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Die Breitbeinigen
AufklÀrungsmodi und Körperpolitiken in deutschsprachigen feministischen Comics

Nina Schmidt (Berlin)

 

Comics bieten niedrigschwelligen Zugang zur Geschichte des feministischen Kampfes um Gleichberechtigung und Gleichstellung – und dies seit einiger Zeit verstĂ€rkt und international. JubilĂ€umsjahre wie das Jahr 2018, in dem die EinfĂŒhrung des eingeschrĂ€nkten Frauenwahlrechts in Großbritannien (Februar 1918) oder des uneingeschrĂ€nkten Wahlrechts fĂŒr Frauen in Deutschland (November 1918) gefeiert werden konnte, wurden von Verlagen zum Anlass genommen, thematisch passende Sachcomics herauszubringen. So erschien der in Norwegen 2018 veröffentlichte Comic Rebellische Frauen – Women in Battle. 150 Jahre Kampf fĂŒr Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit von Marta Breen und Jenny Jordahl bereits ein Jahr spĂ€ter auf Deutsch.1 Ebenfalls 2018 veröffentlichte der Unrast Verlag Antje Schrupp und Patus Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext. Neben diesen Sachcomics haben narrative Comics Konjunktur, die fiktional und auf wenige Figuren konzentriert Frauenschicksale erzĂ€hlen, dies jedoch vor historisch genau recherchierten HintergrĂŒnden tun und auf diese Weise an individuellen LebenslĂ€ufen die (geschlechter-)politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Zeit erkennbar werden lassen. Drei Beispiele sind Barbara Yelin und Thomas von Steinaeckers Der Sommer ihres Lebens (2017), Julia Zejns Drei Wege (2018) und 1974 (2020) von Silvia Dierkes.

Aktuelle feministische Comicpublikationen nehmen darĂŒber hinaus ganz explizit den Körper und body politics in den Blick. AufgeklĂ€rt wird in den Comics der Gegenwart also gleich in doppelter Weise: in Bezug auf Gesellschafts- und Bewegungsgeschichte sowie in Bezug auf den menschlichen, vor allem den als weiblich konstruierten Körper; und das oft von dezidiert subjektiver Warte aus. Wie genau die diversen Comics letzteres tun und warum das Medium Comic so geeignet ist, sich der menschlichen Biologie und SexualitĂ€t, den Themen Gender und HeterocisnormativitĂ€t sowie Sexismus und Patriarchat zu widmen, soll im Folgenden mit Blick v. a. auf den deutschen Comicsmarkt erörtert werden. Im Zentrum meines Beitrags stehen fĂŒnf Veröffentlichungen, die sich (in unterschiedlichem Maße) auf Wissensvermittlung konzentrieren, auf consciousness raising und empowerment / community building setzen und damit klar aktivistisch sind: Liv Strömquists Der Ursprung der Welt (2017 [2014]), Katja Klengels Girlsplaining (2018), Louie LĂ€ugers »da unten«. Über Vulven und SexualitĂ€t. Ein AufklĂ€rungscomic (2019), das Zine Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht (2020) von Oliwia HĂ€lterlein und Aisha Franz und schließlich Yori Gagarims Let them talk! What genitals have to say about gender (2014).2

Comics – kein selbstverstĂ€ndliches Medium fĂŒr die Verbreitung feministischer Inhalte

Lange galt der Comic als MĂ€nnerdomĂ€ne, sogar als â€șmĂ€nnlichstesâ€č aller Massenmedien (vgl. Knigge/Schnurrer, [5]). Und obwohl die Comicszene »nach wie vor« als »mĂ€nnerdominiert« beschrieben werden kann (Engelmann, 103), ist die Situation heute, zumindest im Bereich der alternativen Comics und Zines und der Graphic Novel, eine deutlich diversere. Nicola Streeten stellt in ihrer Kulturgeschichte des feministischen Comics und Cartoons Großbritanniens fest, dass es nicht die comics industry war, die Cartoonistinnen ermöglicht hat sichtbar zu werden (und das heißt hier vor allem verlegt zu werden), sondern der Literaturbetrieb, der zur Literarisierung des Comics als Graphic Novel beigetragen hat (vgl. Streeten, 262). Außerdem spielten und spielen die wachsenden Möglichkeiten des Publizierens im Selbstverlag oder im Internet eine Rolle. Desweiteren argumentiert Streeten, dass die historische Unsichtbarkeit von Zeichnerinnen dadurch drastischer erscheint, dass die Archivlage schlecht ist; dass es also immer schon auch Zeichnerinnen gab, diese – und ihre Arbeiten – jedoch keinen oder kaum Eingang ins kulturelle GedĂ€chtnis gefunden haben (vgl. Streeten, 35).3

Ein problematisches Erbe des Mediums, auf das ich in aller KĂŒrze hinweisen will und mit dem sich KĂŒnstler_innen entsprechend auseinandersetzen mĂŒssen, ist die Tatsache, dass u. a. Gewalt, Frauenhass und Rassismus im Comic lange normalisiert wurden, und, in Teilen, noch werden.4 Der Lacher eines strips ging hĂ€ufig auf Kosten marginalisierter Mitglieder der Gesellschaft. Streeten (18) schreibt zum spĂ€ten 19. und frĂŒhen 20. Jahrhundert, der Zeit militanter Aktionen der Suffragetten und bis dato ungekannter PopularitĂ€t von Zeitungscartoon und bebilderter Postkarte: »a mainstream form of humour for both the middle and working classes included a reliance on ridiculing women.« VĂ©ronique Sina macht uns in ihrem Aufsatz in der vorliegenden CLOSURE-Ausgabe mit der Tendenz des Comics zum Stereotyp und zum Klischee vertraut, die in Streetens Beobachtung aufscheint.

         

Abb. 1a: Cover von Ronja Schreurs, Heroines. / Abb. 1b: BuchrĂŒcken von Ronja Schreurs, Heroines. Neuerfindungen des Superheld_innentums.

Gleichzeitig gilt der Comic spĂ€testens seit den 1960er Jahren aber auch als »gegenkulturelle[s] Protestmedium« (Kesper-Biermann, 26) par excellence. Ronja Schreurs Mini-Anthologie Heroines (2015) versammelt Beispiele dafĂŒr, wie sich Comicschaffende heute teils ganz explizit gegen – in diesem Falle – die Misogynie des herkömmlichen Superhelden-Comics wenden und diesen Figurentypus hinterfragen (Abb. 1a). »Wo finden die passende KostĂŒme? MĂŒssen die eigentlich auch einkaufen gehen? DĂŒrfen die auch Muffins essen?«, heißt es ketzerisch auf dem BuchrĂŒcken (Abb. 1b). In den vielen kurzen strips werden dann, durchaus auch ernsthafter, Bilder von weiblichen und nicht-binĂ€ren Superheld_innen entworfen, die nur noch wenig mit dem Mainstream-Superheldencomic zu tun haben.5

Sexuelle AufklÀrung, reloaded

In Form von Sachcomics oder autobiografischen Comics (oder auch in einer Mischform beider Genres) teilen viele KĂŒnstler_innen, die etwas fĂŒr sich erarbeitet haben, dieses Wissen mit einer Leser_innenschaft, die lernen möchte. Dabei sind persönliche und politische Motivation fĂŒr die Comic-KĂŒnstler_innen ganz im Sinne ihrer feministischen Überzeugungen nicht zu trennen. HĂ€ufig ist das geteilte Wissen ein kritisches Wissen, das (noch?) nicht zum gesellschaftlichen Standard geworden ist. So wendet sich der Comic der Gegenwart der menschlichen Biologie und ihrer soziokulturellen Überformung zu, um einen neuen Blick auf gesellschaftliche Normierungen und Regulierungen von Geschlecht zu gewinnen; möglicherweise gerade angesichts der medialen AllgegenwĂ€rtigkeit von Körpern, Nacktheit, Sex sowie angesichts virulenten post- und antifeministischen Gedankenguts.6 In diesem Sinne gehen auch dezidierte â€șAufklĂ€rungscomicsâ€č deutlich ĂŒber das Einmaleins des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs hinaus bzw. setzen sich davon ab. Die Comics, um die es mir im Folgenden geht, zeigen Körperpolitiken auf – also gesellschaftliche MachtverhĂ€ltnisse und Ordnungsmuster, die im vergeschlechtlichen und sexualisierten Körper zutage treten, an ihm ausgehandelt werden – und hinterfragen diese.7 Sie zielen darauf ab, diese Ordnungsmuster aufzubrechen, auch wenn sie zugleich, wie Mike Classon Frangos fĂŒr Der Ursprung der Welt festhĂ€lt, die Situiertheit eines jeden und damit auch des eigenen VerstĂ€ndnisses der natĂŒrlichen oder materiellen Welt feststellen mĂŒssen (vgl. Classon Frangos, 55). Anliegen der Comic-Aktivist_innen ist es unter anderem, gesellschaftlich produzierte Ein- und AusschlĂŒsse, die augenscheinlich in körperlichen Begebenheiten grĂŒnden, als Konstrukte und damit verĂ€nderbar aufzuzeigen; (jungen) Menschen zu demonstrieren, dass ihre Beziehung zum eigenen Körper stark von Sozialisation und Gesellschaft geprĂ€gt wurden; ihnen das Finden der eigenen GeschlechtsidentitĂ€t zu erleichtern; und sie zu unterstĂŒtzen, ihre SexualitĂ€t möglichst vorurteilsfrei zu entdecken und auszuleben.8

