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Der Mann mit Eigenschaften
Die Attribute des Asterios Polyp

Alexander Press (Bremen)

»Welche drei Dinge würdest Du mitnehmen, wenn Du plötzlich abreisen müsstest?«

Als das Appartement der Hauptfigur Asterios Polyp im gleichnamigen Comic (AP, Mazzucchelli 2011) von einem Blitz getroffen wird und in Brand gerät, wird diese im Vorfeld nur hypothetisch gemeinte Frage schlagartig sehr konkret. Zu einer plötzlichen Abreise gezwungen, rettet er genau drei Dinge, die ihm augenscheinlich wichtig sind. Weder sind es Dokumente, Handy oder Laptop, noch eines seiner teuren, in Szene gesetzten, klassischen Designermöbel. Stattdessen handelt es sich dabei um ein Feuerzeug, eine Armbanduhr und ein Schweizer Taschenmesser. Im weiteren Verlauf erfahren wir, wie Asterios in den Besitz dieser Gegenstände gekommen ist, erahnen ihre Bedeutung und werden Zeuge, wie er zwei davon an Personen verschenkt, die diesen Wert für Asterios nicht im Ansatz ermessen können.

In diesem Beitrag soll es um das sorgsam kuratierte Interieur Asterios Polyps und eben diese drei Dinge gehen, und darum, inwiefern sie für die Betrachter_innen zur Bedeutungsstruktur des Comics beitragen können. Konkret formuliert soll ein Vergleich aus kunst- und bildwissenschaftlicher Perspektive zwischen den genannten Dingen – Taschenmesser, Feuerzeug, Armbanduhr – sowie dem Interieur und dem kunstwissenschaftlichen Begriff des Attributes angestellt werden. Dies geschieht unter der Fragestellung, ob diese Dinge Bedeutung evozieren, die über die einfache Kennzeichnung/Darstellung des Gegenstandes hinausgeht, wie wir es bei einem Attribut mustergültig beobachten können. Nach einem kurzen Überblick darüber, wer die Figur Asterios Polyp ist und was in ›ihrer‹ Geschichte passiert, wird der Begriff des Attributes näher erläutert. Daran anschließend werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede für die einzelnen Dinge und die Art und Weise, wie sie jeweils ein Plus an Bedeutung hervorrufen, in je eigenen Abschnitten herausgearbeitet.

Das Geschehen wird uns von Asterios’ tot geborenem Zwillingsbruder Ignazio berichtet.1 Unser Protagonist, ein Mann mittleren Alters, wird als New Yorker Architekturprofessor vorgestellt, als sogenannter ›Papierarchitekt‹, da keiner seiner Entwürfe jemals realisiert wurde. Trotzdem genießt er einen formidablen Ruf, da er diverse Wettbewerbe und Preise gewonnen hat und seine erste Publikation, Moderne mit menschlichem Antlitz, ein moderner Klassiker geworden ist. In Hana Sonnenschein – einer hochtalentierten Bildhauerin, die trotz ihres Talents und exzellenter Ausbildung aufgrund ihrer Familiengeschichte mit einem Minderwertigkeitskomplex kämpft – findet Asterios eine Partnerin, mit der er sich auf eine feste Beziehung einlassen kann. Die Handlung begleitet im Wesentlichen die Prozesse, die Asterios und Hana während und nach ihrer Beziehung erleben. Der Fokus liegt jedoch auf Asterios. In dem, was wir die gegenwärtige Zeitlinie nennen können, begleiten wir ihn, der hier schon von seiner Ehefrau getrennt ist, aus seiner brennenden Wohnung heraus auf eine Art Odyssee, an deren Abschluss er Hana wiedersieht. Diese Odyssee lässt ihn einen Wandel durchlaufen, sodass wir es am Ende mit einem anderen, reiferen Asterios zu tun haben. In der vergangenen Zeitlinie begleiten wir Hana und Asterios in ihrer Beziehung bis kurz vor den Zeitpunkt ihrer Trennung. Diese beiden Erzählstränge wechseln sich innerhalb der Narration ab und sind durchsetzt von Träumen und traumähnlichen Sequenzen.

Bemerkenswert ist die Art und Weise der Charakterisierung der Protagonisten. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen: Während Asterios nicht müde wird seine rationale, konstruktivistische Sicht der Dinge in Vorträgen und Diskussionen zu verbreiten, ist Hanas Auffassung dazu konträr. Ihre organisch wirkenden Skulpturen und Asterios’ Bauhaus-Möbel, oder der Kunstgriff Mazzucchellis bei einem Streit des Paares, Asterios in blauen geometrischen Formen aufzubauen und Hana aus roten skizzenhaften Strichen zu entwickeln, lassen diese verschiedenen Grundhaltungen der Protagonisten auch auf der bildlichen Ebene deutlich werden. Unterstrichen wird diese Verschiedenheit ebenfalls dadurch, dass Asterios’ Sprechblasen viereckig und Hanas rund sind. Zur Charakterisierung der Hauptfiguren verwendet Mazzucchelli auch die Beziehungen, die diese zu bestimmten Objekten haben. Wie gezeigt werden wird, kann die wiederkehrende Ansicht von Asterios’ Wohnzimmer als Einblick in sein Gefühlsleben verstanden werden. Feuerzeug, Armbanduhr und Taschenmesser sind zudem biographisch mit Asterios verlinkt.

