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Es geht eh immer um die Wurst
Nicolas Mahler im Gespräch mit Angela Guttner

Wir treffen uns am 18. Comicsalon in Erlangen. Welchen Stellenwert hat diese Veranstaltung für dich und deine Karriere? Wie hat sich der Salon über die Jahre verändert?
Auf dem Comicsalon war ich das erste Mal 1992 beim Comiczeichner-Seminar, als alles noch von großen Verlagen dominiert war. Damals hatte ich mit den Sachen, die ich machte, eine echte Außenseiterposition. Das wurde damals eher abschätzig als die kleine »Kunstscheiß«-Abteilung neben der »richtigen« Mainstream-Comicszene gesehen. Dann kamen immer mehr Kunst-Unis auf den Salon. Heute haben sich die Szene, aus der ich komme und die Mainstream-Szene angenähert. Mittlerweile ist es ausgeglichen zwischen großen und kleinen Verlagen, der Zugang ist offener.

In deinen Erzählungen spielt die Kunst-/Literaturwelt immer wieder eine Rolle. Wie ist die Beziehung zwischen dem Comic und den klassischen Künsten?
Mittlerweile gibt es ja eine positive Öffnung, der Comic wird als manchmal schon als eine Art Kunst wahrgenommen, aber natürlich gelten bei den klassischen Künsten immer noch gänzlich andere Maßstäbe. Für mich ist die Kunst bzw. die klassische Literatur eigentlich nur ein Thema, weil sie viel Stoff für lustige Anekdoten hergibt. So richtig beschäftigen tut mich das Ganze eigentlich nicht.

Abb. 1: Lassen Sie mich durch, ich bin POPULÄRwissenschaftler
(Nicolas Mahler: Der Urknall. Zürich: edition moderne, 2015, 39).

Förderungen sind in der Comicwelt ja auch ein umstrittenes Thema. Flix hat ja die umstrittene Aussage gemacht, dass Comickünstler_innen ohne Förderungen zurecht kommen sollten.
Das ist ein schwieriges Thema. Einerseits verstehe ich Flix. Er spricht aber natürlich auch sehr aus seiner persönlichen Warte. So gesehen stimmt natürlich, was er sagt, aber wenn man natürlich die Position eines/einer schlecht verdienenden NachwuchskünstlerIn einnimmt, schaut es wieder ganz anders aus. Flix hat das Glück, dass sich sein persönlicher Geschmack und sein Interesse sich mit dem eines größeren Publikums decken. Ich denke, er muss sich nicht groß verbiegen und wird trotzdem seine Käufer finden. Wenn man nicht so massenkompatibel arbeitet, wird es natürlich schwieriger. Nach seiner Logik dürfte es dann auch fast keine Theater, keine kleinen Filmproduktionen etc. geben.
Natürlich gibt es auch die negativen Seiten von Förderungen. Dass nämlich Dinge nur entstehen, weil es Förderungen dafür gibt. Aber das ist glaub ich trotzdem die Minderheit, das muss man in Kauf nehmen, um ein vielfältiges Kulturschaffen zu ermöglichen. An sich ist die Comicszene aber ein angenehmes Umfeld: Keiner nimmt dem anderen etwas weg, weil es halt nix zum Wegnehmen gibt. Das ist wahrscheinlich der einzige Vorteil von geringen Fördermitteln. Ich glaube, in der Kunst oder im Film ist die Konkurrenz schon manchmal grauslich. Wenn man da die Förderung nicht bekommt, kann es ja unter Umständen so gehen, dass drei Jahre des Lebens, die man in die Vorarbeit gesteckt hat, sinnlos sind, weil es den Film gar nicht geben wird.

Du hast mittlerweile zahlreiche Preise und Würdigungen erhalten und veröffentlichst in den renommiertesten Verlagen. Leidest du in irgendeiner Form unter der generellen Geringschätzung des Comics? Und: Ist das Streben nach Anerkennung eigentlich etwas sehr Österreichisches?
Das Streben nach Anerkennung ist nichts Österreichisches. Ein Comicpreis ist in Österreich allen erstmal wurscht. Typisch österreichisch ist aber zum Beispiel, dass die eigene Arbeit, sobald es eine Würdigung aus dem Ausland gibt, plötzlich doch wahrgenommen wird. Dann ist, was man macht, halt doch nicht der totale Schas, der es schon immer war. Aber wahrscheinlich ist auch das überall so.

