Im Zwiegespräch mit dem Tod

FRIDA. Ein Leben zwischen Kunst und Liebe rezensiert von Guadalupe Böhnke Quintana

Ein Leben zwischen Kunst und Liebe, so lautet der Untertitel zur Frida Kahlo-Biografie, die von Vanna Vinci als Comic realisiert wurde. Dass der Ursprung Kahlos schöpferischer Produktivität, die im Fokus  steht, jedoch auch eng mit Schmerz und Leid verknüpft ist und die angesprochene Liebe exzessive, selbstzerstörerische Facetten entfaltet, wird beim Lesen schnell deutlich. Die Mexikanerin verarbeitete einschneidende autobiografische Stationen in ihrem Oeuvre und stellte sie der Öffentlichkeit schonungslos zur Schau. Dass dem Tod in ihrem Leben eine tragende Rolle zukam, wird auch in diesem Comic visualisiert.

Das Interesse an privaten und intimen Details aus der persönlichen Lebensgeschichte der mexikanischen Kunstikone (1907-1954) war schon zu ihren Lebzeiten groß. Mehrere Bücher und Filme widmen sich der Frau hinter der Kunst, die eine einzigartige Bildsprache innehat. Vinci beleuchtet die Hintergründe und den Entstehungskontext einzelner Kunstwerke Kahlos in einer Art Zeitreise, die auch den Kontakt zu wichtigen Personen der Öffentlichkeit hervorhebt. Durch das Medium des Comics gelingt es Vinci, Kahlos Leben durch eine Bildsprache zum Leben zu erwecken, die dem Oeuvre der mexikanischen Malerin entlehnt ist. Den Anfang macht dabei die verbale Aufforderung des Todes an Frida, von ihrer Kindheit zu erzählen. An der Stelle, an der sie von ihrem Verkehrsunfall berichtet, tritt der Tod in Gestalt eines Skeletts als Figur mit weiblichen Attributen im schwarzen Gewand und Blumenschmuck auf und weicht ihr von da an nicht mehr von der Seite.


 

Adaptionen von Kahlos Gemälden unterstützen dabei das Verständnis des Entstehungskontextes und des Inhalts ausgewählter Kunstwerke, die in dem Comic in einen zeitlichen und Sinn-stiftenden Gesamtzusammenhang gestellt werden. Dabei wirken viele Motive vertraut, auch wenn Vinci sie mitunter aus dem ursprünglichen Kontext entreißt und zu etwas Neuem zusammenwürfelt. Das Originalportrait Luther Burbanks aus dem Jahr 1931 zum Beispiel, das den Züchter neuer Pflanzensorten als Hybriden – halb Mann, halb Baum – zeigt, spielt auf die Dualität zwischen Leben und Tod an. Deutlich wird vor allem, dass der Portraitierte in den Neukreationen von Pflanzensorten, weiterleben zu scheint: Seine Immortalität wird durch die Darstellung auf dem Gemälde noch gesteigert. In Kahlos Original nährt sich der Menschen-Hybrid von den Überresten des 1926 verstorbenen Burbanks, der tatsächlich unter einem Baum auf seinem Grundstück begraben wurde. Vinci reduziert das Bildmotiv auf die Person des Botanikers und ersetzt den unter der Erde liegenden Leichnam durch das Haupt der Künstlerin, wodurch ihr künstlerischer Schöpfungsakt in den Fokus gestellt wird. Die tiefgreifende Symbolik der Mexikanerin wird teilweise gestreift, aufgrund der biografischen Ausrichtung werden die einzelnen Motive und Symbole nicht in aller Ausführlichkeit hergeleitet.

  

Leider erschweren Übersetzungsfehler der Werktitel von Kahlos Gemälden interessierten Leser_innen die Suche nach den referentiellen Werken, was wohl der Übersetzung des Originals aus dem Italienischen ins Deutsche geschuldet ist. Beispielsweise trägt die im Comic mit Das kleine Reh bezeichnete Arbeit im Original den Titel Der verletzte Hirsch (1946). Dabei handelt es sich um eins der unzähligen Selbstportraits der Künstlerin, auf welchem sie sich als Chimäre darstellt, halb Hirsch, halb Mensch. Die Jagdpfeile, die den Körper durchbohren, symbolisieren zum einen die unbändige Überlebenskraft und können als Vorbote auf das bevorstehende Lebensende verstanden werden. Die Künstlerin befand sich zum Entstehungszeitpunkt in einer sehr schlechten körperlichen Verfassung, da sie an den Spätfolgen eines Verkehrsunfalls und misslungener Operationen litt, aber nichtsdestotrotz die Kraft aufbrachte, zu malen.

