Formen der Selbstreflexivität im Medium Comic
Zur Einführung

Nina Heindl (Köln) und Véronique Sina (Köln)

Die (serielle) Ästhetik des Comics, die auf dem Prinzip der Differenz und Wiederholung, der Redundanz und Variation basiert, ist durch eine grundlegende performative sowie selbstreflexive Struktur gekennzeichnet (vgl. Frahm und Sina). Die gezielte Thematisierung und Wiederholung bzw. Wiederaufführung des Mediums kann unterschiedliche Formen annehmen, wie etwa die Reflexion des Herstellungsprozesses oder die Selbstdarstellung der Comickünstler_innen im eigenen Werk (vgl. Stein und Heindl). Die immanente Selbstbezüglichkeit des Comics zeichnet sich aber ebenso durch ein Spiel mit den Möglichkeiten der eigenen Darstellungsmittel aus, das nicht nur das Aufzeigen, sondern auch das Aufbrechen und Erweitern medialer Konventionen mit sich bringt (vgl. Schmitz-Emans).

So vielfältig die Erscheinungsweisen der Selbstreflexivität im Comic sind, so divers sind auch deren interpretatorische Zusammenhänge. Selbstreflexiven Comics wird einerseits in werk­i­nterner Perspektive eine besondere Wert- und Kunsthaftigkeit zugeschrieben, weil sie ihre Künstlichkeit und den Wissenshorizont der Produzent_innen über Geschichte und Gestaltungsbedingungen des Mediums ausstellen (vgl. Inge, 1f.). Andererseits kommt derartigen Comicproduktionen in ideologiekritisch­­-­werkexterner Perspektive Aussagewert über die mediale Konstruktion von ›Wirklichkeit‹ zu.1

Und auch in den Begrifflichkeiten gibt es einen Variantenreichtum, sich mit der Selbstbezüglichkeit von Comics auseinanderzusetzen. Im Folgenden seien nur einige Ansätze schlaglichtartig vorgestellt: Am Beispiel der Metacomics, die »ihren eigenen Status als Comic herausstellen, indem sie die Produktionsbedingungen, den künstlerischen Entstehungsprozess, die Art und Weise, wie sie gestaltet sind, und ihre Distribution sowie die konkrete Rezeption […] thematisieren« (Werner, 304), stellt Lukas Werner etwa die Beziehung zwischen Selbstreflexivität und Selbstreferenz heraus. Während in selbstreflexiven Comics »Fragen des Comics im Allgemeinen verhandelt werden«, so Werner, nehmen selbstreferenzielle Comics auf sich selbst Bezug (Werner, 304). In der Selbstreferenz wird also lediglich ein Verweis auf die spezifische Comicserie oder das weitere Schaffen der Comickünstler_innen gegeben, mit der Selbstreflexion wird anhand einer allgemeineren Thematisierung des Mediums, der Darstellungskonventionen, der Serialität oder ähnlichem das Nachdenken über diese übergeordneten Charakteristika angestoßen. Monika Schmitz-Emans verwendet in ihrem umfassenden Buch zu Literaturcomics die Begriffe Autoreferenz und Autoreflexion, Selbstverweis und Selbstbespiegelung, und stimmt dadurch mit Werners Definition überein (vgl. Schmitz-Emans, 31). Anders als Werner und Schmitz-Emans legt Matthew T. Jones den Fokus auf das wahrnehmende Individuum, wenn er das ›Selbst‹ aus der seinem Ansatz zugrundeliegenden Bestimmung streicht: »Reflexivity is not something that is located in the text itself; rather it is something that the author engages in while creating and the audience engages in while consuming« (Jones, 270).

