Welche Welt? Und woher kommt sie?

Der Ursprung der Welt rezensiert von Rosa Wohlers

Wer schon einmal vor Gustave Courbets »Der Ursprung der Welt«, Detailstudie eines weiblichen Geschlechtsorgans, gestanden hat, kennt vielleicht die Überwindung, die es kostet, dieses Gemälde offen anzusehen – wohl wissend, dass einzig ein gesellschaftlich erzwungenes Verhaltensmuster daran Schuld ist: Geschlechtsorgane schaut man nicht an, weibliche schon gar nicht. Warum ist das eigentlich so?

Abb. 1: Anhand vieler alter Statuen und Figuren zeigt die Autorin auf, dass es bis ins Mittelalter hinein durchaus ĂĽblich war, Geschlechtsteile sichtbar abzubilden.

Dieser und vielen weiteren Fragen geht Liv Strömquist in ihrem Comic nach, der nach Courbets Gemälde »Der Ursprung der Welt« betitelt ist. Geschaffen hat sie eine kleine Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechtsorgans in Comicform, die es mühelos schafft, unzensiert über dieses Thema zu sprechen. Warum nur, so denke ich nach der Lektüre, gibt es diesen Comic erst jetzt? Strömquist teilt ihr Buch in vier Kapitel ein, die zunächst einige Forscher mit besonders haarsträubenden Fakten herausstellen und sich dann der Klitoris, dem Orgasmus und der Menstruation widmen. 140 Seiten – da muss der Einblick in die Kulturgeschichte eines Geschlechtsorgans natürlich ein ausschnitthafter bleiben. Dem Informationsgehalt der behandelten Themen tut dies jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil. Die Autorin und Zeichnerin findet ein wunderbares Gleichgewicht zwischen verknappter populärwissenschaftlicher Darstellung und belegendem und darlegendem wissenschaftlichen Arbeiten. Die Themen sind zwar wissenschaftlicher Natur, werden jedoch in einem umgangssprachlichen und oft ironischen Erzählton präsentiert. Dazu passen die unperfekten Zeichnungen der Autorin. Diese sind (bis auf einen kleinen kolorierten Exkurs) komplett in schwarz/weiß gehalten und vermitteln durch den meist fehlenden Hintergrund und die skizzenhaft gezeichneten Figuren einen geradezu karikaturesken Eindruck. Einen Hauch von Wissenschaftlichkeit suggeriert die Bildlichkeit, wenn sie collagenhaft immer wieder auch Fotos einbindet, wie zum Beispiel die alten Steinfiguren in Abbildung 1. Einzig Strömquists Wunsch nach Originalität scheint dem Comic das eine oder andere Mal in die Quere zu kommen und zu einer nicht nur witzig reduzierten, sondern cartoonigen bis platten Darstellungsweise zu führen.

Abb. 2: Die Erzählerin ist eines der Highlights des Comics: Sie informiert, kommentiert, ist Teil des Geschehens und Beobachterin zugleich.

Im ersten Kapitel präsentiert die Figur der Erzählerin (Abb. 2) sieben Männer in Form einer Hitliste, »die sich zu sehr dafür interessierten, was als ›weibliches Geschlechtsorgan‹ bezeichnet wird« (S. 7). Unter diesen ist beispielsweise John Harvey Kellog anzutreffen, der, wie Strömquist zeigt, nicht nur Kellog’s Cornflakes erfunden hat, sondern auch befürwortete, Karbolsäure auf die Klitoris zu geben, um Frauen vom Onanieren abzuhalten. Ein anderer Hitlistenplatz (Abb. 3) geht an den Theologen Augustinus, der im 4. Jahrhundert als erster die Unkontrollierbarkeit der sexuellen Lust negativ darstellte. Dem zweiten Kapitel, »Umgedrehter Hahnenkamm«, wird die Frage vorangestellt, wie Frauen auf die Idee kommen, in einer kosmetischen Operation ihre inneren Schamlippen verkleinern zu lassen. Um diesen, zu Recht als absurd dargestellten, Fakt zu erklären, wird beispielreich untersucht, was genau ›die Gesellschaft‹ eigentlich als »das weibliche Geschlechtsorgan« betrachtet. Hierbei stellt sich heraus, dass der öffentliche Diskurs nicht zwischen Vagina (innerem Scheideneingang) und Vulva (sichtbarem äußerem Teil) unterscheidet und nicht nur äußerst selten die äußeren sichtbaren Geschlechtsorgane der Frau abbildet, sondern auch so gut wie nie die richtige Bezeichnung, ›Vulva‹, verwendet. Man verweigere dem »weiblichen Geschlechtsorgan« auf diese Weise eine eigenständige Bedeutung, so Strömquist, und verstehe dieses immer nur als Entsprechung zum männlichen. »Das Sexualorgan ist vor allem ein Loch« (S. 36), wie Sartre an geeigneter Stelle im Comic zitiert wird. Die ›Vulva‹ werde im öffentlichen Diskurs also in Wort und Bild versteckt. Strömquist findet es daher nur allzu verständlich, dass Frauen sich wünschen, ihr Geschlechtsorgan möge möglichst klein und am besten nicht sichtbar sein. Ob die von ihr als Alternative vorgeschlagene Bezeichnung »Hahnenkamm« (S. 37) sich jedoch durchsetzen wird, ist eine ganz andere Frage. Das dritte Kapitel widmet sich einem weiteren unverzichtbaren Thema, wenn es um Geschlechtsorgane geht: dem Orgasmus. Auch hier stellt die Autorin dem Kapitel eine Frage vorweg, in der sie den gesellschaftlichen Ist-Zustand zusammenfasst:

