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Von dummen Diagrammen und gewitzten Webcomics

Der Witz der Relationen rezensiert von Jeff Thoss

In seiner medienwissenschaftlichen Studie Der Witz der Relationen zum Webcomic xkcd untersucht Lukas R. A. Wilde das Phänomen des komischen Diagramms. Dabei herausgekommen ist ein im großen Ganzen durchwachsenes Buch, das Semiotik, Medien- und Erkenntnisphilosophie sowie Humortheorie verbindet und auf ihre Gemeinsamkeiten befragt.

Der Webcomic xkcd ist ebenso erfolgreich wie eigensinnig. Neben der Verwendung von kruden Strich­männchen und Witzen, deren Verständnis einen MINT-Abschluss voraussetzen, ist Randall Munroes Comic vor allem durch zahlreiche ›Strips‹ aufgefallen, die lediglich aus Flowcharts, Karten oder Kuchen­diagrammen bestehen. Spätestens hier wird man sich als Leser_in klassischer Zeitungsstrips oder sonstiger konventionellerer Comics fragen, was daran wohl lustig sein soll. Wie kann man mit solch scheinbar nüchternen Darstellungsformen Gelächter erzeugen? Genau auf diese Frage möchte Lukas R. A. Wildes Monografie Der Witz der Relationen antworten. Wie der Verfasser in der Einleitung darlegt, sucht er hierfür eine »Humortheorie des Diagrammatischen« (20) zu entwickeln. Damit macht er zu Beginn auch klar, dass es in dieser Studie nicht um eine Erklärung und Würdigung spezifischer Verfahren in xkcd, sondern um weitreichendere Phänomene geht, die sich ebenso in anderen Webcomics (etwa The Oatmeal) wie auch außerhalb des Comicbereichs finden.

Der Witz der Relationen gliedert sich, neben einer ausführlichen Einleitung, in drei Kapitel, eines zur Komik, eines zum Diagramm und schließlich eines zum komischen Diagramm, denen wiederum ein längerer Schlussteil hintangestellt ist. Die Arbeit ist durchweg an theoretischen Fragestellungen interessiert und bezieht sich auf fünf xkcd-Strips, um punktuell bestimmte Thesen zu illustrieren. Daneben werden auch einige (komische und nicht-komische) Diagramme analysiert, die nicht aus Munroes Feder stammen.

Im Kapitel zur Komik bezieht sich Wilde ausschließlich auf Arbeiten Uwe Wirths. Auch wenn diese Wahl nicht unbegründet ist, überrascht es doch, dass kanonische Texte von Aristoteles bis Plessner ausgeblendet werden und darüber hinaus auch eine weitere Verortung des eigenen Ansatzes innerhalb der Komik­forschung fehlt. Nach Wirth jedenfalls entsteht Komik vor allem durch unzulängliche bzw. ›dumme‹ Hypothesen und Schlussfolgerungen, weshalb seine Theorie gut geeignet scheint für ein Medium wie das Diagramm, bei welchem Hypothesen aufgestellt und Schlüsse gezogen werden. Da Wirths Überlegungen auf C. S. Peirces Erkenntnisphilosophie und vor allem dessen Begriff der Abduktion (Hypothesenbildung) fußen, werden diese von Wilde zu Beginn des Kapitels eingeführt. Es fällt dabei auf, dass Peirce, der auch in späteren Kapiteln als zentrale Referenz fungiert, stets nur aus zweiter Hand rezipiert wird. Peirces umfangreiches Werk ist bekanntermaßen selbst für Expert_innen schwer überschaubar; dass er hier nicht einmal im Literaturverzeichnis auftaucht, muss allerdings als methodische Unsauberkeit gewertet werden.

Jedenfalls gelangt der Verfasser über Peirce und Wirth zu einer Bestimmung des Komischen als

»verstehenden Nachvollzug der Differenz zwischen dem Ideal einer angemessenen economy of research und dem realen Aufwand beim abduktiven Aufstellen von Hypothesen« (39).

›Dumm‹ verhält sich, diesem Begriff von Komik folgend, jemand, der bei der Hypothesenbildung pragmatische Regeln verletzt, also etwa zu viel oder zu wenig Aufwand betreibt. Eine zweite Person, die die Diskrepanz zwischen solcherlei unzulänglicher und im Gegensatz dazu verhältnismäßiger Bemühungen erkennt, kann darin Komik (genauer, eine komische Inkongruenz) entdecken. Anhand von Witz – der Fähigkeit, Bezüge zwischen mehr oder minder weit entfernten Sachverhalten herzustellen und auf pragmatische Verwendbarkeit zu überprüfen – kann Komik schließlich inszeniert und Dritten zugänglich gemacht werden. Soweit das Komikmodell (im Prinzip eine Variante der durch Hobbes begründeten Kontrasttheorie – ein Aspekt, der im Buch, wie oben bereits angesprochen, allerdings keine Erwähnung findet), das der Verfasser hier schlüssig darlegt und anschließend an einem xkcd-Strip erläutert. Die Erklärung zu diesem Beispiel, das einzige nicht-diagrammatische im Buch, könnte auf manchen nun allerdings selbst (unfreiwillig) komisch wirken.

