Vom Schaffen eines Zaubermeisters mit Fotokamera

Weegee – Serial Photographer rezensiert von Heiko von Ditfurth

Mit Weegee – Serial Photographer zeigen der Autor Max de Radiguès und der Zeichner Wauter Mannaert das Leben des New Yorker Fotografen Arthur Weegee Fellig kurz vor dem Höhepunkt seiner Karriere in den 1940er Jahren und wecken somit das Interesse, mehr über den ersten Pressefotografen mit eigenem Polizeifunk zu erfahren.

»Vulture!!« schreit die kniende Frau, ein Taschentuch in den Händen und das Gesicht zu einer Fratze verzehrt. Und wahrhaftig erinnert das, was Arthur Weegee Fellig tut, an einen Aasgeier, während er die Frau am Rande eines Autounfalls versucht, zu einem Foto zu überreden (Abb.1). In dem Comic Weegee – Serial Photographer porträtieren Max de Radiguès und Wauter Mannaert einen Teil aus dem Leben der New Yorker Fotografenlegende der 1930er und 40er Jahre, der vor allem durch seine unverblümten und skrupellosen Bilder von Tatorten bekannt wurde. Mit harten schwarz-weiß Kontrasten und wenig Sprechtext zeigen sie mit Liebe zum Detail und historischer Korrektheit das Milieu, in dem sich Weegee damals bewegte: Verkaufsstände und spielende Kinder auf den Straßen, quatschende Frauen auf den Eingangstreppen der Häuser und rappelvolle Kneipenszenen. Dazu die Gewalt von New York mit Autounfällen, Familiendramen und immer wieder Mord. Weegee ist – dank Polizeifunk und guten Kontakten – immer dort, wo es blutig wird. Dabei setzt er die Personen für das richtige Bild auch gerne selbst in Szene: Hut weg, Handstellung anders und den Kopf der Leiche noch zur Seite neigen. Das Foto soll am Ende die Dramatik der Tat darstellen.

Arthur Weegee Fellig fährt, stets mit seiner Kamera bewaffnet, durch die nächtlichen Straßen von Mannhatten und verdient sein Geld als Pressefotograf. Überall versucht er zuerst zu sein, um exklusive Fotos an die Agenturen von New York zu verkaufen. Dafür hat er sein Fotolabor direkt in seinem Auto eingerichtet. Während Weegee so Nacht für Nacht seine Fotos macht, träumt er von Ruhm und Ehre – seine Werke unterzeichnet er als »Weegee – The Famous«. Tagsüber nimmt er am Leben in seiner Nachbarschaft teil, quatscht mit den Nachbarn oder sitzt abends in der Kneipe. Er ist in seinem Viertel bekannt, sein Pseudonym inzwischen zu seinem Rufnamen geworden. Die Geschichte, wie er zu diesem Namen kam, erzählt er immer wieder, auch wenn sie schon längst bekannt ist. Dank ›telepathischer Fähigkeiten‹ wisse er immer, wo etwas passiert und so kämen seine Bilder schneller zu den Zeitungen als die Nachricht selbst. Angelehnt an das Ouija-Board, einem beliebten spiritistischen Brettspiel der damaligen Zeit, übernimmt Fellig den englischen Slang ›Weegee‹ für sich als Künstlernamen. Er gefällt sich in der Rolle des Zaubermeisters.

Abb.1: Es gibt nur wenige (moralische) Grenzen, die der Fotograf nicht für ein gutes Bild überschreitet.


Am Höhepunkt seiner Karriere in den 1940er Jahren verkaufte Weegee seine Bilder nicht mehr nur an Zeitungen, sondern fotografierte unter anderem auch für das Vogue-Magazin. Bereits zu Lebzeiten wurden einige Werke im Museum of Modern Art gezeigt. Heute ist sein Schaffen wohl nur noch bei Fachleuten der Fotografie bekannt.
De Radiguès und Mannaert zeigen das Leben eines Mannes, der nach Höherem strebte und dabei keine Hemmungen kannte. Seine Tricks und Kniffe werden dabei nur am Rande dargestellt, vielmehr versucht der Comic zu ergründen, was in einem Menschen vorgegangen sein könnte, der stets nach Leichen suchte. Immer wieder durchschneiden Seiten mit Traumsequenzen den Lesefluss. Meist rahmenlos und hart gezeichnet, tauchen Szenen auf, in denen Weegee selbst Menschen für das perfekte Bild umbringt. Die Zeichnungen wecken den Eindruck, dass der Fotograf zuweilen vor seiner eigenen Arbeitsweise zurückschreckte und von Skrupeln geplagt wurde. Schaut man auf originale Äußerungen von Fellig, sind diese Vermutung von Autor und Zeichner jedoch eher unwahrscheinlich. Weegee schien von seiner Arbeit und der Herangehensweise überzeugt, Gewissensbisse sind nicht zu finden.

Weegee – Serial Photographer erschien bereits 2016 auf Französisch bei Éditions Sarbacane und wurde 2018 auf Englisch im Conundrum-Verlag veröffentlicht In der ersten Variante waren noch Reproduktionen von Weegees Bildern beigefügt, welche in der späteren Auflage weggelassen wurden. Stattdessen sind Fotos von Weegee nur noch gezeichnet im Hintergrund einiger Szene zu finden. De Radiguès und Mannaert ermöglichen so dennoch einen Eindruck in das Schaffen ihres Protagonisten, auch wenn flüchtig Lesenden diese Genauigkeit wahrscheinlich nicht auffallen dürfte. Im Epilog begründen Autor und Zeichner den Unterschied zur Originalausgabe: Es handle sich um einen Comic, die Geschichte würde im Text und den Zeichnungen stecken. Wer Fotografien sehen wolle, könne diese besser im Internet finden. Wahrscheinlich geben nach der Comic-Lektüre eher nur interessierte Fotograf_innen den Namen Weegee in die Suchzeile ein und schauen, wie die Werke wirken – sofern denen das Oeuvre nicht sowieso schon bekannt ist. Allen anderen wird der Comic auch ohne dieses stilistische Mittel ausreichen.
    
Zuletzt hoffen Autor und Zeichner, dass Weegee – Serial Photographer erst der Anfang ist, um mehr über die Arbeit von Arthur Weegee Fellig zu erfahren, kann das Buch doch schließlich nur eine Lebensepisode zeigen. Nicht nur bei Pressefotograf_innen wird der Comic sicherlich Interesse am Leben der Legende wecken, da z.B. die Debatten um moralische Grenzen angesichts einer guten Story und das Recht am eigenen Bild in Zeiten des Internets und diverser Reality-Formate als Weg zum Ruhm aktueller sind denn je. Weegee selbst sagte einmal: »Geht raus und fotografiert Fremde – die meisten Menschen mögen es, fotografiert zu werden.«

 

Weegee
Serial Photographer
Max de Radiguès (A), Wauter Mannaert (Z)
Montreal: Conundrum Press, 2018
140 S., 17,99 Euro
ISBN 1772620238