If you base comics on science they ...1

Comics & Naturwissenschaften rezensiert von Dominik Kaczmarek

Comics & Naturwissenschaften, die lustigen Bildchen und die ernsten Fakten scheinen zunächst nicht vereinbar zu sein. Dass dieses ungleiche Paar aber auch über den Comic-Charakter des verrückten Wissenschaftlers hinaus interessante Synergien aufweisen kann, damit beschäftigt sich der Sammelband, herausgegeben von Clemens Heydenreich.

Bei dem Buch Comics & Naturwissenschaften handelt es sich um einen Sammelband, der sich mit denselben Themen wie die achte jährliche Wissenschaftstagung der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) im Jahr 2013 auseinandersetzt. Das Buch umfasst zwölf einzelne Beiträge, die sich mit verschiedenen Aspekten der Beziehung zwischen Comics & Naturwissenschaften beschäftigen. Dabei richten sich die Autor_innen eher an ein Fachpublikum, was insbesondere an der verwendeten Terminologie erkennbar ist, so dass manche Texte ohne Vorkenntnisse schwierig zu erschließen sind. Da das Buch sich für mich allein schon durch die Beiträge zur ›Wissenskommunikation in Comics‹ gelohnt hat und aber jede_r persönlich entscheiden muss, ob ihre/seine Interessen vertreten sind, versuche ich nachfolgend kurz die einzelnen Beiträge zusammenzufassen.

Das Buch ist in drei Unterthemen eingeteilt. Im ersten Teil, in dem es um die ›Verzahnungen von szientistischen Diskursen und Comic-Genres‹ geht, beschäftigt sich zunächst Bernd Flessner mit Nova in Comics, ein für Science Fiction typisches Merkmal, das er im Comic genreunabhängig verbreitet sieht. So führt er viele Beispiele für heutige technische Neuheiten auf, die den Erfindergeist klassischer Wissenschaftlercharaktere aufzeigen, wie der Fabber von Professor Bienlein als Vorläufer des 3D-Druckers oder das 2-Way Wrist Radio von Dick Tracy als geistigen Vater der Apple Watch.

Anschließend analysiert Markus Oppolzer Shaun Tans Utopien in seinen Werken The Rabbits, The Lost Thing und The Arrival bezüglich ihrer gestalterischen Sprache und deren Aussage. Der dabei herausgearbeitete Zusammenhang zwischen allen Werken ist stets eine Auseinandersetzung mit dem Fremden, die aber immer aus verschiedenen Blickwinkeln erfolgt und somit die gesamten Werke in eine Art Trilogie einordnet.

Die dunkle Seite der Wissenschaft betrachtet Laura Oehme mit ihrem Beitrag zu der Darstellung von Risikotechnologien in den Comics Watchmen und Singularity 7. Dabei nimmt die Autorin auch deren Wirkung als Risikonarrative in den Blick.

Joachim Trinkwitz widmet sich in seinem Artikel dem Comic From Hell, in dem anhand einer Verschwörungstheorie zum Gesicht hinter Jack the Ripper der Gegensatz von Fakt und Fiktion aufgegriffen wird.

Im letzten Beitrag dieses Unterthemas untersucht Markus Engelns anhand verschiedener Superheldencomics den vermeintlichen Gegensatz von Kultur und Natur.

Das zweite Unterthema ›Wissenschaftskommunikation in Comics‹ wird mit einem Beitrag von Heike Elisabeth Jüngst eingeleitet. Jüngst beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Vermittlung naturwissenschaftlicher Fakten in Sachcomics. Dabei zeigt sie auf, wie die Wissensvermittlung in den aufgeführten Beispielen meistens nur über Extra-Erklärungsseiten oder durch handlungsarme Mono- oder Dialoge stattfindet, wodurch die narrativen Möglichkeiten des Comics unzureichend genutzt werden. Neben dieser häufigen Schwäche führt sie aber auch andere, positive Beispiele an, die zeigen wie die Wissensvermittlung aussehen kann, wenn das Medium in allen Facetten richtig genutzt wird.

Im Beitrag von Reinhold Leinfelder und Alexandra Hamann über den WBGU-Comic Die große Transformation von 2013 wird einerseits die Konzeption und Struktur des Sachcomics betrachtet, andererseits werden die Ergebnisse der Begleitforschung zum Potential von Sachcomics als Wissenstransfermedium für komplexe Sachverhalte diskutiert. Zunächst bieten die Autor_innen einen Einblick in die Entstehung des Comics, für den das zugrunde liegende WBGU-Gutachten von 2011 komplett neu strukturiert wurde, um mit einer Prise Personalisierung eine comicartige Narration zu schaffen. Mit dem daraus resultierenden interviewartigen realistisch gezeichneten Ergebnis waren zwar nicht alle Befragten zufrieden, der Großteil nahm den Comic aber gut an und es konnten besonders viele am Thema vorinteressierte Leser_innen überzeugt werden. Weniger Zuspruch fand der Comic unter klassischen Comic-Leser_innen, was auch hier auf das Fehlen eines comictypischen Narrativs zurückgeführt werden kann. Insgesamt sehen die Autor_innen diesbezüglich noch Optimierungspotential, allerdings scheint das Format auch für den WBGU so erfolgreich gewesen zu sein, dass sie ebenfalls eine Comicfassung für das Gutachten von 2016 veröffentlichten, das mit dem Titel Der urbane Planet. Wie Städte unsere Zukunft sichern auf der Website des WBGU einsehbar ist.

