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Modus statt Genre – der strukturelle Horror im Comic

Gothic in Comics and Graphic Novels und Framing Fear rezensiert von Susanne Schwertfeger

Wenn Comics auf die Gothic treffen, sind umherstolpernde Untote auf nächtlichen Friedhöfen oder ein knochiger Cryptkeeper längst nicht das Ende der (Bilder-)Geschichte. In ihren Monografien zeigen Julia Round und Christian W. Schneider ausführlich auf, wie Struktur, Narration und Ästhetik des Mediums sich als Ausdruck des Gothic mode lesen lassen und wie viel Grauen wirklich im Gutter steckt.

Sowohl die Gothic als auch der Comic standen seit ihren Anfängen immer wieder unter dem Verdacht, die unschuldige Jugend zu verderben. Mit fortschreitender Etablierung beider Bereiche als (akademischem) Forschungsgegenstand hat sich die Sichtweise darauf verändert, und schon längst wird der dazugehörige Diskurs innerhalb verschiedenster Disziplinen von denen getragen, die bereits vor ihrer wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Themen vertraut und ihnen verbunden waren. Ihre persönliche Hinwendung zum Gothic wie auch dem Comic wählt Julia Round dann auch als Auftakt für Gothic in Comics and Graphic Novels:

I wonder now if my misspent youth was so misspent after all. I started reading comics in my teens […] beginning with Sandman, moving in through Preacher, and spreading outwards like a virus. (5)

Die Autorin, inzwischen an der Bournemouth University tätig und Herausgeberin der Studies in Comics, erzählt hier nicht nur von ihrem Einstieg über bekannte Vertreter des Grusel- und Horrorgenres. Sie tut dies vor allem mittels einer Virus-Metapher, die in der Gothic-Forschung verankert werden kann und sich u. a. im Zombie manifestiert, dem Horrormotiv du jour. Hiermit macht Round ganz nebenbei bereits deutlich, dass solche Tropen – der Gothic mode – längst unsere Sprache und unser Denken bevölkern, ganz unabhängig von einer Konnotation mit Angst oder Schrecken. Auf diese Weise also ›infiziert‹, hat Julia Round bereits des Öfteren zur Schnittmenge von Comic und Gothic gearbeitet und wesentliche Beiträge vorgelegt. In der 2014 erschienenen Monografie, die noch lose auf ihrer Dissertation von 2006 fußt, widmet sie sich nun ausführlich diesen Analogien in Historie, Form und Inhalt.

Round beginnt den ersten von drei Abschnitten mit einem kurzen geschichtlichen Abriss zur Gothic als Literaturgattung und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung damit, um anschließend den aktuellen Stand der Debatte zu erläutern. Auf Grundlage der Texte etwa von David Punter, der das Vorwort beigesteuert hat, Fred Botting, Jerrod Hogle und Julia Kristeva, wird die theoretische Basis dargelegt, die in Burgruinen, alten Familienflüchen und damsels in distress bereits seit Längerem nur motivisches Inventar, nicht aber Genre-konstituierende Marker erkennt. Stattdessen wird der Gothic mode inzwischen über die Befragung abstrakter übergeordneter Kategorien identifiziert: sich gegenseitig durchdringende oder überlappende, unsichere oder gar aufgelöste Ordnungen der Zeit oder von Raumgefügen, vor allem aber die (exzessive) Transgression im geografischen, moralischen, physischen oder psychologischen Sinne. Und so können nun Phänomene der Wiederkehr von Vergangengeglaubtem, labyrinthische Strukturen oder die Übertretung bzw. Verwischung der Grenze zwischen dem Ich und dem Anderen als »Gothic matrix« (17) zur Betrachtung von Comics herangezogen werden. Die Anwendung dieser Kategorien auf das Medium erfolgt bei Round bereits im Kapitel zur Geschichte des Comics, dessen Fokus auf dem Horrorgenre und dem DC Imprint Vertigo liegt. Allerdings wirken manche der hier aufgeführten Korrespondenzen, wie beispielsweise die Interpretation der Reboots von Superheldenuniversen als ›unheimliche Wiederbelebung‹, allzu gewollt.

