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Zu den Potenzialen einer kultur­wissenschaftlichen grafischen Literatur­wissenschaft
Ein Analysevorschlag am Beispiel von Jeremy Loves Graphic Novel Bayou

Daniel Stein (Siegen)

Dass die Analyse von Comics – oder weiter gefasst: von grafischer Literatur – keiner besonderen Legitimation mehr bedarf und sich auch nicht mehr gegen den noch vor wenigen Jahren häufig geäußerten Trivialitätsverdacht wehren muss, sollte angesichts der gegenwärtigen Qualität und Fülle an wissenschaftlichen Publikationen, Konferenzen und Forschungsprojekten wohl nicht mehr betont werden. Was jedoch betont werden sollte, ist die Frage nach den Methoden der immer noch jungen und stark inter- bzw. multidisziplinär ausgerichteten Comicforschung.1 Zum einen gilt es, der simplen Anwendung bekannter Methoden aus anderen Forschungszweigen auf die grafische Literatur kritisch zu begegnen und auf die medialen Besonderheiten des Untersuchungsgegenstandes hinzuweisen. Man kann zum Beispiel eine comicspezifische Narratologie entwickeln, die sich zwar durchaus an existierenden, z. B. an Literatur, Film, Fernsehen und anderen Erzählformen erprobten, Ansätzen orientiert. Sie muss letztere aber konsequent an die spezifischen Gegebenheiten des sequentiellen Erzählens in Wort und Bild anpassen und sich von ihnen zu neuen Erkenntnissen leiten lassen.2 Zum anderen eignet sich grafische Literatur zur Überprüfung etablierter Forschungsparadigmen. Das betrifft auch den cultural turn in den Literatur­wissen­schaften: die kultur­wissen­schaftliche Erweiterung philologischer Fachperspektiven u. a. in der Amerikanistik, Anglistik, Germanistik, Romanistik und Slawistik hin zu der im Titel dieses Beitrags in Anlehnung an Ansgar Nünnings und Roy Sommers Aufsatzsammlung benannten kultur­wissen­schaftlichen Literatur­wissen­schaft.

Der vorliegende Beitrag möchte der Frage nachgehen, welches Erklärungspotenzial ein kultur­wissen­schaftlicher Ansatz für die grafische Literatur bereitstellen kann und welche theoretischen und methodischen Herausforderungen sich aus der kultur­wissen­schaftlichen Beschäftigung mit ihr ergeben. Konkret sollen diese Fragen an einem Beispiel erörtert werden: der Graphic Novel Bayou des Afroamerikaners Jeremy Love, die ursprünglich im Zuda Online-Portal des DC Comics Verlags und später zweibändig in gedruckter Form (2009/2010) erschien. Wie ich im Folgenden zeigen werde, eignet sich Bayou besonders gut für diese Art der Analyse. Denn Love nutzt die medienspezifischen Instrumentarien des grafischen Erzählens, um mit Bayou eine Geschichte über die Kulturgeschichte der USA zu präsentieren. Er verknüpft grafische Literatur und amerikanische Kultur in einer Weise, die eine kultur­wissen­schaftliche Erweiterung literatur­wissen­schaftlicher und comicspezifischer Herangehensweisen erfordert.

Kultur­wissen­schaftliche grafische Literatur­wissen­schaft

Um die Potenziale der hier vorgestellten kultur­wissen­schaftlichen grafischen Literatur­wissen­schaft richtig einschätzen zu können, muss zunächst klar gemacht werden, auf welchen Kulturbegriff rekurriert wird und welche Rolle die grafische Literatur innerhalb dieses Kulturbegriffs spielt. Mit Nünning und Sommer gesprochen, ist Kultur »der von Menschen erzeugte Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen [...], der sich in Symbolsystemen materialisiert« (18). Diese Symbolsysteme, so erkennt der amerikanische Kulturanthropologe Clifford Geertz bereits in The Interpretation of Cultures (1973), konstituieren sich als vernetzte Bedeutungszusammenhänge, die Kultur als Ergebnis menschlichen Handelns entstehen lassen und die man mit dem hermeneutischen Rüstzeug der Literatur­wissen­schaften (bzw. Geisteswissenschaften) deuten kann. Geertz schreibt in der entscheidenden Passage:

The concept of culture I espouse [...] is essentially a semiotic one. Believing [...] that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it to be therefore not an experimental science in search of law but an interpretive one in search for meaning. (5)

FĂĽr Geertz ist Kultur in den Worten von Udo Hebel

ein engmaschiges Netz aus Zeichen und symbolischen Verweiszusammenhängen unterschiedlichster Formen und Materialien [...]. Der Begriff ›Kultur‹ beschreibt ein dynamisches und vielstimmiges Feld, das eine Vielzahl an Manifestationen kultureller Produktion und an Praktiken kulturellen Verhaltens umfasst. Textuelle Repräsentationen unterschiedlichster Formen und Gestaltungen, visuelle Dokumente unterschiedlichster Materialien und Techniken, musikalische Werke unterschiedlichster Arten, materielle Artefakte unterschiedlichster Größen und Nutzungsmöglichkeiten, performative Akte und soziale Verhaltensweisen, Rituale, Feiern, natürliche und künstlich geschaffene Räume u. v. a. m. sind gleichermaßen Teil einer Kultur und Untersuchungsgegenstände kultur­wissen­schaftlicher Interpretation. (3)3

Innerhalb dieses Kulturbegriffs nimmt Literatur eine wichtige Stellung ein, denn sie ist nicht nur eine bedeutungsvolle und vielfach selbst-reflexive Manifestation menschlicher Kulturproduktion, sondern gleichzeitig ein Forum praktischer Aushandlung von Kultur und damit auch ein Entstehungs- und Reflexionsort von Gesellschaft. Nünning und Sommer schlagen daher vor, »Konzeptionen von Literatur als Symbolsystem und Literatur als Sozialsystem [nicht] gegeneinander auszuspielen«, sondern Literatur vielmehr »als Symbolsystem und als Sozialsystem zu untersuchen. Im Rahmen einer kultur­wissen­schaftlichen Betrachtungsweise erscheint es nämlich sinnvoll, Literatur sowohl als Menge von Texten bzw. als Symbolsystem als auch als gesellschaftlichen Handlungsbereich bzw. als Sozialsystem zu modellieren« (16).4 Daraus leiten die Autoren die Aufgabe einer kultur­wissen­schaftlich orientierten Literatur­wissen­schaft wie folgt ab: Es geht darum, »durch elaborierte textanalytische Verfahren und Untersuchungen der Symbolsysteme von Kulturen Aufschluß über Literatur als Symbol- und Sozialsystem zu gewinnen« (16).

