Comics als didaktische Herausforderung – aber mit Potenzial!

Comics in der Schule. Theorie und Unterrichtspraxis rezensiert von Alexander Horn

Der von Markus Engelns, Ulrike Preußer und Felix Giesa herausgegebene Sammelband erscheint vier Jahre nach der gleichnamigen 11. Tagung der Gesellschaft für Comicforschung und damit zu einer Zeit, in der die Forschung bei Jugendlichen von einer Zurückhaltung in Bezug auf die Rezeption von Comics ausgeht.1 Gleichzeitig könnte sich dieser Veröffentlichungszeitpunkt als geeignet erweisen, spiegelt der Band doch sowohl die theoretische als auch methodische Bandbreite des Einsatzes von Comics in der Schule wider und kann so die von den Herausgeber_innen diagnostizierte aktuelle »Renaissance« (9) von Comics nachhaltig stärken. 

Den Ansatz einer klar definierten Comicdidaktik verwerfend stellen die Herausgeber_innen eine fächerübergreifende interdisziplinäre Ausrichtung in den Vordergrund. Gleichwohl kristallisieren sich in der Konzeption des Bandes Schwerpunkte heraus: Auf die historischen und medialen Annäherungen im theoretisch ausgerichteten ersten Teil folgen die Praxisbeispiele. Liegt der Akzent des zweiten Teils auf den vielfältigen Rezeptionsherausforderungen und dem Kompetenzerwerb in den Sprachenfächern und hier insbesondere im Literaturunterricht, stehen im letzten Teil die nicht-philologischen Fächer im Fokus; die klassischen MINT-Fächer sind nicht vertreten. Die Beiträge sind durch eine große Vielfalt der zugrunde gelegten Comics gekennzeichnet, die von Bilderbüchern über Comicheften bis zu Graphic Novels reicht. Positiv hervorzuheben ist ihre inhaltliche Verknüpfung untereinander und die gegenseitige Bezugnahme; so greifen die Autor_innen des zweiten und dritten Teils wiederholt auf die theoretischen Ansätze aus dem ersten Teil zurück.

Den Auftakt bildet ein historischer Überblick Michael Staigers, der am Beispiel exemplarischer didaktischer Publikationen die verschiedenen Phasen des Stellenwerts von Comics im Deutschunterricht nachzeichnet. Trotz der Überwindung der restriktiven Phasen seit den 70er-Jahren sieht er bis heute keinen grundlegenden Kurswechsel im Umgang mit Comics an Schulen. Gerade auf Grund dieser Erkenntnis erscheint der abschließende Teil zu den Potenzialen etwas knapp geraten. Gleichwohl ließe sich entgegnen, dass die folgenden Aufsätze die zahlreichen Potenziale aufzeigen: Den Medialitäten von Comics und der Ausbildung von Medienkompetenz bei Schüler_innen widmen sich die beiden folgenden Beiträge von Lukas A. Wilde und Christian A. Bachmann. Während Wilde in seiner forschungsgesättigten, theoretischen Auseinandersetzung der virulenten Frage nach den – bewusst im Plural formulierten – Medialitäten des Comics nachgeht und in verschiedenen Perspektivierungen zunächst in Basis- (Schrift und Bild) und Trägermedien (Zeitung, Comicheft, Buch) untergliedert und hierauf ruhend eine Differenzierung von Comics in Trans-, Hyper- und Intermedien vornimmt, stellt Bachmann einen konkreteren Schulbezug her. Als Konsequenz aus seinen Beobachtungen fordert er als Baustein einer umfassenden Medienkompetenz die Ausbildung einer comic literacy bei Schüler_innen. Diese schließt eine Rezeptionskompetenz ein, für deren Ausbildung Nina Eckhoff-Heindl, Dietrich Grünewald und Markus Oppolzer in ihren Beiträgen plädieren. In ihrer rezeptionsästhetischen Untersuchung arbeitet Eckhoff-Heindl sehr anschaulich die Herausforderungen heraus, vor die „lesend Betrachtende“ bei der Comicrezeption gestellt sind, wenn sie mit nicht-konventionellen Wahrnehmungsmustern konfrontiert werden. Sein Beispiel eines selbst durchgeführten sechswöchigen Unterrichtsprojekts verbindet Grünewald mit dem Plädoyer, Comics als festen Bestandteil des Unterrichts zu implementieren, um sowohl die Produktions- als auch die Rezeptionskompetenz zu fördern. Anhand komplexer Beispiele untermauert Oppolzer die Forderung nach Ausbildung einer visuellen Lesekompetenz, die er mit abschließenden methodisch-didaktischen Praxisvorschlägen konkretisiert.

