Musik ohne Klang

Macht der Musik. Musik in Karikatur, Bildergeschichte und Comic 1830-1930 rezensiert von Sebastian R. Richter

Der stummen Musik widmet Christian A. Bachmann eine umfassende und mit einer Fülle von Beispielen ergänzten Analyse mit Schwerpunkt auf die Anfangsphase der Comics. Dabei kommt der theoretische Überbau, der das Material eingrenzt, etwas zu kurz.

Die Darstellung von Musik im Bild findet ihre Herausforderung vor allem darin, dass es zwar eine (symbolische) Verbildlichung im Sinne der Notenschrift gibt, ihr Klang aber immer verloren gehen muss. Jedoch kann auch ohne Klang musikalische Bewegung in Bildfolgen dargestellt werden. Insofern ist es faszinierend, dass sich Christian A. Bachmann in seinem Buch Die Macht der Musik: Musik in Karikatur, Bildergeschichte und Comic – 1830-1930 mit der Musik in einem Medium beschäftigt, das sich um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert von der Karikatur, als eher starrer Form des Bildes, zum Comic als Bildbewegung entwickelt.

Bachmann schränkt bereits in der Einleitung ein, dass es beim bildlichen Aufgreifen des Themas Musik mehr um ihre Verspottung, als um ihre Würdigung ginge, wobei er lediglich eine Auswahl aus dem vielfältigen Material des 100-jährigen Zeitraums für seine Publikation treffen konnte. Dabei wird deutlich, wie stark Musik im Alltag verankert war, bevor auditive Massenmedien entstanden. Laut Bachmann würde Musik dadurch zur Machtinstanz und beeinflusse ihre Umgebung, rufe Reaktionen hervor oder lade zur Auseinandersetzung ein. Die primären Sinne des Musikhörens und des Musizierens über Mund, Ohren oder als vergegenständlichte Laute verkörperlichen bzw. verdinglichen den abstrakten Begriff der Musik. Ihre raum-zeitliche Bewegung kann innerhalb eines Bild- bzw. Panelraumes oder sequenziell dargestellt werden. Das Bild hat mehr Freiheiten im Zeigen von Musik, weil es auf die spezifische Semantik von Notensystemen verzichten kann. Außerdem muss Musik im Bild nicht konkret und verständlich sein, sie kann lediglich als Zeichen oder Zeichenfragmente, wie Lautmalereien oder Klanggrafiken angedeutet werden.

Gerade die frühen Werke des 19. Jahrhunderts betonen die Balance zwischen Hoch- und Popkultur. Bachmann verdeutlicht das exemplarisch am musikalisch geprägten Mythos des Orpheus, in dem die Macht der Musik selbst den Tod überwinden kann. Andere Machtformen sind eher sozialer Natur, zum Beispiel, wenn Musik stört (egal ob von Mensch, Tier oder Maschine verursacht). So steht Katzenmusik als unerträglichste Form der Musik stellvertretend für jede Art von musikalischer Störung, wobei in diesem Zusammenhang wohl eher von Lärm zu sprechen wäre, als von künstlerisch artikuliertem Klang.

Allerdings wird auch das Kunstfertige karikiert und verspottet: So sei beispielsweise Richard Wagner ein Liebling der Satiriker gewesen, der neben Hausmusiker_innen, Blaskapellen und anderen Urheber_innen von Lärm gezeichnet wird. Hier wird das Virtuose zur Katzenmusik und das selbsternannt Erhabene vom Thron verstoßen. Andere Virtuos_innen machen keinen Lärm, sondern tatsächlich Musik, werden allerdings gnadenlos überzeichnet. Komponist_innen und Interpret_innen des 19. Jahrhunderts wie Liszt und Paganini, über deren extrovertierte Spielweise sich gerne lustig gemacht wurde, vertreten dabei die Musiker_innen als Prototyp virtuoser vor allem männlicher Künstler. Auch die feminine Form der Virtuosinnen wird vorgestellt, wenn auch häufig in den meisten Comics frauenfeindlich als Urheberinnen katzenjammerartigen Lärms. Ein ganz anderes Element stellt hierbei das vierhändige Spiel zweier andersgeschlechtlicher Klavierspieler_innen als Symbol eines mehr oder weniger gelingenden tête-à-tête dar. Zuletzt können auch Kindermusiker_innen nicht nur die Hoffnung des neuen Genies der Zukunft erwecken, sondern allenfalls mit ihrem Lärm stören.

Bachmann selbst schöpft den Begriff der Phaseonomie, der die bildliche Darstellung musikalischer Bewegung ohne Töne in Bewegungsphasen meint. Die Bildsequenz wird dabei in Abschnitte eingeteilt, die jeweils musikalisch formalen Einteilungen entsprechen: Tempoänderungen, Lautstärke, Dynamikänderungen oder vergleichbares. Auch Zustände von Körperlichkeit können phaseonomisch widergegeben werden, die eigentlich gar nichts mit Musiksprache zu tun haben: schwitzende Dirigenten, zerschundene Haare oder zerstörte Instrumente. Leider werden dabei theoretisch interessante Verweise nur unbefriedigend erläutert: »Phonographie meint hier den Versuch, Klänge (auf humoristische Weise) in Bildern festzuhalten. Gerade die phaseonomische Bildergeschichte eignet sich hierzu; insbesondere Schließmanns Geigenvirtuose erscheint als regelrechter Oszillograph. Dass die in Bildergeschichten entwickelten Techniken in die Comicsemiotik eingehen, erweist, dass sie sich zur Darstellung bestimmter Klangphänomene bewährt haben.« (228) An solcher Stelle wäre ein näherer, über die Beispiele hinausgehender Zusammenhang angebracht gewesen.

Deutlich betont Bachmann immer wieder die antisemitische Bildsprache, die auf die amerikanischen Comics Einfluss nahm. Dabei müsse man natürlich die krumme Nase und Schläfenlocken immer im Kontext ihrer Urheber und des Bildes sehen, welche dementsprechend sehr ausführlich erläutert werden, wohl um gerade den Vorwurf der Überinterpretation zu vermeiden. Allerdings wäre es interessant genauer auf diese kulturgeschichtlichen Zeichen einzugehen. Hier bietet Bachmanns Buch nur geringe theoretische Ansätze. Gerade die Einflüsse der Bildsprache Europas auf den amerikanischen Comic, die er anreißt, machen Lust auf eine Vertiefung.

Die Macht der Musik führt in ein Thema ein, das bisher nur wenig untersucht wurde, gerade bezüglich der Ende des 19. Jahrhunderts neu entstehenden Kunstform Comic sind Zusammenhänge des »Themen- und Zeichenreservoirs« (259) von Musikdarstellungen nebulös. Bachmann bietet einen Ansatz, dessen theoretisches Fundament vernachlässigt wird, um die Menge an Beispielen kategorisieren zu können. Obwohl ihm dies gelungen ist, wäre in Anbetracht der Beispielfülle an mancher Stelle ein Weiterdenken wünschenswert gewesen, auch weil der Titel diesbezüglich mehr erwarten lässt.

 

Macht der Musik
Musik in Karikatur, Bildergeschichte und Comic 1830-1930
Christian A. Bachmann
Berlin: Ch. A. Bachmann, 2017
301 S., 25,00 Euro
ISBN 978-3-941030-89-3