Mit dieser Erweiterung der ehemals werkzentrierten und vom New Criticism geprägten Literatur­wissen­schaft zur Kultur­wissen­schaft verknüpft sich eine ganze Reihe von Überlegungen. Will man tatsächlich eine »ganzheitlich kultur­wissen­schaftliche und kulturhistorische Perspektive« (Hebel, 2), entwickeln, steht man vor einem (mindestens) zweifachen Problem.

Erstens ist Kultur, wie bereits erwähnt, viel mehr als Literatur. Kultur umfasst alle Medien und Ausdrucksformen, mit denen sich Menschen über sich selbst und ihr Zusammenleben austauschen. Will man Kultur darüber hinaus als Gesamtzusammenhang menschlicher Handlungen verstehen, dann muss man notgedrungen über den Tellerrand einzelner Werke, Gattungen und Medien (Nünnings und Sommers »Symbolsysteme«) schauen und die Verbindung zwischen Text und Kontext, d. h. die Verbindung zwischen literarischem Werk und den sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen (Nünnings und Sommers »Sozialsysteme«), die es hervorbringen und auf die es gleichzeitig rückwirkt, in den Blick nehmen.5

Das bedeutet zweitens, dass ein kultur­wissen­schaftlicher Ansatz mit dem Methodenspektrum einer Fachdisziplin nicht auskommen kann. Daher definieren Winfried Fluck und Thomas Claviez die American Studies als »a joint, interdisciplinary academic endeavor to gain systematic knowledge about American society and culture in order to understand the historical and present-day meaning and significance of the United States« (ix). In dieser Definition kommt Literatur gar nicht mehr explizit vor; sie ist Teil einer Kultur geworden, die es systematisch mithilfe interdisziplinärer, sich der Methoden verschiedener Fächer bedienender Ansätze, zu erforschen gilt.

Eine kultur­wissen­schaftlich ausgerichtete Comicforschung wäre demnach ein interdisziplinäres Unterfangen mit dem Ziel des systematischen Erkenntnisgewinns über die historischen und gegenwärtigen Bedeutungen zunehmend transnational operierender und global vernetzter Gesellschaften und ihrer Kulturen, von denen die grafische Literatur ein Bestandteil ist.6 Im Folgenden soll das Potenzial dieses Unterfangens am Beispiel von Loves Graphic Novel Bayou ausgelotet werden. Dabei soll vor allem der Frage nachgegangen werden, wie eine kultur­wissen­schaftliche Analyse des Symbolsystems der grafischen Literatur mit einer Analyse des Sozialsystems, d. h. des gesellschaftlichen Handlungsbereichs, in dem dieses Werk entstanden ist und in dem es seine kulturelle Arbeit verrichtet, aussehen könnte.

Jeremy Loves Bayou – Erste Erklärungsversuche

Als Gegenstand meiner Analyse habe ich einen Text gewählt, der außerhalb dessen liegt, was man gemeinhin als den amerikanischen Literaturkanon bezeichnen würde (wenn man sich denn überhaupt auf einen Kanon festlegen wollte). Denn Loves Bayou ist ein Vertreter der grafischen Literatur, genauer gesagt, eine Graphic Novel.7 Die Tatsache, dass diese Graphic Novel in den Blick kultur­wissen­schaftlicher Forschung rücken kann, zeigt, dass sich der Literaturbegriff um eine visuelle Komponente – um Bilder – bereichern lässt, ohne dass wir ihn gänzlich aufgeben müssen.8 Dennoch muss betont werden, dass sich Graphic Novels – längere fiktionale Geschichten, die mit den Mitteln des Comics, z. B. Sprechblasen und über die Seiten verteilte gerahmte Einzelbilder, erzählen – nicht allein mit literatur­wissen­schaftlichen Instrumenten analysieren lassen.

Bayou handelt von einem schwarzen Mädchen namens Lee Wagstaff, deren Vater Calvin im tiefen Süden der USA, genauer gesagt in dem Städtchen Charon im ehemaligen Sklavenstaat Mississippi, fälschlicherweise des Mordes an ihrer weißen Freundin Lilly bezichtigt wird und im Gefängnis sitzt. Lee möchte ihn vor der Verurteilung und dem drohenden Lynching retten und macht sich auf die Suche nach Lilly. Sie hatte beobachtet, dass Lilly von einer unheimlichen Kreatur, die dem nahegelegenen Sumpf (bayou) entstiegen war und sich später als der geisteskranke Cotton Eyed Joe herausstellen wird, gefressen wurde. Sie will herausfinden, ob Lilly noch lebt und sie, wenn möglich, aus dem Bauch der Kreatur befreien, um ihren Vater vor dem Tod zu retten. Auf dieser Reise trifft sie auf Bayou, einen liebenswürdigen grünen Riesen aus dem Sumpfgebiet, der sie beschützt, sowie auf eine Reihe weiterer Unterstützer_innen und Antagonist_innen.

