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Comics als kritische Reflexion über Mainstream-Journalismus

The Comics of Joe Sacco: Journalism in a Visual World rezensiert von Sándor Trippó

Als Beweis dafür, dass sich der Comic vom billigen Unterhaltungsmedium zur anspruchsvollen Kunstform entwickelte, werden neben Graphic Novels immer wieder auch Joe Saccos Comic-Reportagen angeführt. Die erste kritische Auseinandersetzung, die im Buchformat über das Werk des maltesisch-amerikanischen Zeichners erschienen ist, weist nicht nur das gängige Narrativ vom ›Erwachsenwerden des Comics‹ zurück, sondern veranschaulicht auch mit textnahen Analysen, wie Saccos Arbeiten massenmediale Mediendiskurse problematisieren.

Joe Sacco hat sich mittlerweile auch im deutschen Sprachraum als ein hellsichtiger Chronist etabliert, der faszinierende Einblicke in das Alltagsleben in Krisenregionen wie Palästina oder im Gazastreifen bietet. Seine Arbeiten laden zum Nachdenken über massenmediale Darstellungstechniken ein, indem in seinen Reportagen der journalistische Leitbegriff ›Objektivität‹ durch die Polyphonie unterschiedlichster Erzählstimmen als diskursives Konstrukt enthüllt wird. Obwohl Sacco sowohl im Feuilleton wie auch im wissenschaftlichen Diskurs schon längst als Begründer des Comic-Journalismus gewürdigt wird und seine Comics in zahlreichen Einzelanalysen interpretiert wurden, fehlte bisher eine umfassende Auseinandersetzung mit seinen stark subjektiv geprägten Erzählwelten. Diese Lücke bedient nun der von Daniel Worden herausgegebene Band, der insgesamt fünfzehn Aufsätze versammelt. Nach dem einleitenden Kapitel, das nicht nur einen ausführlichen Überblick über Saccos Leben und Werk bietet, sondern auch die bereits vorliegende Forschungsliteratur systematisch darstellt, werden die gattungsspezifischen Erzählweisen des Comic-Journalismus herausgearbeitet.

Im zweiten Abschnitt steht die Raumdarstellung bei Sacco im Mittelpunkt, wobei die Comics Safe Area Goražde: The War in Eastern Bosnia, 1992-1995 (2000) und Days of Destruction, Days of Revolt (2012) im Hinblick auf ihren erzähltechnischen Umgang mit Landschaften und deren kartographischen Repräsentationen befragt werden. Im Anschluss an diese Überlegungen folgen Beiträge, die sich weiteren ästhetischen Inszenierungsverfahren widmen und die narrative Funktionalisierung von Gegenständen, Fremdbildern und Zeugenberichten fokussieren. Im letzten Teil geht es darum, wie Sacco alternative Geschichtsdeutungen hervorbringt und inwiefern sich diese zum Einsatz im Unterricht eignen. Im Anhang findet man ein Verzeichnis, in dem alle Arbeiten des Künstlers, einschließlich edierter Anthologien und Gemeinschaftsprojekte bis zum Jahr 2014 aufgelistet sind. Das Ziel des Bandes ist die Bereitstellung und Systematisierung von disziplinübergreifenden Fragestellungen zu Saccos Werk. Gleichzeitig regen die Beiträge durch die produktive Verknüpfung von literatur-, kultur-, medien- und politikwissenschaftlichen Ansätzen zu Reflexionen über die Spielarten des dokumentarischen Erzählens in anderen Bildmedien an.

In diesem Sinne wäre es zum Beispiel wohl möglich, die Fragestellungen des ersten Aufsatzes auf weitere mediale Formen der Berichterstattung zu übertragen und dadurch transmediale Querverbindungen sichtbar zu machen. Jared Gardner beschäftigt sich etwa damit, wie Sacco die kulturell bedingten Unterschiede der Zeitwahrnehmung in Szene setzt und die Ungleichzeitigkeit bzw. den Wechsel zwischen unterschiedlichen Wahrnehmungsmustern als Erzählverfahren einsetzt. Lan Dong widmet sich ebenfalls der erzähltechnischen Vielschichtigkeit, aber sie befasst sich damit, wie Sacco die konventionellen Arbeitstechniken des abendländischen Journalismus durch die Aneinanderreihung von mehreren Ich-Erzählungen sowie durch die Variation des zeichnerischen Abstraktionsgrades kritisch hinterfragt. Diese Überlegungen werden im folgenden Aufsatz teilweise weitergeführt: Ausgehend von der Comic-Anthologie Journalism (2012) arbeitet Isabel Macdonald zuerst einige grundlegende Merkmale des Comic-Journalismus heraus und veranschaulicht in einer textnahen Analyse, wie Sacco mit seiner figuralen Präsenz die Grenzen der journalistischen Objektivität erkundet. Marc Singer zeigt diesbezüglich jedoch, dass diese Kritik des Künstlers am Mainstream selektiv verfährt und die Comics zwischen Konvention und Subversion changieren.