Rolf Lohse spricht in seiner Auseinandersetzung mit der französischen bande dessinée von Medienreflexion, die nicht nur eingesetzt wird, »um die Grenzen der dem Medium eigenen Codes zu reflektieren, sondern v.a., um die Möglichkeiten in Darstellung und Erzählung zu erweitern« (310). Roy T. Cook findet die Begriffe reflexive und self-referential in Bezug auf Metacomics problematisch, weil sie zu einschränkend seien und beruft sich in seinem Zugang aus Perspektive der philosophischen Logik auf den Begriff der medium-specific conventions. Christian Bachmann nähert sich dem Thema – zumindest im Buchtitel – mit dem Begriff Metamedialität an, spricht ansonsten im Anschluss an Werner Wolf jedoch vor­nehmlich von Metaisierung. Karin Kukkonen betont den Referenzcharakter und etabliert die von Linda Hutcheon entlehnte Unterscheidung zwischen covert und overt meta­reference. Mit dem Konzept der ›strukturellen Parodie‹ spricht Ole Frahm dem Medium Comic nicht nur ein inhärentes kritisches Potenzial zu. Er vertritt damit zugleich die These, dass sich Comics im Allgemeinen durch eine performative sowie selbstreflexive parodistische Struktur kennzeichnen, welche das Gezeigte und Erzählte immer wieder kritisch zu reflektieren vermag. Diese parodistische Ästhetik des Comics verweist – wie Jonas Engelmann in Hinblick auf Frahms Ausführungen treffend bemerkt – »auf den Spaß, den Comics in der Dekonstruktion der Vorstellung einer einzigen Wahrheit bereiten können« (8). An Frahms Konzept zur strukturellen Parodie des Comics anknüpfend, versteht Véronique Sina die immanente Selbstbezüglichkeit der sequenziellen Kunst und die damit einhergehende performative Wiederaufführung des eigenen Mediums als Form der remediation (vgl. Bolter/Grusin) und damit als grundlegendes Charakteristikum der Medialität des Comics.

Neben dieser Begriffsvielfalt und der damit einhergehenden punktuellen Schwerpunktsetzung in der Untersuchung von Selbstreflexivität im Comic bestehen verschiedene Kategorisierungen und Typologiesetzungen comicspezifischer Selbstreflexionsformen (vgl. bspw. Cook, Inge, Jones und Groensteen) sowie selbst­reflexiver Strategien der Comicautor_innen und -zeichner_innen (vgl. Schmitz-Emans, 31–61). Ihnen allen ist der Versuch gemein, Formen der Selbstreflexion benenn-, unterscheid- und klassifizierbar zu machen – ihrer also durch unterschiedliche Vorgehensweisen habhaft zu werden – die einen mit einem stärkeren, die anderen mit einem geringeren Universalitätsanspruch. Dem wird in dieser Einführung kein weiterer Einordnungsversuch zur Seite gestellt, da erstens Stephan Packard in seinem Beitrag neben weiteren Aspekten einen eben solchen und überzeugenden Vorschlag einer Typologie der Selbstbezüglichkeit im Comic liefert. Zweitens liegt in der Zusammenstellung der folgenden Aufsätze das Gewicht nicht auf einer neuen Betrachtung verschiedener Kategorisierungen. Der Blick soll vielmehr darauf gelenkt werden, was aus der Feststellung selbstreflexiver und -referenzieller Formen in funktionaler, methodischer sowie systematischer Hinsicht resultiert. Um dies im Folgenden zu veranschaulichen, wird an einem einzigen – dafür aber schlagenden – Beispiel aufgezeigt, welche Perspektiven auf die Selbstreflexivität im Medium Comic aus lediglich zwei Panels entfaltet werden können.

Katz und Maus in zwei Panels

Die zwei benannten Panels gehören zu einer diagrammatischen Struktur (Abb. 1) des US-amerikanischen Comickünstlers Chris Ware. Erschienen ist dieses Diagramm erstmals in ACME Novelty Library #6 (Winter 1995/96) und später noch einmal im Kontext des Paratextes der Sammelausgabe Jimmy Corrigan:The Smartest Kid on Earth, die 2000 als Hardcover, 2003 als Softcover-Variante publiziert wurde. Auf der besagten paratextuellen Doppelseite in Jimmy Corrigan finden sich neben dem Diagramm verschiedene höchst ironisierende Texte, darunter eine Einführung in die Geschichte des Comics, die Nutzung eines Comicbuchs, also dessen funktionale und technische Voraussetzungen, sowie ein Test, in dem vor dem lesenden und betrachtenden Nachvollzug der Comic­geschichte die Eignung der Rezipierenden geklärt werden soll (vgl. Gardner, xii und Stephan Packards Beitrag in dieser Ausgabe).

Ausgangspunkt des komplexen Diagramms bilden zwei Panels im rechten, oberen Bereich, in denen Quimby the Mouse mit einem Hammer über dem Kopf ausholt und ihn Sparky the Cat auf den Kopf schlägt. Von dieser Sequenz ausgehend werden drei unterschiedliche Stränge aufgemacht, die sich auf die Sequenzialität, Zeitlichkeit und Wahrnehmung, auf intermediale Bezüge sowie die Figurenwahl und deren Gestaltungsweise in und mit Comics beziehen. Die beiden Ausgangspanels mit Katz und Maus fungieren demnach als pars pro toto für das gesamte Medium, dessen spezifische Medialität sowie Rezeptionsbedingungen.