Aus einer literatur­wissen­schaftlichen Perspektive erkennen wir in dieser Handlung eine quest narrative – eine Queste, in der sich die Hauptfigur auf die Suche nach einer verlorenen Person macht und sich während dieser Suche einem Charaktertest unterziehen muss (der dritte und letzte Teil von Bayou steht noch aus, daher bleibt die Queste bislang unvollendet). Obwohl Bayou diese Queste in einer Welt platziert, die sich an den geografischen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Realitäten der 1930er Jahre orientiert, wird schnell klar, dass wir es hier nicht mit einem dokumentarischen Text, sondern mit einer Graphic Novel zu tun haben, die eine Vielzahl historischer Kontexte und – das ist essentiell – ihre medialen, darunter auch literarischen, Vermittlungen aufruft: die sich im Symbolsystem und im Sozialsystem der grafischen Literatur verortet, indem sie sowohl die Geschichte amerikanischer Comics als auch die Geschichte der amerikanischen Rassentrennung reflektiert und annotiert. Denn was Nünning und Sommer grundsätzlich für das Symbolsystem Literatur anmerken, wird in Loves Graphic Novel besonders deutlich: »Im Rahmen einer kultur­wissen­schaftlich ausgerichteten Literaturgeschichte sind literarische Texte weniger als Quellen oder transparente Dokumente für alltagsgeschichtliche Phänomene anzusehen, sondern als Formen der kulturellen Selbstwahrnehmung und Selbstthematisierung. [...] Vielmehr manifestieren sich die kulturbestimmenden sozialen Konstellationen, Diskurse und Mentalitäten in Texten« (20). Bayou ist demnach als Ausdruck amerikanischer Selbstwahrnehmung und Selbstthematisierung zu lesen, als eine Graphic Novel, die uns auf die historischen Auswirkungen der sozialen Konstellation der Rassentrennung aufmerksam macht, rassistische Diskurse zu unterminieren versucht und afroamerikanische Diskurse ins Bewusstsein der Leser_innen rücken will. Damit hinterfragt der Text sowohl die Mentalität des amerikanischen Südens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als auch die Mentalität amerikanischer Mainstream-Comics Anfang des 21. Jahrhunderts, indem er ein vornehmlich ›weißes‹ Medium mit einer dezidiert ›schwarzen‹ Geschichte konfrontiert.

Abb. 1a/b: Lee Wagstaff und Billy Glass in Bayou Volume 1 (Love, [12], [110]).

Einen ersten Hinweis auf die Fiktionalität der Erzählung, die sich historischer Fakten bedient, ohne die Autorität etablierter Geschichtsschreibung vollends anzuerkennen, findet sich in der Figur Billy Glass. Billy wurde von Weißen ermordet, weil er angeblich mit einer weißen Frau geflirtet hatte, und Lee muss seine Leiche, die seine Mörder in den Fluss geworfen hatten, gleich zu Anfang der Erzählung bergen. Billys Geist wird Lee im Laufe der Erzählung beschützen, fungiert also anders als das von der geflohenen Sklavin Sethe aus Angst vor der Versklavung getötete Baby und als böser Geist zurückkehrende Mädchen Beloved aus Toni Morrisons gleichnamigen Roman (1987), als eine Art Schutzengel (Abb. 1a/b). Aus kulturhistorischer Sicht bedeutsam ist vor allem die Tatsache, dass die Figur auf einer real existierenden Person, nämlich Emmett Till, basiert. Till wurde 1955 im Alter von 14 Jahren ermordet, als er zu Besuch in Mississippi war und – wie Billy Glass in Bayou – angeblich eine weiße Frau verbal sexuell belästigt hatte.

Entscheidend bei dieser Referenz auf den historischen Mordfall ist der Anachronismus, der ihr zugrunde liegt. Denn Bayou spielt etwa zwanzig Jahre vor Tills Ermordung und erinnert die Leser_innen damit an die dichterische Freiheit, mit der sich (grafische) Literatur über historische Kontinuitäten hinwegsetzen und neue Sichtweisen auf gesellschaftliche Widersprüche etablieren kann. Bayou führt uns durchaus im Sinne von Hayden Whites Konzept des emplotment die narrative Konstruktion von Geschichte vor und nutzt dazu literarische Anleihen aus dem postmodernen Roman, darunter Flight to Canada (1976) von Ishmael Reed, in dem Sklaven Fernsehen schauen, Flugzeug fliegen und sich über die Perversionen des Sklavensystems mokieren. Bayou ist somit nicht nur eine Erzählung über die amerikanische Geschichte, sondern auch eine Erzählung, die die Gemachtheit historischer Narrative und Zusammenhänge mit den Mitteln der grafischen Literatur herausstellt.9

Abb. 2: Der Mythos des idyllischen SĂĽdens in Bayou Volume 1 (Love, [5]).

Die ersten drei Seiten der Graphic Novel verdeutlichen diese Annahme. In vier Szenen wird, mit Geertz gesprochen, ein Netz aus Bedeutungszusammenhängen gespannt, das eng mit dem Bilder- und Geschichtenrepertoire der amerikanischen Kultur verwoben ist und sich, mit Nünning und Sommer gesprochen, tief in das Symbolsystem populärkultureller Darstellungen des amerikanischen Südens eingräbt. Die erste Seite (Abb. 2), eine splash page, ruft den Mythos des idyllischen Südens auf: ein Ort, an dem die blühende Baumwolle und die glühende untergehende Sonne ein kleines Häuschen im Schatten zweier Bäume umgarnen. Hier, so die Botschaft, leben weiße und schwarze Menschen nahe an der Natur, fernab von Industrialisierung und Urbanisierung, und sie tun dies im harmonischen Miteinander. Dieser Mythos geht bis ins 18. Jahrhundert zurück, prägte das Genre der plantation romance und wurde nach dem Bürgerkrieg zum festen Bestandteil amerikanischer Populärkultur. Margaret Mitchells Bestseller Gone with the Wind aus dem Jahr 1936 und die Oscar-prämierte Verfilmung aus dem Jahr 1939 sowie Disneys Adaption der Uncle Remus-Geschichten von Joel Chandler Harris als Song of the South von 1946 sind wirkmächtige Beispiele populärkultureller Verlängerungen des plantation myth ins 20. Jahrhundert.10 Dass dieser Mythos von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung ist und sich in seiner Funktion nicht auf das Symbolsystem der Literatur bzw. der Populärkultur begrenzen lässt, sondern auch das Sozialsystem der Rassentrennung im tiefen Süden zu legitimieren versucht, soll hier nicht unerwähnt bleiben.

Abb. 3: Charron, Mississippi 1933, Schauplatz der Handlung in Bayou Volume 1 (Love, [6]).

