PDF

Ausgegrenzt im weiten All

Weltraumkrümel rezensiert von Jakob Kibala

Weltraumkrümel sucht das große Publikum: Kinder sollen sich für die tapfere Heldin Violet begeistern, während erwachsene Leser_innen anerkennen können, wie viel Sozialkritik Thompson in seinem Comic formuliert. Gut tut, dass er scheinbar keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme anbietet. Jenseits aller berechtigten Kritik hat Weltraumkrümel jedoch ein Repräsentationsproblem: Ein weißer Künstler zeichnet eine weiße Familie in einem Kosmos, dessen menschliche Bewohner_innen ausschließlich weiß sind.

In Walscheiße droht das Universum zu ertrinken. Ganze Planeten überschwemmt der algengrüne Durchfall. In Weltraumkrümel ist die Natur im wahrsten Sinne am Menschen erkrankt, denn ein galaktischer Wal hat Gar Marlocke, Vater der Heldin Violet, verschluckt. In seinem Weltraumschlepper schwimmt der Treibstoffsammler unablässig gegen Magensäfte an; dagegen, verdaut zu werden. So verursacht er dem Wal schreckliche Krämpfe und monströse Diarrhö.

Kinderbetreuung in Weltraumkrümel - ein Spagat zwischen....

Es ist ein finsterer Kosmos, den Craig Thompson zeichnet: Von »kluger wie scharfer Kritik an Umweltverschmutzung und dem Raubbau an der Natur« (Reprodukt) spricht sein deutscher Verlag und meint damit den Zivilisationsmüll, der in Weltraumkrümel, achtlos weggeschmissen, im Vakuum treibt; aber auch die Wale, die gejagt werden, weil ihr Kot eine alternative Energiequelle ist. In diesem Kosmos leben Gar und seine Ehefrau Cera mit Tochter Violet. In einem stellaren Trailerpark wohnt Familie Marlocke, weil sie sich das Leben in einer Raumstation nicht leisten kann. Gesellschaftlicher Aufstieg scheint für die Familie zum Greifen nah, als Textilarbeiterin Cera befördert wird. Doch die Lage bleibt prekär: Violets Schule wird zerstört und stellt die Eltern vor ein Betreuungsproblem. Weil das Kind sich partout nirgends unterbringen lässt, begibt Gar sich in geheimer Mission auf Walfang, motiviert durch eine fürstliche Belohnung. Mit dem Geld ließe Violet sich auf eine neue, gute Schule schicken, während die Eltern sorgenfrei ihren Jobs nachgehen könnten.

Scharf ist die implizierte Kritik sicherlich, nicht nur an Umweltverschmutzung und Raubbau, sondern auch an den Herausforderungen des modernen Arbeitslebens. Dieses stellt Familien zuweilen vor schier unlösbare Probleme, insbesondere, wenn man zur Unterschicht gehört. Deshalb können ältere Leser_innen von Weltraumkrümel sich in Gar und Cera wiedererkennen. Viele werden selbst erlebt haben, dass die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere keineswegs gewährleistet ist. Thompsons jüngere Leser_innen dürften sich wiederum in Violet hinein versetzen. Vom Objekt elterlicher Fürsorge wird sie zur selbstermächtigten Abenteuerheldin, die ein Raumschiff stiehlt und ihrem verschluckten Vater zur Hilfe eilt: »Ich weiß, dass es gefährlich ist […] / Aber Papa ist in Not... / und manchmal / BRAUCHT / ES EBEN / KINDER« (95). So ist Weltraumkrümel sichtlich darum bemüht, Groß und Klein gleichermaßen anzusprechen.

Jedoch markiert Violets Rettungsaktion einen abrupten Perspektivenwechsel, weg von den Eltern, hin zum Kind. Erziehungs-, Betreuungs- und Karriereprobleme treten in den Hintergrund. Deren Lösung wird nur skizziert: Cera wird Modedesignerin und arbeitet daheim, wo sie ein Auge auf den Nachwuchs hat; Gar sammelt mit Freund Gordon nunmehr auf eigene Rechnung Treibstoff, statt als Angestellter einer Raffinerie. Hier propagiert Weltraumkrümel einen weitgehend konservativen Familienentwurf, weil Mutter Cera wie selbstverständlich Zuhause bleibt, um nach den Kindern zu sehen. Dabei mag die Aufgabenteilung für die Marlockes gut funktionieren, die sich jetzt auch eine adäquate Schulbildung für Violet leisten. Gleichzeitig aber wird ein Gemeinschaftsbild entworfen, in dem Individuen aus der Verantwortung für gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge entbunden sind und nur für sich selbst und die Ihren sorgen. Dazu passt, dass die Protagonistin im Verlauf der Handlung sagt: »So«, nämlich altruistisch, »bin ich nicht... / Ich will nur meinen Papa retten« (115).