Literaturadaptionen richten sich ja an ein bildungsbürgerliches Publikum. Unterwirft man sich als Comickünster damit der kanonisierten Einteilung in Trivial- und Hochkultur? Wertet man durch diese Ausrichtung den Comic als Kunstform ab?
Ja, die Literaturadaption als Umweg zur Anerkennung. Das sagen dann die kritischen Stimmen. Da heißt es, man schleimt und schleicht sich über diesen Umweg in den Kulturbetrieb ein. Vielleicht ist da ja auch was dran, ich weiß es nicht. Aber ich hab es im Vergleich auch leicht, ich mache ja nicht ausschließlich Literaturadaptionen und bin auf diese Szene zum Glück nicht angewiesen. Da ich ja nicht meine ganze Existenz in die Literaturadaptionen lege, kann mir eigentlich egal sein, wie die Leute das beurteilen und ob es verrissen wird. Ich muss das zum Glück nicht so ernst nehmen. Außerdem: Der Comic ist als Kunstform stark genug, der Comic muss sich nicht in die Hochkultur einschleimen. Vielleicht ist es ja andersherum und man sollte sich fragen: Warum akzeptiert die sogenannte Hochkultur den Comic jetzt auf einmal? Ist das jetzt ein Armutszeugnis für die Hochkultur? Vielleicht hat die Hochkultur den Comic nötig und nicht umgekehrt.

Was muss ein Buch haben, dass es dich so fasziniert, dass du es als Comic adaptieren willst?
Damit ein Stoff mich interessiert, muss er auf jeden Fall einen Witz haben. Einen Witz, einen Rhythmus, und nicht zuviel Handlung. Es darf nicht zu viele Personen geben, das Setting muss überschaubar sein. Der Witz vom Bernhard ist mir zum Beispiel sehr nah, da sind der Musil oder der Proust schon weiter weg. Bei diesen Stoffen war es eher die Absurdität des Unterfangens, das mich fasziniert hat. Dass der Ursprungstext eigentlich schon absurd ist und diese Absurdität dann in den Comic zu übertragen, das wollt ich machen.

Unterscheidet sich das ›normale‹ Lesen eines literarischen Werkes von dem Leseprozess eines potentiell zeichnenden Lesers? Wo beginnt die Produktion?
Der zeichnende Leseprozess unterscheidet sich schon vom normalen Lesen. Man geht das anders an. Bei Bernhard hab ich das Buch zum Beispiel schon gekannt und es nicht noch einmal gelesen, bevor ich es dem Verlag vorgeschlagen habe. Und wie es dann so weit war, hab ich gemerkt: Uh, das wird schwierig. Bei Musil hab ich das Buch quergelesen und dann entwickeln sich währenddessen schon die ersten Erzählstränge im Kopf. Dann schlag ich das einfach dem Verlag vor, und sicher: Da schwitzt man auch. Man hofft dann, dass sich das ausgeht und dass der Autor auch ein paar gute Zitate liefert, die man in den Comic einbauen kann. Sobald ich dann das Okay für das Projekt hab, les ich mir den Originaltext genauer durch – und lustigerweise ändert sich dann oft gar nicht mehr so viel zum Konzept, dass man nach dem ersten groben Lesen hatte. Dann mache ich erste Skizzen, hole die wichtigen Zitate rüber und dann verfeinert man das so lange, bis es eine Art Drehbuch gibt. Es kann schonmal sein, dass man 14 Fassungen skizziert, bis das Konzept definitiv steht.

Was ist deiner Auffassung nach eine Adaption? Warum sind deine Literaturcomics (k)eine?
Wie man das nun nennt, ist mir eigentlich egal. Von mir aus kann man meine Werke gerne Adaptionen nennen, ich finde das nicht schmälernd. Mir ist vor allem wichtig, dass ich machen kann, was ich möchte. Man hört natürlich immer wieder mal von Kolleginnen und Kollegen, die bestimmte Vorgaben bekommen, wie so eine Adaption auszuschauen hat, damit es genau den Geist des Ursprungswerks abbildet und dem Leser einen Einstieg zum Originalwerk bietet. Das möchte ich nicht machen. Da bekommt man als Zeichnerin oder Zeichner dann so eine Vermittlerfunktion, wenn es den Anspruch gibt, die Lesenden durch den Comic eigentlich nur an den Originaltext heranzuführen. Ich bin da viel hedonistischer, ich nutze diesen Ursprungsstoff für mich und meine Zwecke, ich ordne mich dem Original nicht unter.