Blättert man um, schlägt das auf der ersten Seite evozierte Südstaatenidyll schlagartig ins Gegenteil um (Abb. 3). Wir befinden uns, wie die gerahmte caption am rechten unteren Rand der zweiten Seite informiert, in Charon, Mississippi, im Jahr 1933. Besucher werden hier zwar willkommen geheißen, wie auf dem Schild neben der Straße zu lesen ist, doch dass Schwarze davon ausgenommen sind, wird bereits durch die Südstaatenflagge annonciert. Die Flagge repräsentiert mitunter das Verlangen nach dem ›alten‹ Süden, dem antebellum oder old South, der durch die Sklaverei geprägt war und sich den Glauben an eine rurale Gesellschaft nach dem Modell von Thomas Jeffersons agrarian ideal nicht von dem industrialisierten Norden nehmen lassen wollte und dafür sogar in den verlustreichsten Krieg der amerikanischen Geschichte zog. Auf der nächsten Seite wird der Status Quo der 1930er Jahre angeprangert (Abb. 4). Es herrscht auch lange nach der Abschaffung der Sklaverei ein System der Rassentrennung, das Schwarze (coloreds, im rassistischen Diskurs der Zeit) und Weiße im öffentlichen Raum segregiert (daher »colored entrance«), was im Bild durch die Krähe symbolisiert wird. Das System der Rassentrennung nannte man nämlich umgangssprachlich Jim Crow laws (crow = Krähe).

Abb. 4: Jim Crow und Lynching-Szene in Bayou Volume 1 (Love, [7]).

Dass das System der Rassentrennung ebenso wenig harmonisch war wie das System der Sklaverei, wird durch das letzte Bild im Bild vermittelt (Abb. 4). Es zeigt fünf weiße Männer und ein Kleinkind, die auf einen Baum blicken, an dem ein schwarzer Mann der Lynchjustiz zum Opfer gefallen ist. Nur die blutgetränkten Beine sind zu sehen; der Rest muss von den Betrachter_innen ergänzt werden. Dass diese Ergänzung möglich ist, hängt von der Bildgestaltung ab, durch die Love, ganz im Sinne von Scott McClouds Konzept der closure, dem »observing the parts but perceiving the whole« (63), seine Leser_innen in die Erzählung involviert und damit in die Pflicht nimmt, sich den Gräueltaten der Vergangenheit zu stellen. Das Mississippi der 1930er Jahre wird somit nicht nur in der von Love präsentierten Erzählung zum Schreckensort für die schwarze Bevölkerung, die durch Rassentrennung unterdrückt und durch weiße Lynchmobs terrorisiert wird. Die Bilderfolge inszeniert darüber hinaus auch einen Aufruf zur Korrektur populärer amerikanischer Geschichtsdarstellungen (wie in Gone with the Wind und Song of the South), in denen das nostalgische Südstaatenidyll die brutale Alltagspraxis des Lynching standardmäßig verdrängt.11

Was durch diese Bilderfolge klar geworden sein sollte, ist Folgendes: Bayou verwendet ein historisches Setting und verpflichtet sich damit zumindest teilweise einer von Fakten gestützten Darstellung der Ereignisse. Dieses Setting wird aber verfremdet, indem es von einer realistischen Darstellungsweise in eine Fabelwelt übertragen wird, die anderen Gesetzlichkeiten folgt. Am deutlichsten sieht man das an den vielen Tierfiguren, die menschenähnliche Züge aufweisen: auf zwei Beinen gehen, sprechen können, Kleidung tragen und sich auch sonst weitgehend wie Menschen verhalten (z. B. B’rer Rabbit oder die Tiere im Honky Tonk; Abb. 5). Dieser Kunstgriff lässt sich auf mindestens vierfache Weise erklären und auf seine Effekte für die geschilderten Ereignisse befragen.

Abb. 5: Anthropomorphe Tiere im Honky Tonk in Bayou Volume 2 (Love, [36]).

Zunächst können wir diese anthropomorphen Tiere aus literatur­wissen­schaftlicher Perspektive als grafische Variante des magischen Realismus (Gabriel García Márquez, Toni Morrison) deuten, den das Neue Handbuch der Literatur­wissen­schaft folgendermaßen definiert:

Zwischen der Realität, die man eigentlich die ›reale Realität‹ nennen müßte, und der magischen Realität, wie die Menschen sie erleben, gibt es eine dritte Realität, und diese andere Realität ist nicht nur Produkt des Sichtbaren und Greifbaren, nicht nur der Halluzination und des Traums, sondern ist Ergebnis der Verschmelzung dieser beiden Elemente. (Hermand, 448)

Somit ließe sich Bayou als ein Versuch lesen, neben der offiziellen Geschichtsschreibung und den damit häufig in Widerspruch stehenden aber im Rückblick nur schwer zu fassenden erlebten Wirklichkeiten der afroamerikanischen Bevölkerung eine über das Sichtbare und Greifbare hinausweisende, traum- und fabelhafte Welt zu imaginieren, die Geschichte paradoxerweise ›realer‹ als ein dokumentarischer Text erscheinen lässt.

Aus einer zweiten, folkloristischen Perspektive, stehen die anthropomorphen Figuren in der Tradition der Sklavenerzählungen, die häufig Elemente afrikanischer Tierfabeln beinhalten und seit den 1880er Jahren durch die Uncle Remus-Bücher des Journalisten Joel Chandler Harris einer breiten amerikanischen Öffentlichkeit zugänglich wurden. Love rekurriert mehrfach auf diese Erzählungen, indem er Figuren wie B’rer Rabbit und das Tar Baby sowie sogar die Erzählerfigur Uncle Remus selbst auftreten lässt (Abb. 6a/b). In Harris’ Büchern werden die brutalen Geschichten der Sklaven durch eine verharmlosende Rahmenerzählung in eine ›sichere‹, für eine weiße Leserschaft konsumierbare und eher exotische als subversive Form gebracht.12 Bayou aber bringt die Brutalität der afroamerikanischen Folklore (neben B’rer Rabbit auch der Badman Stagolee und das Sumpfmonster Golliwog), die als Reaktion auf die Unterdrückung während und auch noch nach der Sklaverei zu verstehen ist, zurück ins Blickfeld heutiger Leser_innen und lässt sie durch intertextuelle, interpiktoriale und intermediale Verweise wieder Teil des Symbolsystems der grafischen Gegenwartsliteratur werden.13

Abb. 6a/b: Uncle Remus und seine Fabelwesen in Bayou Volume 2 (Love, [141], [91]).