Zur Begrifflichkeit des Attributs

Die Hypothese dieses Beitrages ist, dass Mazzucchelli sich zur Charakterisierung von Asterios eines kunsthistorisch alten, wirksamen Mittels bedient. Er stellt seine Figur in eine sinnstiftende Beziehung zu bestimmten Gegenständen. Ob es sich hier um Gegenstände handelt, die mit einem Attribut identisch sind, soll in vergleichender Weise herausgefunden werden. Führen wir uns eine einfache kunsttheoretische Definition des Begriffs ›Attribut‹ vor Augen:

[Z]u einer Personifikation [gehören] gewöhnlich […] gewisse Gegenstände, Pflanzen und Tiere. Diese ›Requisiten‹ nennt man Attribute: Symbole, die auf eine bestimmte Weise mehr oder weniger fest mit einer Personifikation oder Person verbunden sind. Wie aus dieser Definition deutlich wird, können also Attribute nicht nur zu Personifikationen, sondern zum Beispiel auch zu Heiligen, mythologischen Figuren, biblischen Gestalten und sogar zu historischen Persönlichkeiten gehören. Die Attribute dienen einem doppelten Zweck: Sie ermöglichen es dem Betrachter vor allem eine Person oder eine Personifikation zu identifizieren. Außerdem sagen sie etwas über die dargestellte Figur aus, verweisen auf eine biographische Episode, auf ihren Rang, auf ihren Charakter oder auf bestimmte Eigenschaften. Heiligen wird zum Beispiel sehr oft ein Attribut (oder mehrere) aus ihrem Martyrium beigegeben, und sie erzählen damit etwas über deren Lebensgeschichte. (Straten, 60–61)

Es wird deutlich, dass es häufig die Geschichte ist, die der Träger der Attribute mit eben diesen erlebt hat, die reguläre Gegenstände wie ein Schwert oder einen Schlüssel erst zu einem Attribut werden lässt. Der heilige Michael beispielsweise bekämpft den Höllendrachen mit seiner Lanze und seinem Schwert. Diese Dimension von Attributen dient beim Einzelbild in aller Regel der Identifikation ihres Trägers, der dadurch wiederum im Gefüge der Komposition zur Bildbedeutung beiträgt. Die zuschreibende Wirkung von Attributen muss allerdings nicht nur und zwangsläufig in einer Geschichte begründet liegen. Mitunter ist es auch eine metaphorische Übertragung der Eigenschaften des Gegenstandes auf ihren Träger, so zum Beispiel bei der Sichel des Sensenmanns oder der Waage in Gerechtigkeitsallegorien.

Aus den Attributen und den dazugehörigen Begebenheiten oder Sinnbildern lassen sich Rückschlüsse auf den Charakter des Trägers ziehen. Petrus, dem Jesus die Schlüssel zum Himmelreich aushändigt, ist mit Sicherheit vertrauenswürdig. Jemand, der zu Pferde und nur mit Schwert und Lanze einen Höllendrachen besiegt, muss mutig sein. Eine narrative Spannung/Tiefe liegt vor, wenn der Charakter der Figur und die Bedeutung der ihr zugeordneten Gegenstände im Fortgang der Geschichte nicht mehr übereinstimmen. Die provokante Frage, ob Petrus sich mit dem von Jesus höchstselbst überreichten Schlüssel nicht außerhalb der Dienstzeit auch ein Bier öffnen könne, verliert ihre Pointe am kunsthistorischen Einwand, dass solche Gedankenspiele in der klassischen Funktion von Attributen und dem Kanon der Petrusdarstellungen nicht vorgesehen sind. Doch bei Asterios haben wir es mit einer Figur zu tun, die eben nicht mit (s)einem ewigen und unveränderbaren Attribut, gleichsam emblematisch, in einem einzigen Bild dargestellt ist und deren Origin-Story als bekannt vorausgesetzt werden kann. Die Einbindung in eine narrative Folge ermöglicht hier im Gegensatz zur singulären Darstellung den Wandel des Verhältnisses zwischen Attribut und Träger: Selbst der Hammer des (Comic-)Helden Thor, scheinbar ein Attribut par excellence, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als nicht ganz unwiderruflich an den Helden gebunden. Spätestens in der populären Verfilmung (2011) erfährt der Betrachter, dass der Träger dieser Waffe »würdig« sein muss, um über dessen Kräfte zu verfügen – sodass sich Thor aufgrund seiner Überheblichkeit im Laufe des Films als des eisernen Kampfgerätes unwürdig erweist und von dort an erst einmal ohne es zurechtkommen muss. Im Reboot der Heftserie (Aaron 2014) führt eben nicht besagter Thor Odinson den Hammer und ist auch nicht der Protagonist der Comicreihe. Statt seiner ist es die Erdenfrau Jane Foster.

Um die mögliche Wirksamkeit von Attributen in bildgeschichtlichen Kontexten näher zu untersuchen, möchte ich mich auf den narrativen Hintergrund konzentrieren, der aus Gegenständen Attribute machen kann. Die Frage, die sich im Kontext der Comicwissenschaft stellt ist, ob der alte kunsthistorische Begriff des Attributs zur Analyse von Comics herangezogen werden kann. Können Gegenstände, die, anders als klassische Darstellungen von Attributen, im raumzeitlichen Kontext einer Narration integriert sind, vergleichbare Bedeutungsträger sein? Wie praktisch ist ein Attribut aus narrationstheoretischer Sicht, wenn sein Träger weitere Abenteuer erlebt?