Kritische Reflexionen von Biologie und Gesellschaft bei Liv Strömquist

Den Sachcomic Der Ursprung der Welt (2017 [2014]) der Schwedin Liv Strömquist will ich in diesem Kontext zuerst behandeln,9 gerade weil sein internationaler Erfolg verdeutlicht, dass er offensichtlich einen Nerv getroffen hat. Hierzulande bei Avant erschienen und inzwischen in mindestens 16 Sprachen ĂŒbersetzt, bietet Der Ursprung der Welt eine Kulturgeschichte dessen, »was als â€șdas weibliche Geschlechtsorganâ€č bezeichnet wird« (BuchrĂŒcken). Die Autorin klĂ€rt darin u. a. ĂŒber historische wie bis heute wirksame IrrtĂŒmer ĂŒber die Vulva, die Menstruation und den â€șweiblichenâ€č Orgasmus auf und dekonstruiert auf diese Weise durch die explizit feministische Brille die tendenziell von MĂ€nnern geschriebene Geschichte der als weiblich kategorisierten Genitalien. Mit RĂŒckgriff auf u. a. Thomas Laqueurs Buch Making Sex. Body and Gender from the Greeks to Freud (1992) erlĂ€utert Strömquist die Vor- und RĂŒckschritte, die historisch im VerstĂ€ndnis von v. a. â€șweiblicherâ€č Anatomie und SexualitĂ€t gemacht wurden und verbindet diese mit der gesellschaftlichen Disziplinierung der Frau (vgl. Strömquist 2017, 56–82). Es wird deutlich, dass diese Wissensgeschichte nicht als Fortschrittsgeschichte erzĂ€hlt werden kann – und dass sogenannte weibliche SexualitĂ€t immer in Analogie oder als Gegensatz zur mĂ€nnlichen betrachtet wurde, »nie« aber »als etwas Eigenes« (Strömquist 2017, 82), das beispielsweise auch außerhalb der heterosexuellen Norm existiert.

Abb. 2: S. 74 aus Liv Strömquist Der Ursprung der Welt. Skandalisierung des â€șobjektivenâ€č medizinischen Blicks.

Auf Seite 74 (Abb. 2) prĂ€sentiert Strömquists Comic seinen Leser_innen im zweiten Panel den von der ErzĂ€hlerin als ungeheuerlich gerahmten Fakt, dass Taber’s Cyclopedic Medical Dictionary – in den USA ein Standardwerk – bis 1981 auf Abbildungen der Vulva die Klitoris nicht auswies, und damit das Zentrum der Lust von Menschen mit Vulva negierte. Das Wissen der EnzyklopĂ€die wird damit mindestens als unvollstĂ€ndig vorgefĂŒhrt, historisch von MĂ€nnern geprĂ€gtes Wissen mithin insgesamt angezweifelt. Die Klitorisvorhaut und -eichel werden mit der Beschriftung »Hier gibt es nichts Besonderes« versehen, gefolgt von einer Vielzahl an Ausrufezeichen, die den â€șobjektivenâ€č Duktus einer wissenschaftlichen Publikation (und damit einer Form mĂ€nnlich konnotierten Wissens) zusĂ€tzlich karikieren. Taber’s Dictionary wird damit nachdrĂŒcklich korrigiert.10 Strömquists ErzĂ€hlstimme spielt dabei durchgehend mit der bei Frauen vermeintlich stĂ€rker ausgeprĂ€gten EmotionalitĂ€t und SubjektivitĂ€t und schlĂ€gt humoristisches Kapital aus ebensolchen Klischees, wie z. B. auch im letzten Panel der gleichen Seite gut zu erkennen ist: Die verwendeten Großbuchstaben sind in der Logik der sozialen Medien gleichzusetzen mit einem aufgebrachten Erheben der Stimme; das Wort â€șGenerationenâ€č ist entsprechend als das betonteste zu imaginieren.

Diese exemplarische Seite aus Der Ursprung der Welt veranschaulicht, warum der Comic so geeignet ist, Körperpolitiken zu bearbeiten. Zentral scheint mir die Leichtigkeit zu sein, mit der das Medium z. B. die Bildlichkeit (und damit die vermeintliche ObjektivitĂ€t) medizinischer LehrbĂŒcher und Anatomieatlanten inkorporieren und sie, wie den medizinischen und den patriarchalen Blick ĂŒberhaupt, ironisch kommentieren kann. FrĂŒhere wie heutige Un/sichtbarkeiten können in der medienspezifischen Spannung zwischen Text und Bild in all ihrer Paradoxie vorgefĂŒhrt werden; ebenso wie die Spannungen zwischen den Diskursen selbst. Dabei wird in Strömquists Arbeiten keinem Diskurs, keiner Theorie a priori Hoheit ĂŒber eine andere eingerĂ€umt, wie auch Classon Frangos (56) beobachtet: »even gender theory«, schreibt er, »does not convey any authoritative status in Strömquist’s work, but instead competes for legitimacy with other discourses such as medicine, psychology, self-help, popular culture, mythology – all of which are cited and juxtaposed in [her] comics.«

Der schwedische wie auch der bedeutungsgleiche englische Titel des Comics – The Fruit of Knowledge – rekurrieren auf den biblischen SĂŒndenfall (Adam und Evas Kosten der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis) ebenso wie auf die Idee, dass Wissen Macht – im Sinne von potentia, also Handlungsvermögen (vgl. Stehr/Adolf, 15) – ist. Letztere stammt ursprĂŒnglich von Francis Bacon und damit einer der Figuren der englischen AufklĂ€rung. Strömquist lĂ€utet mit der Publikation des Comics also vielleicht sogar selbstbewusst eine Zeitenwende ein, den Anfang einer neuen Phase feministischer AufklĂ€rung, die am VerhĂ€ltnis der Einzelnen zum Körper ansetzt, um die Vielen zu â€șempowernâ€č. Der deutsche und französische Titel des Comics, Der Ursprung der Welt bzw. L’Origine du monde, setzt nicht nur die Frau bzw. Menschen mit Vulva zentral und betont deren SexualitĂ€t und zumindest potentielle GebĂ€rfĂ€higkeit als mĂ€chtig. Er deutet auch das geballte kulturelle Wissen an, das in Strömquists auf den ersten Blick so naiv daherkommenden (weil flĂ€chigem, reduziertem) Zeichenstil steckt – und das Vertrauen, welches Verlage wie Autorin in das Vorwissen der Leser_innenschaft haben, BezĂŒge wie eben den zu Gustave Courbets gleichnamigen Skandal-GemĂ€lde (1866; Musee d’Orsay, Paris) herzustellen. Eine weitere Anspielung steckt im Coverbild selbst, welches das Original ziert wie auch vielen Übersetzungen erhalten blieb, einem direkten Bezug zu Fotografien der berĂŒhmt-berĂŒchtigten Performance Aktionshose Genitalpanik von Valie Export aus dem Jahre 1969.

Strömquist selbst wird hier in Hommage an die österreichische KĂŒnstlerin zum Modell (und lenkt den Blick u. a. per Handzeichen auf die eigenen Genitalien, ohne diese allerdings, wie Valie Export damals, tatsĂ€chlich zu entblĂ¶ĂŸen) (Abb. 3).

Abb. 3: Cover von Liv Strömquist Der Ursprung der Welt. Anspielung auf und Verneigung vor Aktionshose Genitalpanik von Valie Export.

Sie stellt damit einen Bezug ihres Comicschaffens zu feministischer Kunst der sog. zweiten Welle her. Diese Bilderpolitik verdeutlicht ein Traditionsbewusstsein, das ich fĂŒr erwĂ€hnenswert halte, da sonst hĂ€ufig der Eindruck vorherrscht, feministische Erkenntnis drehte sich im Kreis und jĂŒngere Feminist_innen wĂŒrden die historischen Dimensionen und VorgĂ€ngerinnen ihres politischen Engagements wenig wĂŒrdigen – vielleicht nicht einmal kennen (vgl. Mikus/Spiers). Strömquist inszeniert die eigene Person nicht nur auf diesem, sondern auf allen Covern ihrer bisherigen Buchpublikationen. Mit ihrem fotografischen Abbild steht sie fĂŒr ihre Themen ein; die eigene Verortung als weiße, schwedische cis Frau wird nicht versteckt, sondern transparent ausgestellt, wie es auch etablierte Methodik in feministischer Wissenschaftspraxis ist. Strömquist ist »every woman« (Strömquist, 2019) – und auch wieder nicht. Mit jeder weiteren Comicbuch-Publikation wird sie mehr zum Popstar.