Sequenzialität, Zeitlichkeit und Wahrnehmung

Zwischen den beiden Panels mit Maus, Hammer und Katzenkopf wird – gestrichelt umrahmt – das visualisiert, was in Zwischenraum und -zeit geschieht: Der Hammer bewegt sich – visualisiert durch einen gestrichelten Bogen zwischen zwei Paar Katzenarmen und Hämmern – nach unten auf den Katzenkopf zu. Damit verdeutlicht Ware mit reduzierten Mitteln, was namengebend für dieses e-Journal ist und durch Scott McCloud zu einer Grundbegrifflichkeit in der Diskussion um Comics avanciert ist: closure. In Understanding Comics definiert McCloud den Begriff als »phenomenon of observing the parts but perceiving the whole« sowie als »completing that which is incomplete based on past experience« (63).

Das Panelprinzip erklärt durch Katz und Maus © Chris Ware 2018

Ware splittet diese Bewegungssequenz im oberen Bereich des Diagramms noch weiter auf und zwar in derartige Mikromomente, dass sich die Panels untereinander kaum merklich unterscheiden.

Ãœber diese Panelserie, in der durch längsgerichtete Wellenlinien angedeutet wird, dass hier nur ein kleiner Ausschnitt zu sehen ist, wird über die Zusammenhänge von Sequenzialität und Zeitlichkeit innerhalb der Bewegungsdarstellung hinaus auch die Wahrnehmung der Rezipierenden (repräsentiert durch einen schemenhaften Mäusekopf) thematisiert: Eine Lichtquelle ermöglicht es, das Panel mit dem durch eine speedline visualisierten herabsinkenden Hammer mit dem Auge wahrzunehmen. Dabei erreichen die einzelnen Mikromomente das Auge und im Gehirn der Rezipierenden setzen sich diese dann zu der gesamten Bewegung zusammen. In diesem Dreischritt von Bewegungsdarstellung, visueller Wahrnehmung und kognitiver Leistung ist ein – um es begrifflich auf die Spitze zu treiben – meta-selbstreflexiver Kommentar eingeschrieben: Die Darstellung der Maus, die den Katzenkopf mit einem Hammer trifft, ist Ausgangspunkt der Wahrnehmungsschritte und gleichzeitig auch die Visualisierung dessen, was sich im Gehirn der Rezipierenden abspielt – dies ist freilich den medialen Bedingungen dieser grafischen, abgedruckten Darstellung geschuldet. Sollte das Diagramm den Ãœbersetzungsvorgang von Sichtbarem zu Gedachtem zeigen, so müsste die gedachte Bewegung nicht nur durch speedlines Bewegung suggerieren, sondern diese tatsächlich umsetzen und damit die durch die Panel­sequenz geschaffenen Leerstellen zwischen den einzelnen Bildern des Comics zum Verschwinden bringen. Die beiden Darstellungen sind zwar medial bedingt identisch, werden aber durch den sie umgebenden unterscheidbaren Kontext in verschiedene Wahrnehmungsmodi verschoben und müssen daher einmal als bewegungslose Linien auf weißem Grund, einmal in einer Bewegung des Hammers auf den Katzenkopf wahrgenommen werden.

Intermediale Bezüge

Unterhalb der Ausgangs-Panelsequenz werden die für das Medium Comic immer wieder als Beschreibungs- und Vergleichskategorien herangezogenen intermedialen Bezüge zu visuellen, literarischen und auditiven Referenzen aufgemacht. Ausgehend von der Aufteilung der Hammerbewegung auf ein Panel A unter Zuhilfenahme von speedlines oder auf zwei Panels B, in denen die Maus einmal mit dem Hammer ausholt und einmal auf dem Katzen­kopf aufschlägt, werden die Referenzen unterteilt: Im Panel A liegt der Fokus auf der Bewegung, in den Panels B auf dem Vergehen von Zeit zwischen den beiden dargestellten Momenten. Panel A rückt Ware stärker in die Nähe von Literatur, bei dem laut seinem Diagramm besonders das Gehirn angesprochen wird, wobei das Herz (vermutlich als Stellvertreter_in für Interesse, Leidenschaft sowie Emotionen) und ebenfalls das Auge, allerdings in geringerem Maße, adressiert werden. Die Panels B ordnet Ware stärker dem Theater zu, bei dem das Auge den führenden Part übernimmt und Gehirn und Herz untergeordnet werden. Beiden Arrangements, A und B gleichermaßen, wird eine auditive, musikalische Dimension zugesprochen, wenn der Hammer auf den Katzenkopf trifft, bei der das Herz vor Gehirn und Ohr angeordnet ist. Ware hat in Äußerungen immer wieder den Bezug zwischen Comics und Musik betont:

What you do with comics, essentially, is take pieces of experience and freeze them in time […]. The moments are inert, lying there on the page in the same way that sheet music lies on the printed page. In music you breathe life into the composition by playing it. In comics you make the strip come alive by reading it, by experiencing it beat by beat as you would playing music. (Chris Ware zit. n. Raeburn, 25).