Porträt eines Architekten als moderner Mann: das bedeutsame Interieur des Asterios Polyp

Im Comic finden sich an unterschiedlichen Stellen Darstellungen von Asterios’ Appartement (Abb. 1a–1f). Der Ausschnitt ist dabei immer identisch gewählt, in einem zentralperspektivisch aufgebauten Bild erhalten die Betrachter_innen Einblick in sein Wohnzimmer, im Hintergrund erkennt man die Küche. Der Zustand des Raumes verändert sich im Verlauf der Geschichte. Die Reihenfolge, in der uns die Ansichten begegnen ist aufgrund der verwobenen Zeitlinien ebenfalls durchmischt (1e, 1f, 1a, 1b, 1c, 1d). Ordnet man die Darstellungen chronologisch (wie in der gezeigten Zusammenstellung), so werden wir Zeuge einer zunehmenden Unordnung bis hin zur totalen Zerstörung der Wohnung. Was ist zu sehen? In der chronologisch ersten Darstellung (Abb. 1a) dominiert die strikte Konstruktion das Bild, die geometrischen Möbel – alles Klassiker der Moderne – befinden sich an ihrem von Asterios zugewiesenen Ort.2 Das Sofa von Le Corbusier und die Sessel von Breuer und Mies van der Rohe sind im Zentrum angeordnet. Alle drei waren wichtige Architekten des 20. Jahrhunderts und gehören zu den einflussreichsten Designern des Bauhaus. Dessen Gründer und ersten Direktor Walter Gropius, ging es hauptsächlich um »vernünftige Produkte « (Polster, 10). Dem folgend lässt sich festhalten, dass sich gerade die in Asterios’ Wohnung befindlichen Möbel durch eine strenge Ästhetik, ohne schmückenden Zierrat auszeichnen.

Abb. 1a Abb. 1b Abb. 1c
Abb. 1d Abb. 1e Abb. 1f

Abb. 1a–1f: Wohnung im Wandel (AP 2011, [4; 14; 87; 157; 190; 225]).

Die zweite Darstellung (Abb. 1b) kontrastiert die erste, da sie die vorher alles beherrschende Ordnung nun durch ein Umzugschaos, das der Einzug von Hana in Asterios’ Wohnung verursacht, zunichtemacht. Entgegen seinem gleichsam aseptischen Einrichtungsstil finden sich jetzt Topfpflanzen und eine japanische Truhe im Wohnzimmer. Weitere Pflanzen sind in der dritten Ansicht (Abb. 1c) ergänzt und die japanische Truhe hat die Nelson-Bank verdrängt. Die prägnanteste Veränderung jedoch ist der Tausch des streng rechteckig aufgebauten Stahlbandtisches von Mies van der Rohe gegen einen sogenannten Nierentisch, der einer ausgeprägt organischen Form frönt. Im nächsten Panel (Abb. 1d) sehen wir weitere Auswirkungen von Hanas Einzug. Es sind weitere Pflanzen und eine Katze dazugekommen und im Unterschied zu seinem Vorgänger wird der Nierentisch tatsächlich benutzt, sogar ein Gast wird empfangen. Im darauffolgenden Bild (Abb. 1e) sind nicht nur alle Topfpflanzen verdorrt, die gesamte Wohnung erscheint unaufgeräumt, dreckiges Geschirr und leere Flaschen stehen herum; Zeitungen, Bücher und Briefe liegen auf dem Boden. Durch die halboffenen Fenster regnet es herein. Dieser Regen gehört zu einem Gewitter, in dessen Verlauf ein Blitz die Wohnung in Brand setzt (Abb. 1f). Die Reise unseres Helden kann/muss beginnen.

In der Verknüpfung eines modernen Menschenbildes – mit dem Asterios zu Beginn des Comics vorgestellt wird, z. B. durch seine hochgelobte Publikation – mit der minimalistischen Formensprache der Möbel, soll diese modernistische Weltsicht des Asterios weiter betont werden, darüber hinaus lässt der Zustand der Wohnung Rückschlüsse auf das Gefühlsleben seines Bewohners zu.

Waren die Entwürfe des Bauhauses für ein neues Wohnen immer eingebunden in Konzepte des modernen Lebens, reduziert sich die Wahrnehmung ihrer designerischen Arbeit heute auf Einzelprodukte, wie sie in ihren Katalogen angeboten wurden. Die Auseinandersetzung der Avantgarde mit der aktuellen Zeit und ihre Zukunftsorientiertheit sind inzwischen eingefroren auf Designobjekte. Es ist der modernistische Geist, der in der Ästhetik der Objekte mitschwingt und sich zugleich als beständige Solidität vermittelt. Nicht mehr im eigentlichen historischen Sinne modern, sollen die Einzelobjekte vielmehr Symbole genialer Innovation mit durchschlagendem Erfolg sein. Heute hochpreisige Statusobjekte, war ihre einstige Zweckorientierung eher moderat. (Breuer, 210)

Da wir zu dem Zeitpunkt der Geschichte, an dem die chronologisch erste Zimmeransicht (Abb. 1a) zu sehen ist, bereits mit Asterios’ Persönlichkeit vertraut sind, überrascht es wenig, dass seine Wohnung eine für die Betrachter/ Besucher_innen durchkomponierte Erweiterung seines Wesens zu sein scheint. Die konsequent angewandte Zentralperspektive unterstreicht den ausstellenden Charakter seines Zuhauses. So bringt Asterios’ Interieur weniger sein privates Innerstes zur Ansicht. Es wird von Asterios ausschließlich das »zu-sehen-gegeben« (Nierhaus, 103), wovon er sich wünscht, dass es als Ausdruck seiner Persönlichkeit verstanden wird. Bei den bewusst zugelegten Designklassikern kann es sich also im besten Falle nur um »Biographie-Requisiten « (vgl. Ullrich, 53–59) handeln. Attribute, im Sinne wahrhaft charakterisierender Gegenstände, können diese Möbel nicht sein.