Katja Klengels reevaluierender Blick zurĂŒck – Motivation fĂŒr die Arbeit an Gegenbildern

Zwei Comicschaffende aus dem deutschsprachigen Raum, die sich ebenfalls selbst auf das Cover ihres jeweiligen Buches setzen, sind Katja Klengel und Lisa FrĂŒhbeis. Im Unterschied zu Strömquist tun sie dies allerdings in gezeichneter Form. In der Abstraktion der eigenen Person liegt das Identifikationsangebot, das Leser_innen mit den Avataren gemacht wird. FrĂŒhbeis setzt sich sogar wörtlich: Nackt, die Beine behaart, sitzt ihr Alter Ego frei nach Rodin als â€șDenkerinâ€č auf einer ĂŒberdimensionierten, ebenfalls unverhĂŒllten Brustwarze, die die Figur statt eines aus Stein gehauenen Podests in die Höhe hebt. Der ĂŒberbordenden Symbolik, die dem weiblich gelesenen Körper kulturell zugemutet wird, begegnet die dargestellte Zeichnerin mit kreativem Ausdruck. Klengel positioniert ihr jĂŒngeres Comic-Ich mit heruntergelassener Unterhose vor einen Halbkreis neugieriger, teils kichernder gleichaltriger MĂ€dchen: sie hebt, wie es scheint, zum titelgebenden â€șGirlsplainingâ€č an. Die unterschiedlich stark ausgestellte Nacktheit der beiden ErzĂ€hlerinnenfiguren ist ein Verweis auf den autobiografischen Gestus beider Publikationen; sie kĂŒndigt GrenzĂŒberschreitungen an. Gleichzeitig ist v. a. die Pose von FrĂŒhbeis‘ Figur in ihrer Nacktheit dezidiert unspektakulĂ€r, weil alltĂ€glich, und erinnert nicht von ungefĂ€hr auch an einen Toilettenbesuch. Sie kann bzw. will nicht ĂŒberhöht werden.

        

 

Abb. 4a: Cover von Katja Klengels Girlsplaining. / Abb. 4b: Cover von Lisa FrĂŒhbeis Busengewunder. Das gezeichnete Selbst lĂ€dt zur Identifikation ein.

Sowohl Klengels Girlsplaining (2018) als auch FrĂŒhbeis‘ Busengewunder (2020) (Abb. 4 a/b) versammelt gesellschaftskritische feministische Comic-Kolumnen der jeweiligen Autorin. Die BĂŒcher sind weniger Sachcomic, mehr AlltagserzĂ€hlung. Impulsgebend fĂŒr die einzelnen Episoden und die Themen, die darin aufgegriffen werden, ist bei beiden das eigene Erleben der gesellschaftlichen Gegenwart; bei Klengel kommt der erinnernde Blick zurĂŒck auf Kindheit und Jugend dazu. Ein gesamtgesellschaftliches Problembewusstsein fĂŒr Sexismus und seine komplexen Folgen wollen die Autorinnen ebenso fördern wie Strömquist. Anders als in Der Ursprung der Welt werden in den Comics von Klengel und FrĂŒhbeis zu diesem Zweck jedoch Erlebnisse als MĂ€dchen bzw. als junge Frau im Comic medialisiert und fiktionalisiert, humoristisch ĂŒberspitzt und damit politisch aufgeladen. Im Folgenden will ich mich Girlsplaining etwas genauer widmen.

In den darin versammelten ErzĂ€hlungen, allesamt in Rosatönen koloriert, wirft die ErzĂ€hlerin »Katja Klengel, [...] 29 Jahre alt« (Klengel, 6) den Blick zurĂŒck auf ihre Sozialisation als MĂ€dchen in den spĂ€ten 1990er und frĂŒhen 2000er Jahren. Mittels zahlreicher zeitgenössischer popkultureller Referenzen von u. a. BRIDGET JONES, SEX AND THE CITY ĂŒber SAILOR MOON bis STAR TREK analysiert und kommentiert die Protagonistin rĂŒckblickend ihre Sorgen und Ängste (aber auch ihre Scham, Wut, Hilflosigkeit) als Heranwachsende wie auch ihre Gegenwart als junge Frau kurz vor dem kulturell aufgeladenen dreißigsten Geburtstag (vgl. Klengel, 46). Ihr Körper war und ist dabei hyperprĂ€sent, den diversen Annahmen, Projektionen und misogynen Angriffen anderer ebenso ausgeliefert wie ihren eigenen Modulationsexperimenten (vgl. Kap. Der Geist der verrosteten Rasierklingen). Der Weg zur Selbstakzeptanz und Selbstliebe wird als ein langer, beschwerlicher dargestellt.11

Die erwachsene Katja weiß vieles besser als frĂŒher, ist emanzipierter, agiert aber noch lĂ€ngst nicht immer so selbstbewusst und schlagfertig, wie sie das gerne wĂŒrde. Durch die Figur der ErzĂ€hlerin stellt die Autorin feministisches Denken und Handeln als kontinuierlichen Lernprozess dar. Sie selbst halte sich »in keiner Weise fĂŒr eine Feminismus-Expertin, dafĂŒr stehe ich noch viel zu sehr am Anfang« (Riemann), so Klengel in einem Interview mit Edition F. Die eigenen Comics versteht sie eher als »Einstieg« (ebd.) in feministische Thematiken, fĂŒr sich selbst wie fĂŒr Leser_innen, und als einen geschĂŒtzten Raum: »Girlsplaining ist [...] fĂŒr mich der Moment, in dem ich den Spieß umdrehen kann, reden kann, meine Ruhe habe, Dinge zu denken, auszusprechen und zu formulieren, ohne unterbrochen zu werden« (Kolek).12 Keineswegs will hier eine allwissend und herablassend zu JĂŒngeren bzw. zu ihrem frĂŒherem Selbst sprechen,13 wie die Anspielung auf das PhĂ€nomen des Mansplaining vielleicht vermuten ließe. Eher tut die Autorin bzw. ErzĂ€hlerin dies mit VerstĂ€ndnis fĂŒr die GefĂŒhlswelt und VulnerabilitĂ€t der jĂŒngeren. Es geht ihr darum, Sexismus erkennen zu lernen, Leser_innen (und unter ihnen v. a. den Frauen) zu verdeutlichen, zu welchem Grad ihre vermeintlich persönlichen Schwierigkeiten gesellschaftlich produzierte sind und ihnen zu ermöglichen, schĂ€dliche internalisierte Verhaltensweisen gewissermaßen â€șgemeinsamâ€č mit der ErzĂ€hlerinnenfigur abzulegen. Girlsplaining vereint dabei Elemente u. a. des Fortsetzungsromans oder der Seifenoper, des Tagebuchs und der coming-of-age-Geschichte.

Abb. 5: S. 23 aus Katja Klengels Girlsplaining. Erste Variation des Coverbildes.

 

Das Coverbild von Girlsplaining findet sich im zweiten Kapitel des Buches, das den Titel Der Geist der verrosteten Rasierklingen trĂ€gt, in leichter Variation wieder (Abb. 5). Diesmal wird es durch einen erlĂ€uternden Text eingeleitet und vom GelĂ€chter der anderen MĂ€dchen, welches der Hauptfigur gilt, gerahmt. In den Sprechblasen sehen wir zusĂ€tzlich teils verletzende Kommentare versammelt. Das Resultat des bodyshaming, das die heranwachsende Katja in verschiedenen Kontexten erlebt (z. B. auf Klassenfahrt, zuhause oder im Supermarkt) und in diesem Kapitel rĂŒckblickend erinnert, fasst sie wenige Seiten spĂ€ter so zusammen: »Irgendwie hatten es alle um mich herum geschafft, dass ich mich wie ein kompletter Freak fĂŒhlte...« (Klengel, 27).

Das Freakshow-Poster, welches die Figur der Katja als groteske »Hairy Woman« imaginiert, verdeutlicht die verzerrte Selbstwahrnehmung der Protagonistin visuell, demonstriert ihre gefĂŒhlte Wahrheit (Abb. 6). Die nĂ€chsten Panel – bei Klengel ist jede Buchseite ein Panel – zeigen, wie sich der Teenager daraufhin rasiert, bemitleidet, versteckt und schĂ€mt. Unvermittelt bricht eine Meta-ErzĂ€hlung diese Bildreihung ab. Darin erscheint der zeichnenden Katja der titelgebende â€șGeist der verrosteten Rasierklingenâ€č und verkĂŒndet: »Ich will dir zeigen, wie du dir selbst viel Leid hĂ€ttest ersparen können... / ... wie dein Leben gewesen wĂ€re, hĂ€ttest du dich nicht durch die Augen anderer betrachtet...« (Klengel, 34).