Ganz nach Wares eigener Äußerung bezüglich des Notenblattes, erhält die auditive Dimension des Comics noch eine weitere Dimension: Ausgehend von der Notation2 der Noten a und e‘ wird in einer musikalisch-mathematischen Darstellung erläutert, dass der tiefere Ton (x), das a, eine längere Schallwelle erzeugt als der höhere Ton (y), das e‘. Die Zeit, die zwischen dem ersten Ton (x) und dem zweiten Ton (y) vergeht, wird mit z bezeichnet. Die Summe aus diesen Komponenten x, y und z ergibt dann den (durch eine leere Sprechblase visualisierten) Klang aus dem Grammophon, der eine offensichtlich gealterte Quimby the Mouse an das Schlagen von Sparky the Cat mit dem Hammer erinnert, was wiederum mit Hilfe des comictypischen Gestaltungsmittels einer Gedankenblase dargestellt wird. Diese ragt deutlich über den schwarzen Rand des Panels hinaus und verweist damit auf das grenzüberschreitende Potenzial des Text und Bild kombinierenden Mediums.

Figurenwahl und Gestaltungsweise

Ein weiterer Aspekt, der im Diagramm thematisiert wird, ist die der Repräsentations­Ã¤sthetik. Hierfür wird der Hammerschlag der Mausfigur auf den Katzenkopf noch einmal herausgegriffen und in einen Kreis gesetzt. Die Darstellungsweise der Mäusefigur wird thematisiert, indem ihre gestalterische Zusammensetzung genauer spezifiziert wird: Das Aussehen von Quimby the Mouse generiert sich aus der Zusammensetzung von Mann und Maus. Noch genauer handelt es sich bei der Art der Darstellung um eine Stilisierung, die zwischen einer visuell ähnlicheren, realitätsnäheren Darstellung eines Mannes bzw. einer Maus und einer bedeutungsbetonten, schriftsprachlichen Darstellung eines Mannes bzw. einer Maus (auf Englisch) angesiedelt ist. Die Anordnung des Darstellungsstrahls weist Ähnlichkeiten zu McClouds berühmten The Big Triangle auf, in dem er verschiedene Comicfiguren und deren charakteristische Darstellungsweisen innerhalb eines Dreiecks mit den Eckpunkten reality, meaning und the ­picture plane (vgl. McCloud, 52f.) anordnet, doch geht Ware im Vergleich mit dieser allgemeiner gehaltenen Einordnung verschiedener Zeichenstile und ihrer Abstraktionsgrade im Comic noch weiter ins Detail, indem er die Genese der stilisierten Maus und des stilisierten Mannes in den Blick nimmt und deren potenzielle Darstellungsweisen auffächert. Zudem wird das Verhältnis der verschiedenen Stilrichtungen noch genauer, und zwar mathematisch erfasst: Die stilisierte Männer- (A) bzw. Mausfigur (B) setzt sich jeweils aus ½ mal der schriftsprachlichen und der realitätsnahen Darstellung zusammen. Was für Quimby the Mouse durchexerziert wird, gilt ebenso für Sparky the Cat – doch wird der Wiederholung dadurch Einhalt geboten, dass auf die Maus-Mann-Konstellation verwiesen wird. Durch die Offenlegung der Zusammensetzung der Comicfiguren kann in der Gestaltungsweise die Konstruktion von ›Wirklichkeit‹ und deren medialer Aufbereitung offengelegt werden.

Die visuelle Abbreviation der drei Striche, die den Schlag auf den Mäusekopf betont, wird ebenfalls fokussiert und eine kleine Auswahl gegeben, in welchem Kontext diese Striche noch auftauchen und je anders interpretiert werden können. Es kann sich um ein akustisches Ereignis handeln, was die drei Striche neben einem Ohr andeuten, oder auch um ein visuelles, wenn etwa eine Glühbirne zu leuchten beginnt – diese kann aber auch auf eine Darstellungstradition im Medium Comic verweisen, bei der die Glühbirne für eine Idee steht, die ein_e Protagonist_in gerade hat – ihr geht buchstäblich ›ein Licht auf‹. Die Beispiele hierfür sind zahlreich und in den Lustigen Taschenbüchern kulminiert dies sogar in Daniel Düsentriebs fleißigem Helferlein, einer Glühbirne mit Drahtkörper. Als letztes Beispiel ist ein Gehirn mit den charakteristischen Strichen dargestellt. Dies könnte ebenfalls für die Repräsentation einer Idee stehen, im Kontext der vorliegenden Darstellung ist aber auch Schmerzempfinden eine mögliche Interpretation. Letztere Deutung wird durch Sparkys Augenform unterstrichen: Das Auge ist nicht kreisrund, sondern als Winkel gezeichnet, der auf das angestrengte Zusammendrücken des Auges verweist. Dass diese Anstrengung mit Schmerz verbunden ist, verdeutlichen die drei Sterne, die das Auge als Winkel näher erläutern und mit einer gestrichelten Linie zurück zur Darstellung des Gehirns mit den drei Strichen führen.

