Die Übertreibungskünstler und die Literatur-Comics

»Es ist ja auch eine Methode, alles zur Karikatur zu machen«. Nicolas Mahlers Literatur-Comics Alte Meister und Alice in Sussex nach Thomas Bernhard und H.C. Artmann rezensiert von Micaela Latini

Thomas Bernhards Werke enthalten etliche Bezüge zu Bildern. Seine »malenden Worte« weisen auf verschiedene Autor_innen der darstellenden Künste hin, vor allen anderen Tintoretto (wie wir aus den Seiten von Alte Meister erfahren), aber auch Francis Bacon, Lampi, Brueghel, Ensor, Klimt, Il Parmigianino und alle Alten Meister, die in den Sälen des Kunsthistorischen Museums in Wien ausgestellt sind. Und das, ohne auf die fotografischen Aufnahmen zurückzugreifen, die, obwohl sie niemals in den schriftlichen Text eingeschlossen wurden, von Bernhard im Roman Auslöschung hervorgerufen werden, aber auch in der fotografischen Abfolge, die in Alte Meister den Philosophen Heidegger in verschiedenen Phasen verewigt.

Im Unterschied zu dem, was mit anderen Autoren geschieht (wie Pamuk, Sebald und Kureishi), finden wir in den Schriften Thomas Bernhards keine materiell sichtbaren, in den Erzählungsablauf eingebauten Bilder, und es könnte nicht anders sein, aufgrund der ikonoklastischen Leidenschaft, die im Schriftsteller brennt, und die er selbst in die Figur des Musikkritikers Reger, Hauptfigur in Alte Meister, gelegt hat. Bei Bernhard gibt es also die Bilder und zugleich gibt es sie nicht; oder besser, es gibt sie, damit sie sich selbst zerstören, in einer Apologie, die zugleich Niedergang der Kunst ist. Ausgehend von diesen einleitenden Bemerkungen ist es noch interessanter, sich der Interpretation zu nähern, welche die hybride Form des Comics von den literarischen Werken bietet (12).

Vor allem widmet man sich der Anpassung im Roman Alte Meister von Seiten eines neuen Meisters des Bleistifts, die der österreichische Zeichner Nicolas Mahler für Suhrkamp im Jahr 2011 veröffentlicht hat. Mit seinem extrem reduzierten Stil ist Mahler Autor einiger erfolgreicher, an grundlegenden Werken der österreichischen Literatur inspirierter Adaptionen (zum Beispiel Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil). Eingeleitet und erklärt wird sein Werk, und insbesondere seine Bearbeitung Bernhards und H. C. Artmanns Alice in Sussex nun von der Studie Robin-M. Austs, veröffentlicht in der Reihe Germanistische Literaturwissenschaft des Ergon-Verlags. Allein der Titel dieser Arbeit ist sehr interessant: »Es ist ja auch eine Methode, alles zur Karikatur zu machen«. Dieses Zitat aus einem Schlüsselabschnitt in Bernhards Alte Meister beinhaltet schon die Bedeutung, die Mahler seiner künstlerischen Produktion anvertraut, die ›Methode‹ seines Lesens, die, wenn man die Tara seiner Übertreibungskunst entfernt, mit der Bernhards zusammenfließt. Wenn die Aufgabe der künstlerischen Anschauung darin besteht, alles lächerlich zu machen, ist das notwendig, um sich als Menschen (und daher unvollkommen) mit jener angeblichen Vollkommenheit konfrontieren und interagieren zu können, welche die Kunst per definitionem ist.

Der Wert des Literatur-Comics befindet sich genau in dieser Haltung der Herausforderung gegenüber einer kanonisierten Kunst, in einer Provokation, die Aust mithilfe zweier, untereinander ganz unterschiedlicher Werke analysiert. Im Mittelpunkt von Alte Meister stehen unter anderem die Monotonie und die Einsamkeit des Alters, während Alice in Sussex sich auf das Fehlen eines Sinnes der Jugend konzentriert.