...alltäglicher Herausforderung und Abenteuer.

Violet erkennt, dass sie als Individuum – ein kindliches zumal – nicht die Verantwortung für alles Schlechte in der Welt tragen kann. Dieser Pragmatismus ist wohltuend, wenn man Violet mit Kinderheld_innen wie Harry Potter vergleicht, deren Triumphe und Niederlagen das Schicksal der ganzen Menschheit entscheiden. Auch ist der Comic nah dran an den Erfahrungswelten seiner jungen Leser_innenschaft: Welches Kind fühlt sich nicht manchmal machtlos angesichts der willkürlichen Regeln, denen die Welt der Erwachsenen zu gehorchen scheint? Deutlich wird allerdings, dass dem Kinder- und Jugendcomic Weltraumkrümel eine positive, auch eine pädagogisch wertvolle Vorstellung von Gesellschaft fehlt: Der Dystopie von Weltraumkrümel begegnen die Marlockes durch einen Rückzug ins Private. Der öffentliche Raum bleibt sich selbst überlassen.

Weil Weltraumkrümel keine Zukunftsvision entwirft, verhandelt Thompson zeitgenössische Probleme weniger, als dass er sie bloß feststellt. Zudem handelt es sich um die Probleme einer eng eingegrenzten Gesellschaftsgruppe: Einer ausschließlich weißen Unterschicht. Denn Weltraumkrümel kennt nur eine Art menschlicher Handlungsträger_innen, und die ist durchweg weiß. Zwar ist Thompsons Weltraum »voller liebenswerter Figuren« und »verrückter Aliens« (Reprodukt), darunter jedoch keine People of color. Für African- und Asian-Americans oder Hispanics findet Weltraumkrümel keinen Platz. Dazu sind die Aliens oft Stereotypen, die durch Überzeichnung ihres Verhaltens auf ihre Klassenzugehörigkeit reduziert werden. So ist Ceras unsensibler Chef die Karikatur eines exzentrischen Modeschöpfers und kapitalistischen Fabrikbesitzers zugleich, an dessen Unverständnis für elterliche Nöte die Marlockes scheitern; er ist in diesem Sinne der Klassenfeind. Gars Freunde wiederum sind prototypischer White Trash, die beruflichen Versager_innen der ländlichen amerikanischen Unterschicht; es sind Hinterwäldler und Proletarier, die ihre Zeit mit Videospielen, Angeln und Biertrinken verbringen und das öffentliche Leben nicht bereichern. Noch am ehesten transzendieren Violets Freunde, Zacchäus und Elliot, solcherlei Klischees. Aber dabei symbolisieren sie stets auch Eigenschaften Violets: »Zacchäus, du bist meine Stärke, / mein Schneid, / mein WAGEMUT«, während Elliot »meine Empfindsamkeit, / meine Inspiration, / mein KLEINER PRINZ« ist (220). So erweitern die Außerirdischen des Comics Thompsons weiße Perspektive nicht, brechen sie weder auf noch unterlaufen sie. Ihre vornehmliche Funktion besteht darin, die Werte und die Haltung der Familie Marlocke zu definieren: Entweder, indem die menschlichen Protagonist_innen sich von der Dekadenz, dem Egoismus, der Lethargie und der Disziplinlosigkeit der Aliens abgrenzen oder indem die Aliens als Manifestationen charakterlicher Stärken präsentiert werden, die eigentlich den Marlockes eignen sind. Der konservative Lebenswurf der weißen Kernfamilie allein ist es, welcher als moralisch integer und individuell erstrebenswert gilt.

 

Weltraumkrümel
Craig Thompson
Ãœbers. v. Matthias Wieland
Berlin: Reprodukt, 2015
320 S., 29,90 Euro
ISBN 978-3-95640-051-3