Da Hana die erste Frau zu sein scheint, auf die Asterios sich ernsthaft einlassen kann, wird aus der Bühne, die der alleinstehende Architekt aus seiner Wohnung gemacht hat, nun ein Raum des Zusammen-Lebens. Das Umzugschaos hebt die bestehende Ordnung auf und etabliert eine neue, die sich als Synthese oder Kompromiss aus Asterios’ und Hanas Vorstellungen darstellt. Dass hier ganz unterschiedliche Charaktere zusammenleben wollen, macht Mazzucchelli auch dadurch deutlich, dass nun Möbel mit mehr als nur unterschiedlicher Formensprache miteinander arrangiert werden. Im Kontrast zu den programmatisch ›traditionsverweigernden‹ Bauhaus-Möbeln, erhält mit Hanas Einzug durch ihre japanische Truhe ein zutiefst traditionelles Möbelstück einen Platz in der nun gemeinsamen Wohnung. Diese Art Truhe ist in Japan spätestens seit dem 19. Jahrhundert in allen Bevölkerungsschichten verbreitet. Sie hatte den Zweck, einen Großteil des häuslichen Inventars aufzunehmen, um im Falle eines Feuers schnell abtransportiert werden zu können; möglich wurde dies durch darunter angebrachte Holzräder. Feuer waren in dem an Erdbeben reichen Gebiet, in Kombination mit offenen Feuerstellen, lange Zeit ein Problem (vgl. Freese, 66–70). Im Kontrast zu Asterios’ Möbeln ist sie folglich weniger ein inszenierendes Exponat als vielmehr ein Ort des Aufhebens und Bewahrens.

Der verwahrloste Zustand der Wohnung in Abb. 1e, der gerade im Kontrast zu der sachlichen Formensprache des Bauhaus besonders deutlich wird, kann als Metapher für Asterios’ emotionale Verfassung gedeutet werden. Das schicksalhafte Verbrennen dieser Wohnung am Beginn der Erzählung mag somit zunächst als Katastrophe verstanden werden. Im weiteren Verlauf können die Betrachter_innen das Abfackeln des Interieurs als notwendigen, befreienden Neustart für den Charakter Asterios’ interpretieren.

Als kurzes Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass wir auf dieser Ebene der Bedeutungskonstruktion eine Funktionsweise beobachten können, die uns eine spezifische Möglichkeit der Bildgeschichte und damit auch des Comics vor Augen führt. Obwohl sie nicht direkt benachbart sind, haben die Panels des Wohnzimmers aufgrund ihrer narrativen Verbundenheit und ihrer formellen Ähnlichkeit nun die Möglichkeit aufeinander Bezug zu nehmen und dadurch einen weiteren Sinngehalt zu evozieren. Obgleich sich der Comic hier der Möglichkeit bedient, durch das Design ihrer Möbel die Facetten der Charaktere noch stärker zu illustrieren, ist er nicht zwingend auf diese externe Quelle der Bedeutungsschöpfung angewiesen (vgl. Groensteens Begriff des braiding in Groensteen, 144–158).

Die wiederholte Darstellung der Wohnzimmeransicht ermöglicht es, Zeug_innen eines Prozesses zu werden, der Rückschlüsse auf das Innenleben der Protagonist_innen zulässt. Während Einzelbilder in dieser Hinsicht in aller Regel auf externe Quellen angewiesen sind, werden die Betrachter_innen hier bereits durch den Verlauf der Erzählung mit allen notwendigen Bausteinen versorgt. Das referentielle Wissen beruft sich in unserem Fall auf vorhergehende Bilder derselben Erzählung. Im Unterschied zu Einzelbildern liefern Bildgeschichten somit die Option, übertragene Bedeutung aus sich selbst zu evozieren. Wie beim vorgetragenen Beispiel besteht darüber hinaus die Möglichkeit, unter Bezugnahme auf eine externe Quelle (Designsprache von Möbeln), die gewünschte Wirkung zu verstärken. Die Unordnung der Wohnung, das Versagen des Interieurs in dem Moment, in dem Asterios’ Fassade zusammenbricht, offenbart die nichtauthentische Verbindung der Möbel zu Asterios. Die von ihm inszenierte Bühne kann kein schützender Rückzugsort sein. Es offenbart sich hier ein comic-künstlerisches Mittel, dessen sich Mazzucchelli zur Personenbeschreibung bedient. Jedoch ist es genau diese nicht glaubwürdige Verbindung, welche die Möbel als mögliche Attribute disqualifiziert.

Vom Weiterreichen der Asche

Auf den ersten Seiten des Comics lässt Asterios ein Zippo-Feuerzeug immer wieder auf und zu klappen. Er und Hana haben sich zu diesem Zeitpunkt der Handlung bereits getrennt. In der chaotischen Wohnung liegt er im Schlafzimmer auf dem Bett und betrachtet alte Videos von Hana und sich. Auf der Flucht vor dem Feuer ist das Feuerzeug einer der Gegenstände, den Asterios instinktiv retten möchte (Abb. 2). Es begegnet uns im Laufe der Geschichte noch einige Male. In den Rückblenden sieht man Asterios häufig, wie er sich damit eine Zigarette anzündet – immer in Situationen, in denen er sich überlegen fühlt, in denen er z. B. seine Studierenden didaktisch fragwürdig behandelt oder sich im Disput mit Hana auf seine Position versteift. Nach der Flucht vor dem Feuer erwirbt er von dem Geld, das er noch im Portemonnaie hat, ein Überland-Busticket. Sein Sitznachbar wird mit groben Strichen als verwahrlost und heruntergekommen charakterisiert. Dessen unhöfliche Frage nach Zigaretten, der politisch unkorrekte Ausspruch »Den Weibern kannste es nicht recht machen.« (AP, [47]), ein ›Fuck You‹-Tattoo auf der Innenseite seiner Unterlippe und der Hinweis, diesen Körperschmuck aus einer Justizvollzugsanstalt zu haben, liefern mehr als hinreichende Indizien über den besorgniserregenden Charakter des namenlosen Mitfahrers.

