Von Weibs- und Wimmelbildern
Alice und die Bürokraten-Eichhörnchen im Erotik-Wunderland
Ekhö – Spiegelwelt Bd. 1–5 rezensiert von Marie-Luise Meier
»Why is a raven like a writing-desk?«, fragte der verrückte Hutmacher einst die arglose Alice. Die hatte keine Ahnung und spielte den Ball an den Hutmacher zurück, aber der grinste nur. Er wisse es doch auch nicht, hieß es da munter. Verrückte Dinge müssen doch keinen Sinn ergeben. Ekhö, so könnte man behaupten, ist ziemlich ähnlich: Ein wunderhübsches Spiel auf bildlicher Ebene, doch es mangelt an der Pointe. Um davon abzulenken, zieht Ekhös Alice blank – wieder und wieder. Die politisch versierten Eichhörnchen sind begeistert und wollen trotzdem keine saftigen Kredite vergeben. Das Resultat des fantasievollen Wirrwarrs ist ein Männermärchen in fünf Bänden.
Pornöses ist man von den kreativen Köpfen, die hinter dem bislang fünfbändigen Comic mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen Titel Ekhö – Spiegelwelt stecken, gewohnt. Obschon Zeichner Alessandro Barbucci gerne im Zusammenhang mit den Jugendserien W.I.T.C.H. und Monster Allergy genannt wird, steht Ekhö stark in der Tradition von Barbuccis erwachsenen, hoch erotischen Graphic Novels Sky Doll, der ebenfalls bei Splitter erschienen ist. Dabei bleibt er seinem Stil, der sich durch großäugige, idealproportionierte Damen auszeichnet, durchaus treu. Unterstützt wird er von der Coloristin Nolwenn Lebretons. Texter Christophe Arleston ist hingegen vor allen Dingen für seine Qualitäten als Weltenbauer des Troy-Kosmos und der dort angesiedelten Comicserie Lanfeust von Troy bekannt. Diese Vorliebe für urzeitliche High Fantasy-Welten lebt er in Ekhö erneut aus.
Nach Ekhö gelangt man, wenn man in der Menschenwelt kurz davor ist, zu sterben. Der Flug nach New York verläuft für die irdische Ludmilla Tiller, eine bezaubernde Blondine mit vollem Haar und kussfreudigen Lippen, vergleichsweise ruhig – zumindest bis Sigisbert von Motafiume, ein redseliges Eichhörnchen, ihr offeriert, sie könne ja das Erbe ihrer in Spiegelwelt Ekhö verstorbenen Tante Petronella antreten. Sie sagt zu, die Boeing 747 gerät in Turbulenzen und zusammen mit ihrem Sitznachbarn und Sidekick Juri Podrov findet sie sich in der Bauchtasche eines Drachen der örtlichen Ekhö-Airline wieder. Ludmilla hat einige Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung in die postmoderne Patchwork-Welt, die vor allen Dingen mit den hiesigen Bürokraten, den eichhörnchenhaften Preshauns, zusammenhängen. Schließlich übernimmt sie jedoch die Künstler-Agentur ihrer Tante, die primär Striptänzerinnen unter Vertrag hat. But wait, there’s more! Zu allem Unglück wird sie noch vor ihrer ersten Amtshandlung als neue Agenturbesitzerin vom Geist ihrer toten Tante heimgesucht, die selbstverständlich keines natürlichen Todes gestorben ist, sondern fies gemeuchelt wurde. Als wäre das nicht ihr einziges Problem, verwandeln sich die Preshauns gerne mal in sabbernde Monster, wenn sie nicht ihren Mittagstee bekommen. Dieser Handlungsstrang steht jedoch hinter dem zurück, dass sie aus kosmischen Gründen mit ihrem Sidekick intim werden soll, um die wunderbare Weltordnung zu wahren.
Seitenlange Strips lassen vergessen, dass es neben nackten Tatsachen auch noch eine Handlung gibt (Ekhö 4, S. 7).
Ekhö hat also das Format von Akte X, The Mentalist und Co: In jedem Band ist jemand mehr oder minder tot, der Geist findet keinen Frieden und nistet sich im willigen Weibskörper von Ludmilla ein, um das eigene Ableben aufzuklären. Nebenbei gibt es als großen story arc die Frage danach, was eigentlich die herrschenden Preshauns wollen. Statt sich jedoch mit Antworten der Ahörnchen und Behörnchen auseinander zu setzen, widmet sich die Serie lieber Doppel-D-Hörnchen, indem die rosarot getünchten Stripnummern, die Ludmilla und ihre Crew vollführen müssen, damit ihnen die örtliche Nager-Bank nicht die Agentur wegnimmt, die Story seitenweise einfrieren lassen.
Der Fokus in Ekhö liegt klar auf allem, was verhindert, dass die Geschichte sich entwickelt: Die establishing shots sind Wimmelbilder aus archaisch inspirierter Architektur, mit Wolkenkratzern, deren Dächer nach Chitinpanzerung aussehen, Drachenflugzeugen, Dinosaurierkurieren, Rikschas, einer menschlichen Minderheit, einer Mehrheit an sonderbaren Rassen und absurden Spiegelbildern dessen, was die reale Welt zu bieten hat. Die Freiheitsstatue trägt ein Nagetiergesicht und der Central Park ist ein Urwald. Selbst in schnöden Gesprächen zwischen den Figuren lassen sich im Hintergrund derart viele Anspielungen auftun, dass es schwerfällt, sich überhaupt auf die Dialoge zu konzentrieren. Wortspiele wie Quentin Tarentula und Biz Sailor provozieren ein Grinsen und Schlägertypen im Blues Brothers-Aufzug sind zumindest kultig. Ekhö ist Wo ist Walter? für Erwachsene, nur dass Walter hier keine Person ist, sondern die schiere Freude daran, auf allen erdenklichen Ebenen des Comics fantasievolle Details und Anspielungen auszumachen.
