Jimmy, Knatterton und Digedag – ja, klar! Aber sonst?

Comic-Pioniere. Die deutschen Comic-Künstler der 1950er Jahre rezensiert von Antje Warthorst

Jeder kennt diese klassischen Comic-Figuren oder hat zumindest schon einmal ihre Namen gehört, doch nur wenige kennen die Zeichner, deren Werk und ihre Lebensgeschichten. Mit der 2016 vorgelegten Publikation von Reginald Rosenfeldt bekommen nun einige Helden der Jugend eine historisch greifbare Kontur, weil sie in ein Gesamtwerk eingebettet werden. Leben und Werk von neun deutschen Comic-Künstler[n] der 1950er Jahre – so der Untertitel – wurden erarbeitet und dank Künstlerbiografien mit Anmerkungsapparat und Werkverzeichnissen wird eine tiefergehende Beschäftigung mit Inhalten und Zeichnerstilen möglich.

Nicht jeder, der sich für Comics interessiert, ist ein Comic-Nerd, der – laut Rosenfeldt nur ausnahmsweise auch die – als Kind schon unter der Bettdecke verbotene Comicheftchen verschlungen hat oder im Erwachsenalter intensiv auf Flohmärkten, in Hinterzimmern von Antiquariaten oder auf Fachmessen nach seltenen Erstausgaben beziehungsweise nach in der eigenen Sammlung noch fehlenden Spezialnummern gesucht oder diese eifrig getauscht hat. Diesen Spezialisten_innen wird Rosenfeldt im biografischen Teil über »die deutschen Comic-Zeichner und -Autoren der 1950er Jahre« vermutlich wenig Neues berichten, sie werden sich eher auf den zweiten Teil mit den »Werkverzeichnissen« stürzen, wo in sorgsam getrennten Listen deren »Comics«, »Romanhefte«, »Leihbücher«, »Bücher«, »Buchillustrationen«, »Filmplakate«, »Zeichentrickfilme«, »wissenschaftliche Publikationen«, »sonstige Werke« und »verlorengegangenes Material« chronologisch aufbereitet wurden. Für alle anderen Leser_innen bergen die allein schon aufgrund ihrer Herkunft und beruflichen Ausbildung sehr unterschiedlichen Lebensläufe der behandelten Zeichner – Klaus Dill, Johannes Eduard Hegenbarth, Wilhelm Hermann Heinz, Walter Kellermann, Willi Kohlhoff, Roland Kohlsaat, Helmut Nickel, Manfred Schmidt und Hansrudi Wäscher – viele neue Informationen.

Da es nicht nur die vermeintlich geringe künstlerische oder fehlende literarische Qualität ist, die der Anerkennung dieser Kunstform so sehr im Wege steht, sondern – wie ich bei meinen Forschungen zur Gebrauchsgrafik immer wieder feststellen musste – vor allem die Masse und Unübersichtlichkeit der Quellen sowie ihre selten in Bibliotheken vorrätigen Bestände, ist für den an historischen Comics interessierten Leserkreis auch und gerade der zweite Teil mit den Werkverzeichnissen von Nutzen. Mittels dieser Grundlage kann sich nun jeder, der tiefer in die Materie einsteigen will, selbst ein Bild machen und ist nicht mehr auf zufällige Informationen oder solche nur ›vom Hörensagen‹ angewiesen.

Rosenfeldts Einteilung der Werkverzeichnisse geht konform mit den vielfältigen Berufsfeldern der ersten Comiczeichner in Deutschland während der Weimarer Republik. In dieser Entstehungszeit reichten die Tätigkeitsfelder der Gebrauchsgrafiker von der ganz seriösen Buchillustration, über die tagesaktuelle Pressezeichnung, die gesellschaftliche und politischen Karikatur bis hin zur sich neu etablierenden Reklamegrafik, in deren Umfeld auch eine Reihe der ersten Comic-Heftchen entstanden. Diese historischen Anfänge ausklammernd beginnt Rosenfeldts Einführung mit der »deutschen Comic-Ära nach 1945« und bereits im ersten Satz wird seine gesamtdeutsche Intention deutlich, wenn er schreibt: »Die Geschichte des deutschen Nachkriegs-Comics ist untrennbar mit den Geburtswehen zweier deutscher Staaten verbunden.« Insgesamt ist der Text flüssig geschrieben und angenehm zu lesen; wenige eingestreute Schwarz-Weiß-Fotos alter Zeitschriftenkioske transportieren etwas von der historischen Atmosphäre und sind ebenso passend platziert, wie die großen Farbseiten zu Beginn jeder Biografie, die ein jeweils vom Autor als besonders repräsentativ eingestuftes Bildbeispiel zeigen.

In Anbetracht weiterer ambitionierter Publikationen wie etwa die seit 2005 jährlich von Eckart Sackmann herausgegebenen Bände der Deutsche[n] Comicforschung oder das seit 2009 von der Stiftung Illustration herausgegebene und stets aktualisierte Lexikon der Illustratoren im deutschsprachigen Raum seit 1945 stellt Rosenfeldts Zusammentrag eine gute Ergänzung und partielle Komplettierung des derzeitigen Wissenstands dar. Vergleicht man etwa die bibliografischen Angaben die zu Hegenbarth, Nickel und Schmidt bereits vorliegen, dann divergieren allerdings Jahreszahlen und Listeneinträge zu denen von Rosenfeldt zuweilen erheblich. Im Zweifelsfall dürfte ein konkreter Objektvergleich aber rasch zur korrekten Antwort führen.