Im zweiten Teil entwickelt Round zuerst das Bild der Comicseite als ›Ort‹ oder ›Raum‹, der bereits angesichts der gleichzeitigen Präsenz von Panels unterschiedlicher Zeitstellungen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) im Layout das Phänomen der Heimsuchung abbildet. Dieser Blick lässt sich überzeugend auf Thierry Groensteens Analysewerkzeug des braiding als »a haunting, an echo of something previously existent in the story« (64) übertragen: Solche sich in Aufbau, Inhalt oder/und Ästhetik duplizierende Objekte/Formen brechen ebenfalls aus der geordneten, ›sicheren‹ Linearität und Chronologie aus. Stattdessen existieren sie synchron und diachron, können somit also als Ausdruck eines Gothic mode angesprochen werden. Als wichtiger Gelenkpunkt, der poststrukturalistische Ansätze und Gothic zusammenführt, erweist sich – in Ergänzung zu den Theorien Wolfgang Isers sowie Michel Foucaults Denkbild des ›Archivs‹ – die Figur der ›Krypta‹ von Jacques Derrida, die ebenfalls mit Raummetaphern arbeitet. An diesem Ort der Krypta, der sich im Verborgenen des Selbst konstruiert, nach außen aber auch zum eigenen Inneren hin abriegelt, sind Inhalte verwahrt, die nur im Unterbewussten bekannt oder empfunden, jedoch nie in dekodierter Form sichtbar werden. Julia Round folgt der Argumentation von Jodey Castricano, dass hier Analogien zum Gutter bestehen. In dessen vom gestalteten Panel klar isolierten Denkraum sind Zeitabläufe, Ortsverknüpfungen und Geschehnisse enthalten, die – obwohl unsichtbar und unausgesprochen – doch zweifelsohne auf die Diegese Einfluss nehmen. Die Rezipient_innen würden, so Round, durch das beständige Aufsuchen des Gutter und seiner Dechiffrierung beim Lesen zu ›geisterhaften Wiedergängern‹. Der Abschnitt endet mit fünf Fallbeispielen, in der überwiegend Einzelhefte aus Horror-Serien analysiert werden (u. a. house of mystery, i zombie).

Die Autorin legt im letzten Teil wie auch schon zu Beginn eher kulturwissenschaftliche Maßstäbe an, wenn sie die (Weiter-)Entwicklung spezifischer Gothic-Motive in unterschiedlichen zeitgenössischen Medien exemplarisch beleuchtet. Anhand von kurzen Betrachtungen der erfolgreichsten Vertreter des Zombie-Subgenres im Comic, The Walking Dead, Revival und Crossed, findet sie dann implizit nicht nur zu ihrer Eingangsmetapher des Virus zurück, Round arbeitet hier vor allem abschließend heraus, in welch hohem Maße der Comic inzwischen Impulsgeber für die zeitgenössische Prägung der Gothic ist.