Abb. 6: S. 27 aus Katja Klengels Girlsplaining. GefĂŒhlte Wahrheit.

Sechs Szenen aus den Schilderungen zuvor werden mit leichten AbĂ€nderungen wiederholt. Den grĂ¶ĂŸten Unterschied macht dabei jeweils der neue Text, der body positivity und eine neue Auf- und AbgeklĂ€rtheit auf Seiten der Hauptfigur demonstriert. Diese Darstellungstechnik der variierenden Wiederholung ist eine ganz comictypische Art, die die KĂŒnstlerin nutzt, um die Diskrepanz zwischen dem Ist-Zustand und ihrer persönlichen Wunschvorstellung in Bezug auf die Stellung von Frauen in der Gesellschaft und rigiden Vorstellungen von Geschlecht mit all ihren psychosozialen Konsequenzen zu betonen.14 Sie greift damit letztlich auf das im Medium Comic so verbreitete Prinzip der SerialitĂ€t zurĂŒck, welches erlaubt, »dass man immer wieder vom gleichen Ausgangspunkt ausgehen und jedes Mal den gleichen Moment beschreiben kann, eine Vielzahl an möglichen Variationen des gleichen Abenteuers anbieten kann« (Klar, 229–230). So kann Klengel den Blick der Leser_innen fĂŒr diese Diskrepanz re/sensibilisieren; Alternativen durchspielen; Leser_innen dazu anregen, sich aktiv eine gerechtere Welt vorzustellen.

Abb. 7: S. 35 aus Katja Klengels Girlsplaining. Zweite Variation des Coverbildes.

 

Entsprechend wiederholt sich auch das Bild von den MĂ€dchen im Halbkreis erneut (Abb. 7) – jetzt wird es positiv gewendet und darf sein utopisches Potential entfalten. VorgefĂŒhrt wird nun eine selbstbewusste, in sich ruhende Protagonistin, die ihren MitschĂŒlerinnen ganz freiwillig und großzĂŒgig ihre Intimbehaarung zeigt. Diese reagieren unvoreingenommen, offen, neugierig. Sie sind auf magische Weise fĂŒr den Moment gĂ€nzlich unbeeinflusst von Vorstellungen ĂŒber stereotype Weiblichkeit, gesellschaftliche Tabus und den ubiquitĂ€ren medialen Bildern, die diese festigen. Die Sequenz endet mit einer klaren Ansprache der implizierten Leser_innenschaft; eine Technik, die Klengel immer dann einsetzt, wenn einem Punkt besonderer Nachdruck verliehen werden soll (vgl. z. B. auch Klengel, 71, 86, 151). Den Blick gen Betrachter_in gewendet unterstreicht ihr Avatar die empowernde Botschaft des â€șGeistesâ€č – »Es gibt keinen falschen Körper« – (Klengel, 41) und des gesamten Kapitels: »Lasst euch von niemandem einreden, ihr wĂ€ret hĂ€sslich« (Abb. 8). Die Verwendung des Personalpronomens â€șeuchâ€č und der direkte Blick aus den Seiten des Buches heraus machen klar: wie z. B. auch bei Strömquist wird die_der Leser_in von Girlsplaining als »comrade or fellow traveller« betrachtet, »someone likely to share a personal stake in feminist struggle or gender politics« (Classon Frangos, 50).

Abb. 8: S. 42 aus Katja Klengel, Girlsplaining. Gemeinschaftsbildung durch den direkten Blick aus den Buchseiten heraus.

 

Die Macht der Bilder und ihr Vermögen, Gesellschaft zu verhandeln und zu prĂ€gen, erscheint als zentrales Thema in Girlsplaining. »Wir verlassen uns hauptsĂ€chlich auf unsere Augen, auf das, was wir sehen, und hinterfragen es deshalb oft nicht. Ich glaube, wir vergessen oft, dass Bilder gemacht sind« (Riemann), problematisiert Klengel die NaivitĂ€t unseres gesellschaftlichen Okularzentrismus im Interview mit Edition F. Denn Bilder erzeugen, genau wie Sprache,15 RealitĂ€t; sie formen Sehgewohnheiten, haben aber auch das Potential, diese zu stören. Klengel legt mit Girlsplaining nahe, dass bestimmte festgefahrene kulturelle Bilder vielleicht nur mit entsprechenden Gegenbildern adĂ€quat zu entlarven und zu bekĂ€mpfen sind; sich bestimmte Schieflagen, bestimmte Leerstellen nur so korrigieren bzw. fĂŒllen lassen.

Dazu passt auch das Vorsatzpapier des Buches, das mit verschiedenen, realistisch gezeichneten Vulven ĂŒbersĂ€t ist. Klengel tritt damit erstens der ikonografischen Unsichtbarkeit der Vulva entgegen, denn die Vulva wurde in der Kunstgeschichte wie in der Sprache verschleiert, fehlbezeichnet oder nicht bezeichnet bzw. nicht gezeichnet (vgl. Lehmann; Sanyal). Das hatte und hat fĂŒr weiblich sozialisierte Personen psychologische Konsequenzen (vgl. z. B. Sanyal, 11–26). Zweitens unterstreicht Klengel mit diesem Vorsatzpapier die DiversitĂ€t von Vulven, stellt verschiedene Formen und GrĂ¶ĂŸen aus. Ihre Comic-Vulven weisen trotz ihrer Cartoonisierung deutliche Unterschiede zueinander auf und laufen dem gĂ€ngigen Schönheitsideal zuwider, das diktiert, dass die inneren Vulvalippen kleiner zu sein haben als die Ă€ußeren, um von letzteren umschlossen und versteckt zu werden.

»da unten« von Louie LĂ€uger – auf Augenhöhe mit der jugendlichen Zielgruppe

Bei Louie LĂ€ugers »da unten«. Über Vulven und SexualitĂ€t. Ein AufklĂ€rungscomic (2019) schaffen es die Vulven sogar auf das Buchcover. »da unten« fokussiert primĂ€r auf Wissensvermittlung und hat eine jĂŒngere Zielgruppe im Blick als die bisher genannten Comics.16 Die Art der Wissensvermittlung, die praktiziert wird, ist jedoch auch hier keine â€șsterileâ€č, sondern eine queerfeministisch subjektivierte (und entsprechend auch wieder mit dem Ziel des consciousness raising verbunden). Das können wir schon dem Cover ansehen: Die Vulven, die es ausstellt, sind erkennbar Ă€sthetisiert und in ĂŒberwiegend warmen Farben gehalten (Abb. 9). Das passt zum Inhalt des Comics, der neben Faktenwissen eben auch Haltungen transportieren will, nĂ€mlich die schon bei Klengel angeklungene body positivity und, darĂŒber hinaus, eine ganz explizite Sex-PositivitĂ€t sowie Offenheit, Neugier, (Experimentier-)Freude in Bezug auf die eigene Körperlichkeit.17

Abb. 9: Cover von Louie LĂ€ugers »da unten«. Positive Assoziationen erwĂŒnscht.

 

LĂ€uger ist sich des Feminismus als »böse[m] F-Wort« (LĂ€uger 2019, 10) bewusst. X weiß, dass Teenager sich auch heute eher nicht als Feminist_innen bezeichnen und weiterhin in eine eher Sex-negative Kultur hineinwachsen. Zwei der wichtigsten Botschaften von »da unten« an die junge Zielgruppe werden deshalb schon frĂŒh im Buch betont: »Dein Körper ist nicht seltsam und komisch, sondern perfekt und wunderschön. / Oder in fĂŒnf Worten: Du bist vermutlich ganz normal« (LĂ€uger 2019, 13). Den erhobenen Zeigefinger mag man dem Avatar an dieser Stelle verzeihen – geht es Autor_in bzw. ErzĂ€hler_in doch darum, WertschĂ€tzung zu vermitteln. Aber natĂŒrlich kann auch diese nicht erzwungen oder spontan bzw. mĂŒhelos entgegen langjĂ€hrige Sozialisations- und Kulturerfahrungen entwickelt werden.