Im letzten Beitrag zu dem Unterthema ›Wissensschaftskommunikation in Comics‹ untersucht Dirk Vanderbeke erzähltes oder gezeichnetes Wissen in Comics. Zunächst stellt er den klassischen Laborkittel, ein Reagenzglas, große Maschinen oder auch handgeschriebene Formeln auf einer Tafel als häufiges Erkennungsmerkmal von Wissenschaft in Comics heraus. Diese dienen aber nur der Erkenntnis, dass hier Wissenschaft stattfindet und tragen in der Regel nicht zur Vermittlung von Inhalten bei. Um diese näher zu betrachten, geht er beispielhaft auf die drei Formate ›Sachcomics‹, ›historische Wissenschaftsromane‹ und ›Biografien‹ ein. Im Bereich ›Sachcomic‹ betrachtet Vanderbeke Ausschnitte aus Darryl Cunninghams Science Tales. Lies, Hoaxes and Scams, Bruce Basetts und Ralph Edneys Relativitätstheorie. Ein Sachcomic sowie J.P. McEvoys und Oscar Zarates Quantentheorie. Ein Sachcomic. An allen kritisiert er das Phänomen der ›talking heads‹; dabei werden Panels nur mit sprechenden Köpfen gefüllt, die das Wissen im Fließtext vortragen. Zusammen mit der weiteren Aufmachung sieht er die Verständlichkeit durch die Darstellung zum Teil eher gefährdet. Da die betrachteten Sachcomics die Möglichkeiten des Comics nur begrenzt ausnutzen, vermutet er, dass das Format ›Comic‹ nur als Köder für eine am Thema eigentlich weniger interessierte Gruppe von Lesenden gewählt wurde. Positiver bewertet Vanderbeke die Darstellung in einem Beispiel für historische Wissenschaftsromane. Hier untersucht er den Comic Bone Sharps, Cowboys and Thunder Lizards. A Tale of Edward Drinker Cope, Othniel Charles Marsh, and the Gilded Age of Paleontology von Jim Ottaviani und den Zeichnern von Big Time Attic. Bei diesem Comic wird der behandelte historische Konflikt häufig emotional angereichert und somit auf eine moralische Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse reduziert, wodurch Fakten variiert werden. Allerdings ermöglicht gerade dies eine spannende Narration. Für das Format ›Biografie‹ wählt er den Comic Feynman. Ein Leben auf dem Quantensprung von Jim Ottaviani und Leland Myrick. Dabei hält er die berühmten Feynman Diagramme für prädestiniert zur Darstellung in Comics, da diese im Gegensatz zu mathematischen Formeln einen visuellen Lösungsansatz darstellen. Gleichzeitig ergeben sich aber auch erneut Verständnisprobleme, da die Feynman Diagramme selbst einen Zeitverlauf beinhalten, gleichzeitig aber auch der Übergang zwischen den Panels als vergehende Zeit wahrgenommen wird. Klingt kompliziert? Dann kann ich den geneigten Leser_innen nur den Bericht von Herrn Vanderbeke empfehlen.

Das letzte Unterthema ›Naturwissenschaften und ihre Motive im Comic‹ beginnt mit einem Beitrag von Rolf Lohse zur Darstellung von Wissenschaft in französischen Comics. Dabei markiert der Autor zwei Pole der Darstellung, zwischen denen er verschiedene Beispiele auflistet. Einerseits kann die Wissenschaft als spannungsgenerierendes Element in fiktionalen Handlungen fungieren, wobei der wissenschaftliche Hintergrund aus dem Fokus gerät. Andererseits werden Comics durch eine faktuale Perspektive auch zur Wissenschaftskommunikation genutzt. Als extremes Beispiel für eine sehr faktuale Darstellung wählt Lohse La saison brune von Philippe Squarzioni, der die drohenden Konsequenzen der Klimaerwärmung verdeutlicht, indem er die Leser_innen anhand der Geschichte eines Journalisten schrittweise an dem Erkenntnisprozess teilhaben lässt. Durch die fiktionalen Anteile der Geschichte des Journalisten kann der Text letztlich nicht als rein faktual betrachtet werden; er verdeutlicht aber durch die Mischung auch psychologische Komponenten in der Auseinandersetzung mit dem Thema, wenn der Journalist bei der Recherche durch das Gefühl der Machtlosigkeit in Depressionen zu versinken droht. Zusätzlich stützt die Kombination auch Rolf Lohses Theorie eines Kontinuums zwischen den Polen Fakt und Fiktion. Als extremes Beispiel für eine fiktionale Handlung, die die Wissenschaft als treibende Kraft nutzt, nennt er die Erfindungen des Professor Bienlein aus Tim und Struppi, die jeweils nur eine Black Box darstellen, um die Spannung der Geschichte aufrecht zu erhalten. Neben diesen beiden extremen Beispielen führt der Autor des Beitrags ebenfalls viele aus dem Kontinuum dazwischen auf, wie zum Beispiel Tu mourras moins bête mais tu mourras quand même! La science, c’est pas du cinéma! von Marion Montaignes, der ebenfalls als empfehlenswerte Animationsserie unter dem Titel Wer nicht fragt stirbt dumm von ARTE veröffentlicht wurde. Nach dem Lesen dieses Beitrags musste ich das Vorhaben ›Französisch lernen um mehr Wissenschaftscomics zu lesen‹ auf meine To-do-Liste setzen – vielleicht finde ich dazu auch den passenden Comic.