Trotz der auf ersten Blick vermeintlich ähnlichen Forschungsvorhaben weisen die Arbeiten von Julia Round und Christian W. Schneider, Mitarbeiter an der Universität Heidelberg, nur wenige Doppelungen auf, da letzterer sich in Framing Fear noch stärker auf die Funktionen der Rezipient_innen konzentriert. Aufbau und Struktur der Publikation sind deutlich vom Format der Dissertation (Heidelberg 2012) geprägt; so stellt der Autor im ersten Teil sein methodologisches Instrumentarium vor, das er unter die Maßgaben eines »neoformalist approach« (12) einordnet. Für die anschließende Historie und Kennzeichnung der Gothic bezieht er sich naturgemäß auf die gleichen kanonischen Texte (inklusive derjenigen Julia Rounds), setzt seinen Akzent jedoch bei den Thesen George Haggertys, die bei Round keine Erwähnung finden. Dessen Aussage »Gothic form [...] is affective form« (9) lenkt den Blick auf die möglichen Formen der Ansprache und der Partizipation des Publikums. Infolge dieser Betonung von Wahrnehmungsprozessen und Reaktion finden bei Schneider die Konzepte des Sublime (mit Hinweis auf Edmund Burke), das Round nur kurz streift, und des Unheimlichen (nach Freud) als Referenz für den Gothic mode größere Beachtung. Der Abschnitt zur »graphic literature« (79) geht entsprechend u. a. auf die komplexen Erschließungs- und Interpretations­abläufe ein, die der Text-Bild-Hybrid Comic herausfordert und die Schneider unter Berücksichtigung der Arbeiten von Martin Schüwer, Pascal Lefèvre und Frederic L. Aldama im Kapitel »cognitive reading of comics« (109) vorstellt. Im Mittelpunkt steht dabei erneut das Gutter, das nun als eines von vielen gleichberechtigten Fragmenten (anstelle eines isolierten Ortes) angesehen wird. Im Zusammenführen der Fragmente, wozu auch McClouds Closure zählt, sind vor allem kognitive Fähigkeiten angesprochen. Insbesondere die »non-narrative aspects« (114) wie Form, Coloring etc. liefern die zur Dechiffrierung notwendigen Hinweise.

Auch Christian W. Schneider bringt seine Thesen zum Abschluss in Einzelanalysen (hier eine der wenigen Überschneidungen durch »Neil Gaiman's The Sandman«, 150) und mittels übergeordneter Tropen (»Gothic superheroes«, 182) zur Anwendung. In diesen, genauso wie den vorangegangenen Untersuchungen, wird neben den strukturalistischen und narratologischen Aspekten auf den Stil und die Ästhetik der Panels eingegangen. Auf diese Weise können abstrakte Comics ebenfalls zum Gegenstand der Betrachtung werden.

Julia Round und Christian W. Schneider liefern fundierte Analysen sowohl für die Gothic als auch für die Comicwissenschaft und führen sie in ihren exemplarischen Betrachtungen methodisch klar zusammen. Ein Vorwissen auf den beiden Gebieten sowie über die dazugehörigen Diskurse ist bei der Lektüre jedoch sicherlich von Vorteil, bestehende Defizite können spätestens mit Hilfe der ansehnlichen Bibliografien behoben werden. Round und Schneider plädieren für eine Abkehr von der starren Übertragung ausschließlich narratologischer Fragestellungen auf das Medium ›Comic‹, zugunsten einer Analyse der tatsächlich im Einzelfall relevanten Elemente mithilfe auch aus anderen Disziplinen entlehnter Methoden. Der Gothic mode wird als alternatives Modell, in dem bereits u. a. Ansätze der Bild- und Kultur­wissen­schaften, der Narratologie und den Gender Studies zusammenfinden, vorgestellt. Christian Schneider versteht es dann auch, sich am Ende von den Titeln zu lösen, die spätestens auf den zweiten Blick sowieso im Grusel-, Mystery- oder Horror-Genre angelegt sind, und gerade in seiner Betrachtung von Alison Bechdels Fun Home als Gothic erweisen sich die im Vorfeld entwickelten Kategorien und Instrumente als transferierbar und tragfähig.

 

Gothic in Comics and Graphic Novels
A Critical Approach
Julia Round
Jefferson, N. C.: McFarland, 2014
260 S., 40,00 US Dollar
ISBN 978-0-78644-980-4

Framing Fear
The Gothic Mode in Graphic Literature
Christian W. Schneider
(= ELCH. Studies in English Literature and Cultural History, Bd. 57)
Diss. Heidelberg 2012
Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 2014
300 S., 35,00 Euro
ISBN 978-3-86821-511-3