, in denen Repetitionen, Deformationen und Kolorationen die Gemachtheit des Mediums, genauso wie die der repräsentierten Genderrollen ausstellen. »Die (hyper-)mediale Beschaffenheit des Comics« steht im Fokus des zweiten Kapitels, dessen gut 50 Seiten einen ebenso informativen wie unterhaltsamen Überblick in die medienspezifischen Eigenheiten des Comics (und für Comicforschende jedweder Provenienz eine Fundgrube) bieten: Mit Überlegungen zum Zusammenspiel von Bild und Text, zur Bedeutung von Reduktion und Überzeichnung und der Frage nach Differenz und Wiederholung wird das Eigentümliche und Widerspenstige des hybriden Mediums hervorgehoben.

Mit dem von Sina so genannten »Comicfilm« kommt alsbald eine dritte Kategorie ins (Zeichen-)Spiel. Anders als die Comicverfilmung übersetzt der Comicfilm nicht zwangsläufig den Plot des Comics, wohl aber comicspezifische Eigenheiten in das neue Medium Film. Charakteristische Motive, Schnitte, Farben und Perspektiven werden auf der Leinwand »(re-)medialisiert«. Das Ursprungsmedium bleibt dadurch sichtbar. Diese Re-Medialisierung zu analysieren und dabei die Kategorie Gender stets mitzudenken, ist das Ziel der drei folgenden exemplarischen close readings/watchings. Betrachtet werden Sin City, Immortel und Kick-Ass also mit folgenden Fragen im Hinterkopf: (Wie) kann die (hyper-)mediale Ästhetik, (wie) das subversive Potential des Comics im Comicfilm re-medialisiert werden? Welcher Art sind die Zeichenspiele, die sich aus dieser Neu-Aufführung ergeben? Inwiefern werden beispielsweise Genderrollen-Spiele als systemstabilisierende Spektakel inszeniert?

Erwähnenswert: Auch in ihren Fallanalysen begnügt sich Sina nicht damit, die Punkte schulbuchmäßig abzuarbeiten, sondern liefert jede Menge spannendes Bonusmaterial. Bevor in der Sin-City-Erörterung Comic-Charakteristika und Genderfragen diskutiert werden, werden die Leser_innen in die Geschichte(n) des Noir-Genres eingeführt. Das Immortel-Kapitel liefert on top Wissenswertes über mise-en-abyme-Strategien; die Ausführungen zu Kick-Ass beinhalten Reflektionen über das (Superhelden-)Genre und seine Parodien. Dass dies alles irgendwie zusammengehört, weil die diskursiven Konstruktionsprozesse um Medien, Genres und Gender sich nicht nur ähneln, sondern auch miteinander in Beziehung stehen, ist eine der Erkenntnisse der ertragreichen Lektüre. In der besten Version ihrer selbst geben Comic und Film Raum für Uneindeutigkeiten und damit Raum für Reflektionen. Im Idealfall verhält es sich mit geisteswissenschaftlichen Schriften nicht anders: Statt unterkomplexe »Wahrheiten« in Form und Norm zu gießen, machen sie Platz für Gedanken. Mit ihrer interdisziplinären Herangehensweise zeigt Sina, wie inspirierend (und unterhaltsam) Grenzen überschreitende Forschung für Gender-, Medien- und Comicforschende gleichermaßen ist. Als Literaturwissenschaftlerin sinniere ich etwa über das Prosa-Pendant zu Sinas »Comicfilm«: einen Roman also, der sich von den medialen Spezifika des Comics prägen ließe, ohne zwangsläufig einer Comic-Vorlage zu bedürfen (und der aus geläufigen Gründen keinesfalls »Comicroman« genannt werden sollte). Soviel zu den Nebenschauplätzen.

Welcher der drei Comicfilme vermag denn nun das kritische Potential des Comics am intensivsten auszuschöpfen? Um nicht zu viel zu spoilern, folgt statt der Antwort hier ein Teaser: Eine Killer-Göre macht noch keine Subversion. Und: So weit ist es nicht vom Hit-Girl zum It-Girl.

 

Comic – Film – Gender
Zur (Re-)medialisierung von Geschlecht und Comicfilm
Véronique Sina
Bielefeld: transcript, 2016
304 S., 34,99 Euro
ISBN 978-3-8376-3336-8