Aber wie war das nun mit den Weibsbildern? Während Ekhö beim Weltenbau glänzt, ist der Rest eher Porno ohne Poesie. Die Heldin, das wird den Leser_innen ziemlich früh unmissverständlich klar gemacht, die ist hübsch. Schon das Cover des ersten Bandes kündigt das an: Eine löchrige Spandexhose, kombiniert mit einem hautengen, schulterfreien Top, das den Ausschnitt freilässt, schmückt die drallen Rundungen von Ludmilla. Die Gurte, die zu einer sinnfreien Schulterplatte gehören, drücken rein zufällig die Brust hoch und grenzen zugleich in Quietschgelb den Ausschnitt so ein, dass selbst eine unaufmerksame Leser_in ihn als Blick- und Bildmittelpunkt nicht verfehlen kann. Zufall? Mitnichten. Die Pin-Up-Ästhetik findet sich stets in der Darstellung von Ludmilla und ihren wohlproportionierten Schwestern: Die großen Augen werden von langen, dunklen Wimpernkränzen unterstrichen, die Lippen sind überbetont und voll, die Nase klein und die Körperform ein Einheitsmännertraum. Pausenlos ragen apfelförmige Hintern und Dekolletees zahlreicher Frauen in die Panelmitten. Dabei wird einem die Bedeutung der Formsprache regelrecht mit der Schaufel eingebläut, wenn der Rikschafahrer in New York als Bezahlung gerne mit Ludmillas Brüsten spielen möchte und diese prompt freilegt. Der einzig männliche Charakter wird in keiner Weise sexualisiert. Er bleibt als blassester Charakter mit dem vagsten Hintergrund, über den man am wenigsten erfährt, quasi eine Projektionsfläche für einen männlich gedachten Leser.
Ludmilla fungiert als Anziehpuppe und wird in jedem Band mehrfach, oft vor Publikum, um- und ausgezogen. Wie beim Puppenspiel, in dem ein zorniges Kind Barbie und Ken aneinanderschlägt und »Now kiss!« greint, wird zudem ein hanebüchener Grund angeführt, weswegen Ludmilla unbedingt mit ihrem männlichen Sidekick, neben dem asexuellen Preshaun der Hahn im Korb, intim werden muss. Grund ist das „kosmische Gleichgewicht“. Ekhö geht jedoch noch weiter: Als Tänzerin Yummy festgenommen wird, wird sie von den örtlichen Polizisten erst einmal ausführlich auf versteckte Waffen untersucht. »Pat pat«, macht es, während der Polizist mit schleimigem Grinsen ihren Hintern versohlt, »Niop niop« als er diesen dann massiert. Später will er noch einen Nachschlag bei der Leibesvisite. Yummys Gegenwehr ist mehr als lasch. Die Umstehenden finden das okay, und ähnliche Situationen gibt es immer wieder. Die Comicreihe setzt Frauen regelmäßig Schaulust und männlicher Willkür aus, objektifiziert sie regelrecht: Ludmilla wird instrumentalisiert, indem sie ständig besessen wird, wobei die teils männlichen Geister endlos fasziniert auf ihren Vorbau reagieren. Sie zögert im zweiten Band mit ihren Reizen die Mietzahlung hinaus, während wenige Seiten später der Charakter Norma Jean genau weiß, dass sich Sex verkauft und lieber gleich nackt in den Film-Pool springt. Der Preshaun-Produzent bereut nur, dass es keine Kameras im Pool gibt. In Barcelona werden entführte Frauen in hübschen Glaskugeln als Kunst verkauft. Im selben Band wird Ludmilla von ihrem Sidekick an einer Leine als neues sexy Haustier durch die Stadt geführt.
Ja, Ekhö, was haben denn nun ein Rabe und ein Schreibtisch gemeinsam? Weiß ich nicht, behauptet die Graphic Novel munter, doch guck dir dieses unglaublich detailreiche Bild des Vatishauns, des Zerrbilds vom Vatikan, an. Verrückt, oder? Dort drin zieht gerade Alice aka Ludmilla blank. Wer also bei Ekhö tiefsinnige Botschaften wie in Sky Doll erwartet, wer nach Identitäts- und Sinnsuche, vielschichtigen politischen Intrigen und doppelten Böden fahndet, der wird enttäuscht. Ekhös doppelter Boden sind popkulturelle Innuendos. Höchstens Dr. Freud winkt bei der Erwähnung triebgesteuerter Preshaun und rationaler Menschen, die das Gleichgewicht der Welt wahren, einmal freundlich aus seinem Altmännergrab. Wer hingegen mit Pin-Up-Ästhetik und einem Feuerwerk an Farben, Formen und Freizügigkeiten durchaus zufrieden ist, findet in der Comicreihe womöglich die (kosmische) Liebe seines Lebens.
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Ekhö - Spiegelwelt Bd. 1-5
Christophe Arleston (W), Alessandro Barbucci (W), Nolwenn Lebretons (P), Tanja Krämling (T)
Bielefeld: Splitter, 2014–2016
Je 14,80 Euro
ISBN 978-3-94503-456-9