Warum ist es gesellschaftlicher Konsens, dass der weibliche und der männliche Orgasmus völlig unterschiedlich sind, dass der weibliche kompliziert und schwierig zu erreichen sowie nicht unbedingt wichtig für die Frau ist, während der männliche (zu) leicht zu erreichen, für den Mann unbedingt erstrebenswert, sowie ein selbstverständlicher Teil dessen ist, was wir ›Sex haben‹ nennen? (S. 59)

Abb. 3: Neben den karikaturesken Zeichnungen sorgt das variantenreiche Schriftbild fĂĽr Dynamik.

Strömquist durchschreitet auf der Suche nach einer Antwort das Verhältnis der Gesellschaft zum weiblichen Orgasmus durch die letzten Jahrhunderte, wobei ›die Gesellschaft‹ eine nicht genauer von ihr definierte Größe bleibt. Überraschen mag hier, wie positiv man ihm anscheinend früher einmal gegenüberstand. Als sich dies änderte, so Strömquist, habe sich auch der kulturelle Blick auf den Körper der Frau geändert: Im 18. Jahrhundert sei dieser bereits als defizitär (wie ein männlicher Körper, nur nicht so perfekt) angesehen worden, im 19. Jahrhundert verschwinde dieser dann völlig. Ein erneuter Tiefpunkt wird Anfang des 20. Jahrhunderts gesehen, unter anderen von Freud verursacht, der ja bekanntlich als ›richtigen‹ Orgasmus nur einen sogenannten ›vaginalen‹ Orgasmus, erreicht ohne Stimulanz der Klitoris und äußerst selten, gelten lassen hatte. Ab den 1950er Jahren sieht Strömquist aber einen Aufwärtstrend, im Comic verkörpert durch das Forscher-Duo Master und Johnson, die nun endlich die Rolle der Klitoris bei weiblicher Lust anerkennen.

Das letzte, vierte, Kapitel geht auf ein weiteres Phänomen ein, das unveränderlich mit dem weiblichen Geschlechtsorgan zusammenhängt: die Menstruation. Ein historischer Rückblick zeigt hier auf, wie Menstruation und die angenommenen Gemütszustände der Frau vor und während dieser Zeit (PMS) funktionalisiert wurden, um die gesellschaftliche Unterordnung der Frau zu rechtfertigen. Neben einigen verwunderlichen Beispielen dafür, dass die Menstruation zumindest im schwedischen Volksglauben bis heute noch magische Kräfte besitzt, stellt Strömquist hier immer wieder die stigmatisierenden Funktionsweisen des öffentlichen Diskurses heraus, der bis heute suggeriert, die Periode sei mit Ekel behaftet, ein beschämendes Thema, etwas, über das man am besten gar nicht spreche.

Abb. 4: Freud und seine zweifelhaften Thesen.

Am Ende dieses Comics ist zumindest der Ursprung der Welt des weiblichen Geschlechtsorgans ein gutes Stück klarer geworden, und zwar zeichnerisch originell umgesetzt, witzig und theoretisch fundiert zugleich. Letzten Endes nerven nur die Panels, in denen die Figuren in Sprechblasen fast wortgleich wiederholen, was in den Captions steht (Abb. 4). Der Comic scheint an dieser Stelle für arge Schnellleser_innen gemacht zu sein oder an seinem populärwissenschaftlichen Anspruch zu scheitern und statt einer gezielt reduzierten Form der Wissensvermittlung mit ärgerlichen Redundanzen Platz zu verschenken. Aber hey, über die paar Stellen lesen wir dann einfach schnell weg!

 

Der Ursprung der Welt
Liv Strömquist
Berlin: avant-verlag, 2017
140 S., 19,95 Euro
ISBN 978-3-94503-456-9