Aus einer dritten, comicpezifischen Perspektive etablieren Loves anthropomorphe Figuren Kontinuität zu früheren Vertretern des Mediums. Vermenschlichte Tiere gehören nämlich nicht nur seit den frühen Tagen amerikanischer Comics zum festen Figurenrepertoire, sie dienen wiederholt als Chiffre für die ethnische Vielfalt der USA. So enthält George Herrimans Comicstrip Krazy Kat (1913–1944), in dem eine verrückte Katze, eine freche Maus und ein phlegmatischer Hund über Jahrzehnte ihre verrückten Spiele treiben, eine ganze Reihe von Anspielungen auf Herrimans Praxis des passing for white, d. h. der öffentlichen Verschleierung seiner ethnischen Identität als Kreole mit afroamerikanischen Wurzeln.14 Disneys Mickey Mouse (1928/1930) verweist durch ihre Physiognomie durchaus auf die blackface minstrel shows des 19. Jahrhunderts.15 Und in Art Spiegelmans (auto)biografischer Holocaust-Erzählung Maus (1996) führen die anthropomorphen Figuren den Leser_innen vor Augen, dass Geschichte niemals ungebrochen, rein faktisch und realitätsgetreu geschrieben wird, sondern immer durch die sie vermittelnden Medien – in diesem Fall durch einen Comic – mitgestaltet wird, und dass der historische Blick auf das ethnisch Andere (ethnic Other) als Maskerade entlarvt werden kann.16

Aus einer vierten, kultur­wissen­schaftlichen Perspektive erscheinen die anthropomorphen Figuren als Bestandteil eines umfangreichen und emotional aufgeladenen Bilder- und Geschichtenarchivs, in das sich Bayou einbettet, indem es auf historische Quellen wie Fotografien, Filmmaterial, Zeitungsartikel, aber auch gängige literarische Topoi verweist. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die fiktive Zeitungsberichterstattung, die das rassistische Selbstbild der Südstaaten idealisiert und Lees Vater als brutalen Killer darstellt. Sie steht der Figurenzeichnung des Vaters diametral entgegen und macht die Leser_innen somit auf die Diskrepanz zwischen den offiziellen historischen Dokumenten und der von Schwarzen erlebten Wirklichkeit aufmerksam. Denn Geschichte wird, wie uns die postkoloniale Theorie gelehrt hat, von den Unterdrückern, und nicht von den Unterdrückten, geschrieben, und wie uns Love verdeutlicht, ist mit dem Ende der großen Erzählungen die Notwendigkeit, subalterne Geschichte immer wieder neu zu imaginieren, längst nicht verschwunden.

Grafische Literatur und kulturelles Gedächtnis

Will man Bayou in seiner erzählerischen Komplexität und Vernetzung in der amerikanischen Kultur verstehen, muss man über eine werk-immanente, d. h. nur den Text und die Bilder in den Blick nehmende, Analyse hinausgehen.17 Eine rein literarische Sichtweise wäre auch problematisch, denn Comics unterscheiden sich von textbasierter Literatur nicht nur durch ihre Erzählweisen innerhalb des Symbolsystems der grafischen Literatur, sondern auch durch ihre spezifischen Produktions- und Rezeptionsweisen innerhalb des Handlungssystems der amerikanischen Kultur. Folgt man Nünning und Sommer, dann »verkörpert [Literatur ...] einen (zentralen) Aspekt der materialen Seite der Kultur bzw. der medialen Ausdrucksformen, durch die eine Kultur beobachtbar wird« (19).

Doch was genau macht Bayou an der amerikanischen Kultur beobachtbar? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich im letzten Analyseschritt zwei Dinge tun. Ich möchte erstens die vier Elemente aufgreifen, die Michael Meyer in seinem Einführungsbuch English and American Literatures (2008) als Wesensmerkmale von Literatur identifiziert, um herauszuarbeiten, welchen Erkenntnisgewinn das Festhalten an gewissen literatur­wissen­schaftlichen Parametern für eine kultur­wissen­schaftlich orientierte Comicforschung mit sich bringen kann.18 Im zweiten Schritt möchte ich den Begriff des kulturellen Gedächtnisses in seiner Verwendung durch Nünning und Sommer aufgreifen und für die Analyse von Bayou fruchtbar machen. Die beiden Schritte sollen zeigen, dass literatur­wissen­schaftliche Methoden für das Verständnis grafischer Literatur zwar nicht ausreichen und deshalb eine kultur­wissen­schaftliche Erweiterung vonnöten ist, dass es aber dennoch durchaus sinnvoll sein kann, den Literaturbegriff beizubehalten und auf literatur­wissen­schaftlichen Erkenntnissen aufzubauen.

Für Meyer ist Fiktionalität das wichtigste Element von Literatur. Fiktionale Texte lassen sich nicht überprüfen oder widerlegen, weil sie nicht an einen Wahrheitsanspruch gebunden sind, oder zumindest nicht an einen Wahrheitsanspruch empirischer oder faktischer Natur. Sie entwerfen fiktionale Welten im als ob-Modus, der es Autor_innen und Leser_innen erlaubt, die eigene Welt mit anderen Augen zu sehen. Dass Bayou eine fiktionale Welt – einen tiefen Süden, der mythologische und fabelhafte Züge trägt – entwirft, ist offensichtlich. Entscheidend sind aber zwei Dinge. Zunächst ist wichtig, dass die hier entworfene Welt keineswegs unverbunden neben der historischen Welt der 1930er Jahre steht, sondern sich ihr gegenüber kritisch (und vielleicht auch stellenweise nostalgisch) positioniert. Darüber hinaus sollte klar geworden sein, dass die fabelhafte, mit populärkulturellen Verweisen gespickte Verfremdung der Welt, in der die kleine Lee ihren Vater zu retten versucht, die Leser_innen auf eine trotz des Sujets äußerst unterhaltsame Reise durch das Bild- und Textrepertoire der amerikanischen Kultur mitnimmt. Wie ebenfalls deutlich geworden sein sollte, beschreibt dieses Reservoir amerikanische Geschichte nicht einfach teilnahmslos, sondern ist an der Konstruktion dieser Geschichte elementar beteiligt und wird genau deshalb in Bayou dekonstruiert. Diese Formen der Konstruktion und Dekonstruktion amerikanischer Selbstbeschreibungen verstehen zu lernen, inklusive ihrer Fähigkeit, ästhetischen Genuss zu erzeugen, ist Aufgabe einer kultur­wissen­schaftlichen Literatur­wissen­schaft, die (grafische) Literatur möglichst umfangreich in den Bedeutungsgeflechten amerikanischer Kulturproduktion verortet.