Das Medium des Comics veranschaulicht die Dramatik in der Geschichte der ikonischen mexikanischen Künstlerin, die so häufig mit der Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert war und in ihren Werken ihre Biografie verarbeitete. Dass todesnahe Erfahrungen ein ständiger Begleiter in Fridas Leben waren, wird von Vinci genial umgesetzt, indem sie ihr den personifizierten Tod im gesamten Werk in dialogischer Form zur Seite stellt. Der Verfasserin gelingt die Verflechtung der Bildmotive mit den äußeren Umständen und Verweisen auf die Symbolik. Der Inhalt ist so gestaltet, dass viele Hintergrundinformationen zur Person der Künstlerin geboten werden und das autobiografische Oeuvre mit ihrem Werdegang in einen Kontext gesetzt wird. Zum Beispiel zeigt FRIDA, dass die Spätfolgen des Unfalls Kahlo dazu bewogen, einer Vernissage ihrer Werke liegend im Bett beizuwohnen und so selbst Teil der Ausstellung zu werden. Auch der konzeptionelle Aufbau ihrer Lehrtätigkeit an einer Kunstschule, der alles andere als akademisch war, wird lebendig wiedergeben. Welche Quellen als Grundlage der autobiografischen Inhalte herangezogen wurden, lässt sich nicht sagen, jedoch finden sich viele der geschilderten Begebenheiten in einem Interview, das die Psychologin Olga Campos 1950 mit Frida Kahlo führte, in welchem Kahlo Details über ihren familiären Hintergrund, ihre Kindheit, ihr Verhältnis zu ihrem Körper, ihre Sexualität und künstlerischen Produktivität preisgab.

Auch das lateinamerikanische Konzept lo real maravilloso, das davon ausgeht, dass das ›wunderbar Wirkliche,‹ zum Lebensalltag dazugehört, spiegelt sich in der Umsetzung des Comics wider und wird als Überlebenselixier herausgestellt. Das Wunderbare gehört demnach zum alltäglichen lateinamerikanischen Leben, so dass die Grenze zwischen Realität und Magie verschwimmt. Vinci setzt mystische Erfahrungen Kahlos, beispielsweise eine Reise zum Mittelpunkt der Erde durch ein selbstgezeichnetes Portal auf der zuvor angehauchten Fensterscheibe, sequenziell um, ohne dabei Zweifel an der Echtheit dieser Begebenheit aufkommen zu lassen. Eingeleitet wird dieses wundersame Ereignis durch eine Zeit der Isolation Kahlos, die sich durch ihre Erkrankung an Polio erklären lässt. Das doppelte Auftreten der Künstlerin, die Zeitreisende, die an der Seite des Todes ihrer Vergangenheit ins Gesicht blickt und in dieser Retrospektive auf ihr jüngeres Ich trifft, verdeutlicht die Zerrissenheit der Künstlerpersönlichkeit. Die Einbettung der Briefkorrespondenz Kahlos, die hier nicht originalgetreu wiedergegeben wird, sondern der Form des Comics angepasst wurde, gewähren den Leser_innen vermeintlich intime Einblicke und sind ein authentizitätsstiftendes Element, wodurch die Lektüre abwechslungsreich gestaltet ist. Ebenso geben der Öffentlichkeit bekannte Familienfotografien, die hier zeichnerisch umgesetzt wurden, dem Comic einen dokumentarischen Charakter. Anhand der vielen kleinen Details, wie etwa das Blumenmuster auf dem grünen Cover, wird die tiefergehende Studie Vincis deutlich, handelt es sich hier doch um eine Anspielung auf das Cover der mexikanischen Ausgabe der Vogue, die 2012 der Künstlerin und Stilikone eine Hommage widmete.

Der Comic richtet sich nicht nur an Frida-Kenner_innen, sondern dient auch als Einstieg in die Welt der Ausnahmekünstlerin. Vinci vermag es durch die vielschichtigen Elemente und Hinweise Bezüge zu bekannten und weniger bekannten Werken Kahlos herzustellen und eröffnet den Leser_innen, die tiefer in die Materie einsteigen möchten, die Möglichkeit, sich auf Spurensuche nach den Bildmotiven und Originalwerken zu begeben und so eigene Zusammenhänge zu erschließen. Einen Mehrwert erzeugt der Comic so vor allem dadurch, dass die Leser_innen selbst bestimmen können, inwieweit sie noch weitergehende Recherchen anstellen möchten, um die Bildmotive der Illustratorin im Oeuvre der Mexikanerin wieder zu entdecken. Vor allem an Kunst interessierten Leser_innen werden die zahlreichen extratextuellen Bezüge Freude bereiten. Auch die Einbettung von Personen des öffentlichen Lebens, aus der Politik und Kunst, wie zum Beispiel Trotzki, Georgia O´Keeffe, Duchamp, Picasso und Kahlos Mann, der Künstler Diego Rivera, dienen als Erklärung, wie das persönliche Schicksal eine Ausnahmekünstlerin geschaffen hat und sie selbst zu einem Kunstwerk werden ließ.

 

FRIDA
Ein Leben zwischen Kunst und Liebe
Vanna Vinci (A/Z)
München: Prestel, 2017
158 S., 22,00 Euro
ISBN 978-37913-8387-3