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Monster, Mythen, Mutationen
Lovecrafts Schrecken in Bildern

Vom Jenseits: und andere Erzählungen rezensiert von Yanine Esquivel

Erik Kriek wagt sich mit Vom Jenseits und andere Erzählungen an den subtilen Horror von H. P. Lovecraft und schafft es, das Nicht-Sichtbare in Bilder zu fassen. Aber wie behält er dabei die Balance zwischen lächerlichem Grusel und ernsthaftem Horror?

»Der Schrecken überwältigt mich nicht länger … Ich fühle mich von den unbekannten Tiefen des Meeres angezogen.« Dieses Zitat aus Schatten über Innsmouth vermittelt einen Eindruck des Horrors in Howard Phillip Lovecrafts Erzählungen, die auf subtile Art und Weise ein Gefühl des Unbehagens auslösen. Die Empfindung der Angst oder des Grusels wird in seinen Geschichten, die in den 1920er und 30er Jahren entstanden, häufig durch das Unausgesprochene, aber auch durch das Übertriebene ausgelöst und zum Ende hin in Faszination verwandelt. Dabei ziehen sich vier Grundmotive wie ein roter Faden durch Lovecrafts Werke: das Fremde, der Zerfall, das Meer und die Dunkelheit. Aber wie möchte man diese Motivik und ihre Effekte bildlich vermitteln – wie z. B. stellt man etwas dar, das in der Kurzgeschichte Der Außenseiter wie ein Schatten im Dunkeln beschrieben wird: »[J]e weiter ich mich vom Schloss entfernte, desto tiefer wurden die Schatten und desto mehr Furcht hing lauernd in der Luft.« Der niederländische Comiczeichner Erik Kriek hat genau diese Herausforderung angenommen und fünf Erzählungen Lovecrafts umgesetzt.

In der ersten Geschichte, Der Außenseiter, werden wir direkt in das Lovecraft-Universum hineingezogen und erleben das Geschehen aus der Sicht eines Ich-Erzählers. Aufgrund der Erzählweise haben wir keine Vorstellung von dem Protagonisten und erhalten nur gelegentlich kleine Anspielungen auf sein Äußeres. Während er sich durch das unterirdische Labyrinth eines Schlosses an die Oberfläche kämpft, sehen wir nur seine Hände oder seinen Schatten. Erst als er, an einem Wohnhaus angekommen, bei den Menschen Panik auslöst, wird ihm vor einem Spiegel seine Erscheinung bewusst – ein Moment, den Kriek mit einem ganzseitigen Panel und dem Verzicht auf Sprechblasen gekonnt in Szene setzt. Diese Kurzgeschichte ist ein passender Auftakt für die zeichnerische Darstellung Lovecraft’scher Effekte, da sie ihre Pointe gerade im Nicht-Visuellen, in der Irreführung der Leser_in durch das Unausgesprochene findet.

Ähnliche Taktiken einer Bildsprache, die dem literarischen Horror Lovecrafts gerecht wird, finden sich auch in Die Farbe aus dem All. Hier werden wir durch die Erzählung eines Farmers in die Geschichte eingeführt, die sich einige Jahrzehnte zuvor ereignet haben soll. Nachdem ein Meteorit auf dem Grundstück seines Nachbarn Nahum Gardner einschlägt, geschehen dort seltsame Dinge. So wachsen auf der Farm unnatürlich große, ungenießbare Früchte und unbekannte Pflanzen. Sogar Nahums Frau beginnt sich zu verändern und ihr Mann muss sie wegsperren. Als der Farmer den Gardners helfen will, überschlagen sich die Geschehnisse: Er wird Zeuge, wie aus dem Brunnen ein Wesen herausschießt, das schließlich im Himmel verschwindet. Es wird dabei immer wieder erwähnt, dass die Umgebung in einer »kranken, primären Färbung« erstrahlt. Gleichzeitig hält Kriek alle Geschichten in Schwarz-Weiß, sodass es der Betrachter_in überlassen wird, sich die ›kranke‹ Farbe vorzustellen. Durch diese Vorgehensweise erzielt Kriek den gleichen Effekt wie Lovecrafts Erzählung: Hier wird die Farbe ebenfalls in kein bekanntes Farbspektrum eingeordnet und als ›krankhaft‹ bezeichnet. Die wuchernde, mutierende und leuchtende Vegetation verdeutlicht die Andersartigkeit der damit zusammenhängenden Bedrohung.

Illustration von Lovecrafts berühmtester Schöpfung: Cthulhu.