Meyers zweites Wesensmerkmal von Literatur ist ihre Fähigkeit, ästhetische Erfahrung zu produzieren. Als fiktive Form der Welterzeugung vermag sie es, Leser_innen auf eine besondere Weise anzusprechen, sie gedanklich und gefühlsmäßig in eine imaginierte Welt zu transportieren und dadurch ihr Weltverständnis zu verändern. Hier kann das Symbolsystem der (grafischen) Literatur sozialsystemisch wirken. Das liegt unter anderem an der hybriden Erzählweise von Comics, an ihrer Kombination aus Bild- und Textelementen, die es erlaubt, symbolträchtige Bilder wie z. B. die Südstaatenflagge oder die Opfer eines Lynchmobs mit den Möglichkeiten schriftsprachlicher Narration zu verknüpfen. Sowohl durch die Bildgestaltung und Zeichensprache der Graphic Novel, die uns Lee und ihre Kompagnons ans Herz wachsen und uns mit ihnen und ihrem Schicksal identifizieren lassen, als auch durch die Sprache, durch die die Figuren zueinander und zu uns sprechen, können Comics wie Bayou ästhetisch wirken. Sie können politische und soziale Effekte erzielen, sobald sie Leser_innen in ihrer Haltung gegenüber der amerikanischen Geschichte und Gegenwart beeinflussen.

Meyers drittes Wesensmerkmal von Literatur ist ihr Status als kreative Schöpfung durch Autor_innen, an deren subjektiver Sicht auf die Welt und ihre imaginäre Verfremdung wir in der Regel interessiert sind. Das Wissen um die Tatsache, dass Bayou von einer existierenden Person mit einer individuellen Einstellung geschrieben wurde, macht einen Teil der Attraktivität des Werks aus. Warum sonst würden wir uns für die Leben und Meinungen von Autor_innen interessieren? Wie uns die New Critics bereits in den 1940er Jahren warnten, besteht zwar die Gefahr einer intentional fallacy (Wimsatt/Beardsley): die Gefahr, ein Werk aus der Autorenbiografie heraus zu interpretieren oder Stellungnahmen von Verfasser_innen literarischer Texte beim Wort zu nehmen. Doch gerade im Umfeld US-amerikanischer Comics sind Formen auktorialer Selbstinszenierung schon lange integraler Bestandteil der Rezeption einzelner Werke und Genres und müssen daher in die Analyse einbezogen werden.19

Im Fall von Love ist davon auszugehen, dass seine afroamerikanische Herkunft den meisten Leser_innen bewusst ist und Bayou daher als eine Auseinandersetzung mit der rassistischen Geschichte der amerikanischen Südstaaten aus der Innenperspektive eines gesellschaftlich marginalisierten Autors rezipiert wird. Loves Aussagen über den Süden der 1930er Jahre aus diesem Grund als authentisch oder besonders glaubhaft zu werten, wäre allerdings problematisch. Denn Bayou ist zum einen kein autobiografischer Comic, der auf der Lebensgeschichte seines Autors beruht, sondern ein fiktionales Werk (außerdem ist es nicht das Werk einer einzelnen Person, sondern eine Kollaboration zwischen Love und Kolorist Patrick Morgan). Zum anderen webt sich diese Graphic Novel in die bereits genannten webs of significance ein, aus denen sich amerikanische Kultur immer wieder neu schafft. Und sie tut dies, indem sie symbolträchtige Bilder entwirft, deren Interpretation gerade aufgrund ihres hohen emotionalen Potenzials vielfältig sein muss – die Südstaatenflagge verkörpert z. B. nicht einfach eine einzelne, klar abgrenzbare Ideologie, sondern kann bei Betrachter_innen unterschiedliche Assoziationen erzeugen.

Auktoriale Aussagen gehören, je nachdem wo sie platziert werden, nach Gérard Genette entweder zum Peritext oder zum Epitext eines Werks. Sie sind mehr oder weniger eng mit dem Werk verbunden und kommentieren es auf diese Weise, ohne selbst integraler Teil dieses Werks zu sein. Von Love existieren Interviews, in denen er über seine Ideen für Bayou befragt wird und seinen Rezipient_innen Interpretationsanleitungen an die Hand gibt. Diese Anleitungen können zur Plausibilisierung einer Interpretation herangezogen werden, denn sie stellen einen expliziten Konnex zwischen Text und Kontext, Literatur und Kultur, Symbolsystem und Sozialsystem, her. Beispiele dafür sind Loves Hinweis auf die Bedeutung der Mythologie der Südstaaten und sein Interesse an Erzählungen wie Uncle Remus und Song of the South, aber auch seine Charakterisierung der Graphic Novel als »epic fantasy tale« und »mash up [of] elements of the Civil War, blues, African mythology, Southern Gothic and American folklore« (Hogan). Ebenso ist hier die auf eine Vorstellung von Kultur als engmaschiges Netz verwobener Zeichen hindeutende Formulierung »tapestry that is the American South« (ebd.) zu nennen, oder auch die Aussage »I love being able to marry the feeling of realism with fantasy« (Renaud), die die Interpretation von Bayou als Vertreter des magischen Realismus stützt.

Abb. 7: Bayous Erinnerung an seine Kinder in Bayou Volume 1 (Love, [143]).

