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Ein verkochter Nordsee-Spuk

Der Schimmelreiter rezensiert von Julia Ingold

Wie war das nochmal mit dem Essen, das jemand für dich kocht? Du musst etwas sagen, eigentlich: Das ist unglaublich lecker! Aber Höflichkeit ist in unseren Gefilden ja weniger gefragt als in so manchem Nachbarland. Ganz direkt wollen wir unsere Meinung dann trotzdem nicht formulieren: Das schmeckt echt interessant! Jens Natters Schimmelreiter ist ein interessanter Comic...

Die Situation aufstrebender Comiczeichner_innen ist prekär. Zuerst muss man ohne Honorar arbeiten. Erst wer ein solides Debut abgeliefert hat, kann darauf hoffen, dass die Arbeit am nächsten Comic bezahlt wird. ›Solide‹ heißt ›kommerziell erfolgreich‹. Ein Rezept dafür scheint in den letzen Jahren die Adaption von allseits bekannten Geschichten zu sein. Mit einem regionalen Schullektüre-Klassiker zum Beispiel kann man sich nicht groß vertun, irgendwer wird das drucken und irgendwer wird es kaufen – ist ja immerhin eine Art Heimatliteratur. Natter hat es geschafft und seine Adaption von Theodor Storms Schimmelreiter im Boyens Verlag aus Heide, der vom Ostsee-Krimi bis zum Theodor-Storm Jahrbuch alles Mögliche publiziert, was mit dem Norden zu tun hat, auf den Markt gebracht. Und das, obwohl erst kurz zuvor eine andere so genannte ›Graphic Novel‹-Adaption desselben Stoffes erschienen war. Eine kleine Anekdote dazu: Diese frühere Umsetzung hatte ich mir genauer angesehen und einen Verriss geschrieben, wie ich zugeben muss. Aber da gab es einfach Patzer und Kürzungen, die den Lesespaß verdorben haben (Das Schöne beim Kritisieren und Rezensionen Schreiben ist ja, dass ich es selbst nicht besser können muss). Diese Publikation hätte Natters Projekt eigentlich gefährdet – doch zufälligerweise war mein Artikel in einer Zeitschrift abgedruckt, die ebenfalls bei Boyens erscheint. Im Konkurrenz-Projekt dominiert der gekürzte Original-Text alles. Typische Comic-Elemente wie die weißen Lücken, die gutters, fehlen genauso wie Sprechblasen oder cartooneske Zeichnungen. Die Verantwortlichen von Boyens kamen deshalb zu dem Schluss, dass das andere Buch gar keine richtige ›Graphic Novel‹ sei. Und voilà, innerhalb von einem Jahr erschien die zweite Comic-Adaption der nordfriesischen Geistergeschichte!

Über Sinn und Unsinn des Labels ›Graphic Novel‹ will niemand mehr etwas hören. Einigen wir uns für den Moment darauf, dass es ein Unterbegriff zu ›Comic‹ ist. Und einen richtigen Comic hat Natter da zweifellos vorgelegt. Das ist seine Stärke. Die Story über Ehrgeiz, Stolz und Kapitulation von Hauke Haien ist in sympathische, bodenständige Pinselstriche gefasst. Im ganzen Land gibt es seit einiger Zeit ›Comic-Battles‹ und an den Stil dieser Instant-Karikaturen erinnern Natters Zeichnungen: Die Charaktere sind wiederzuerkennen, aber sie sehen ein wenig so aus, als wären sie in Eile hingekritzelt. Aber dafür sehen die kräftigen schwarzen Linien aus wie handgezeichnet: Handwerkskunst, die sich nicht versteckt. Dieser Comic ist knallig und koloriert, aber nicht geschliffen, wie so manch andere Literatur-Adaption, die uns der Hype der letzten Jahre beschert hat. Er sieht aus wie mit Tusche und Aquarellfarben gemacht. Nur ist die Kolorierung eben interessant geworden. Ein wenig unbeholfen, wenn ich es noch ehrlicher formuliere. Zur Technik des Aquarellierens ein kleiner Exkurs: Die Pigmente – ob aus der Tube oder dem Stift – können eine wundervolle Leuchtkraft auf dem Papier besitzen, aber nur, wenn nicht zu viele Farbtöne dort vermischt werden. Ansonsten geht diese Leuchtkraft verloren und die Farbe erscheint wie ein grau-brauner Brei. Leider wirkt dieser Comic genau so. Die Elemente verschwimmen zu einer interessanten Suppe.