Abb. 2: Wichtige Dinge (AP 2011, [9]).

Die Frage nach den Tabakwaren lässt Asterios das Feuerzeug aus seiner Hosentasche holen. Er erwähnt, dass es mal seinem Vater gehört habe. Darauf folgt eine Montage, die nicht der direkten Kontinuität des vorherigen Bilderflusses zugeordnet werden kann. In einer Art Rückblende, nur in der Farbe Blau ausgeführt, ist Asterios’ Vater mit Zigarette und dem Feuerzeug dargestellt. Ihm eine Tasse reichend, schiebt sich Asterios’ Mutter von rechts in das Panel. Das darauf folgende erscheint als Variation des ersten. Weiterhin in Blau sehen wir nun den Vater als pflegebedürftigen alten Mann, ohne Zigarette und Feuerzeug, der von seiner Frau nicht bedient wird, sondern gefüttert werden muss. Im Fortgang der Geschichte erfahren wir, dass ein Schlaganfall Asterios’ Vater zum Pflegefall gemacht hat. Direkt im Anschluss an diese Erinnerung fragt der Sitznachbar, ob er das Feuerzeug haben könnte. Asterios überlässt es ihm mit der Bemerkung, dass es im Moment komplett leer sei. In einer Traumsequenz ist es Asterios’ totgeborener Zwillingsbruder, der hier ein erfolgreicher, aber selbstverliebter und dem frühen Asterios damit sehr ähnelnder Architekt ist, der das Feuerzeug in seinem Besitz hat. Selbst in einem Traum wird das Feuerzeug also mit negativen Charaktereigenschaften assoziiert, was wiederum den Rückschluss zulässt, dass sich Asterios bereits unbewusst über die zerstörerische Bedeutung des Feuerzeuges im Klaren ist.

Als Asterios während eines Kneipenbesuches darauf wartet, dass das WC frei wird, taucht das Feuerzeug ein letztes Mal auf. Ob angesichts des Songtextes3 der Liveband, der vorherigen Debatte am Kneipentisch über die Grundsätze einer guten Beziehung (während seine eigene in Trümmern liegt) oder aufgrund seiner Gesamtsituation: Asterios bricht während des Wartens in Tränen aus. Da er in dieser Szene so sehr mit sich beschäftigt ist und die Musik sehr laut spielt, bekommt er nicht mit, dass jemand (von außerhalb des Panelrahmens) versucht ihn anzusprechen. Es ist der namenlose Beifahrer. Aus Frust über Asterios’ Nichtbeachtung schlägt dieser ihm eine Bierflasche über den Kopf und zündet sich mit dem Feuerzeug eine Zigarette an. Später erfahren wir, dass Asterios durch diesen Zwischenfall ein Auge verloren hat.

Tod, Arroganz, Trauer, Streit, Verlust, Schmerz, Einsamkeit – das Feuerzeug taucht immer da auf, wo in Asterios’ Umfeld Unordnung und Chaos verursacht werden. Einerseits bietet das inhärente Symbol des Feuers verschiedene Bedeutungen an, die sich auf die Geschichte beziehen lassen: Seine Zerstörungskraft spiegelt sich indirekt auch in dem Pflegefall des Vaters und dem frühen, zynischen, rauchenden Asterios wieder. Beide Figuren werden oft mit dem Feuerzeug dargestellt (vgl. Riese, 112). Andererseits scheinen die attributiven Dimensionen des Feuerzeugs und sein Loslösen von Asterios genau dann die Person des Asterios Polyp und ihren Wandel zu reflektieren, wenn wir auch dessen Werkzeugcharakter in Betracht ziehen. Das Zippo als Verweis auf die schlechten Eigenschaften Asterios’ kann allerdings kein schaffendes, schöpferisches Werkzeug sein. In der Lebenswelt eines ›Papierarchitekten‹ kann die Werkzeug gewordene Möglichkeit etwas anzuzünden, nur zerstörerisch wirken. Bis zu dem Punkt, an dem Asterios sich dazu entscheidet, diese schlechten Eigenschaften abzulegen.4 Das Attribut wird für Asterios obsolet, behält jedoch seinen Verweischarakter, da sein neuer Träger ebenfalls, wenn nicht sogar noch ausgeprägter, durch (selbst-)zerstörerische Eigenschaften charakterisiert ist. Zu dieser Deutung passt ebenfalls, dass das Feuerzeug, in dem Moment als Asterios es weiterreicht, keinen Brennstoff mehr enthält und neu gefüllt werden muss.