Das vierte Element, das Meyer als Wesensmerkmal von Literatur veranschlagt, sind formale und künstlerische Qualitäten, im Fall von Bayou also die besondere Erzählweise von Comics. Comics erzählen in Bildsequenzen, d. h. in einer Abfolge von meist gerahmten Einzelbildern, die durch einen weißen Steg getrennt sind, was nach McCloud ein ständiges Zusammenfügen von Einzelsegmenten durch die Rezipient_innen (closure) und nach Jared Gardner eine ständige leserseitige Projektion der eigenen Imagination auf das im Comic Gezeigte und Nicht-Gezeigte notwendig macht. Ich möchte Loves künstlerische Gestaltung dieser formalen Qualitäten an einem letzten Beispiel aus Bayou illustrieren. Gegen Ende des ersten Bandes sehen wir Bayou, wie er von einer Posse des Bösewichts Bossman gefangen genommen und ausgepeitscht wird. Die Bildsequenz erstreckt sich über insgesamt fünf Seiten und zeigt den Ablauf der Handlung in kurz getakteten Momentaufnahmen, die die Leser_innen zu einer fließenden Gesamthandlung zusammenfügen müssen. Die Sequenz ergibt nur dann einen Sinn, wenn wir erkennen, dass hier sehr wenig Zeit vergeht und dass die Panels ständig die Perspektive wechseln. Auf den ersten Seiten werden wir als Beobachter_innen positioniert; auf der letzten Seite nehmen wir die Geschehnisse aus Bayous Blickwinkel bzw. aus einer ihm sehr nahe gelegenen Position wahr. Eine unbeteiligte, der amerikanischen Geschichte gegenüber neutral auftretende Haltung, wird somit unmöglich; man muss, zumindest imaginativ, am Geschehen teilnehmen und sich zu den gezeigten Gräueltaten verhalten. Darüber hinaus müssen wir verstehen, dass zwischen den Panels komplexe Kausalzusammenhänge bestehen: dass das zweite Panel auf der dritten Seite der Sequenz nicht Lees Schrei nach Hilfe zeigen kann, weil hier zwei Kinder in Ketten und mit Haaren, die nicht nach Lees Frisur aussehen, nach Bayou rufen (Abb. 7).

Abb. 8a/b: Bedeutungskonstitution durch Panel-Kontexte in Bayou Volume 1 (Love, [144], [145]).

Was wir hier sehen, erschließt sich erst aus der Erkenntnis, dass wir in diesem Panel an Bayous Gedankenfluss teilnehmen.20 Es bleibt unklar, wer die Kinder in Ketten sind, doch das Bild evoziert die Ära der Sklaverei und legt nahe, dass es sich bei ihnen um Bayous Verwandte oder Freunde handelt. Wir haben es hier mit einem nicht explizit gekennzeichneten Flashback aus Sicht des focalizers Bayou zu tun, der mit diesen Flashback schlagartig an Komplexität gewinnt. Auf der nächsten Seite sehen wir die Reaktion von Lee und ihrem Entführer General Bog auf etwas, das Bayou außerhalb des Bildausschnitts getan hat. Der schmerzerfüllte Schrei kommt nicht von Bayou, sondern von seinem Peiniger, wie wir auf der letzten Seite der Sequenz sehen (Abb. 8a/b). Hierdurch führt uns Love eindrucksvoll eines der Strukturprinzipien des Comics, die räumliche Darstellung von Zeitlichkeit, vor Augen und inszeniert so einen amerikanischen Süden in der Tradition von William Faulkner und Toni Morrison, in dem Vergangenheit und Gegenwart sich immer wieder überlappen.

Um die gesamte Erzählsequenz zu entziffern, sind offensichtlich komplexe comicspezifische Lesefähigkeiten vonnöten. Aber nicht nur das: ihre volle Wirkung kann die Sequenz nur dann entfalten, wenn wir sie im Bilderrepertoire amerikanischer Geschichte und (populärkultureller) Geschichtsschreibung verorten. So ist es sicherlich kein Zufall, dass Bayous Auspeitschung und das Narbengeflecht auf seinem breiten Rücken (Abb. 9) eine Kette von literarischen, fotografischen und filmischen Assoziationen hervorrufen. Diese Assoziationen reichen von Fotos vernarbter Sklavenrücken aus den 1860er Jahren über Toni Morrisons Beschreibung der Narbenverästelung auf Sethes Rücken in Beloved bis hin zu der qualvoll ausgedehnten Peitschenszene in Steve McQueens Sklavenepos Twelve Years a Slave (2014).

Abb. 9: Das Narbengeflecht auf Bayous RĂĽcken in Bayou Volume 1 (Love, [142]).

Wir treffen hier auf eine Kulturpoetik (Baßler 2005), die einzelne ästhetische Symbolsysteme transmedial vernetzt und in das Sozialsystem der amerikanischen Kultur einlässt. Immer dann, wenn diese Kulturpoetik aufgerufen wird, wird kulturelles Gedächtnis gleichzeitig aktiviert und produziert. Nünning und Sommer definieren kulturelles Gedächtnis als »den gesellschaftlichen Rahmen von Kultur, [...] die sozialen Institutionen bzw. Kulturträger, die die Voraussetzungen für die kulturelle Überlieferung schaffen, weil sie durch die Selektion und Speicherung von Texten sowie durch die Kommunikation über sie die Aneignung und Tradierung des kollektiven Wissens sicherstellen« (19–20). Dass der Kulturträger DC Comics Bayou überhaupt in das Zuda-Portal aufnahm, kann sicherlich als Zeichen der Zeit verstanden werden, als eine Reaktion auf das seit den 1990er Jahren verstärkt geäußerte Verlangen vieler Leser_innen nach ethnischer Diversität in Mainstream-Comics, dem wir Figuren wie Spawn (Albert Simmons) und jüngst auch Spider-Man (Miles Morales) zu verdanken haben. Dass DC damit die Voraussetzung für die Überlieferung afroamerikanischer Folklore und einer magisch-realistischen und auch heute noch relevanten Auseinandersetzung mit der Rassentrennung im amerikanischen Süden schuf, ist wohl eher auf die ästhetischen Vorzüge der Erzählung und auf marktwirtschaftliche Überlegungen als auf politische Überzeugungen zurückzuführen. Dennoch: lange nach dem Ende der Sklaverei und der Abschaffung der Jim Crow laws beschäftigt sich die amerikanische Kultur immer noch und immer wieder mit dem Erbe der Rassentrennung. Ein Grund dafür könnte der eklatante Widerspruch zwischen den in den Gründungsdokumenten der Nation, der Declaration of Independence (1776) und der U.S. Constitution (1787/1788), formulierten Idealen und der Persistenz ethnischer Konflikte und Antagonismen sein, wie wir sie im Umfeld des Black Lives Matter Movement und der Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps zurzeit besonders massiv erleben. Ein anderer Grund könnte aber auch die kulturelle Eigendynamik des Bilder- und Geschichtenrepertoirs sein, aus dem Bayou so ausgiebig schöpft und das uns inzwischen so vertraut ist, dass wir es aus unserem kulturell geprägten Geschichtsverständnis gar nicht mehr herausdividieren können (und das womöglich auch gar nicht möchten).

