Paperback Invaders

The British Invasion rezensiert von Oliver Moisich

Greg Carpenter unternimmt mit seinem Buch The British Invasion den Versuch, einem allgemein anerkannten, aber kaum diskutierten Zeitabschnitt des amerikanischen Comic-Mainstreams der 1980er ein Gesicht zu geben – genauer, drei Gesichter: Alan Moore, Neil Gaiman und Grant Morrison. Dabei strickt Carpenter mal mehr, mal weniger glaubhafte rote Fäden durch das Schaffen der drei Autoren, doch vernachlässigt dafür andere einflussreiche Briten.

Zu Beginn seiner fast 500 Seiten langen Historie über die British Invasion in Comics vergleicht Greg Carpenter die Autoren Alan Moore, Neil Gaiman und Grant Morrison mit den Dreieinigkeiten anderer Disziplinen wie dem Elisabethanischen Theater oder der Musikrichtung Bebop: Marlowe, Shakespeare und Jonson; Dizzy Gillespie, Charlie Parker und Thelonius Monk. Er macht deutlich, dass die drei Comic-Autoren das Medium entscheidend verändert haben:

»Moore, Gaiman, and Morrison are each giants, but collectively their work has redefined modern comics. The story of their intersecting careers defines the British Invasion and ultimately becomes the story of modern comics« (9f.).

In vier Teilen ist jedem Schriftsteller jeweils ein Kapitel gewidmet. Daraus ergeben sich vier Phasen, in denen Carpenter von den Anfängen über die großen Erfolge, die (teils als Reaktion darauf) distanzierte Haltung gegenüber großen Verlagen und die relative Eklektizität jüngerer Projekte referiert. Das Buch erzählt von Alan Moores ambitionierter Dekonstruktion des Superheldengenres, von Neil Gaimans allmählichem Übergang vom Journalisten zum Comic-Autor und Grant Morrisons frühem Umwelt-Aktionismus. Es zeigt auch, wie DC die drei Briten zur Autorschaft für die eher obskuren und irrelevant gewordenen Einträge seiner Superheldenriege verpflichtet, und wie all diese vergessenen Figuren genau dadurch moderne Klassiker geworden sind: Swamp Thing, Miracleman, Sandman, Animal Man, Doom Patrol. Denn die britischen Autoren waren nicht interessiert an der Fortführung einer jahrzehntelangen Kontinuität von B-Klasse-Superhelden. Insbesondere Moore und Gaiman schrieben Figuren wie Swamp Thing und den Sandman radikal anders als zuvor. Aus den monatlichen, weitestgehend repetitiven Comic-Abenteuern entwickelten sie Figuren mit philosophischem Tiefgang, mit mythologischer Präsenz, oder mit politischer Relevanz. Zwischen den vier Hauptphasen in The British Invasion stellt Carpenter in sogenannten Interludes Figuren und Serien vor, für die Moore, Gaiman und Morrison alle an unterschiedlichen Punkten gearbeitet haben – beispielsweise die Dr. Who-Comics oder die Figur John Constantine in Swamp Thing und Hellblazer. Carpenter ›entdeckt‹ in diesen Interludes und auch an anderer Stelle oft gemeinsame Nenner zwischen Moore, Gaiman und Morrison, die weit hergeholt scheinen: Alle drei Autoren haben beispielsweise an Batman-Comics gearbeitet, aber an so unterschiedlichen Stellen in ihrer Karriere, dass die „Intersection“, wie Carpenter sie nennt, nicht wirklich glaubwürdig ist. Dennoch erkundet er umfassend das Werk aller drei Autoren. Und zwar nicht nur ihre großen Erfolge, sondern auch, bevor sie von DC angeworben wurden – oder, im Fall von Alan Moore, nachdem er dem Mainstream den Rücken gekehrt hat.