Vom Verlieren der Zeit

Wenn das Verschenken des Feuerzeuges eine Veränderung in Asterios’ Charakter anzeigt, haben wir es dann beim Verschenken seiner Armbanduhr, die er angesichts des Feuers zuvor extra noch aus einer Schublade gekramt hat, ebenfalls mit einem Signal für eine Veränderung zu tun? Anders als beim Zippo, gibt es bei der Uhr eine bemerkenswerte formale Koinzidenz auf zwei Seiten, die weit voneinander entfernt liegen. Im Kapitel 7 sehen wir eine Lautmalerei, die sich durch das Bild einer Mücke hin zu einem Bild schlängelt, in der Asterios eben diese Mücke in seinem Nacken erschlägt (AP, [66]). Nur aus dem aufeinanderfolgenden Buchstaben Z wird das Summen der Mücke angedeutet. Beendet wird diese Visualisierung durch Asterios’ Hand. Daneben befindet sich eine »PATSCH«-Lautmalerei. Gut sichtbar an seinem Handgelenk sitzt die Uhr. Gefolgt von der Frage: »Ob Franz von Assisi jemals eine Mücke erschlagen hat?« (AP, [66])

Diese Kompositionsstruktur taucht in leichter Variation in Abschnitt 11 wieder auf. Wir sehen Asterios’ Uhr auf einer Kommode liegen, von dort aus zieht sich die Darstellung eines »SUMMM…«-Geräusches über die Seite, bis Asterios die Uhr nimmt und sich umbindet. Das Summen verstummt wiederum in der Nähe seiner Hand. Das nächste Panel auf der folgenden Seite zeigt neben seiner Hand eine »KNACK«-Lautmalerei und, ein weiteres Mal deutlich ins Bildfeld gerückt, die Uhr. Wir sehen, wie Asterios ein Ei aufschlägt, gefolgt von der Frage: »Will jemand Pfannkuchen?« (AP, [133]). Unterstellen wir dieser formalen Spiegelung eine inhaltliche Bezugnahme, dann erhält die Pfannkuchensequenz durch die Erwähnung des Franz von Assisi und dessen propagierter Wertschätzung allen Lebens eine weitere Bedeutung. Konsequent ikonographisch betrachtet, wird das Ei, als ein Symbol des Lebens und der Fruchtbarkeit (vgl. Riese, 97), hier von Asterios verwendet, um für die Menschen, die ihn nach seiner Flucht vor dem Feuer aufgenommen haben, Nahrung zuzubereiten, anstatt wie ein Parasit (z. B. eine Mücke) bei ihnen zu hausen. Der Bezug zum Hl. Franziskus erscheint dahingehend folgerichtig, da Asterios zuerst ein Tier erschlägt (mit explizitem Verweis auf den Heiligen) und später tatsächlich wie Franziskus selbst seine wertvollen Güter abgibt und zu einem anderen Menschenbild findet.

Für Asterios stellt sich die Frage nach der Wertschätzung des Lebens nicht mehr auf einer philosophisch-abstrakten Ebene, sondern der konkret lebensweltlichen. Es ist genau dieser Schritt weg von abstrakten Konzepten hin zu einem alltäglichen Realismus, den wir an dieser Beobachtung festmachen können. Diese Entwicklung seiner Persönlichkeit ist eine wesentliche Voraussetzung, um sich wieder mit Hana zu verstehen. Die Uhr ist in beiden Sequenzen anwesend. In einer weiteren kommt sie konkret ins Spiel und es wird auch erklärt, warum sie permanent ein Geräusch von sich gibt. Im dreizehnten Abschnitt sehen wir Asterios, der seine Armbanduhr auf die Kommode legt. Es beginnt die bekannte »SUMMM...«-Lautmalerei. Jackson, der kleine Sohn der Familie, die Asterios aufgenommen hat, erkundigt sich nach dem Geräusch. Asterios erklärt daraufhin:

Meine Uhr. / Das ist meine erste Uhr, ich habe dafür zwei Jahre lang mein Taschengeld gespart. / Weisst Du, als ich so alt war wie Du, war ich genauso neugierig auf die Schweizer Uhr meines Vaters. / Ich habe sie zerlegt, ich wollte sehen wie sie funktioniert. / Dummerweise wusste ich nicht wie ich sie wieder zusammensetzen sollte. / Aber diese Uhr ist anders. Statt eines traditionellen Federmechanismus hat sie Magnete. / Du weisst was ein Magnet ist oder? / Guck mal, diese Uhr hat hier eine Stimmgabel und einen Magnet an jeder Zinke - die Spitzen. / Eine kleine Batterie lädt die Magnete elektrisch auf, und die Gabel beginnt zu vibrieren - zu zittern - so etwa. Das treibt die Uhr an. / [...] / Das Geräusch ist sehr leise, weil die Uhr so klein ist. (AP, [166–168])

Sobald Asterios sie aber auf die Kommode legt, dient diese als Resonanzraum und der Ton wird verstärkt. Anders als beim Feuerzeug wird Asterios hier nicht aktiv gefragt, ob er die Uhr verschenken möchte. Zwar versteht Jackson, der bisher in der Geschichte als durchschnittlicher Junge mit einer geringen Aufmerksamkeitsspanne dargestellt wurde, die Funktionsweise der Uhr nicht, findet aber ihr Geräusch schön. Es scheint der Anblick des in das Summen der Uhr vertieften Jungen zu sein, der Asterios dazu bewegt, nun auch diesen Gegenstand zu verschenken.