Der Beitrag von Guido Weißhahn befasst sich mit der wechselhaften Veröffentlichungsgeschichte des atomaren Superhelden Atomino in der Frösi zu DDR-Zeiten, der ursprünglich als Figur im italienischen Heft Pioniere erschien. Die Lokalisations- und Veröffentlichungsgeschichte zeugt von der ablehnenden Haltung der damaligen Öffentlichkeit gegenüber Comics sowie von deren Zensur.

Marie Schröer befasst sich in ihrem Beitrag mit dem Tagebuchcomic Journal. Coffret des tomes 1 à 4 von Fabrice Neaud, der seinen Comic als ein Labor des Selbst sieht, in dem er (Gestaltungs-)Formen und das Leben selbst untersuchen kann. Die daraus resultierende experimentelle Bildsprache wird von Schröer umfassend untersucht und analysiert – wobei besonders bei diesem Beitrag eine Lektüre des behandelten Werkes einen deutlichen Mehrwert bringt.

Im letzten Beitrag des Bandes untersucht Lukas R.A. Wilde die Komik diagrammatischer Darstellungen in Webcomics wie XKCD von Randall Munroe. Dieser nutzt Diagramme als Pointe seiner kurzen Comicstrips, was zunächst der Aussage von Valeria Giardino widerspricht, die verkürzt behauptete, dass eine Karte niemals witzig sein kann, wobei Karte mit Diagramm gleichgesetzt wird. Das Phänomen witziger Diagramme kennen sicher trotzdem die meisten, wobei mir vor dem Lesen nicht bewusst war, wo der Ursprung der Komik liegt. Wilde erläutert diesen gut verständlich, wobei die Erklärung eines Witzes diesen nicht komischer macht, sondern eher hilfreich ist, wenn man selbst Komik durch eine diagrammatische Darstellung schaffen möchte.

Abschließend kann ich für naturwissenschaftlich interessierte Leser_innen meine Empfehlung aussprechen, wobei ich durch das Lesen des Buchs auf viele weitere interessante Comics gestoßen bin, die ich vorher nicht kannte. Auch wenn keiner der behandelten Comics bekannt ist oder besorgt werden kann, haben alle Autor_innen ihre Beiträge mit verständlichen Ausschnitten versehen, so dass man ihnen gut folgen kann. Bemängeln kann ich nur die aus meiner Sicht teilweise übermäßig komplexe Fachsprache und einen Mangel an aktuelleren Beispielen, wie Das Geheimnis der Quantenwelt von Thibault Damour und Mathieu Burniat, eine Graphic Novel, die ich als Beispiel für Wissenschaftskommunikation kenne, schätze und gerne analysiert sähe. Da ich aber primär nur Interesse am Unterthema ›Wissenschaftskommunikation in Comics‹ hatte, fände ich – trotz meiner Liebe für physische Bücher – die Möglichkeit einzelne Beiträge digital zu erwerben interessant. So könnte eine Hemmschwelle gesenkt werden, falls ein_e Leser_in nur vereinzelt ihre/seine Interessen im Buch vertreten sieht.

 

  • 1] Zitiert nach Richard Dawkins: »How do we justify, as it were, that science would give us the truth? It works. Planes fly, cars drive, computers compute. If you base medicine on science, you cure people; if you base the design of planes on science, they fly; if you base the design of rockets on science, they reach the moon. It works … bitches« (»In Conversation with Richard Dawkins«, https://www.youtube.com/watch?v=0OtFSDKrq88).

 

Comics & Naturwissenschaften
Clemens Heydenreich (Hg.)
Berlin: Christian A. Bachmann, 2019
244 S., 29,90 Euro
ISBN 978-3-941030-47-3