Journalistische Objektivität wird nicht selten anhand kartographischer Darstellungen nahegelegt, und so untersucht Edward C. Holland, wie der Bosnienkrieg bei Sacco mittels Landkarten neu verhandelt wird. Georgiana Banita und Richard Todd Stafford setzen sich teilweise ebenfalls mit Karten auseinander und fragen danach, wie die Appalachen als eine durch die intensive Bergbautätigkeit ökologisch gefährdete Landschaft vermittelt werden. Während der erste Aufsatz die Repräsentationen der Umweltzerstörung als Fortsetzung des US-amerikanischen muckraking journalism interpretiert, geht der zweite der Frage nach, wie die Darstellungen von Raum und Mensch miteinander in Wechselwirkungen treten.

Nach diesen raumtheoretisch orientierten Beiträgen werden noch weitere repräsentationskritische Aspekte erörtert. Ann D‘Orazio betrachtet Alltagsgegenstände wie Teetassen und Kopftücher aus einer kulturnarratologischen Perspektive und zeigt, wie diese Objekte Vorstellungen über kulturelle Fremdheit vermitteln. In diesem Zusammenhang konstatiert Øyvind Vågnes, dass Sacco die dominanten Fremdbilder des Einwanderungsdiskurses wortwörtlich überzeichnet und so die Voraussetzung für die empathische Hinwendung zum Fremden (»politics of hospitality«, 159) schafft. Um Saccos Fremddarstellungen näher zu beleuchten, zieht Alexander Dunst anschließend die Ansätze von Alain Badiou heran. Nach ihm sind die politischen Konnotationen ebenso wichtig wie die viel diskutierten ethischen Aspekte, deshalb sollte man sich verstärkt diesen Merkmalen widmen und erkunden, wie die Wahrheit in Comics konstituiert wird. Bei Rebecca Scherr werden die Wirkungsweisen des Politischen anhand von abgebildeten Ritualen beschrieben, indem der performative Charakter des Zeugenberichts und des graphischen Erzählens betont werden.

Der letzte Abschnitt knüpft indirekt an diese Gedanken an und thematisiert in vier Aufsätzen die Inszenierung der Vergangenheit. Aufbauend auf der Unterscheidung zwischen linearen und zyklischen Zeitvorstellungen legt Ben Owen dar, wie Sacco die Spannung zwischen unterschiedlichen Zeichenstilen nutzt. Spannung ist auch auf der sprachlichen Erzähl­ebene vorhanden, so konzentriert sich Brigid Maher auf die Darstellung von Übersetzung und Sprache. Die letzten zwei Beiträge fokussieren aktuelle Bezüge der Geschichtsbilder bei Sacco: Maureen Shay widmet sich der Kriminalisierung afrikanischer Flüchtlinge und Kevin C. Dunn berichtet darüber, inwiefern Jugendliche mittels Comics für Konzepte wie Genozid oder Nationalismus sensibilisiert werden können.

Insgesamt handelt es sich um einen aufschlussreichen Band, der auch Medien- und Kulturwissenschaftler_innen ansprechen dürfte, die nicht unbedingt über Joe Saccos Comics arbeiten. Die Analysemodelle lassen sich neben anderen Comic-Reportagen sowohl auf Geschichtscomics als auch auf andere Erzählformen des Dokumentarischen übertragen. Wer sich aber doch mit Saccos Kriegsberichten beschäftigen möchte, dem bietet das Buch wertvolle Einblicke in die aktuellen Fragestellungen und Arbeitsweisen, und es eignet sich daher auch als perfekter Ausgangspunkt für kritische Auseinandersetzungen mit Saccos Comics The Great War: July 1, 1916. The First Day of the Battle of the Somme (2013) und BUMF (2014), die in diesem Sammelband noch nicht thematisiert wurden.

 

The Comics of Joe Sacco
Journalism in a Visual World
Daniel Worden (Hg.)
Jackson: University Press of Mississippi, 2015
298 S., 60,00 US Dollar
ISBN 978-1-4968-0221-7