PDF

Der Elefant im Wohnzimmer und andere unaussprechliche Dinge

Spring #13 – The Elephant in the Room rezensiert von Zara Zerbe

Großmütter mit Geheimnis, der Spagat zwischen Kunst und Kindern und feministische Ananas – in Spring #13: The Elephant in the Room erzählen 16 deutsche und indische Zeichnerinnen lustige und dramatische, persönliche und lehrreiche Anekdoten aus ihrem Leben als Frau. Häufig geht es dabei um Role Models oder die eigene Rolle in der Gesellschaft.

Unter dem Arbeitstitel »Role Models« setzten sich im Frühjahr 2016 acht deutsche und acht indische Zeichnerinnen mit dem Dasein als Frau in ihren unterschiedlichen Kulturen auseinander. In den Comics, Texten und Illustrationen erzählen sie autobiographische und fiktionale Geschichten. Diese widmen sich nicht nur dem titelgebenden Thema oder dem Verhältnis zu den eigenen Vorbildern, sondern auch generellen Lebensfragen. Familien- und Karriereplanung sind dabei genauso wichtig wie Sexualität, Schönheitsideale oder Körperlichkeit im Allgemeinen.

Das jugendliche Ich von Bertonasco hat mit dem Schönheitsideal der 80er Jahre zu kämpfen (54).

In ihrer »BH-Mythologie« stellt Ulli Lust die landläufige Behauptung, ein Büstenhalter allein würde die weibliche Brust vor den Gesetzen der Schwerkraft schützen, in Frage. Dass es sich beim BH nicht nur um ein funktionales, sondern vor allem um ein symbolisch aufgeladenes Kleidungsstück handelt, zeigen diverse Beiträge: Für Barbara Yelins 16-jähriges Ich ist es ein Stück weibliche Identitätsstiftung. Priya Kuriyan verleitet ein im Gästehaus vergessener BH mit roter Spitze zu Spekulationen über seine Besitzerin, hinter der sie eine lasziv rauchende Femme Fatale vermutet. Überrascht denkt sie »Cool!« (93), als eine ältere Dame im konservativ konnotierten Sari auftaucht und ihr vermisstes Wäschestück abholt. Für Ludmilla Bartscht ist es das einzige Kleidungsstück, dem sie überhaupt je eine Bedeutung beigemessen hat. Jahrelang trägt sie zufrieden die gebrauchte Kleidung ihrer Freundinnen und Verwandten auf. Nach ihrem dreißigsten Geburtstag entwickelt sie jedoch plötzlich das dringende Bedürfnis, einen eigenen, selbstgekauften BH zu besitzen.

Die Zeichnerinnen und ihre Protagonistinnen erzählen von einem positiven Verhältnis zu ihrem Körper. So geht es in den Comic von Larissa Bertonasco und Kaveri Gopalakrishnan darum, seinen Körper so zu lieben, wie er ist, anstatt sich für angebliche Schönheitsfehler zu schämen. Beispielsweise erzählt Bertonasco in ihrem Beitrag »Po Power« davon, wie sie nach Jahren der Selbstzweifel Frieden mit ihrem Körperbau schließt (»all meine Lebensenergie ist in meinem Po verstaut! Kein Wunder, dass er deshalb so groß sein muss!«, 59). Die frühere Unzufriedenheit mit ihrem Körper rechnet die Zeichnerin dem großen Einfluss zu, den Schönheitsideale in ihrer Jugend auf das Selbstwertgefühl hatten. Schließlich befinden sich die Protagonistinnen der verschiedenen autobiographischen oder aber fiktionalen Comics nicht im luftleeren Raum. Die Wertungen und Erwartungen, die Außenstehende dem weiblichen Körper entgegenbringen, kommen zum Ausdruck. Gopalakrishnan beschäftigt sich damit in »My Secret Crop«: Während sie als Teenager ihre zunehmende Körperbehaarung als ›Schutzschild‹ schätzt und sich damit wohl und sicher fühlt, sieht sie sich den unterschiedlichsten Wertungen anderer Menschen ausgesetzt (»Not Natural«; »Too Natural«, 123). Ähnlich verhält es sich in den Beiträgen, die Reproduktion und Mutterschaft zum Gegenstand haben. Sowohl die deutschen als auch die indischen Zeichnerinnen, die sich gegen Kinder entschieden haben, sehen sich in den jeweiligen Geschichten mit viel Unverständnis konfrontiert. Ihr Umgang damit ist vielschichtig: marialuisa zeigt in ihren zwei Comics zu diesem Thema, dass neben den Selbstzweifeln, die der Unwille zur Fortpflanzung mit sich bringen kann, auch ein humoristischer Umgang mit der ständig an Frauen gerichteten Frage nach dem Kinderwunsch möglich ist (»Weißt du, ich glaube nicht an das Konzept ›Mensch‹ «, 37). Das Thema Mutterschaft wird in anderen Beiträgen ebenfalls mit der künstlerischen Arbeit der Autorinnen kontextualisiert. Während Archana Sreenivasan lieber Bücher für Kinder illustriert als selbst welche zu bekommen (»There is no place for a baby in your life if your art is your baby«, 33), thematisieren Stephanie Wunderlich in »Töchter« und Ulli Lust in »Wochenendmutter« den Spagat zwischen Arbeit und Erziehungsauftrag.

