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Des Einen UPgrade ist des Anderen Downfall

Das UPgrade rezensiert von Jackie Gillies

Ronny Knäusel ist ein waschechter Superheld, jedenfalls solange wie es die DDR gibt – nach der Wende wird er vom Super- zum Antihelden. Opulent gestaltet ist die Geschichte des DDR-Superhelden zwar, doch das Storytelling hinkt leider hinterher.

Jungpionier Ronny Knäusel ist ein sogenannter »Translokat«. Er hat die Fähigkeit, sich und andere von einem Ort zu einem anderen zu teleportieren. In der DDR hat ihm das den Status eines Superhelden eingebracht. Das Ende der DDR stürzt ihn jedoch in eine Sinnkrise.

Die Geschichte startet im Weltall mit der Einführung eines Staubkorns, das offensichtlich eine Mission hat: »Das Ende einer Reise... der Beginn einer Ära!« (S. 5). Dieses Staubkorn wird auf unterschiedliche Weise immer wieder mit unserem Helden in Verbindung gebracht werden, welcher auf der folgenden Doppelseite eingeführt wird, kopfüber die Häuserschlucht einer Hochhaussiedlung hinunterfallend. Wir schreiben das Jahr 1992, Ronny ist zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt und sieht nicht gerade nach Superheld aus: ein übergewichtiger Mittzwanziger in Rippshirt, Jogginghose und altmodischen Pantoffeln. Daneben finden wir einen Text abgedruckt, scheinbar Teil eines englischen Songtexts: »... up, down, turn around, please don’t let me hit the ground ...«, darunter »New Order: Temptation« (S. 7). Schon früh wird die Musik als ein die Handlung kommentierendes und ergänzendes Element eingeführt. Und schon früh wird die Verwirrung der Leser_innen gespeist durch Mehrdeutigkeiten und die zeitgleiche Auslassung von wichtigen Informationen – dies zieht sich leider durch das ganze Buch.

Man muss alle Details erfassen, manchmal auch ein paar Seiten vor- und wieder zurückblättern, um die Informationen wie Puzzlestücke zu einem Ganzen zusammenzufügen. Krasse Sprünge in Zeit, Ort und Handlung, schnelle Wechsel zwischen Charakteren und Erzählperspektiven, Spielereien mit Sprache und Dialekt, Farbigkeit, Panelgröße- und form werden hier ganz selbstverständlich und in hoher Frequenz angewendet. Während Ronny sich aus dem Fenster stürzt, ist der frühere Rocksänger Cosmo Shleym aus Malibu, Kalifornien, auf der Suche nach einem (oder mehreren?) »Translokaten«. Der weltberühmte Star der 60er ist 1992 ein schrulliger Mann von 52 Jahren, der aus seinem »Technik-Basement« heraus einen Privatsender I SEEK 4 betreibt und seinen Hit Palms in Sorrow unermüdlich laufen lässt. Gelegentlich missglücken ihm seine mysteriösen Experimente, so wird zum Beispiel der Pizzalieferant Jimi in einer Aufzug-ähnlichen Vorrichtung in Dutzende von Quadern zerlegt. Die kurze Episode ist insbesondere durch die Charakterisierung von Jimi und seiner Freundin und der umgangssprachlichen Dialoggestaltung sehr unterhaltsam.

Ein Staubkorn steht am Anfang der Geschichte um Ronny Knäusel.

Während die Story fortlaufend die Zeiten, Räume und Perspektiven wechselt, bleibt der Song Palms in Sorrow das verbindende Element. Auf rätselhafte Weise steht er in Verbindung mit dem rosafarbenen Symbol kosmischer Staubkörner, das auf der ersten Doppelseite eingeführt wird. Auf Seite 22/23 werden die Staubkörner sowohl mit der mexikanischen Geschichte um Moctezuma und Cortés als auch mit einem in den 60ern neu eingeführten Verhütungsmittel namens Ovosiston in Verbindung gebracht. Die Empfängnis Ronny Knäusels geschieht trotz (oder durch) dieses Verhütungsmittel, und schon kurz vor seiner Geburt verschwindet er für einen kurzen Moment aus dem Bauch seiner Mutter, als das Lied Palms in Sorrow im Radio gespielt wird.

Als Antagonistin kommt Oberschwester Heidrun bei Ronnys Geburt ins Spiel. In anderer Gestalt verkörpert sie später Ronnys Pionierleiterin Frau Bellmann, die zugleich Leutnant der Stasi ist. Auf den X. Weltfestspielen in Ostberlin versucht sie, den Gastsänger Cosmo Shleym umzubringen. Durch Zufall kann Ronny dies verhindern, indem er sie in sein Zimmer in Dresden teleportiert.