Fassen wir zusammen: Anders als das Feuerzeug gehörte die Uhr nicht seinem Vater. Im Gegenteil, nachdem Asterios den Chronometer des Vaters verstanden und (unbeabsichtigt) zerstört hat, suchte er sich ein Modell, das noch genauer ist, als »ein traditioneller Federmechanismus« (AP, [167]). Hier scheint einer der Ursprünge für das Motiv der dualistischen Struktur zu liegen, die der erwachsene Asterios so konsequent vertritt. Die Uhr wird durch eine zweigliedrige Stimmgabel am Laufen gehalten, sie unterteilt Asterios’ Zeit in planerische abstrakte Einheiten. In der gesamten vergangenen Zeitlinie finden sich immer wieder bildkompositorische Gegenüberstellungen, Kontraste und Dualismen. Die Ordnung, die sich für Asterios mit dem Verschenken der Uhr nun eröffnet, hat allerdings eine ganz andere Qualität. Sie ist frei von abstrakten Konzepten und orientiert sich an menschlichen Bedürfnissen. Anders als beim Feuerzeug verliert die Uhr ihren ursprünglichen Verweischarakter. Jackson findet ihr Geräusch schlicht und ergreifend schön. Folgen wir der Interpretationslinie, dass nicht nur Asterios’ dualistisches Weltbild mit eben dieser Uhr begonnen hat, sondern sie auch ein bewusstes, selbstgesetztes Symbol dafür war, so ist das Verschenken mindestens als Relativierung dieser Weltsicht zu verstehen. Insofern hält diese Armbanduhr zu diesem Zeitpunkt der Handlung keine attributiven Eigenschaften für Asterios mehr bereit.

Der Weg des Messers

Das Messer ist der einzige Gegenstand, der sich nicht schon zu Beginn der Handlung in Asterios’ Besitz befindet. Während der Geschichte werden wir Zeugen, wie Hana das Messer am Strand findet. Die Bezeichnung ›Messer‹ ist allerdings ein wenig irreführend. Es handelt sich zwar um ein Schweizer Taschenmesser, es hat jedoch eher einen Werkzeugcharakter, da die Klinge nur eine von vielen Gerätschaften seiner Ausstattung ist. Weiterhin kommen, als Asterios das Fundstück untersucht, ein Flaschenöffner, ein Korkenzieher, eine Säge und eine Pinzette zum Vorschein. Jene Pinzette hat einen großen Auftritt: Als Hana das Ende eines Wattestäbchens im Ohr abbricht, erinnert sich Asterios an das kleine Werkzeug im Taschenmesser und tatsächlich kann er Hana aus ihrer misslichen Lage befreien. Das dritte Mal taucht das Messer beim Wiedersehen von Asterios und Hana auf, um schlichtweg eine Flasche Wein zu öffnen. Auf die verwunderte Frage Hanas, ob dies das gefundene Messer sei, antwortet Asterios mit einer Gegenfrage: »Warum sollte ich ein so gutes Stück Design loswerden wollen?« (AP, [324]) Diese Frage referiert direkt auf die beiden Designstücke, die er verschenkt hat und indirekt ebenfalls auf die verbrannten Designermöbel.

Im Falle des Schweizer Taschenmessers haben wir es wieder mit einem funktionellen Stück Design zu tun, das mit einer weiteren Bedeutung für seinen Träger aufgeladen ist. Anders als beim Feuerzeug oder der Armbanduhr ist die Bedeutung dieses Mal keine egozentrische. Allgemein gesprochen steht ein Schweizer Taschenmesser für Vielseitigkeit und Zweckmäßigkeit. Beachtet man zudem, dass Asterios und Hana es am Strand gefunden haben und welche Dienste es geleistet hat, so ist der Gegenstand weniger ein exklusives Attribut von und für Asterios. Das Taschenmesser unterscheidet sich in seiner Multifunktionalität nicht nur von den einseitigen Funktionen des Feuerzeuges und der Uhr, sondern auch durch die Ereignisse die mit ihm erlebt und die Ergebnisse die mit ihm erzielt wurden. Das vielseitige Werkzeug ist auch eine Metapher für einen erfolgreichen Erkenntnisprozess. Wieso also sollte Asterios ein Attribut »loswerden wollen«, das ihn mit Hana verbindet?

Fazit

Hanas eingangs zitierte Frage, welche drei Dinge Asterios bei einer plötzlichen Abreise mitnehmen würde, quittiert Asterios noch mit der Antwort: »Drei? So denke ich nicht.« (AP, [157]) Was die Betrachter_innen im Laufe der Geschichte erleben, ist nichts Geringeres als die Entqualifizierung zweier alter und die Genese eines neuen Attributes. Die Frage, ob der Begriff des Attributes zur Comicanalyse herangezogen werden kann, muss differenzierend beantwortet werden. Die möglichen Ergebnisse eines kunst- und bildwissenschaftlichen Vergleichs von Attribut mit Möbeln und Gegenständen scheint Mazzucchelli gleichsam durchzudeklinieren.

Während die Möbel aufgrund ihrer unauthentischen Verbindung zu Asterios kein Attribut sein können, ist es gerade diese Unglaubwürdigkeit, die die Beziehung Möbel–Asterios auf narrationstheoretischer Ebene relevant macht. Durch das Erkennen dieser allzu künstlichen Beziehung erfahren die Rezipient_innen viel über den Charakter des Protagonisten. Für den frühen Asterios wäre das Feuerzeug ein mustergültiges Attribut. Solange der Attributträger sich nicht relevant weiterentwickelt, kann er somit auch Teil einer Geschichte sein, ohne sein Attribut zu verlieren. Genau das geschieht allerdings in unserer Geschichte. Das Feuerzeug behält mustergültig seinen Verweischarakter. Es ist der Träger des Attributes, der ausgetauscht werden muss. Als Attribut nicht erhalten bleibt die Armbanduhr. Asterios ist sich bewusst, dass die Uhr Teil eines Lebens ist, das er hinter sich lassen will. Da ihm in diesem Fall das Schicksal des neuen Trägers nicht egal zu sein scheint, überreicht er sie erst mit der Gewissheit, dass die Uhr keinerlei Verweischarakter für den neuen Träger bereithält. In Bezug auf das Taschenmesser bietet uns Mazzucchelli eine Perspektive, die bei der Rezeption von Attributen und Trägern im klassischen Sinne quasi nicht vorkommt. In aller Regel gehört es zum externen kanonischen Wissen, die Träger anhand ihrer Attribute zu erkennen. Der Weg des Taschenmessers als Attribut für den neuen, reiferen Asterios ist die Entstehungsgeschichte, ohne die ein Attribut nicht auskommt.