Im Anmerkungsteil fällt auf, dass zwar des Öfteren auf die Bedeutung von Erich Kästner für die Comic-Autoren hingewiesen wurde, aber der Einfluss dessen populären Zeichners Walter Trier auf die Comic-Szene nicht mit einer Silbe Erwähnung fand. Das ist insofern sehr bedauerlich, als Walter Trier maßgeblich an der Entstehung und Entwicklung des Heiteren Fridolin beteiligt war, Deutschlands erster Kinderzeitschrift mit Comic-Strip. Und so hilfreich viele der fleißig zusammengetragenen Anmerkungen sind, so fehlerhaft sind einige im Detail – etwa wenn es um die für die Geschichte der Pressegrafik höchst bemerkenswerte Sammlung des Verlegers Franz von Lipperheide geht, die laut Rosenfeldt in »das 1899 gegründete KM« – das von ihm so abgekürzte »Kunstgewerbe Museum Berlin« – integrierte wurde, das »eine der bedeutendsten Sammlungen des europäischen Kunsthandwerkes vom Mittelalter bis zur Gegenwart [besitzt].« Tatsächlich ist die Sammlung Lipperheide seit vielen Jahrzehnten Teil der Berliner Kunstbibliothek (Staatliche Museen Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz), die am Kulturforum direkt gegenüber dem Kunstgewerbemuseum (SMB-SPK) lokalisiert ist. Wer sich an derartiger Richtigstellung stört, weil er sie für kleinkariert hält, der verkennt, dass sich allein an Namensgebung und -kürzeln ganze Entwicklungen ablesen lassen – ja sogar aktuelle Kulturpolitik manifest wird, denn diese historisch gewachsenen Zusammenhänge stehen seit einigen Jahren innerhalb der Berliner Museumslandschaft wohl wieder mal ›zur Disposition‹ – aber das auszuführen würde hier definitiv zu weit führen.

Bei der genauen Untersuchung des Anmerkungsapparates fiel schließlich noch ein anderes Detail ins Auge: An mehreren Stellen verweist Rosenfeldt im Umfeld des Zeichnerkollektivs Roxy Royal auf eine Schriftkünstlerin namens Uli, »die mit ihrem Namenskürzel ›Zorr‹ noch jahrelang die Comicforschung hinsichtlich der Urheberschaft der Zeichnungen verwirren sollte« (140), wohl auch, weil ihr Familienname nicht überliefert sei. Durch einen glücklichen Umstand wurde es mir ganz aktuell möglich, diese Forschungslücke zu schließen – ein kurzer Bericht folgt in Bälde.

Wenn es an diesem Buch wirklich etwas auszusetzen gibt, dann nur, dass man sich – über das ansprechend formulierte Vorwort hinaus – mehr Informationen über den Autor und seine Arbeitsweise gewünscht hätte. So kann der ›normale Leser‹ kaum abschätzen, wie genau, systematisch, zuverlässig und abschließend er die neun Werkverzeichnisse zusammengetragen hat. Das ist schade, weil so die notwendige und fällige Würdigung dieser Sisyphusarbeit des Comic-Zeichners, Autors und Mitarbeiters bei Die Sprechblase sowie beim Lexikon des Comics ausbleiben könnte.

Außerdem hätte man sich bei der Lektüre angesichts des wichtigen Inhalts deutlich mehr ›Luft‹ gewünscht. Die Seiten sind dicht bedruckt, der Text ist typografisch ansprechend, aber recht eng gesetzt. Daher wäre ein etwas größeres Buchformat nicht nur optisch hilfreich gewesen, sondern hätte den gedrängten Inhalt deutlich bekömmlicher gemacht. Als das größte Manko aber dürfte sich bald die Klebebindung herausstellen. So wird aus einem nützlichen Nachschlagewerk schnell eine Loseblattsammlung. Allerdings ist dem engagierten und ambitionierten Verlag hieraus nicht wirklich ein Vorwurf zu machen. Es ist ja nicht allein diesem Buch die stete Gratwanderung anzusehen, die zwischen Wollen und Können aller Beteiligten liegt – der Markt bzw. dessen wirtschaftliches Handeln lassen oft kaum eine andere Wahl. Man würde sich eben wünschen, dass Bücher mit derart qualitätvollem Inhalt nachhaltiger und noch prächtiger ausfielen oder schlichter ausgedrückt: imposanter daherkämen. Dass der Verlag dazu problemlos in der Lage ist, das belegt der ebenfalls 2016 bei Ch. A. Bachmann herausgekommenen Tagungsband Visuelle Satire mit Fadenheftung, Hardcover und Schutzumschlag. Letztlich ist es im Buchgewerbe wie am Regal mit den Pralinen: Die Verpackung macht den Unterschied. Und wir Comic-Enthusiasten wollen doch alle, dass der Gegenstand unserer Leidenschaft endlich ernst genommen und wertgeschätzt wird. Auf diesem Weg haben Autor und Verleger dieses Kompendiums einen hilfreichen Beitrag geleistet.

 

Comic-Pioniere
Die deutschen Comic-Künstler der 1950er Jahre
Reginald Rosenfeldt
Berlin: Ch. A. Bachmann Verlag, 2016
294 S., 25,00 Euro
ISBN 978-3-941030-63-3