Die Katastrophe ist in spontane, cartooneske Striche gefasst (88).

Was die Story betrifft, sei auf den Wikipedia-Artikel zum Schimmelreiter verwiesen. Natter ist so textgetreu vorgegangen wie es sich die progressiven Husumer Omis, die den Comic ihren Enkeln zum elften Geburtstag schenken sollen, nur wünschen können. Keine Sperenzchen, keine Kapriolen. Der Inhalt ist freilich gekürzt, aber die Einbettung der Rahmenhandlung in einen weiteren Rahmen, in dem sich die ganze Tragödie abspielt, ist noch da: Der Erzähler hat die Geschichte eines anderen in einer Zeitschrift gelesen und hält es für nötig, sie abermals wiederzugeben. Dafür gibt es ein Sternchen. Auch weil der Autor die ›Quelle‹ des Erzählers, Pappes Hamburger Lesefrüchte, offensichtlich ausfindig gemacht hat. Das vermutlich originalgetreu abgezeichnete Heft schwebt im Bild, wie ein Beweis dafür, dass es in stürmischen Nächten auf den nordfriesischen Deichen zu abergläubischeren Zeiten wirklich gespukt hat (5). Natter ahmt damit die literarische Geste der Inszenierung von Glaubwürdigkeit durch eine Figur, die im innersten Rahmen dem unheimlichen Reiter wirklich begegnet, visuell mit den Mitteln des Comics nach.

Obwohl es ein wenig breiig daherkommt, wo das Gemüse noch knackig sein sollte, ist diese Adaption insgesamt bewusst cartoonesk und bunt. Düster ist sie nicht. Und das ist das Manko. Denn die Vorlage ist düster und rätselhaft. Hier gerät der Comic ein wenig zum Klamauk. Das ist natürlich Geschmackssache, wie beim Abendessen. Ole Peters zum Beispiel, der Gegenspieler unserer Hauptfigur Hauke Haien, ärgert sich dermaßen plakativ-karikaturhaft, dass es lustig aussieht (38, 68). Doch trägt genau diese vehemente und aggressive Opposition Peters’ wesentlich zur Katastrophe bei, auf welche die Geschichte zusteuert. Es ist ein fatales Machtspiel, das die beiden vor der Dorfgemeinschaft austragen. Wie Eitelkeit, Neid und Resignation die Männer zerfressen, zeigen Natters Striche nicht.

In dem Erstlingswerk zeigt sich generell ein Hang zum bunten Cartoon mit tollpatschigen Gestalten ohne Pathos und verstörende Abgründe. Wer eher die dunkle Seite schätzt, wird diese knallige Adaption des schwarzromantischen Stoffes wahrscheinlich nicht euphemistisch als ›interessant‹ beschreiben. Wer Karikaturen und cartooneske Comics mag, wird diesen Schimmelreiter wie eine interessante Vorspeise genießen und hoffen, dass der Koch bei der nächsten ›Graphic Novel‹ mehr Zeit zum Abschmecken hat. Der schwere Stoff ist so zumindest leicht verdaulich geraten. Im Übrigen zeichnet Natter ohne kanonische Vorlage unter anderem liebenswerte kleine Strips über Hamburg, die künstlerisch viel mehr Spaß machen.

 

Der Schimmelreiter
Theodor Storm
Jens Natter
Heide: Boyens, 2014
96 S., 12,95 Euro
ISBN 978-3-8042-1403-3