»Ein Mann der Wissenschaften« – Darwins Entdeckungen als Graphic Novel

Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle rezensiert von Frank Kaltofen

Charles Darwins Evolutionstheorie ist jedem ein Begriff, doch die Wenigsten lesen wohl je seine Bücher. Doch es sind auch andere Zugänge möglich: Zwei französische Comic-Künstler haben Darwins wichtigste Forschungsreise als grafische Erzählung umgesetzt.

Der britische Naturforscher Charles Darwin ist allgemein für sein Hauptwerk On the Origin of Species aus dem Jahr 1859 bekannt. Biografisch bedeutsamer waren allerdings seine rund zwei Jahrzehnte zuvor veröffentlichten Reiseberichte über seine Forschungsfahrt mit der H.M.S. Beagle. Das britische Schiff erkundete ab 1831 für fünf Jahre die Küsten Südamerikas und den Pazifik. Mit an Bord: ein junger Charles Darwin, der nach dem Willen seines Vaters eigentlich Pfarrer werden sollte.

Dass Darwins Forschung die kirchliche Version der Artenentstehung später in arge Bedrängnis bringen sollte, ist eine der unterschwelligen Botschaften der Adaption von Darwins Buch Die Fahrt der Beagle, an die sich Fabien Grolleau und Jérémie Royer mit ihrer biografisch angehauchten Graphic Novel gewagt haben. Die beiden Franzosen hatten zuvor bereits das Leben des US-amerikanischen Ornithologen John James Audubon in einer preisgekrönten Comic-Biografie (Audubon: On The Wings Of The World; bislang nicht auf Deutsch erschienen) verarbeitet.

Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle zeigt, so heißt es im Vorwort, »eine Auswahl der von Darwin besuchten Orte, der Personen, mit denen er verkehrt hat, und der von ihm erlebten Abenteuer«, also zum Teil fiktive, obgleich auf Aufzeichnungen Darwins beruhende Episoden der Reise. Den im deutschen Untertitel des Bandes enthaltenen Anspruch einer »Comic-Biografie« können die gut 170 Seiten indes nicht einlösen, dafür ist schon der behandelte Zeitabschnitt viel zu kurz. Hier war das Marketing wohl also ausschlaggebend; im französischen Original kündigt der Untertitel auch präziser »die Ursprünge von Darwin« (»Aux origines de Darwin«) an. Die Ursprünge seiner späteren Theorien sind es nämlich, zu denen Grolleau und Royer uns mitnehmen: Darwin erforscht die Geologie verschiedener Inseln; er erkundet, teils auf dem Landweg, Brasilien und Patagonien. Auf den Galapagos-Inseln beobachtet er dank eines Hinweises seines Assistenten Syms Covington, wie die auf einzelnen Inseln isolierten Finkenarten sich angepasst haben: Entwicklung durch unterschiedliche Lebensbedingungen, über Jahrtausende hinweg – Evolution.

Abb. 1: Grolleau, Royer, S. 62.

Ergänzt wird die Comic-Erzählung immer wieder durch Zitate aus Darwins Aufzeichnungen. Seinem Vater schrieb er bereits 1832, die Entdeckungen würden ihn wohl sein ganzes Leben lang beschäftigen: »Von nun an weiß ich sicher: Ich bin ein Mann der Wissenschaften« (71).

Doch diese Graphic Novel handelt nicht nur von wissenschaftlichen Entdeckungen, sondern thematisiert auch die brutale Realität der Sklaverei und des Kolonialismus. Darwin lehnte die Sklaverei ab; gleichzeitig beschrieb er die »armen Wilden« (108) auf Feuerland: »Unter den Feuerländern herrscht Gleichberechtigung, die die Entwicklung ihrer Zivilisation behindert«, (110) notierte er. Fortschritt könne dort nur Einzug halten, falls den Einwohnern der »Gedanke des Besitztums« (110) komme – immer wieder zeigt sich, dass der junge Brite die Einheimischen und ihre Art zu leben nicht begreift und die Überlegenheit der europäischen Gesellschaften für ihn selbstverständlich war. Dass er dennoch die Gleichwertigkeit aller Menschen betonte, hebt ihn von vielen seiner Zeitgenoss_innen ab.

Abb. 2: Grolleau, Royer, S. 46–47.

Optisch sticht diese Graphic Novel besonders durch die detailverliebten Darstellungen der von Darwin erforschten Flora und Fauna hervor (Abb. 1 und 2, S. 62 und 46-47). Im Zeichenstil fühlt man sich an die ligne claire Hergés erinnert. Dies mag nicht verwundern, wenn man weiß, dass Jérémie Royer am Institut Saint-Luc in Brüssel den dortigen renommierten Studiengang »Comic« belegte. Manchen Passagen zur Natur der fremden Länder hätten größere Panels und eine insgesamt großzügigere Seiten-Architektur allerdings gutgetan: In dem ansonsten sehr lesenswerten Band finden sich ganzseitige oder gar doppelseitige Bilder leider weniger, als es wünschenswert und sinnvoll gewesen wäre.

Als niedrigschwelliger Zugang für Einsteiger in die Darwin-Thematik (etwa im Schulunterricht) ist Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle aber dennoch sehr zu empfehlen, schon aufgrund des handhabbaren Umfangs der Graphic Novel und der auch ohne Vorwissen gut verständlichen Texte.

 

Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle
Die Comic-Biografie
Fabien Grolleau, Jérémie Royer
München: Knesebeck, 2019
176 S., 28,00 Euro
ISBN 978-3-95728-313-9