Im Rahmen der Comicanalyse bietet es sich an, in abgeschwächter Form von ›attributiven Gegenständen‹ zu sprechen. Es muss berücksichtigt werden, dass – anders als in der klassisch-kunsthistorischen Verwendung des Begriffes – die Beziehung zwischen Träger und Gegenstand zumindest an einem Zeitpunkt der Handlung festgeschrieben sein muss, diese zugunsten der narrativen Entwicklung im Verlauf jedoch variiert werden kann. Während die bezeichnende Kraft dieser Objekte bei Einzeldarstellungen vorwiegend zu Zwecken der Identifikation und ansatzweise zur Charakterisierung dient, ist es genau diese Qualität, die durch eine Narration stärkere Ausprägung erfahren kann.

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Bibliografie

  • Aaron, Jason (W): Thor. New York: Marvel, 2014.
  • Breuer, Gerda: Bauhaus und Neues Wohnen. Utopie und Reform in den 1920er Jahren. In: Interieur Exterieur – Wohnen in der Kunst. Vom Interieurbild der Romantik zum Wohndesign der Zukunft. Hg. v. Markus BrĂĽderlin und Annelie LĂĽtgens. Wolfsburg: Hatje Cantz, 2008, S. 204–211.
  • Freese, Thomas: Die Kunstwerke des japanischen Schreiners. Traditionelle Holztechniken und ihre Erzeugnisse. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1991.
  • Groensteen, Thierry: The System of Comics. Jackson, MS: University Press of Mississippi, 2007.
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  • Panofsky, Erwin: Ikonographie und Ikonologie. In: Bildende Kunst als Zeichensystem. Hg. v. Ekkehard Kaemmerling. Bd. 1. Köln: DuMont, 1979, S. 207–225.
  • Polster, Bernd, Volker Fischer, Katja Simon, Askan Quittenbaum (Hg.): Bauhaus Design. Die Produkte der Neuen Sachlichkeit. Köln: DuMont, 2009.
  • Riese, Brigitte (Hg.): Seemanns Lexikon der Ikonografie. Religiöse und profane Bildmotive. Leipzig: Seemann, 2007.
  • Straten, Roelof van: EinfĂĽhrung in die Ikonografie. Reimer: Berlin, 2004.
  • Ullrich, Wolfgang: Habenwollen – Wie funktioniert die Konsumkultur. Frankfurt a. M.: Fischer, 2006.

Filmografie

  • thor (USA 2011; R: Kenneth Branagh).

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1a–f: Wohnung im Wandel (AP 2011), [4, 14, 87 157, 190, 225], Zusammenstellung des Autors.
  • Abb. 2: Wichtige Dinge (AP 2011, [9]).

 

  • 1] Dadurch, dass es sich um einen totgeborenen Zwillingsbruder der Hauptfigur handelt, gerät die eigentlich strenge, auktoriale Erzählsituation in Spannung. Das Bewusstsein ĂĽber einen potentiellen Zwillingsbruder lässt Asterios in einigen Teilen der Geschichte ĂĽber sein Leben reflektieren. Das geschieht, indem er die hypothetische Perspektive eines lebendigen Zwillingsbruders einnimmt und sein Leben betrachtet. Diese Versionen des imaginierten Bruders sind, aufgrund ihrer Einbettung in die Gedankenwelt von Asterios, jedoch nicht gleichzusetzen mit der Erzählerfigur des totgeborenen Zwillingsbruders.
  • 2] Bei den Möbeln handelt es sich um: das LC 2 3-Sitzer-Sofa von Le Corbusier, zwei Stahlrohrsessel B3 von Marcel Breuer (auch bekannt als Wassily-Stuhl), einen Stahlbandsessel MR90 (Barcelona Lounge Chair) und einen Stahlbandtisch (Barcelona Tisch) jeweils von Ludwig Mies van der Rohe, weiterhin den Adjustable Table E 1027 von Eileen Gray, die Nelson Bank von George Nelson und im Hintergrund ist ein Plywood-Stuhl von Charles Eames zu erkennen.
  • 3] »On the Way to the Reception / the Limousine was hit / by a speeding Eldorado / they were married thirty Minutes. The Bridge got a concusion, they wrapped her veiled Head. She woke with Tubes stuck in her Arms to find the Bridgegroom dead / She trade her white Gown for black, in black her Hands were gloved, / she walked the aisle once again to kiss the man she loved. / Through clouded Eyes she watched the Shovels / flashing in the Sun, / the smell of Dirt surrounded her / she rode the Limo home.« Vgl. Kapitel 19, AP [274–275].
  • 4] Aus diesem Blickwinkel stellt sich die Frage, ob der Blitz, der Asterios’ Appartement in Brand steckt, nicht zufällig/schicksalhaft/gleichsam eine Entscheidung vorweggenommen hat, mit der der deprimierte, mit dem Feuerzeug spielende Asterios, nicht sowieso schon gedanklich gespielt hat.