Sreenivasan muss ihren nicht existierenden Kinderwunsch verteidigen (26).

Doch nicht nur die eigenen Kinder, auch das Verhältnis zu den Eltern und Großeltern und deren Geschichten finden Eingang in die Werke der indischen und deutschen Künstlerinnen. Besonders spannend sind »Looking Up« von Reshu Singh und »Ebony & Ivory« von Priya Kuriyan, in denen sich die Künstlerinnen mit den ›Role Models‹ aus ihren jeweiligen Familien auseinandersetzen. Die Lebensläufe ihrer Großmütter und Mütter sind exemplarisch für die Kämpfe, die emanzipierte indische Frauen im Spannungsfeld zwischen Kastensystem und wirtschaftlichem und technischem Fortschritt bis heute auszufechten haben. Sehr berührend ist dabei die Geschichte von Rosalind, der Protagonistin aus Kuriyans Comic, die erst kurz vor ihrem Tod eine überraschende charakterliche Entwicklung durchlebt und die Wahrheit über ihre Ehe ans Licht bringt: Ihr Gatte Matthews, früher allseits für seine Weltgewandheit und schillernde Persönlichkeit geschätzt, war ein gewalttätiger und untreuer Ehemann mit Hang zum Alkoholismus. Dies erklärt schließlich auch Rosalinds angespannte, pessimistische Grundhaltung, die ihr früher nur wenig Sympathien eingebracht hat. Anhand dieses speziellen Falls wird vor allem deutlich, welches Gewicht gesellschaftlich internalisierter Sexismus bei der Wahrnehmung und Bewertung literarischer Figuren wie auch realer Personen hat.

Mallyas Hündin schert sich nicht um Konventionen (XX).

Die große Spannweite der Beiträge reicht von klassischen, linear und bildlich erzählenden Comicstrips bis hin zu unterschiedlichen Formen der abstrahierten oder allegorischen Darstellung. So enthält die Bilderreihe »Tempel« von Nina Pagalies in leuchtenden Farben gestaltete Gebäude, die einer Vagina oder insgesamt dem weiblichen Körper nachempfunden sind und einen Gegenentwurf zur phallischen Wolkenkratzerarchitektur anbieten. Die ästhetische Adaption des weiblichen Körpers, die Gopalakrishnan in »My Secret Crop« auslotet, bewegt sich in eine entgegengesetzte Richtung: Anstatt ihn auf seine stereotypen Merkmale zu reduzieren, breitet sie ihn als eine weitläufige Landschaft mit Hebungen und Senkungen aus und nimmt damit die Perspektive einer an sich selbst herabsehenden Frau ein. Während Gopalakrishnan damit dem männlichen Blick eine Absage erteilt, greift Prabja Mallya gezielt Ausdrucksweisen und Zuschreibungen des Patriarchats auf. In ihrer Arbeit »Bitch« stehen holzschnittartige Hündinnen für Frauen, die sich nicht um gesellschaftliche Normen und Konventionen scheren. Auf einer etwas anderen Abstraktionsebene befindet sich »Juicy Lucy« von Ludmilla Bartscht, eine Ananas, die mit ihrem buschigen Kopfputz und ihrer stacheligen Oberfläche regelmäßig aus der Reihe tanzt und sich in ihrer Cartoonreihe mit sämtlichen Alltagsproblemen und -freuden nonkonformistischer junger Frauen konfontiert sieht.

Nicht nur diese zwei Stellvertreterfiguren, sondern auch die Summe der Beiträge zeigt: In Indien wie in Deutschland ist der weibliche Körper ein Politikum. Ob es nun um genutzte oder ungenutzte Gebärfähigkeit, Körperbehaarung oder auch nur um das Tragen oder Nicht-Tragen eines BH geht – die Frauenfiguren müssen ihre Entscheidungen stets mit der Gesellschaft verhandeln. Das Private, ja das Intime, ist in Mumbai wie in München gleichermaßen politisch. Dies ist der sprichwörtliche und auch im Titel der Anthologie aufgegriffene »elephant in the room« – ein Umstand, der offensichtlich ist und den dennoch niemand anzusprechen wagt. Diese Ausgabe schafft nicht nur einen Raum für weibliche Stimmen, sondern öffnet ihn durch die Kooperation mit den indischen Zeichnerinnen um eine weitere Perspektive, die über die des europäischen weißen Mittelschichtsfeminismus hinausgeht.

 

Spring #13
The Elephant in the Room
L. Bartscht, L. Bertonasco, K. Gopalakrishnan, G. Gupta, P. Kuriyan, U. Lust, A. Varkey, A. Sreenivasan, B. Yelin, K. Stangl, K. Susarla, marialuisa, N. Pagalies, P. Mallya, R. Singh, S. Wunderlich
Hamburg: mairisch, 2016
264 S., 20,00 Euro
ISBN 978-3-938539-39-2