Ganz grundlegend greift »da unten« eine der herausragenden Positionen der zweiten Welle der Frauenbewegung auf, nĂ€mlich den Slogan â€șMy body, my choiceâ€č, und gibt ihn reformuliert als dringenden Hinweis an die Leser_innen, v. a. die weiblich sozialisierten, weiter: »Dein Körper, deine Entscheidung!« (BuchrĂŒcken). Damit steht LĂ€ugers Veröffentlichung in einer Linie mit der Publikation Our Bodies, Ourselves des Boston Women’s Health Book Collective von 1970/71 und dem Frauenhandbuch Nr. 1: Abtreibung und VerhĂŒtungsmittel (1972) der Westberliner Gruppe Brot und Rosen, auch wenn sich die inhaltlichen Schwerpunkte verschoben haben. Der Comic will Leser_innen vor allem dazu befĂ€higen, selbstbewusst Entscheidungen zu treffen – damit die eigenen Grenzen gewahrt werden, aber gleichzeitig die eigene SexualitĂ€t und Lust entdeckt werden kann.

Das Zeigen der als weiblich kategorisierten Geschlechtsorgane und deren nach heutigem Wissensstand korrekte Benennung spielt – wenig ĂŒberraschend – eine wichtige Rolle im ersten, auf die Anatomie fokussierten Abschnitt des Comics (vgl. LĂ€uger 2019, 17–21). Die Farbpalette des Covers behĂ€lt LĂ€uger bei und v. a. die in zarten Strichen gezeichneten Bilder der Vulva und Klitoris werden von wertschĂ€tzenden Worten gerahmt und seitenfĂŒllend gezeigt (Abb. 10  und LĂ€uger 2019, 19). Damit wird einem bis heute weit verbreiteten Unwissen entgegengetreten, das auch in Der Ursprung der Welt und Girlsplaining Thema ist. LĂ€uger schreibt: »In der Schule haben meine Freund*innen und ich immer nur von â€șda untenâ€č gesprochen« (LĂ€uger 2019, 15); dazu im Vergleich Gloria Steinem, geboren immerhin rund 60 Jahre vor LĂ€uger, nĂ€mlich 1934: »Ich komme aus der â€șDa-untenâ€č-Generation« (zitiert nach Sanyal, 11). Es handelt sich also um eine Unwissenheit bzw. Unsicherheit in der Benennung, die sich in mindestens zwei westlichen LĂ€ndern, Deutschland und den USA, gesellschaftlich ĂŒber Jahrzehnte hartnĂ€ckig gehalten hat.

Abb. 10: S. 17 aus Louie LÀugers »da unten«. Die Vulva bei LÀuger, wertgeschÀtzt in Farbgebung und Terminologie.

 

DenkanstĂ¶ĂŸe dazu, warum â€șScheideâ€č kein schönes Wort ist (vgl. LĂ€uger 2019, 15) und weshalb niemand es verdient hat, als entweder â€șSchlampeâ€č, â€șprĂŒdeâ€č oder ĂŒberhaupt fĂŒr die individuelle SexualitĂ€t beschimpft zu werden (vgl. LĂ€uger 2019, 99–106), nehmen allerdings genauso viel Raum ein wie die anatomischen Lektionen; sie sind der_dem Autor_in genauso wichtig. »da unten« will eine ErgĂ€nzung darstellen zum schulischen Sexualkundeunterricht mit seiner Konzentration auf Fortpflanzung, VerhĂŒtung und sexuell ĂŒbertragbare Krankheiten, der im Comic explizit als sex-negativ und angsteinflĂ¶ĂŸend kritisiert wird (vgl. LĂ€uger 2019, 56, 72) – implizit als zu einseitig, nicht ausreichend und zu weit weg von der Lebenswelt der Jugendlichen. Das Buch bearbeitet deshalb genau die Bereiche, in denen LĂ€uger großen Bedarf nach Information und/ oder RatschlĂ€gen sowie konkreten praktischen Tipps vermutet: das sind neben der Anatomie und Menstruation die Themen JungfrĂ€ulichkeit, Masturbation, Pornografie, VerhĂŒtung und safer sex, Begehren und Lust und (nicht zuletzt, in diesem Zusammenhang) consent. FĂŒr seine Zielgruppe unterscheidet das Buch immer wieder zwischen Wahrheit und Mythos, z. B. in Bezug auf sexuell ĂŒbertragbare Infektionen (vgl. LĂ€uger 2019, 58–59) oder die Frage, wie sich â€șechterâ€č im Vergleich zu medial vermitteltem Sex abspielt (vgl. LĂ€uger 2019, 77–78). Die implizite Leser_in ist eine jĂŒngere als die damalige, studentische des Frauenhandbuchs Nr. 1, politisiert ist dieses Buch auf seine Weise aber ebenfalls. Das wird an verschiedenen Stellen deutlich, z. B. dort, wo LĂ€uger die eigene kritische Einstellung zu hormoneller VerhĂŒtung durchscheinen lĂ€sst (vgl. LĂ€uger 2019, 66) oder wo der Text die 19%-Besteuerung von Tampons und anderen Menstruationsartikeln erwĂ€hnt (vgl. LĂ€uger 2019, 27), die bis zum 1. Januar 2020 galt. Einen konkreten Handlungsaufruf Ă€ußert LĂ€uger in Bezug auf Menstruationsarmut und listet Ideen, wie SchĂŒler_innen und Student_innen im Kleinen dagegen vorgehen können (vgl. LĂ€uger 2019, 32).

        
                            

Abb. 11a/b/c/d: S. 9 (Auftritt Alica); S. 46 (Alica masturbiert); S. 86 (Alica kampfeslustig); S. 102 (Alica verunsichert/verletzlich) aus Louie LÀugers »da unten«. Alica als Beispiel, Vorbild, peer.

»da unten« schöpft die formalen Möglichkeiten des Mediums Comic sicher nicht vollends aus. Ein Merkmal, das ich jedoch herausstreichen möchte und das in meinen Augen gut funktioniert, ist die Verwendung des Avatars, der die_den Leser_in durch das Buch begleitet. Auf Seite 9 mit einem Winken und den Worten »Hallo! / Ich bin Alica« eingefĂŒhrt (Abb. 11a), fungiert die ErzĂ€hlerin als VerkĂŒnderin wichtiger Erkenntnisse (vgl. LĂ€uger 2019, 13, 38, 58). Wenn Alica eine Menstruationstasse benutzt (vgl. LĂ€uger 2019, 28), sich bei der Selbstuntersuchung (vgl. LĂ€uger 2019, 22) oder beim Masturbieren zeigt (Abb. 11b), wird sie zur Beispielfigur und bietet sich als Vorbild an. Außerdem emotionalisiert LĂ€uger mithilfe des Avatars die Inhalte von »da unten« bringt ĂŒber die Figur persönliche Überzeugungen ins Buch bzw. unterstreicht diese mit ihr noch (z. B. im Falle der erwĂ€hnten Skepsis gegenĂŒber hormoneller VerhĂŒtung). So verleiht sie bestimmten Aussagen Nachdruck (vgl. LĂ€uger 2019, 34), signalisiert ganz ohne Worte durch die gewĂ€hlte Körpersprache Wut und Unzufriedenheit (vgl. LĂ€uger 2019, 101) ebenso wie feministischen Kampfgeist (Abb. 11c). Alica wird aber auch mal fragend (vgl. LĂ€uger 2019, 35), verunsichert (Abb. 11d) oder unglĂŒcklich (vgl. LĂ€uger 2019, 103) gezeigt – und damit (Klengels Katja-Figur nicht unĂ€hnlich) gezielt auf Augenhöhe mit Leser_innen. Im Epilog verabschiedet sich die Figur (vgl. LĂ€uger 2019, 109), wieder mit einem Winken, allerdings nicht ohne dazu aufzurufen, mehr ĂŒber SexualitĂ€t zu sprechen, um Erfahrungen, GefĂŒhle und Informationen auszutauschen und das »schwierige[]« Thema (LĂ€uger 2019, 109) so zu einem â€șleichterenâ€č werden zu lassen.18

Interventionen des Zeichensystems Bild in die FragwĂŒrdigkeit der Sprache bei Oliwia HĂ€lterlein und Aisha Franz