Das nennt man dann eigenständige Transformation.
Ich nenn das Verwurstung. Man presst alles Mögliche in so einen Wurstdarm hinein und hofft, dass es schmeckt.

Kannst du dir auch vorstellen, einen klassichen Comicstoff zu adaptieren? So was wie Krazy Kat oder The Yellow Kid?
Das ist eh eine interessante Frage. Ich stell es mir reizvoll vor, Krazy Kat zu zeichnen, dabei wäre man ja recht frei. Man könnte eine Figur in einem ähnlichen Stil zeichnen und damit Bezug auf das Original nehmen. Das wäre dann so eine Art Hommage. Denkbar ist ja viel. Bei mir ist es auch oft so, dass ich einen Stoff ablehne und sag, dass ich das nicht machen will; dann geh ich heim und merk, dass ich das eigentlich eh machen will.
Ich hab ja auch einen Stil entwickelt, mit dem relativ viel machbar ist. Wenn man jetzt einen aufwändigeren Stil hat, kann man natürlich nicht so viel ausprobieren. Man hat dann auf einmal diese Wurst und wenn die einem nicht schmeckt, hat man fünf Jahre umsonst gekocht. Ich bin ja eher der metaphorische Fastfood-Stand: Ich kann ja alles mal ausprobieren und dann schauen, ob es mir schmeckt oder nicht.

Welche deiner Arbeiten war im Nachhinein gesehen ein Blödsinn? Was war eines zu viel?
Eines zu viel war zum Beispiel Flaschko Band 3. Das war so eine finanziell bedingte Wurst, die ich hab rauspressen sollen. An sich bin ich aber sonst eigentlich nicht so unzufrieden mit meinen Büchern. Lustig ist halt teilweise die Rezeption. Dass man sich bei einem denkt, dass wird jetzt ein Hit und dann floppt es – oder umgekehrt. Interessant ist auch, für was sich die Leute im Ausland interessieren. Kunsttheorie versus Frau Goldgruber ist zum Beispiel mein erfolgreichstes Buch in Frankreich. Und ich hab mich gewundert, weil ich mir denk: Was interessiert die Frau Goldgruber die Franzosen? Gleichzeitig blieb das Thomas Bernhard-Buch dort hinter den Erwartungen zurück.

Wie hat sich dein Arbeiten in den letzten Jahren verändert?
Ich hab den Vorteil, dass ich es mir mittlerweile leisten kann, beim einzelnen Buch relativ entspannt zu sein. Durch meinen einfach gehaltenen Stil geht das Zeichnen ja mittlerweile recht schnell. Wenn man hingegen sein gesamtes Einkommen an die dicke 5-Jahres-Wurst hängen muss, ist das schon stressiger. Man muss dann eben alles daran setzen, dass diese eine Wurst funktioniert. Als dieses Jahr zum Beispiel Die Unheimlichen von mir erschien, hatte ich schon wieder zwei weitere Projekte fertig.
Ich habe mittlerweile das Privileg, dass ich mir ziemlich sicher sein kann, für jedes Projekt einen Verlag zu finden. Damit kommt eben auch das Privileg, dass ich künstlerisch frei sein und mich ausprobieren kann. Das war natürlich nicht von Anfang an so. Jahrzehntelang hat in dem Bereich nix für mich funktioniert. Ich habe mir eben nach und nach über Eigenverlag die Trademark so aufgebaut, dass sich irgendwann auch die Verlage für meine Arbeit interessiert haben. Heute ist es selbstverständlich, dass mir niemand mehr reinredet. Wenn wer reinredet, erscheint das Buch eben woanders.

Abb. 2: Wissenschaft am Scheideweg (Nicolas Mahler:
Der Urknall. Zürich: edition moderne, 2015, 13).