Auch die Augenform Quimbys ist Teil der diagrammatischen Exegese: Aus vielen Varia­tionen von Augen- und Augenbrauenanordnungen ist eine bestimmte zur Darstellung gekommen, die auf einen gewissen Gemütszustand verweist, der hier mit vermeintlicher Wut charakterisiert werden könnte, und die Frage aufwirft, wie die Beziehung zwischen Katz und Maus gelagert ist. Lieben oder hassen sich die beiden? Dies ist eine Frage, die direkt auf ein anderes Katzen- und Mäuse­figurenpaar der Comichistorie referiert: Krazy Kat und Ignatz (vgl. Gardner, 165). Die Maus Ignatz wirft wiederkehrend Ziegelsteine nach Krazy Kat, was die Katze als Liebesbeweis missinterpretiert. Nicht von ungefähr ist dieser Comicstrip von George Herriman auch für seine Selbstreflexivität bekannt (vgl. Balzer, 148; Juers). Ware übernimmt hier die Invertierung der Nahrungskette sowie die Hass-Liebe zwischen Maus und Katze und übersteigert dies zusätzlich, indem er die Größenverhältnisse von Katz und Maus umkehrt – der Katze wird sogar nur noch der Kopf belassen.

Ein letzter Bereich des Diagramms beleuchtet die bestimmte lebensgeschichtliche und epochale Situation sowie evolutionäre Stufe von Quimby und Sparky, die schließlich in der Entwicklung des Planeten mündet, auf dem sich die Figuren befinden (vgl Gardner, 165). Die schlaglichtartige Situation zwischen Quimby und Sparky wird damit in ein größeres und umfassendes Ganzes gesetzt und als Episode gekennzeichnet. In Hinblick auf Comicfiguren ist diese Perspektive insofern interessant, als der Hammerschlag Quimbys zum Repertoire der Funnies gehört, einem slapstick-getragenen Bereich der Zeitungsstripcomics, bei denen die Figuren nicht altern, sondern in jeder Episode in stetig gleicher Darstellung der Akteur_innen von Neuem humorvolle Pointen wiederholt und abgewandelt werden. Darüber hinaus referieren die ›Lebensstreifen‹ auf weitere Comicproduktionen Wares. Ähnliche Formate hat er bereits in der Erzählung über Jimmy Corrigan (etwa in der Entwicklung des Lebens von Jimmys Halbschwester) verwendet. Die epochale Aufteilung der Mausfigur erinnert stark an den Comicstrip Our History of Art, die in ACME Novelty Library Annual Report for Shareholders (2005) abgedruckt ist. Darin werden von der Steinzeit bis in die futuristische Zukunft (die allerdings mit The Contemporary Age betitelt ist) verschiedene künstlerische Episoden der Geschichte aufgegriffen und bedeutende Figuren der Kunst- und Kulturgeschichte in den epochenspezifischen Kleidungsstilen dargestellt. Und das Werden und Vergehen von Planeten und Universen findet seinen Widerhall in einer das gesamte Buch The ACME Novelty Library Annual Report for Shareholders durchziehenden Comicgeschichte. Darin wird die Geschichte um einen maskierten, dickbäuchigen Superhelden erzählt, der im Weltall fliegend auf die Erde stößt, dort Zeit verbringt, sich unerwidert verliebt, auf den Mond flüchtet und viele Jahrmillionen später, zurück auf der Erde deren Selbstauflösung miterlebt, um sich schließlich in der Ausgangssituation, fliegend im Weltall, wiederzufinden. Durch die verschiedenen Schnittstellen, die in der kontextuellen Einbettung der Quimby-und-Sparky-Episode aufscheinen, wird in diesem Diagramm eine breit gefächerte Selbstreferenz auf Wares bisheriges Schaffen gegeben.