Einen Ă€hnlich motivierten Aufruf – speziell zu »Schleimhaut-Talk!« (HĂ€lterlein/Franz, 45) – finden wir fettgedruckt und mit Ausrufezeichen versehen am Ende des Zines Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht (2020), einer Kollaboration der Kulturwissenschaftlerin Oliwia HĂ€lterlein mit der Comic-KĂŒnstlerin Aisha Franz. Wenige Zeilen darĂŒber, als könnten fĂŒr Leser_innen am Ende von HĂ€lterleins eindringlichem Text noch Zweifel daran bestehen, heißt es: »Dieser Text ist eine konkrete Aufforderung zum Handeln.« Das Zine ist mehr illustriertes Heft als prototypischer Comic, weist jedoch spannende Comic-Elemente auf. Seine aufklĂ€rerische Kernbotschaft ist schon im Titel formuliert. NatĂŒrlich will HĂ€lterlein damit nicht die Existenz einer wie auch immer gearteten »kranzförmige[n] Ansammlung von Schleimhautfalten, die sich etwa 1–2 cm nach dem Vaginaleingang befindet« (HĂ€lterlein/Franz, 5), negieren, sondern stattdessen mit den jeder anatomischen Grundlage entbehrenden kulturellen Vorstellungen, wie diese Ansammlung aussieht und welcher Funktion sie dient, aufrĂ€umen. Unter dem Motto »Nieder mit der Durchstoßlegende!« (HĂ€lterlein/Franz, 5) macht sich HĂ€lterlein in einem analytischen Essay daran, den tradierten Mythos vom »JungfernhĂ€utchen« mithilfe kulturkritischer Reflexionen und wissenschaftlich fundierter Fakten zu korrigieren und seine psychologisch schĂ€dlichen bis lebensbedrohlichen Konsequenzen besonders fĂŒr Frauen und (andere) Menschen mit Vulva aufzuzeigen. Von diesem Körperteil ausgehend und damit verbunden ĂŒbt sie deutliche Sprach- und Kulturkritik und unterstreicht die Relevanz einer feministischen Suche nach »wert- und ideologiefreie[n] Begriffe[n]« (HĂ€lterlein/Franz, 13) fĂŒr den als weiblich kategorisierten Genitalbereich, auch ĂŒber das â€șHĂ€utchenâ€č hinaus, fĂŒr sexuelle Praktiken – warum z. B. heißt es gĂ€ngigerweise Penetration und nicht etwa Circlusion (nach Bini Adamczak; vgl. HĂ€lterlein/Franz, 21)? – und schließlich fĂŒr Menschen.

Der akademisch-aktivistische Essay HĂ€lterleins, in blauer Schrift auf weißem Grund gehalten, wird von autobiografisch-poetischen Vignetten in weißer Schrift auf blauem Grund durchkreuzt, in denen HĂ€lterlein aus der Ich-Perspektive schreibt. Wir bemerken: Auch in diesem Beispiel verschrĂ€nken sich wieder ein Sachgenre mit persönlicherem life writing. Die erste Vignette schildert eine Selbstuntersuchung vor dem Schlafzimmerspiegel, folgende thematisieren u. a. einen Besuch HĂ€lterleins bei ihrer GynĂ€kologin und ihr mĂŒndlich zugetragene Geschichten aus dem Bekannten- und Freund_innenkreis. Ihrerseits gerahmt und unterbrochen wie begleitet werden die beiden Textebenen von grafischer Kunst aus Franz‘ Feder, die so plakativ wie spielerisch daherkommt. Beide TextfĂ€den stehen miteinander und mit Franz‘ Bildern in einem VerhĂ€ltnis von Komplementation und Spannung, das an die HybriditĂ€t des Mediums Comic und seiner (mindestens) zwei Zeichensysteme anschließt.

Abb. 12: Franz' Comic-Anmerkungen zu HĂ€lterleins Schreiben auf dem Einband von Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht. Subversive visuelle â€șZwischenrufeâ€č.

Der Essay HĂ€lterleins enthĂ€lt neben Endnoten klassischer Art mit Quellenangaben, Literaturhinweisen, Übersetzungen und Ă€hnlichem außerdem von Franz beigesteuerte Comic-Anmerkungen (Abb. 12). Anmerkung A ist dem Satz »Die Bezeichnung â€șScheideâ€č ist außerdem problematisch (Abb. A), weil sie das Genital auf seine Funktion â€șals Schwerttasche fĂŒr das Schwertâ€č reduziert« (HĂ€lterlein/Franz, 13–14) beigefĂŒgt; Anmerkung B spielt mit einem deutschen Homophon zum englischen Begriff â€șclit nightâ€č, der in Endnote 13 des Essays auftaucht: »In ihren â€șClit Nightâ€č-Workshops (Abb. B) klĂ€rt Louisa Lorenz rund um das verborgene Lustzentrum auf«; und Anmerkung C unterstreicht die Aussage eines zentralen Satzes im Essay: »Und es gibt somit auch keinen â€șAktâ€č, der eine Person â€șentjungfertâ€č, sodass diese keine â€șJungfrauâ€č mehr ist. (Abb. C)« (HĂ€lterlein/Franz, 4).

Zusammen ironisieren sie sanft den wissenschaftlichen Duktus, dessen gekonnte Verwendung HĂ€lterleins Schreiben gleichzeitig beweist. FĂŒr eine in-group von schon zu Beginn des Heftes geneigten Leser_innen wird so Humor – eine Art von comic(s) relief – kreiert; selbstreflexiv beweist das Zine bzw. beweisen dessen Autorinnen mit Einsatz dieser visuellen Referenzen aber auch ein Bewusstsein dafĂŒr, dass es Menschen geben wird, die sie mit ihrer Arbeit nicht werden erreichen können: Wen Verweise auf eine ErklĂ€rung der Weltgesundheitsorganisation oder wissenschaftliche Studien nicht ĂŒberzeugen, die HĂ€lterlein im Text zitiert, den werden auch Franz‘ sehr viel subjektivere und meinungsstarke Comic-Endnoten nicht â€șpackenâ€č.

Wo im wahrsten Sinne die Worte fehlen, erst noch gefunden (und sich etablieren) werden mĂŒssen, steht in HĂ€lterleins Text ein eigens dafĂŒr geschaffenes Symbol bzw. eine Variante dieses Symbols. Franz hat fĂŒnf unterschiedliche entworfen, um, Ă€hnlich wie es das mit Vulven gespickte Vorsatzpapier von Girlsplaining tut, DiversitĂ€t oder Varianz mitzudenken und zu verhindern, dass die Verwendung des Symbols versehentlich die Idee einer neuen Norm vermittelt. Die Autorinnen ziehen das Platzhalter-Bildchen der Möglichkeit vor, immer wieder â€șHymenâ€č oder â€șJungfernhĂ€utchenâ€č in AnfĂŒhrungszeichen zu schreiben; zu groß ist in ihren Augen wohl die Gefahr, das tradierte Denken um die Schleimhaut unfreiwillig zu reproduzieren oder zu aktualisieren, wĂ€hrend es mit diesem Heft ja gerade dekonstruiert werden soll (vgl. HĂ€lterlein/Franz, 17). Aus comictheoretischer Perspektive ist die Verbildlichung des Textes in der Auseinandersetzung mit der eigenen Sprachlosigkeit bzw. die Verschriftlichung des Symbolbildes (Englisch: icon) an dieser Stelle spannend. Die â€șVerbildschriftlichungâ€č verdeutlicht, dass auch in diesem Zine (wie im Medium Comic) Bild und Text immer miteinander interagieren, gar ineinander ĂŒbergehen können. Damit öffnen sich neue RĂ€ume des Ausdrucks: Wo ein Zeichensystem alleine nicht reicht, machen zwei Zeichensysteme gemeinsam etwas Neues mitteilbar.

Abb. 13: S. [2–3] aus Oliwia HĂ€lterlein und Aisha Franz' Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht. Einstieg ins Thema per doppelseitigem Comic.

Die erste und letzte Doppelseite des Heftes werden jeweils komplett von einem Comic Aisha Franzens eingenommen (vgl. HĂ€lterlein/Franz, [2–3]; [46–47]). Der einleitende Comic zeigt das Innere eines Zimmers, also einen privaten RĂŒckzugsort (Abb. 13). In transparentem Orange darĂŒbergelegt ist eine schematische, mit Gesicht versehene Darstellung des Schleimhautkranzes, um den es, kulturell ĂŒberhöht als â€șJungfernhĂ€utchenâ€č, ausgesprochen wie unausgesprochen so hĂ€ufig geht.19 Er schwebt in diesem Sinne ĂŒber allem. Dieser Ort wird als von der Gesellschaft geprĂ€gt gezeigt, und zwar u. a. in Form von kulturellen Annahmen, Warnungen, Geboten wie auch teils zwielichtigen Angeboten, die sich an die junge Frau richten, die hier vermutlich lebt (siehe: »Ein Penis wird dich zur Frau machen«). Diese vielfĂ€ltigen kulturellen Botschaften sind in Sprechblasen gefasst und diversen abgebildeten GegenstĂ€nden zugeordnet, so die Warnung »Kein Sex vor der Ehe!« dem an der Wand hĂ€ngenden Kreuz oder der Glaubenssatz »Das erste Mal tut weh!« dem Bett. Das Literaturregal verspricht: »Eine Freudsche Sehnsucht wird dich erschaudern lassen,« die Wanduhr gebietet: »Du darfst deine Unschuld nicht zu frĂŒh verlieren / aber auch nicht zu spĂ€t!!« – zwei Ausrufezeichen! Mit diesem Wirrwarr an Stimmen eröffnet der Comic das auf den Folgeseiten bearbeitete Problemfeld – ein riesiges, verstricktes, historisch gewachsenes. Das erkennt und benennt HĂ€lterlein in einer der eingearbeiteten autobiografischen Reflexionen auch in ihrer Prosa:

Ich schaue mir meine kleinen Schleimhautfalten an, so als wĂŒrde ich mir zunĂ€chst einen einzelnen winzigen Ast anschauen und dabei nach und nach realisieren, dass zu diesem Ast ein uralter riesiger Baum mit vielen Zweigen, unzĂ€hligen VerĂ€stelungen und tiefen Wurzeln gehört. Dieser Baum heißt Patriarchat. Wenn ich mich mit ihm beschĂ€ftige, wird mir klar: Auch ich hĂ€nge in diesen Ästen. Auch ich bin vom Mythos betroffen und nĂ€hre ihn unbewusst. Die patriarchalen Strukturen und Wunden sind im kollektiven GedĂ€chtnis verankert, in der Bildung, in der Wissenschaft, in der Literatur. Der Mythos ist ein tief verwurzeltes strukturelles Problem. (HĂ€lterlein/Franz, 33)

Es wird der Imagination der Betrachter_innen ĂŒberlassen, sich auszumalen, was die dargestellte Kakofonie mit der Bewohnerin des im Comic dargestellten Zimmers macht.

