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Dauergast von einem anderen Planeten

Schattenspringer. Wie es ist, anders zu sein rezensiert von Zara Zerbe

Wie lebt es sich eigentlich im Kreuzfeuer der ungefilterten Sinneseindrücke? Und was genau ist überhaupt ›Asperger‹? Diese Fragen beantwortet Daniela Schreiter in ihrem autobiografischen Comic Schattenspringer.

Schon als Kind fühlt sich die kleine Dani wie eine Besucherin von einem anderen Planeten. Das Gras unter ihren Füßen piekst wie Nadeln, zu enge Kleidung kratzt wie Stahlwolle, nahezu alles in ihrer Umwelt ist zu laut oder zu hell, und wie Interaktion mit anderen Menschen funktioniert, ist und bleibt ihr ein einziges Rätsel. Dani ist Asperger-Autistin. Das heißt in ihrem Fall, dass in der Informationsverarbeitung ihres Gehirns der Selektionsmechanismus fehlt. Die Protagonistin ist den Reizen der Außenwelt also stets in ihrer gesamten Fülle ausgesetzt. Außerdem fällt es ihr schwer, all die ungeschriebenen Regeln des Zwischen­menschlichen zu durchschauen und nonverbale Signale zu deuten, was den Umgang mit anderen Menschen nicht eben erleichtert. Keine einfache Aufgabe, sich unter diesen Bedingungen in einer von und für sogenannte NTs (neurotypische Menschen, also Menschen, die keine Autist_innen sind) geschaffenen Welt zurechtzufinden – vor allem, wenn die von den neurologischen Gegebenheiten ihrer Tochter nichts ahnende Mutter Dani auffordert, sie müsse einfach nur »über ihren eigenen Schatten springen.« (45)

In ihrem autobiografischen Comic erzählt Daniela Schreiter von ihrer Kindheit und Jugend mit (zu dieser Zeit nicht diagnostiziertem) Asperger-Autismus. In einer nach verschiedenen Herausforderungen und Alltagshürden gegliederten Erzählstruktur veranschaulicht sie die Einschränkungen, aber auch die Vorzüge, die ihre neurologischen Voraussetzungen mit sich bringen (»It’s not a bug – it’s a feature!«, 157), und wie sie auf deren Grundlage ihren Alltag organisiert. Im ersten Kapitel erklärt die Autorin anhand introspektiver Rückblenden, in welchen Punkten sie sich von NTs unterscheidet, während die übrigen Abschnitte zeigen, wie sich dies auf konkrete Lebenssituationen (z. B. Schule, Sportunterricht, Freund_innen finden) auswirkt. Es handelt sich dabei allerdings nicht um nüchterne Schilderungen, sondern stets um das eigene Erleben der Protagonistin. Besonders spannend ist dabei, wie schwierig vermeintlich alltägliche Dinge wie Telefonieren oder der Umgang mit Neurotypischen sein können, und welche Strategien Dani findet, um diese zu bewältigen. Das Medium ›Comic‹ erweist sich dabei für den Gegenstand als sehr dankbar. Zwar wird dieser auf der Textebene und in einem Vorwort, der Einleitung sowie dem nachgestellten Artikel des autistischen Bloggers Benjamin Falk bereits ausführlich durchleuchtet. Vor allem aber ermöglicht die Bildebene einen individuellen Einblick in das Leben mit dieser Variante des Autismus: Kleine Antennen auf dem Kopf, die nur für Asperger-Menschen als gegenseitiges Erkennungszeichen sichtbar sind, visualisieren Danis Wahrnehmung, ebenso wie die Darstellung ihres Lebens als Videospiel, das ein NT auf einem einfachen Level spielt, während Dani es mit einem erhöhten Schwierigkeitsgrad zu tun hat. Dass dies nur ein Beispiel ist, von dem man keineswegs auf das gesamte Autismusspektrum schließen kann, vermittelt die Autorin ebenfalls, indem sie häufig darauf hinweist, dass es sich bei dem Geschilderten lediglich um ihre eigene Perspektive handelt.

Die Einleitung, in der es einen schlaglichtartigen Überblick über einzelne Aspekte des Lebens mit Asperger gibt, und der Beginn des ersten Kapitels sind koloriert, die übrigen Teile jedoch nicht. Der etwas unvermittelte Übergang zwischen Farbe und Graustufen mitten in einem Erzählstrang markiert allerdings keinen Erzählebenenwechsel oder Ähnliches und ist keineswegs narrativ begründet. Durch die fehlende Kolorierung wirkt Schreiters niedlicher, cartoonartiger Zeichenstil im Folgenden etwas verwaschen und die Bilder daher unübersichtlicher als auf den Farbseiten am Anfang. Mit ihren wilden Frisuren und nach Kindchenschema gezeichneten Gesichtern erinnern die Charaktere an Kinderbuchillustrationen und wirken im Vergleich zu anderen aktuellen Werken kaum am Mainstream orientiert. Allerdings dürfte dies gerade Leser_innen, die sich mit dem im Comic häufig thematisierten Andersartigkeitsgefühl identifizieren können, durchaus ansprechen. Dass man aus Schreiters Zeichenstil dennoch kaum ablesen kann, an welche Zielgruppe sich die Publikation richtet, weil die kindlichen Figuren nicht so recht zu dem eher an volljährige Menschen adressierten Text passen mögen, fällt allerdings durch die inhaltliche Qualität des Comics nicht allzu sehr ins Gewicht. Denn Schattenspringer bietet einen interessanten und bewegenden, weil sehr persönlich gestalteten Einblick in die Erfahrungswelt einer Asperger-Autistin, indem der Comic einen autobiografischen und durch das hohe Identifikationspotenzial emotional zugänglichen Weg der Wissensvermittlung wählt, ohne dabei auf Spannung und Humor zu verzichten. Zumindest dieser Teil des subjektiven Erlebens im weiten Autismus-Spektrum wird dadurch greifbarer gemacht, als es etwa ein Fachartikel könnte.

 

Schattenspringer
Wie es ist, anders zu sein
Daniela Schreiter
Stuttgart: Panini, 2013
160 S., 19,99 Euro
ISBN 978-3-86201-950-2