 

In Franz Kafkas nonstop Lachmaschine (2014) kritisierst du die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Comic. Vertreter des Kunstbetriebes hätten demnach »fehlende narrative Intelligenz«, Vertreter des Literaturbetriebs »mangelnde visuelle Intelligenz« und die Geeks zeichnen sich wiederum durch mangelnde soziale Kompetenz aus. – (Wie) nimmst du als Zeichner die Comicforschung wahr? Können sich Zeichner_innen und Forscher_innen gegenseitig bereichern?
Mittlerweile bekomme ich immer wieder Anfragen, die etwas mit der Forschung zu tun haben. Da ich aber nie studiert habe, sind das halt oft Ansätze, mit denen ich selbst nichts anfangen kann. Ich weiß, dass von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ziemlich viel geschrieben wird über meine Comics. Da gibt es mittlerweile ja sogar in Amerika Doktor­arbeiten über meine Literaturadaptionen. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Analyse einladend ist, komparatistisch interessant. Es gibt viele Quellen, die man vergleichen kann usw. Bei den Comicwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ist es ja wahrscheinlich das Gleiche mit den Förderungen von kultureller Seite. Ich nehme an, es ist dort auch einfacher, man vergleicht einen Musil-Comic mit dem Original, als man beschäftigt sich mit einem völlig neuen Thema.
Aber ich muss schon ehrlich sagen, so einen großen Nutzen hat man als Künstler selbst jetzt nicht von der Comicforschung. Es macht Spaß, so etwas zu lesen und ich hab auch schon einige Dissertationen in der Hand gehabt, bei denen ich mir gedacht hab, dass da viel drinnensteckt. Schön ist natürlich, dass man dadurch merkt, dass das, was man auf künstlerischer Ebene versucht, schon wahrgenommen wird. Beim Comicjournalismus ist es ja oft so, dass zu 99 Prozent nur der Inhalt besprochen wird.
Vor fünfzehn Jahren wäre es ja noch undenkbar gewesen, dass es von Seiten der Wissenschaft soviel Interesse für Comic-Projekte gibt. Es ist schon gut zu wissen, dass es Leute gibt, die sich so genau und intensiv mit der Analyse beschäftigen. Das ist nicht selbstverständlich. Vor ein paar Jahren hab ich zum Beispiel den Preis der Literaturhäuser bekommen und damals hab ich schon gemerkt, dass man noch viel Aufbauarbeit für den Comic leisten muss. Es gibt ja Institutionen, Literaturhäuser, die dem Comic zwar offen gegenüberstehen, aber oft auch relativ verloren sind. Es gibt dann eine gewisse Faszination, aber man muss immer von vorne anfangen. Es kommen oft dieselben Fragen. Man schaut dann zum Beispiel nur auf den Inhalt, und die Bildsprache wird überhaupt nicht wahrgenommen. Klassisch aus der Literatur kommende Leute sind eben nur auf Lesen eingestimmt und beim Comic lesen sie dann einfach nur den Text. Oder die Kunsthistoriker_innen schauen sich nur die Bilder an. Dann gibt es wieder Veranstaltungsorte, die künstlerisch teilweise völlig abstruse Dinge machen, aber von der Gleichwertigkeit von Bild und Text völlig überfordert sind.
Ich stell mich dann auf das Publikum ein, wenn ich merk, es kommt mit Comics überhaupt nicht zurecht. Dann halte ich so einen aufbauenden Vortrag. Da mach ich dann gewissermaßen ein bisschen den Wissenschaftler.

Mit der CLOSURE-Ausgabe feiern wir 50 Jahre Mahler. Was dürfen wir in den nächsten 50 Jahren erwarten?
Ja, das wird gerne gefragt, wie man sich seine Arbeit in fünf oder zehn Jahren vorstellt. Und das wird einem dann in zehn Jahren wieder unter die Nase gerieben, ob man recht gehabt hat oder nicht. Ich muss sagen, ich merke schon langsam eine gewisse Comic-Ermüdung. Die Schrift in meinen Comics wird auch mit jedem Jahr größer.

Du bist vielleicht mittlerweile als Künstler einfach schon so gereift, dass du dich mit sehr einfachen Mitteln sehr präzise ausdrücken kannst.
Nein, nein, das ist schon eine Ermüdungserscheinung. Das Kleinteilige ist mir zu anstrengend. Ich möchte im Arbeitsprozess eigentlich noch lockerer und schneller werden, vielleicht gröber mit Pinsel malen oder einfach insgesamt mehr dastehen lassen. Stehen lassen ist vielleicht mein Ziel, den ersten Ausdruck stehen lassen. Wahrscheinlich ist das bei vielen Künstlern so, man sehnt sich nach einer Lockerheit und Unperfektion, und wenn man es erreicht hat, sagt das Publikum: Na, das ist jetzt nix mehr, aber früher war er gut.