Auf Seite 40 wird zum ersten Mal Bezug auf den Buchtitel genommen, indem die Verschmelzung von Ost- und Westdeutschland als »System-UPgrade« der DDR bezeichnet wird. Ronny Knäusel kommt mit der Veränderung nicht zurecht. Da nun jeder aus der DDR ein- und ausreisen darf wie er möchte, werden seine Fähigkeiten als »Translokat« nicht mehr gebraucht, wodurch er seinen Superhelden-Status verliert. 1992 sitzt er Bier trinkend auf seinem Sofa und bemitleidet sich selbst. Alle seine Freunde sind im Westen, er selbst hat sie früher einmal dorthin gebracht. Der Postbote versetzt ihm den letzten Stoß, als er ihm mitteilt, dass das »Neue Leben« (eine real existierende Verlagsgruppe der DDR) nicht mehr erscheinen wird, sondern stattdessen die Erotikzeitschrift »Coupé«. Verzweifelt stürzt er sich aus dem Fenster. Ob er den Sturz überlebt, bleibt unklar. Wird er im Folgeband also noch eine Rolle spielen? Hat Ronnys Existenz eine Bedeutung für Cosmo Shleyms mysteriöse Pläne? Und was ist es überhaupt, das Leutnant Bellmann zu verhindern versucht? Am Ende des ersten Bandes bleibt sehr vieles rätselhaft, sodass der Cliffhanger, ob Ronny am Leben bleibt oder nicht, beim Leser kaum Spannung erzeugt.

Ronnie Knäusel – der Superheld in Jogginghose.

Nach dem eigentlichen Ende von Band 1 gibt es noch eine Zusatzepisode, welche die Umstände um Ronnys Geburt weiter ausschmückt und auf Nebencharaktere wie Ronnys Vater und Frau Bellmann eingeht. Auf den letzten Seiten des Buches gewährt der Zeichner uns einen kommentierten Einblick in die Entstehung der Charaktere.

Die Lektüre dieses Comicbuches war mir aufgrund der ausdrucksstarken Zeichnungen und großzügig eingesetzten Farbigkeit, des humorvollen Umgangs mit Sprache, der vielfältigen erzählerischen Mittel und des freien Umgangs mit Panelgröße und -form ein interessantes Lesevergnügen. Doch auf der Story- und Charakterebene hakt es. Die Haupthandlung verliert sich oft in Nebenhandlungen, Randfiguren und Anspielungen machen es schwer, der sowieso sehr zerklüfteten Geschichte zu folgen. Der junge, sympathische Cosmo und der alte schrullige Cosmo erscheinen wie zwei verschiedene Personen, die Entwicklung von einer Person zur anderen erscheint schwer nachvollziehbar. Der junge Ronny hat eine eigene Stimme, mit der er Sehnsucht und Freude ausdrückt. Der erwachsene Ronny wirkt weniger greifbar. Er hat eine starke Entwicklung durchgemacht vom fröhlichen Jungspund zum Superhelden der DDR und schließlich zum tragischen Antihelden des neuen Ostens, doch auch diese Transformation wird vom Leser emotional nicht miterlebt. Ein stärkerer Fokus auf die zwei Hauptcharaktere sowie deren Verbindung zueinander hätte dem Buch gutgetan, um die Leser_innen in die Geschichte einzubeziehen. Das UPgrade ist auf zehn Bände angelegt, für die Nebencharaktere ist also in den neun Fortsetzungsbüchern noch ausreichend Platz.

Wie wird es wohl weitergehen? Cosmo Shleym scheint auf der Suche nach vier Superhelden zu sein (I SEEK 4), von denen Ronny wahrscheinlich der erste ist. Am Ende des ersten Bandes hat Cosmo Ronny jedoch noch nicht gefunden und letzterer stürzt sich in den Tod. Sollte Cosmo seine vier Leute zusammenkriegen, wird dadurch wohl, wie vom Staubkorn angekündigt, eine neue Ära eingeläutet werden, wie auch immer sich diese gestalten mag. Mich jedenfalls haben diese angedeuteten Erzählstränge nicht genügend gefesselt, als dass ich die Geschichte weiterverfolgen würde.

 

Das UPgrade
Ulf S. Graupner, Sascha Wüstefeld
Ludwigsburg: Cross Cult, 2015
56 S., 20,00 Euro
ISBN 978-3-86425-668-4