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Filmografie

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  • Gone with the Wind. USA, 1939; R: Victor Fleming, George Cukor, Sam Wood.
  • Song of the South. USA, 1946; R: Harve Foster, Wilfred Jackson.
  • Twelve Years a Slave. USA, 2013; R: Steve McQueen.

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1a/b: Bayou Volume 1 (Love, [12], [110]).
  • Abb. 2: Bayou Volume 1 (Love, [5]).
  • Abb. 3: Bayou Volume 1 (Love, [6]).
  • Abb. 4: Bayou Volume 1 (Love, [7]).
  • Abb. 5: Bayou Volume 2 (Love, [36]).
  • Abb. 6a/b: Bayou Volume 2 (Love, [141], [91]).
  • Abb. 7: Bayou Volume 1 (Love, [143]).
  • Abb. 8a/b: Bayou Volume 1 (Love, [144], [145]).
  • Abb. 9: Bayou Volume 1 (Love, [142]).

 

  • 1] Einen Ăśberblick geben Etter/Stein 2016.
  • 2] Vorschläge fĂĽr eine comicspezifische Narratologie finden sich u. a. in Gardner/Herman und Stein/Thon.
  • 3] Neben der Kultursemiotik von Clifford Geertz existieren vielzählige kultur­wissen­schaftliche Ansätze. Einige davon betonen die Bedeutung der Materialität und Medialität von Kultur, die bei Geertz durch das text-ähnliche Verständnis von Kultur als Zeichennetz unterbeleuchtet bleibt.
  • 4] In den American Studies verschob sich das Erkenntnisinteresse von einem philologischen Fokus zu einer kultur­wissen­schaftlichen Ausrichtung bereits in den 1960er Jahren. In den USA ging es, wie Richard E. Sykes in dem Aufsatz »American Studies and the Concept of Culture« 1963 proklamierte, nun um »the study of American culture. [...] The materials may be literary, but the approach will be that of the student of culture« (254).
  • 5] Diese Erkenntnis geht auf die Arbeiten im Umfeld des New Historicism zurĂĽck. Siehe dazu BaĂźler 2001.
  • 6] Vorschläge fĂĽr eine transnationale Comicforschung liefern die Einleitung und Beiträge in Denson, Meyer und Stein.
  • 7] Zum umstrittenen Begriff und Konzept der Graphic Novel, siehe u. a. Blank; Frey/Jan Baetens.
  • 8] Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass Comics grundsätzlich als Literatur gelesen werden sollen oder notwendigerweise eine besondere literariness besitzen, wie es Tim Lanzendörfer und Matthias Köhler unter der Ăśberschrift »Literary Comics Studies« in ihrem Themenheft von ZAA: Zeitschrift fĂĽr Anglistik und Amerikanistik postulieren. Der Aussage, »the comics medium deserves the attention of literary criticism« (1) ist allerdings vorbehaltlos zuzustimmen.
  • 9] Ich verweise hier zum einen auf Hayden Whites Metahistory (1973) und The Fiction of Narrative (2010), zum anderen auf einen Artikel von Michael Chaney (2007), der die revisionistische Auseinandersetzung mit medial transportierten Geschichtsvorstellungen als verbindendes Element in den Werken afroamerikanischer Comicschaffender wie Lance Tooks, Ho Che Anderson, Aaron McGruder, Kyle Baker und Reginald Hudlin identifiziert. Loves Bayou, ebenso wie Tom Feelings Middle Passage, Kyle Bakers Nat Turner, und die March-BĂĽcher von John Lewis, Andrew Aydin und Nate Powell, lassen sich gewinnbringend aus demselben Blickwinkel analysieren.
  • 10] Siehe dazu auch Stein 2015a. Der politischen Bildmacht des Hollywood-Kinos zollt Love durch einen ikonischen Querverweis im ersten Band (S. [54]) auf das berĂĽhmte Filmplakat von David W. Griffiths Birth of a Nation (1915) Tribut.
  • 11] McPherson spricht von der einer »cultural schizophrenia« und ĂĽber den SĂĽden als »[at] once the site of the trauma of slavery and also the mythic location of a vast nostalgia industry« und als imaginärem Ort, an dem die Verbrechen der Sklaverei und des Jim Crow-Regimes »remain dissociated from [...] representations of the material site of those atrocities, the plantation home« (3). Love belässt es nicht bei dieser einzigen Lynching-Szene; ĂĽber die beiden Bände verteilt werden zwei weitere Lynchings ĂĽber mehrere Panels hinweg gezeigt.
  • 12] Eine ausfĂĽhrliche Analyse der Uncle Remus-Geschichten und ihrem populärkulturellen Widerhall bietet Stein 2015a.
  • 13] Zur Intermedialität von Comics, siehe u. a. Rippl/Etter 2013; Stein 2015b. Gleiches gilt fĂĽr die Blueskultur der 1930er Jahre. Young spricht von einer »blues soundscape« (o. S.) in Bayou, und es wird deutlich, dass der Blues nicht allein eine Musikform ist, sondern eine bestimmte Weltsicht und Lebensweise der afroamerikanischen Bevölkerung darstellt.
  • 14] Siehe dazu auch Amiran; Stein 2012.
  • 15] AusfĂĽhrlichere Erläuterungen hierzu finden sich u. a. in Stein, Ditschke und Kroucheva.
  • 16] Ein weiterer Vorläufer von Bayou ist sicherlich auch Walt Kellys in dem Okefenokee-Sumpf an der Grenze von Georgia zu Florida angesiedelter Comicstrip Pogo (1948–1975) mit den Charakteren Pogo Possum, Albert Alligator, Howland Owl und Porky Pine. DarĂĽber hinaus gehören anthropomorphe Tiere zum traditionellen Figurenrepertoire der Kinderliteratur.
  • 17] Man mĂĽsste Bayou auch innerhalb weiterer literarischer und literaturĂĽbergreifender Genres verorten, so wie es der Comickritiker Scott Cederlund tut, wenn er Bayou treffend als »southern gothic fairytale« (o. S.) bezeichnet.
  • 18] Die Wahl dieses EinfĂĽhrungsbuchs hat rein heuristische Zwecke.
  • 19] Siehe hierzu auch Stein 2009; Kelleter/Stein.
  • 20] Nach Groensteens Theorie der arthrology können wir diese Verweisstrukturen zwischen Panels als braiding bezeichnen.