Zudem wird über die verschiedenen Bereiche der diagrammatischen Struktur der künstliche Charakter von Comics thematisiert und der Wissenshorizont seines Gestalters über Historizität und Darstellungskonventionen offengelegt. Potenziert wird dieses Ausstellen des eigenen Wissens und der Reflexion Wares über sein Schaffen dadurch, dass er auf Anfrage der Herausgeberinnen, ob er eine Gestaltung zum Thema der Selbstreflexivität im Medium Comic beisteuern möchte, dieses Diagramm, das auch das Cover der vorliegenden Ausgabe von ­CLOSURE ziert, zur Verfügung gestellt hat. Mit diesem Diagramm, das sich aus einer banalen Ausgangssequenz entwickelt, ist gleichsam eine Kartografie der Selbstreflexivität angestoßen, die verschiedene Ebenen der Selbstreflexivität in sich vereint und auch die Rezipierenden miteinschließt, wie Isaac Cates treffend feststellt: »Thus, only those readers who are already conversant with [the comics’] idiom of symbols will be able to interpret its explanations, which are in turn more complicated than the single slapstick panel they propose to explain« (91).

Doch mit den ausgeführten selbstreflexiven Implikationen im Medium Comic, die die Sequenzialität, Zeitlichkeit, Rezeption, Gestaltungsweise und Geschichtlichkeit betreffen, ist bei weitem nicht die ganze Bandbreite möglicher Kategorien der Selbstreflexion im Comic ausgeschöpft. Durch die folgenden Aufsätze sollen dieser selbstreflexiven Kartografie noch weitere Facetten hinzugefügt werden.

Eröffnet wird die CLOSURE-Ausgabe von Ole Frahm, der in seinem Beitrag Die Gespenster der Comics der Frage nachgeht, wie sich eine Geschichte der Selbstreflexivität des Mediums schreiben lässt. Im Rahmen seiner reichhaltig illustrierten Untersuchung begreift Frahm die Comic-Lektüre als eine Form des Delirierens. Denn Comics seien stets von etwas Gespenstischem durchsetzt, einer materiellen Fremdartigkeit, die zugleich an- und abwesend ist. Diese Gespenster der Comics, so Frahm, kennzeichnen die immanente Selbstreflexion des Mediums, die als eine Form der (medialen) Selbstkritik verstanden werden muss.

In seinem Beitrag ›37-mal die Welt gerettet‹ entwirft Stephan Packard eine kleine Typologie der Selbstreferenz und Reflexivität sowie ihrer Verwechslung im Medium Comic. Anhand der Arbeiten von Chris Ware sowie der Werke Vision (Marvel, 2015–2016) und Batman (DC, seit 2016) von Tom King differenziert Packard gekonnt zwischen Strategien des Selbstbezugs und der Selbstbespiegelung, um so wiederum Rückschlüsse für die Medialität des Comics zu ziehen.

Dem ›Werkzeug des Rahmens‹ widmet sich dagegen Astrid Acker in ihrem Aufsatz The Frame is not the Limit. Indem sie sowohl US-amerikanische Zeitungsstrips als auch internationale Comic-Beispiele aus dem Abenteuer- und Horrorgenre analysiert, demonstriert Acker das selbstreflexive Potenzial von Rahmungen im Comic.

Mit der Farbe der Reflexivität im Comic geht Sebastian Bartosch einem weiteren Charakteristikum des Mediums nach und setzt sich dabei mit der ambitionierten Frage auseinander, ob es eine Erfahrung der Medialität des Comics in ihrer Veränderbarkeit gibt, die in einzelnen Comics zum Ausdruck kommen kann.

In ihrem Beitrag ›Glaub mir nicht, ich bin ein Comic‹ setzt sich Anna Beckmann mit unzuverlässigen Erzählmöglichkeiten im Medium Comic auseinander. Anhand ausgewählter Beispiele untersucht sie, welche spezifische Rolle comicästhetische Strategien der Selbstreflexion im Kontext narrativer Unzuverlässigkeit spielen.

Im Fokus des Beitrags von Sebastian R. Richter steht die implizite Selbstreflexion von Zeit in Richard McGuires Comic Here. Richter begreift das revolutionäre Werk als ›Zeitkunst‹, welche die spezifischen medialen Eigenschaften des Comics in unkonventioneller Art und Weise zu präsentieren und reflektieren vermag.

Tim Glaser setzt sich in seinem Aufsatz ›oh no – this comic is literally me‹ mit Webcomics im Zeitalter ihrer memetischen Rezeption auseinander. Mittels der analytischen Betrachtung verschiedener Metacomics im Web und ihrer partizipativen Rezeption verdeutlicht Glaser, wie wandelnde Netzpraktiken nicht nur das mediale Verständnis des Comics erweitern, sondern wie sie sich auch auf dessen Produktion und Rezeption auswirken.