Abb. 14: S. [46–47] aus Oliwia HĂ€lterleins und Aisha Franz Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht. Auszug der lautstark rebellierenden â€șHĂ€utchenâ€č.

Der Comic, der die letzte Doppelseite des Zines einnimmt, zeigt personifizierte SchleimhautkrĂ€nze, wie sie – kĂ€mpferisch, teils mit Ballons, Bannern oder Plakaten in der Hand – ihre privaten RĂ€ume und damit die ihnen zugewiesene Unsichtbarkeit verlassen und zum spontanen Protest in der Straße zusammenkommen. Ihr Geduldsfaden ist gerissen, sie fĂŒhlen sich von der Öffentlichkeit nicht gesehen und, schlimmer, konsequent mit Vorurteilen konfrontiert, die sie nicht lĂ€nger zu dulden bereit sind. Die Personifizierung der â€șHĂ€utchenâ€č und die Anleihen, die Franz hier bei identitĂ€tspolitischen Diskursen macht, kreieren den humoristischen Effekt des Comics. Er wiederholt zudem noch einmal die eindringliche Nachricht des Heftes insgesamt und des Aufrufs der Schlussseiten im Speziellen: »Sagt allen was Sache ist: Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht!!!!!« (HĂ€lterlein/Franz, [47]; Abb. 14).

Yori Gagarims subversiver Gesellschaftskommentar Let them talk!

Mit Yori Gagarims zweisprachigem Comic Let them talk! What genitals have to say about gender (2014) möchte ich zum Schluss kommen.20 Das Erscheinungsjahr 2014 teilt dieser Comic mit der schwedischen Originalversion von Strömquists Der Ursprung der Welt; er ist damit der Ă€lteste der Comics aus dem deutschen Kontext, die ich hier thematisiere. Auch Let them talk! rekurriert humoristisch auf IdentitĂ€tspolitiken und lĂ€sst die Objekte gesellschaftlicher Diskussion und Spekulation fantasievoll selbst zu Wort kommen; der Titel lĂ€sst an den (Ein-)Spruch »Nicht ohne uns ĂŒber uns« denken, der zum Motto der Behindertenrechtsbewegung geworden ist. Auf dem BuchrĂŒcken finden sich fingierte Zitate aus Rezensionen, die ironisch fĂŒr die Relevanz und QualitĂ€t des BĂŒchleins bĂŒrgen; so etwa das folgende aus der fiktiven Zeitschrift The Queersearcher: »So many people talk about genitals when it comes to gender, for once let us listen to some genitals and hear what they have to say about gender.«

     
          

Abb. 15a/b/c/d: S. 18–19; S. 20–21; S. 24–25; S. 34–35 aus Yori Gagarims Let them talk! Die Meinungsvielfalt der Genitalien.

Auf eine knappe Einleitung – »It’s about time somebody asked genitals what they think about gender. Here’s what they had to say« (Gagarim, 3) – folgen auf 46 Seiten ebenso viele â€șPortraitzeichnungenâ€č mit je einem kurzen Statement der mehr oder minder interviewwilligen Genitalien (Abb. 15a/b/c/d). Dass die Körperteile pars pro toto fĂŒr ganze Menschen stehen, ist nur konsequent – und macht den ambivalenten Humor des Comics aus. Mithu Sanyal beobachtet ganz ernst: »da Menschen sich so stark ĂŒber ihre Geschlechtsorgane identifizieren, dass sie sich aufgrund dieser sogar in zwei grundlegende Gruppen unterscheiden – MĂ€nner und Frauen –, sind Aussagen ĂŒber Geschlechtsorgane in der Regel als Aussagen ĂŒber das gesamte Geschlecht zu lesen« (Sanyal, 15). Gagarims Figurenensemble bricht die hier beschriebene, gesellschaftlich wirkmĂ€chtige BinaritĂ€t und vermeintliche Eindeutigkeit oder Logik von Geschlechtszuweisungen besonders auf der bildlichen Ebene natĂŒrlich sofort auf. Die_der KĂŒnstler_in spielt mit den visuellen Codes weiblicher, mĂ€nnlicher und trans Identifikation, außerdem mit queeren, jugendlichen, linken ebenso wie bĂŒrgerlichen Codes. Das Performative u. a. des doing und undoing gender – der Herstellung oder Unterlaufung von Geschlecht in Alltagsinteraktionen – wird so ausgestellt (gleichzeitig auch die Unausweichlichkeit der Kategorie Gender). In den Zitaten, die den Portraits zugeordnet sind, wird dieses Spiel seitens der Figuren bewusst wie unbewusst weitergetrieben, teils explizit abgelehnt oder verleugnet. Positionen des Antigenderismus klingen in den Aussagen der fiktiven Befragtenrunde ebenso an wie Belesenheit in z. B. queer theory, eine grundlegende Offenheit der_dem imaginierten Interviewer_in und dem Thema gegenĂŒber ebenso wie Ablehnung, Desinteresse oder Ahnungslosigkeit; kurz: die versammelten Stimmen in dem von Gagarim augenzwinkernd als »graphic survey« (Titelblatt) bezeichneten Comic spiegeln die ganze Bandbreite dessen, was gesellschaftlich an Reaktionen, Assoziierungen, Auffassungen und (Un- oder Halb-)Wissen zum Vorschein tritt, wenn sex und gender zusammen kommen.

AufzuklĂ€ren, so macht mein finales Beispiel wie ich hoffe deutlich, bedeutet im zwischen Ernsthaftigkeit und Lachen changierenden feministischen Comic der Gegenwart auch: vermeintlich klare Sachverhalte denaturalisieren und damit veruneindeutigen, Fragen aufwerfen, die Dinge komplexer werden lassen als im Alltag und im Großteil des Mainstreams gemeinhin ĂŒblich.21 Vielleicht ist der Reflexionsraum Comic gerade dafĂŒr ein besonders geeigneter Ort.

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Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1a/b: Schreurs, Ronja: Heroines. MĂŒnster: Edition Assemblage, 2015. Cover; BuchrĂŒcken.
  • Abb. 2: Strömquist, Liv: Der Ursprung der Welt. Übersetzt von Katharina Erben. Berlin: Avant, 2017 [2014], S. 74.
  • Abb. 3: Strömquist, Liv: Der Ursprung der Welt. Übersetzt von Katharina Erben. Berlin: Avant, 2017 [2014]. Cover.
  • Abb. 4a: Klengel, Katja: Girlsplaining. Berlin: Reprodukt, 2018. Cover. / Abb. 4b: FrĂŒhbeis, Lisa: Busengewunder. Meine feministischen Kolumnen. Hamburg: Carlsen, 2020. Cover.
  • Abb. 5: Klengel, Katja: Girlsplaining. Berlin: Reprodukt, 2018, S. 23.
  • Abb. 6: Klengel, Katja: Girlsplaining. Berlin: Reprodukt, 2018, S. 27.
  • Abb. 7: Klengel, Katja: Girlsplaining. Berlin: Reprodukt, 2018, S. 35.
  • Abb. 8: Klengel, Katja: Girlsplaining. Berlin: Reprodukt, 2018, S. 42.
  • Abb. 9: LĂ€uger, Louie: »da unten«. Über Vulven und SexualitĂ€t. Ein AufklĂ€rungscomic. MĂŒnster: Unrast, 2019. Cover.
  • Abb. 10: LĂ€uger, Louie: »da unten«. Über Vulven und SexualitĂ€t. Ein AufklĂ€rungscomic. MĂŒnster: Unrast, 2019, S. 17.
  • Abb. 11a/b/c/d: LĂ€uger, Louie: »da unten«. Über Vulven und SexualitĂ€t. Ein AufklĂ€rungscomic. MĂŒnster: Unrast, 2019, S. 9; 46; 86; 102.
  • Abb. 12: HĂ€lterlein, Oliwia (W) und Aisha Franz (P): Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht. Ein breitbeiniges Heft. Augsburg: Maro, 2020. Einband.
  • Abb. 13: HĂ€lterlein, Oliwia (W) und Aisha Franz (P): Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht. Ein breitbeiniges Heft. Augsburg: Maro, 2020, S. [2–3].
  • Abb. 14: HĂ€lterlein, Oliwia (W) und Aisha Franz (P): Das JungfernhĂ€utchen gibt es nicht. Ein breitbeiniges Heft. Augsburg: Maro, 2020, S. [46–47].
  • Abb. 15a/b/c/d: Gagarim, Yori: Let them talk! What genitals have to say about gender. A graphic survey. MĂŒnster: Edition Assemblage, 2014, S. 18–19; 20–21; 24–25; 34–35.