Das dritte Kapitel des Bandes von Aust mit dem Titel »Prätext- und Transformationsanalyse« ist jener hyperbolischen Architektur gewidmet, die durch den Blick der Protagonisten des Romans Alte Meister von Thomas Bernhard organisiert wird. Betrachten wir es genauer: Das Porträt (oder vielleicht Selbstporträt) Tintorettos mit dem Titel Der weißbärtige Mann wird vom Protagonisten, dem Musikologen Reger betrachtet, welcher seinerseits vom Wächter Irrisgler ›überwacht‹ wird, wie Atzbacher, das Erzählende-Ich, berichtet, der vom Rand des Saales die Szene beobachtet, die Bernhard beschreibt. Zu diesem Spiel von Hinweisen und überkreuzten Blicken fügt sich nun auch Mahlers ›Rahmen‹ hinzu, der so zum anderen Blickpunkt wird, gegenüber dem Blick des weißbärtigen Mannes (58). Diese Dynamik von Gegenwart/Abwesenheit ist denjenigen sehr klar, welche die Interpretation gelesen haben, die ein Autor wie Michel Foucault die (zahlreichen) möglichen Schwellen des Bildes betreffend angibt: Grenzen, die auftauchen und ebenso plötzlich wieder verschwinden. Auf der gleichen Übergangslinie entsteht für Bernhard das Hin und Her zwischen Wahrheit und Lüge, ein weiteres Element, das für das Verständnis der vom Roman durchlaufenen Richtungen der Gedanken grundlegend ist, und die zumindest zum »Wahrheitsgehalt der Lüge« (59) führen.

Außer vielen, ausdrücklich zitierten Bildern, lenkt Aust die Aufmerksamkeit der Leser_innen auch auf andere, nicht ausdrücklich heraufbeschworene Werke, die jedoch Quelle unleugbarer Inspiration für den erzählten Text sind. So scheint zum Beispiel das Porträt des Kaisers Maximilian I von Rubens die Frage der von Irrsigler privilegierten Uniform als »Lebensform« einzuschließen (66f.). Wenn der Kontrast zwischen Licht und Schatten im Selbstporträt Tintorettos eine ganz zentrale Rolle bei der Frage des Übergangs vom Leben zum Tode spielt, wird der Grund für die Depression, die Reger nach dem Tod seiner Frau überkommt und ihre damit verbundene Abwesenheit im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums von Mahler als eine Art Ekphrasis des berühmten Malewitch-Bildes, Das schwarze Quadrat (76f.), in einem Prozess von Abstraktion, der dem Stil Mahlers selbst sehr nahe ist, interpretiert. Der zweite Teil des dritten Kapitels wird hingegen der Analyse der Umsetzung von H.C. Artmanns Alice in Sussex in eine Graphic Novel gewidmet, stets seitens Mahlers. Im Unterschied zu Bernhards Roman, der fast wörtlich von Mahler aufgegriffen wurde, sind im Falle Artmanns diverse Unterschiede zum Ausgangstext gegenwärtig und offensichtlich. Auf diesen Unterschied macht schon der Titel des Textes aufmerksam, der die Selbständigkeit des Mahlerschen Textes gegenüber der ursprünglichen Carrollschen Inspirationsquelle hervorhebt (96). Hier befindet sich Alice absolut nicht im Wunderland, sondern vielmehr in einem tiefen Haus unter der Erde. In diesem Gebäude wohnen die bekanntesten Figuren Lewis Carrolls: Ungeheuer, welche die Ängste der Kindheit und der Jugendzeit darstellen.

Über die Textanalysen hinaus hat die Studie Robin-M. Austs den großen Verdienst, in einem geglückten Kreuzschritt die theoretischen Grundlagen des Comic (gemeint als hybride und vermittelnde Formen, zwischen Literatur und darstellenden Künsten) und den Theorien Mitchells des ›Metabildes‹, das heißt: »Bilder, die gebraucht werden, um zu zeigen, was ein Bild ist«(28) zu verbinden.

 

»Es ist ja auch eine Methode, alles zur Karikatur zu machen«. Nicolas Mahlers Literatur-Comics Alte Meister und Alice in Sussex nach Thomas Bernhard und H.C. Artmann
Robin-M. Aust
Würzburg: Ergon Verlag, 2016
156 S., 28 Euro
ISBN 978-3956501555