Den Herausforderungen des Comiceinsatzes im kompetenzorientierten Unterricht und der Ausbildung von comic literacy bzw. media literacy widmen sich in unterschiedlichen Perspektivierungen die folgenden Beiträge: Bilden Illustrationen in einer Graphic Novel nicht die eigentlich gemeinte phraseologische Bedeutung, sondern die lexikalische Bedeutung der Wörter ab, führt dies zu einer erhöhten Herausforderung im Sprachenlernen. So ist bspw. die Phrase »to bug somebody to death« nicht wortwörtlich mit ›jmdn. zu Tode verwanzen‹, sondern idiomatisch ›jmdn. zu Tode nerven‹ bzw. ›eine Nervensäge sein‹ zu übersetzen. Trotz dieser Herausforderung können Marina Langschmidt und Jutta Rymarczyk anhand ihrer Unterrichtsreihe aus dem Englischunterricht einen nachhaltigen Lernzuwachs verzeichnen. Ernüchternde Ergebnisse hingegen erzielen Bettina Wild und Nadja Wulff in ihrer explorativen Studie im Zweitsprachunterricht einer Vorbereitungsklasse, in der das angestrebte Lernziel – eine auf einem Comic basierende Erzählung zu verfassen – nicht erreicht wurde, da nur die Bilder verschriftlich wurden und nicht auch die Handlung, die sich zwischen den einzelnen Panels ereignet. Nicht klären konnten die Autorinnen, ob der Rinnstein zwischen den einzelnen Panels oder fehlende Sprachkompetenzen hierfür verantwortlich sind.

Biografische Aspekte im Comic fokussieren Jeanette Hoffmann und Verena Kreuzberger: Hoffmann systematisiert in ihren Rezeptionsanalysen unterschiedliche Herausforderungen, die Comics und Graphic Novels am Ende der Grundschulzeit bereiten können und plädiert basierend auf ihrer Untersuchung für eine variantenreiche Anschlusskommunikation. Das Ausfüllen leerer Sprechblasen als produktives Verfahren favorisiert Kreuzberger mit dem Ziel, neben der Reflexionskompetenz auch die Reflexion der eigenen Lebenswirklichkeit adoleszenter Reziptient_innen zu stärken. Ebenfalls mit konkreten didaktischen Anregungen, aber leider ohne Abbildungen – wodurch der Nachvollzug der Ausführungen erschwert wird – versieht Elisabeth Hollerweger ihren Beitrag, in dem sie am Beispiel zweier Kindercomics in analogen Analysen die Verwendung von Kindercomics im kompetenzorientierten Literaturunterricht erkundet. Vor welche besonderen Herausforderungen komplexe hypertextuelle Spiele-Comics ihre Rezipient_innen stellen, indem diese eine über die passive Lesehaltung hinausgehende Mitwirkung fordern, zeigt – den zweiten Teil beschließend – Jan-Niklas Meier.

Auf einen konkreten Schulbezug und eine Didaktisierung verzichtet Laura Maria Lewald-Romahn, die gleichwohl nachvollziehbar veranschaulicht, wie Comics kulturelle Artefakte und Mythen anverwandeln und transformieren können. Hingegen lässt sich an den geschichts- und mediendidaktischen Ausführungen Moritz-Alexander Büschkens nachvollziehen, wie Comics historische Gesellschaftszustände aufgreifen, reproduzieren und widerspiegeln. Während Jakob Hoffmann in seinem individuellen, für viele Lehrer_innen hilfreichen Erfahrungsbericht für eine Begegnung und einen Austausch zwischen Comicautor_innen und Schüler_innen wirbt, reflektiert und problematisiert Sándor Trippó aus der Perspektive der Auslandsgermanistik Einsatzmöglichkeiten und Optimierungspotenzial von Comics in der Hochschuldidaktik.

Zum Abschluss des Bandes werden noch zwei weitere bisher nicht berücksichtige Unterrichtsfächer aufgegriffen: Frederik von Reumont und Alexandra Budke zeigen an verschiedenen Anwendungsbeispielen Einsatzmöglichkeiten für den Comic als Unterrichtsmedium im Geografieunterricht auf und Antje Knopf veranschaulicht, welches Potenzial die Comicrezeption zur Ausbildung argumentativer Kompetenzen im Philosophieunterricht besitzt.

Die inhaltliche Fülle des Bandes korrespondiert mit der sprachlichen Darstellung. So wie die Herausgeber_innen auf die aktuelle Vielfalt gendersensiblen Schreibens setzen – von Gender-Star und Gender-Gap über Beidbenennungen bis zum Binnen-I reichend –, gelingt es ihnen gleichzeitig, die inhaltliche Bandbreite gegenwärtiger didaktischer Comicforschung in diesem profunden Band abzubilden. Da trotz des eingangs erwähnten Auflagenrückgangs Comics noch immer Beachtung bei Schüler_innen finden, berücksichtigen Lehrkräfte, die Anregungen für den eigenen Unterricht annehmen, gleichzeitig deren Leseinteressen und steigern so gleichzeitig die Lesemotivation.2 Die didaktischen Potenziale müssen nur genutzt werden. Welche Möglichkeiten es gibt, zeigt dieser Band.

 

Comics in der Schule
Theorie und Unterrichtspraxis
Markus Engelns, Felix Giesa, Ulrike Preußer (Hg.)
Berlin: Christian A. Bachmann, 2020
390 S., 36,00 Euro
ISBN 978-3-9623-4029-2