Neben dem subtilen Horror setzt Kriek Lovecrafts Strategien der Übertreibung um – auch in Form expliziter bildlicher Darstellung. So werden die Höhepunkte einer Szene oft in drastischen Bildern und größeren Panels dargestellt. In Die Farbe aus dem All zersetzen sich sowohl die Kühe als auch Nahums Frau und Sohn, weil sie von dem verseuchten Brunnenwasser getrunken haben. Schatten über Innsmouth zeigt eine Horde von Fischmenschen auf einer Brücke, unter der sich der Protagonist angsterfüllt vor ihnen versteckt. Durch die detaillierte Darstellung von Landschaften und Räumen wird eine sehr ruhige Erzählweise geschaffen, die den unterschwelligen Horror in Form von zerfallenen Häusern, düsteren Wäldern und den Weiten des Ozeans übermittelt. Umso überraschter sind die Leser_innen dann, wenn sie auf einmal mit Fischmonstern, krakenartigen Gottheiten und zerfallenden Untoten konfrontiert werden – ein Schachzug, den Kriek sehr gelungen umgesetzt hat.

Der Comic behält auch in den weiteren Geschichten seine Darstellungsweise aus Der Außenseiter und Die Farbe aus dem All bei. In Dagon und Schatten über Innsmouth werden die Leser_innen nicht nur durch die erzählende Person in die Geschichte eingeführt, sondern direkt angesprochen: »Haben Sie schon einmal von dem Städtchen Innsmouth gehört?« Natürlich hat noch niemand davon erfahren, da es sich um eine fiktive Stadt handelt – so wie viele Orte in Lovecrafts Geschichten.

Krieks Graphic Novel bleibt im Gegensatz zu Alan Moores Neonomicon und Mike Mignolas Codex Arcana sehr nah am Original und lässt Anspielungen auf die ursprünglichen Erzählungen mit einfließen. So gibt er der Leserschaft bei Schatten über Innsmouth einen Wink bezüglich der Herkunft des Protagonisten, indem er seine fischartigen Augen betont. In Die Farbe aus dem All wird bereits, als der Meteorit einschlägt, im Hintergrund der Brunnen gezeigt, der später die Quelle des verseuchten Wassers sein wird. In derselben Geschichte benennt Kriek den Farmer, der über die seltsamen Ereignisse berichtet, wie im Original nach dem amerikanischen Autor Ambrose Bierce, der ebenfalls unheimliche Erzählungen während des Bürgerkrieges verfasste und nachweislich einen starken Einfluss auf Lovecraft hatte. Kriek nimmt die biografischen Elemente in den Geschichten bewusst in seine Umsetzung auf. Das eigene Bild als Außenseiter, die Angst vor dem Fremden, die morbide Ausstrahlung Neuenglands und die düsteren Geschichten von Ambrose Bierce sind feste Bestandteile von Lovecrafts Leben und spiegeln sich in Krieks Auswahl der Werke wider. Die bildnerische Gestaltung dieser Themen findet sich in den deformierten Bewohnern von Innsmouth, in der sorgfältigen Ausarbeitung von Landschaft und Architektur sowie dem starken Kontrast von Licht und Schatten in den dramatischen Momenten wieder.

Die Umsetzung der Geschichten in kontrastreichem Schwarz-Weiß und Grautönen sowie die Hervorhebung einzelner Wörter in den Sprechblasen fallen besonders auf. Kriek spielt damit auf die Horror-Schund-Comics des EC Comicverlags der 1950er Jahre an, die genau in diesem Stil gestaltet wurden. Die bildnerische Umsetzung erinnert auch an alte Schwarz-Weiß-Fotografien und unterstreicht die zeitliche Einordnung der Geschichten in die Mitte der 1920 Jahre. Kriek kombiniert diese beiden Punkte mit Lovecrafts Erzählungen, die zu dessen Lebzeiten ebenfalls als Schundliteratur behandelt wurden. Auch aus heutiger Sicht bewegen sie sich noch immer auf einem schmalen Grat, der leicht vom atmosphärischen Horror ins Lächerliche kippt. Genau das war der subversive Geist der EC Comics, der zahlreiche Comic-Zeichner_innen, wie z. B. Charles Burns, mit dem Krieks Werk oft verglichen wird, beeinflusst hat. Kriek schafft in seiner Adaption die stimmige Verknüpfung von subtil unheimlichen Szenen und ›trashigen‹ Horrorcomic-Elementen mit ihren expliziten Schockmomenten, die aber aufgrund ihrer übertriebenen Darstellungen auch leicht hätte schiefgehen können. Er zeigt jedoch, dass die dramatischen Höhepunkte sowohl durch übertriebene Gesten, wie z. B. ein von unten beleuchtetes Gesicht, oder gezielten Einsatz von Onomatopöien als auch mit einer Momentaufnahme ohne jegliches lettering gestaltet werden können. Wie Lovecraft vollzieht er diesen Balanceakt und schafft es dabei, im Gleichgewicht zwischen den Polen des Lächerlichen und des latent Unheimlichen zu bleiben. Die Darstellung von Dunkelheit, Zerfall und Fremdartigem fängt die emotionale Verstörung der Protagonisten ein und hinterlässt ein bleibendes Unwohlsein bei der Leserschaft, wodurch sie erfolgreich in das Lovecraft’sche Horror-Universum hineingezogen wird.

 

Vom Jenseits
und andere Erzählungen
Erik Kriek (P), H. P. Lovecraft (W)
Berlin: Avant, 2013
112 S., 19,95 Euro
ISBN 978-3-939080-91-6