 

  • 1]   Der Originaltitel lautet Kvinner i kamp – 150 Ă„rs kamp for frihet, likhet, sĂžsterskap! Die deutsche Übersetzung erschien zuerst im Elisabeth Sandmann Verlag. Sie wurde außerdem von der bpb aufgegriffen, die Steuermittel einsetzt, um gĂŒnstige Lizenzausgaben ausgewĂ€hlter BĂŒcher bereitzustellen und so den Kreis der Leser_innen besonders wertvoller Publikationen zu vergrĂ¶ĂŸern.
  • 2]   Auch bei Let them talk! handelt es sich um eine Originalveröffentlichung in einem deutschen Verlag. Das Buch ist zweisprachig gehalten (Deutsch und Englisch).
  • 3]    Diese Einsichten sind auf den deutschsprachigen Raum ĂŒbertragbar. Die AufsĂ€tze von Engelmann, Kopf und Reitsamer/Zobl (367–369) berĂŒhren einige der Punkte, die Streeten diskutiert, und treten der schwierigen Archivsituation mit ersten kursorischen Überblicken zum feministischen, lesbischen und queer-feministischen Comic auf dem deutschsprachigen Markt entgegen.
  • 4]   Ich verweise an dieser Stelle beispielhaft auf die BeitrĂ€ge von Daniel Stein und Kalina KupczyƄska in dieser Ausgabe von CLOSURE.
  • 5]   Und auch dieser ist natĂŒrlich nicht aus einem Guss: Ramzi Fawaz‘ Studie The New Mutants: Superheroes and the Radical Imagination of American Comics (2016) zeigt auf, »that the mainstream superhero comic books of the 1960s, 1970s, and 1980s that portrayed mutated and destabilized bodies, such as The Fantastic Four and The X-Men are actually resources for the political imaginary of feminism,« wie Hillary Chute (2018, 160) es in einer Rezension formuliert.
  • 6]   Der Postfeminismus des medialen und kulturellen Mainstreams der 1990er und frĂŒhen 2000er Jahre wird von Rosalind Gill gut erklĂ€rt. Zu aktuellen sexistischen und antifeministischen Tendenzen in der Gesellschaft vgl. z. B. Schmincke.
  • 7]   Das tun sie m. E. konsequenter als um 1968 erschienene »SexualaufklĂ€rungsbĂŒcher in Form von Bildergeschichten« (Kesper-Biermann, 33), deren Ziel v. a. der Angriff auf bĂŒrgerliche Moralvorstellungen und damit die bewusste Provokation der Elterngeneration war. Kesper-Biermann geht auf den damals in der linken Szene beliebten Comic Anne und Hans kriegen ihre Chance nĂ€her ein (vgl. Kesper-Biermann, 32–33), der 1970 aus dem NiederlĂ€ndischen ĂŒbersetzt erstmals auf Deutsch erschien.
  • 8]   Neben den unten diskutierten Comics seien z. B. auch Zamolo und LĂ€uger 2020 genannt.
  • 9]   2014 auf Schwedisch als Kunskapens frukt [Die Frucht des Wissens] erstveröffentlicht.
  • 10] Vorbereitet wird dieses Panel im Kapitel ĂŒber den Wunsch vieler Frauen, sich die Vulvalippen verkleinern zu lassen (vgl. Strömquist, 31–42). Hier findet sich das gleiche Foto, allerdings korrekt bzw. zeitgemĂ€ĂŸ beschriftet, ein erstes Mal (vgl. Strömquist, 34).
  • 11] Siehe auch den Brief der Autorin an ihr fĂŒnfzehnjĂ€hriges Selbst (vgl. Klengel, [156]), welcher den Comic-Episoden als Anhang beigefĂŒgt ist. Er verdichtet die Motivation fĂŒr Girlsplaining auf einer Seite.
  • 12] Ähnlich Ă€ußert sich die_der Zeichner_in der Trouble X-Comics, außerdem u. a. als Yori Gagarim (siehe unten) kĂŒnstlerisch tĂ€tig: Oft hitzig diskutierte »linke Politiken, Trans- und Queer-Thematiken und feministische Sachen« werden von ihr_ihm in Comicform beleuchtet, um »Argumentationen aufzugreifen und fĂŒr mich etwas herauszufinden« (zitiert nach Reitsamer/Zobl, 370).
  • 13] Ein solcher Gestus ist laut dem australischen Macquarie Dictionary (zitiert nach Manns) teil der Definition des Verbs â€șto mansplainâ€č: »verb (t) Colloquial (humorous) (of a man) to explain (something) to a woman, in a way that is patronising because it assumes that a woman will be ignorant of the subject matter.«
  • 14] Solche Konsequenzen bestehen eben gerade fĂŒr MĂ€dchen, aber natĂŒrlich nicht nur fĂŒr sie.
  • 15] Auch das erkennt und thematisiert die Comic-KĂŒnstlerin (vgl. Klengel, 96, 118).
  • 16] Im Interview mit Radio Corax erklĂ€rt LĂ€uger, dass x beim Verfassen 13- bis 14-jĂ€hrige Adressat_innen vor Augen hatte. X ist das bevorzugte Pronomen LĂ€ugers (vgl. LĂ€uger 2020, 187).
  • 17] Auf Seite 43 definiert LĂ€uger (2019) Sex-PositivitĂ€t als »[e]ine Einstellung gegenĂŒber SexualitĂ€t, in der keine moralischen und ethischen Unterschiede zwischen sexuellen Orientierungen und Vorlieben gemacht werden.«
  • 18] In den angehangenen Empfehlungen weiterfĂŒhrender Literatur und Youtube-Tipps werden sowohl Antje Schrupp und Patus Kleine Geschichte des Feminismus (2018) als auch Strömquists Der Ursprung der Welt als EinflĂŒsse auf LĂ€ugers Arbeit an »da unten« genannt.
  • 19] Als Teil der als weiblich kategorisierten Geschlechtsorgane ist er Teil dessen, wofĂŒr sich laut Strömquist historisch zu viele »MĂ€nner« »zu sehr [] interessier[t]« haben (Strömquist, 7).
  • 20] Sharon Dodua Otoo hat den englischen Text mit ĂŒbersetzt und lektoriert. Gagarim ist auch Schöpfer_in der Trouble X-Zines (hier herunterladbar: http://troublex.blogsport.de/download/), in denen die Limitiertheit gĂ€ngiger Geschlechtervorstellungen in der Gesellschaft insgesamt wie in der Kultur bzw. den Subkulturen aus der Perspektive einer nichtbinĂ€ren Figur hinterfragt wird. Die Comics rufen zur Selbstreflexion auf, die Trouble X auch selbst kontinuierlich betreibt. Dahinter steht die Erkenntnis, dass auch die queere Szene vor Denken in Schubladen (und z. B. auch Rassismus) nicht gefeit ist. Gleichzeitig dokumentieren die Zines die TrĂ€ume, alternativen RĂ€ume und Entwicklungen der autonomen queerfeministischen Szene Berlins (rĂ€umlich wie diskursiv-inhaltlich) ĂŒber den Zeitraum von fast einem Jahrzehnt (2007–2016). Mehr zu Trouble X bei Reitsamer/Zobl, 369–373. Von Reitsamer/Zobl ĂŒbernehme ich Schreibweisen wie â€șdie_der KĂŒnstler_inâ€č und das Pronomen â€șsie_erâ€č.
  • 21] AusfĂŒhrlicher zur Verhandlung bzw. Veruneindeutigung von Geschlecht im Comic empfehle ich beispielhaft Reitsamer/Zobl und KupczyƄska. Der Begriff bzw. das Konzept der »VerUneindeutigung«, auf den auch Reitsamer/Zobl rekurrieren, stammt von Antke Engel.