Das doppelt reflexive Potenzial der Kombination aus Comic und Bildender Kunst nimmt Katharina Serles in ihrem Aufsatz BILDER SEHEN ERZÄHLEN. Kunstbetrachtung im Comic in den Blick. Unter dem Begriff ›Kunstcomics‹ subsumiert Serles den ›metareflexiven Sonderfall‹ von Comics, die auf Bildende Kunst verweisen und somit zu bildnarratologischen Lehrstücken über das Sehen selbst werden.

Daran schließt Björn Hochschilds Diskussion der Selbstreflexionen und Reflexionen des Selbst in ›Der ARABER von morgen‹ an. In Hochschilds Interpretation wird Riad Sattoufs Der ARABER von morgen zu einer ›Selbsterzählung‹, die die Frage nach dem Selbst des Protagonisten mit der Frage nach dem Selbst des Comics als Medium in Verbindung bringt.

Im letzten Beitrag der Ausgabe betrachten Lisa Kottas und Martin Schwarzenbacher den Comic The Hole: Consumer Culture Vol. 1 von Damian Duffy und John Jennings aus einer kultur- und sozialanthropologischen Perspektive. Damit gelingt es den beiden Autor_innen, die graphic novel zugleich als metare­flexiven Comic und ›kulturellen Gegenstand‹ zu fassen, den es sowohl im Kontext von Afrozentrismus als auch im Rahmen einer postkolonialen, anthropologischen Comicforschung zu lesen und zu verstehen gilt.

Die Spezialausgabe #4.5 von CLOSURE versammelt ausgewählte Beiträge des dritten Workshops der AG Comicforschung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM), welcher vom 2. bis 3. März 2017 an der Universität zu Köln stattgefunden hat. Zu dem interdisziplinären Workshop trafen sich rund 60 Comicforscher_innen und -interessierte, um über verschiedene Formen der Selbstreflexivität im Medium Comic aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven zu diskutieren. Dies wurde anhand der zentralen Fragestellung verfolgt, welche funktionalen und systematischen Überlegungen aus unterschiedlichen Formen von Selbstreflexivität resultieren können. Dadurch wurde über ein formales Konstatieren von Selbstreflexivität hinaus eine Diskussion über begriffliche Eingrenzungen angestoßen und die Kategorie der Selbstreflexivität sowie die damit einhergehenden Implikationen zur Diskussion gestellt.

Als Organisatorinnen des Workshops und Gastherausgeberinnen dieser speziellen CLOSURE-Ausgabe möchten wir uns ganz herzlich bei allen bedanken, die zur Realisierung des Projektes beigetragen haben. Besonders möchten wir uns bei allen Vortragenden, Helfer_innen und Workshopgästen für die wunderbaren Beiträge, die tolle Atmosphäre und die lebhaften Diskussionen bedanken. Unser Dank gilt ebenfalls dem gesamten ­CLOSURE-Team für die großartige Unterstützung bei der Durchführung der Publikation. Für seine bescheidene Art und äußerst großzügige Erlaubnis, das im Rahmen der Einleitung analysierte und auf dem Cover dieser Ausgabe zu sehende Comic-Diagramm abbilden zu dürfen, sind wir Chris Ware zu großem Dank verpflichtet. Schließlich möchten wir uns ganz herzlich bei unseren Autor_innen bedanken, deren spannende und erkenntnisreiche Aufsätze wir mit großer Freude gelesen haben!

Köln, Mai 2018

 