So ausführlich das Werk von Moore, Gaiman und Morrison besprochen wird, so sehr bleiben die kreativen Revolutionen anderer Briten in dem Buch auf der Strecke. Der Erfolg britischer Comic-Schreiber in den 1980ern zog nach sich, dass den Verlagen in der UK die meisten ihrer großen Talente von DC abgeworben wurden. In den Folgejahren etablierten sich die Comics von Garth Ennis, Warren Ellis, Mark Millar und vielen anderen als neuer Maßstab für Narrative im Comic. Zu diesem Kritikpunkt für Carpenters The British Invasion gehört auch, dass er keinen Raum für die Zeichner lässt, die der British Invasion angehörten. Symptomatisch für viele Literaturwissenschaftler, die Comics zu ihrem Forschungsgegenstand machen, ist das unbeabsichtigte Übersehen der Zeichner, die aus dem Werk überhaupt erst ein multimodales Werk machen. So beschäftigt sich Carpenter zwar ab und an mit Dave McKean (der immerhin mit allen drei Schriftstellern im Buchtitel zusammen arbeitete), erwähnt aber nicht den unverkennbaren künstlerischen Einfluss anderer britischer Zeichner wie Brian Bolland, Dave S. Gibbons oder Steve Dillon.

Der umfangreiche Band versäumt auch zu beleuchten, wie die amerikanische Comic-Szene aussah, bevor britische Autoren zum amerikanischen Markt wechselten. Wie neu die Tonalität in Moores Swamp Thing oder die Metaisierungsstrategien von Morrisons Animal Man tatsächlich waren, lässt sich nur begreifen, wenn man sich der weitestgehend erschöpften Industrie vor der British Invasion gewahr wird. Eine ausführlichere Beschreibung der Lage des kommerziellen Comics in den USA in den späten 1970ern hätte sicherlich dazu beigetragen, die revolutionären narrativen Wege von Moore, Gaiman und Morrison in den Kontext zu bringen, den sie benötigen.

Da diese British Invasion bereits die zweite ihrer Art ist – die erste passierte in der Popmusik der 1960er – bedient sich Carpenter für seine Kapitelüberschriften bei bekannten Songs von The Beatles, The Rolling Stones und The Who. Er kontextualisiert damit die kreativen Phasen der Autoren und ihre Abgrenzung zu den jeweils anderen beiden Autoren. Dieser verspielte Umgang mit Popkultur zeichnet überhaupt den Stil von The British Invasion aus: Carpenter schreibt seine Historie durchweg leicht verständlich und überträgt wie selbstverständlich seine Faszination für das Thema auf die Leser_in. Das entspricht nicht immer dem wissenschaftlichen Standard, fügt sich aber ein in die den Umständen entsprechende Auswahl an Quellen. Denn die British Invasion ist in der Forschung auffällig unterrepräsentiert. Die Notwendigkeit für einen geschichtlichen, publizistischen und thematischen Umriss der Comic-British Invasion – drei Ansätze, die im vorliegenden Band vorhanden sind – zeigt sich in den Quellen, die Carpenter heranzieht. Neben den umfangreichen Close Readings zur Primärliteratur der drei Autoren wird zwar einiges an Sekundärliteratur zu Alan Moore oder Neil Gaiman erwähnt. Darüber hinaus – und vor allem bei Grant Morrison – muss Carpenter aber auch auf Blogs, Skripte und YouTube-Videos zurückgreifen, um die nötigen Rückverweise zu sichern. Das zeigt, wie unerforscht der Diskurs zur British Invasion ist. Es ist eine Phase im amerikanischen Comic-Mainstream, die maßgeblich dazu beigetragen hat, wie Comics heute erzählen und wie sie rezipiert werden. Und sie war letztendlich der entscheidende Moment, in dem Comics für eine breite Masse zur Literatur wurden. Deshalb ist The British Invasion ein Buch, das seine Autorenschwerpunkte zwar ausführlich, aber seinen historischen Schwerpunkt genau deswegen oberflächlich behandelt, und so dem weiteren Diskurs über die British Invasion eine wichtige Grundlage bietet.

 

The British Invasion
Alan Moore, Neil Gaiman, Grant Morrison, and the Invention of the Modern Comic Book Writer
Greg Carpenter
Edwardsville: Sequart Research & Literacy Organization, 2016
490 S., 19,99 US Dollar
ISBN 978-1-9405-8907-7