Höllensturz eines Ausgestoßenen

Frankenstein Underground rezensiert von Susanne Schwertfeger

Mike Mignola gönnt Frankensteins Kreatur nach einem Auftritt als ultimativer Wrestling-Gegner Hellboys in Hellboy: House of The Living Dead (2011) nun ein fünfteiliges abgeschlossenes Solo – und was für eines. Von Kapitel zu Kapitel dringt das Wesen tiefer in eine unterirdische Welt vor und beweist sich dort als perfekter Bewohner des Mignolaverse.

Dies funktioniert vor allem, weil sich Mignolas Protagonist weit von Mary Shelleys Vorlage aus dem Jahr 1818 gelöst hat und nun in ein actionreiches und bildgewaltiges Abenteuer gerät. Während sich die Kreatur im Original vor allem an der Verstoßung durch ihren Schöpfer und der Frage nach dem eigenen Mensch-sein aufreibt, erinnert sie sich im Comic nur noch verschwommen an ihre Entstehung. Es ist die Erkenntnis, in der Welt immer ein gejagter Außenseiter zu sein, die sie umtreibt. Optisch setzt sich der Protagonist ebenfalls von bekannten Interpretationen der Figur ab und ist auf den ersten Blick klar als Mignola/Stenbeck-Kreation zu erkennen.

Die Geschichte beginnt mit einigen erläuternden Rückblicken dort, wo das Geschöpf nach seinem letzten Auftritt zurückblieb: irgendwo in Mexiko, im Jahr 1956. Es flieht nach dem Kampf gegen Hellboy vor seinen Peinigern in den Dschungel und trifft in einer verfallenen Tempelanlage auf eine alte Hexe. Diese bringt dem Geschundenen nicht nur das erste Mal in seinem Leben Wärme entgegen und heilt seine Wunden, sondern macht Kreatur und Leserschaft auch mit dem Gedanken vertraut, dass dessen Ankunft in den heiligen Ruinen Vorsehung sein könnte. Hat eine höhere Macht Frankensteins Schöpfung an diesen Ort geführt, und ist sie zu Größerem bestimmt? Dies muss der Protagonist allerdings alleine ergründen, denn die weise Alte wird bei dem plötzlichen Angriff einer Dämonin, welche die Kreatur im Auftrag des Marquis Adoet de Fabre entführen soll, getötet. Das Wesen kann zwar entkommen, doch nur um an der Erkenntnis zu verzweifeln, dass erneut eine Unschuldige sterben musste – und es selbst anscheinend zum ewigen Leben verdammt ist. Dies treibt es in eine wütende Raserei, in der es die umstehenden Götterstatuen einreißt und damit den gesamten Tempel zum Einsturz bringt. Auch der Boden bricht weg und das Geschöpf stürzt in eine geheimnisvolle Welt unter der Erde, einem Höllenschlund gleich. Dort, so zeigt sich in den restlichen Kapiteln, lauern die wahren Herausforderungen in Form von gewaltigen Urzeitmonstern und dämonischen Geisterwesen, die nur darauf warten, Frankensteins Kreatur anzugreifen und von ihrem mächtigen Körper Besitz zu ergreifen. Und in der Tat offenbart die Kreatur eine Kraft, die weit über ihre Physis hinausgeht und von der wohl selbst Viktor Frankenstein nicht zu träumen gewagt hätte.

Die Geschichte von Frankensteins Geschöpf fügt sich durch unzählige Verweise auf vertraute Handlungs­stränge und Figuren aus anderen Comics sowie Vorgriffe, z. B. auf die dann 2016 erschienene Witchfinder-Serie City of the Dead, nahtlos in den stetig wachsenden Kosmos des B.P.R.D. ein. Dabei ist die Story aufgrund des Protagonisten eigenständig und funktioniert sowohl für Leser_innen anderer Mignola-Titel als auch als Einzellektüre. Allerdings bleiben die in der Figur ursprünglich angelegten Besonderheiten – zumindest in dieser Miniserie – ungenutzt. Die künstliche Entstehung im Labor aus unterschiedlichen Leichenteilen und alle Themen, die sich hieraus ergeben könnten, werden nicht funktionalisiert. Stattdessen steht vor allem der Aspekt der Unsterblichkeit im Fokus – ein Merkmal, für das es keine so komplexe literarische Vorlage gebraucht hätte. Gut möglich, dass die in den letzten Kapiteln nur nebulös thematisierte ›Vorbestimmung‹ der Kreatur in bevorstehenden Auftritten von deren Ursprüngen Gebrauch machen wird.

Es finden sich deutliche Einflüsse von Autoren wie Edgar Rice Burroughs und H. P. Lovecraft, aber auch die Verbeugung gegenüber der wohl bekanntesten Verfilmung durch James Whale sowie der Interpretation Frankensteins durch Peter Cushing für die Hammer-Studios. Dies wird durch die Zeichnungen Stenbecks, die sich homogen an das Mignola-Cover anschließen, und die dunkel-schmutzige Farbpalette Dave Stewarts entsprechend visualisiert. Nur wenige in warmen Tönen kolorierte Panels kontrastieren die ansonsten kühle und finstere Atmosphäre.

Ein besonderer Mehrwert der auf 1444 Exemplare limitierten Albumausgabe, die bereits 2015 in deutscher Übersetzung bei Cross Cult erschien, ist das beigefügte Skizzenbuch. Hier kann man die Genese einiger Figuren, kommentiert von Mignola und Stenbeck, nachverfolgen. Anhand der verschiedenen Coverentwürfe und deren Bewertung durch die Künstler bietet sich ein interessanter Einblick in den Prozess der Bildfindung.

 

Frankenstein Underground
Mike Mignola (W/Cover), Ben Stenbeck (P), Dave Stewart (C)
Ãœbersetzt von Frank Neubauer
Ludwigsburg: Cross Cult, 2015
160 S., 29,95 Euro
ISBN 978-3-86425-680-9