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Bibliografie

  • Bachmann, Christian: Metamedialität und Materialität im Comic. Zeitungscomic – Comicheft – Comicbuch. Berlin: Ch. A. Bachmann Verlag, 2016.
  • Balzer, Jens: Der Horizont bei Herriman. Zeit und Zeichen zwischen Zeitzeichen und Zeichenzeit. In: Ästhetik des Comic. Hg. v. Michael Hein, Michael Hüners und Torsten Michaelsen. Berlin: Erich Schmidt, 2002, S. 143–152.
  • Bolter, David/Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media. London: MIT Press, 1999.
  • Cates, Isaac: Comics and the Grammar of Diagrams. In: The Comics of Chris Ware. Drawing is a Way of Thinking. Hg. v. David M. Ball und Martha B. Kuhlman. Jackson: University Press of Mississippi, 2010, S. 90–104.
  • Cook, Roy T.: Why Comics Are not Films: Metacomics and Medium-Specific Conventions. In: The Art of Comics. Hg. v. Aaron Meskin und Roy T. Cook. Hoboken: Wiley-Blackwell, 2012, S. 165–187.
  • Frahm, Ole: Die Sprache des Comics. Hamburg: Philo Fine Arts, 2010.
  • Gardner, Jared: Projections. Comics and the History of Twentieth-First Century Storytelling. Stanford University Press, 2012.
  • Geulen, Eva/Geimer, Peter: Was leistet Selbstreflexivität in Kunst, Literatur und ihren Wissenschaften? In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 89.4 (2015), S. 521–533.
  • Groensteen, Thierry: Bandes désignées (De la réflexivité dans les bandes dessinées). In: <https://www.editionsdelan2.com/groensteen/spip.php?article10>.1990 (letzter Zugriff am 27.01.2018).
  • Heindl, Nina: Von Schulbüchern, Gestaltungsweisen und Kunstlehrenden. Comics als Rezeptionsherausforderung. In: Comics in der Schule (AT). Hg. v. Markus Engelns (et al.). Berlin: Chr. A. Bachmann Verlag (in Vorbereitung).
  • Inge, M. Thomas: Form and Function in Metacomics: Self-Reflexivity in the Comic Strip. In: Studies in Popular Culture 13.2 (1991), S. 1–10.
  • Jones, Matthew T.: Reflexivity in Comic Art. In: International Journal of Comic Art 7.1 (2005), S. 270–286.
  • Juers, Ben: Slapstick and Self-Reflexivity in George Herriman’s Krazy Kat. In: Sydney Studies in English 36 (2010), S. 22–51.
  • Kukkonen, Karin: Textworlds and Metareference in Comics. In: Metareference across Media. Theory and Case Studies. Hg. v. Werner Wolf. Amsterdam/New York: Rodopi, 2009, S. 499–513.
  • Lohse, Rolf: Acquefacques, Oubapo & co. Medienreflexive Strategien in der aktuellen französischen bande dessinée. In: Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Hg. v. Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva und Daniel Stein. Bielefeld: transcript, 2009, S. 309–334.
  • McCloud, Scott: Understanding Comics. The Invisible Art. New York: HarperCollins, 1994.
  • Raeburn, Daniel: Chris Ware. New Haven: Yale University Press 2004.
  • Schmitz-Emans, Monika: Literatur-Comics. Adaptionen und Transformationen der Weltliteratur. Berlin/Boston: De Gruyter, 2012.
  • Sina, Véronique: Comic Film Gender. Zur (Re-)Medialisierung von Geschlecht im Comicfilm. Bielefeld: transcript, 2016.
  • Stein, Daniel: Was ist ein Comic-Autor? Autorinszenierung in autobiographischen Comics und Selbstporträts. In: Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Hg. v. Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva und Daniel Stein. Bielefeld: transcript, 2009, S. 201–237.
  • Ware, Chris: Jimmy Corrigan. The Smartest Kid on Earth. New York: Pantheon, 2003.
  • Werner, Lukas: Metacomics. In: Comics und Graphic Novels. Eine Einführung. Hg.v. Julia Abel und Christian Klein. Stuttgart: J. B. Metzler 2016. S. 304–315.

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: Das Panelprinzip erklärt durch Katz und Maus © Chris Ware 2018

 

  • 1]   Dies wird in allgemeiner Perspektive thematisiert bei Geulen/Geimer, 528.
  • 2]   Der Zusammenhang von Notation und den Erklärungsverweisen zur Notenlänge kann auch missverstanden werden. Laut Notation handelt es sich um zwei gleich lang angelegte Achtelnoten. Wares Erklärung zur unterschiedlichen Länge der hörbaren Töne bezieht sich dagegen auf das Klangerlebnis. Eine tiefere Note klingt länger nach als die höhere. Zudem ist zum Zeitfaktor z anzumerken, dass laut Notation zwar die Noten direkt aufeinanderfolgen, dennoch vergeht in der Wahrnehmung der Klangfolge Zeit, die im Diagramm explizit gemacht wird. Für Einsicht in die Musiknotation und die Fallstricke, die aufgrund einer diagrammatischen Darstellung folgen können, danken wir dem Komponisten Michael Em Walter.

Gastherausgeberinnen

Nina Heindl
Véronique Sina

Redaktion & Layout

Cord-Christian Casper
Chris Ullrich Cochanski
Sandro Esquivel
Constanze Groth
Kerstin Howaldt
Julia Ingold
Marie-Luise Meier
Susanne Schwertfeger
Rosa Wohlers

Technische Gestaltung

Sandro Esquivel
Marie-Luise Meier

Cover & Illustrationen

Chris Ware

Kontakt

Homepage AG Comicforschung: https://agcomic.net
Homepage CLOSURE: www.closure.uni-kiel.de
E-Mail: closure[@]comicforschung.uni-kiel.de