In dem Strip beschließen drei Figuren, ein in ihren Augen ketzerisches Buch zu verbrennen und möchten dafür weitere Exemplare dieses Titels beziehen. Sie kaufen über Amazon allerdings die Kindle Edition und sterben anschließend an einer Rauchvergiftung (vermutlich durch brennende E-Reader verursacht). Wilde sieht den Witz des Comics in der »partielle[n] Übereinstimmung der sozialen Situation ›Bücher­verbrennung‹ und ›Online-Einkauf‹« (45) – die Bücherverbrenner gehen wie ganz gewöhnliche Käufer vor – und die Komik im »Aufdecken der eklatant hohen Aufwandsdifferenz, die ein impliziter Autor unternimmt, um etwas vollkommen Irrelevantes auszuführen« (46). Leider übersieht er die Mehrdeutigkeit des englischen Worts ›Kindle‹, das als Verb (›to kindle‹) ›entzünden‹ bedeutet und die Entscheidung der Buchverbrenner für diese Ausgabe zwar nicht weniger ›dumm‹ erscheinen lässt, aber doch immerhin in ein neues Licht rückt. Auch wenn dies Wildes Erklärungsmodell nicht gleich zum Einsturz bringt, hätte man hier also auch mit weniger Aufwand zu einem plausiblen Schluss kommen können. Spätere Beispiele werden souveräner gehandhabt.

Auf das Kapitel zur Komik folgt das zum Diagramm. Wie zu erwarten, arbeitet sich der Verfasser hier vor allem am Begriff der Ikonizität ab, den er allerdings auch sogleich auf die Begriffe der Abduktion und der Komik zurückbezieht. »[S]chlussfolgerndes Denken«, so Wilde, »beruht [...] mithin auf ikonischen Operationen, deren (Im-)Plausibilität in der komischen Inkongruenz des Witzes nur ausgeschöpft« wird (58). Um diese Brücke zu schlagen, wird Ikonizität in der Folge auf zwei verschiedene Arten beschrieben, einmal als Darstellungssystem (›optimale Ikonizität‹) und einmal als Verfahren (›operative Ikonizität‹). Bei ersterem geht es um eine semiotische Charakterisierung des diagram proper, das sich in der Terminologie Nelson Goodmans – neben Peirce wichtigster Stichwortgeber dieses Kapitels – durch besondere Analogizität und Fülle auszeichnet. Bei Letzterem geht es um eine pragmatische Charakterisierung des Diagrammatischen, das über Strukturähnlichkeiten einen bestimmten Zeichengebrauch ermöglicht.

Das dritte Kapitel führt schließlich die Einsichten aus Kapitel 1 und 2 zusammen. Man kann es ohne weiteres als Kern der Arbeit bezeichnen, da es im Gegensatz zu den vorherigen Kapiteln auch ohne längere Wirth-, Peirce- oder Goodman-Referate auskommt und damit eigenständiger wirkt. Zudem scheint es selbst hochgradig ikonisch bzw. diagrammatisch zu operieren, indem es die Ähnlichkeiten zwischen komischer Abduktion und Diagramm gewitzt hervorhebt. Die Abduktion wird von Wilde neu bestimmt als ein Verfahren, das ikonische Hypothesen bildet, die man nach dem weiter oben definierten Komikmodell als gewitzt bezeichnen kann, wenn sie Ähnlichkeiten zwischen sehr verschiedenartigen Gegenständen aufdecken. Diese jedoch müssen erst vermittelt werden, wofür das Diagramm als relationales Medium prädestiniert scheint. Ohne die Einbeziehung eines weiteren, recht andersartigen Theorierahmens ausführlich zu begründen, greift der Verfasser nun auf Luhmanns Medium/Form-Unterscheidung zurück, um zu beschreiben, wie das diagram proper die ihm zugrunde liegenden Relationen modelliert und gestaltet bzw., was es durch die Selektionen und Unterscheidungen, die es trifft, notwendigerweise nicht fassen kann. Es folgt die akribische Analyse zweier Diagrammtypen – Kreis- und Achsendiagramm – und entsprechender xkcd-Strips, bei denen zwei neue Facetten des Gegenstands zu Tage treten.

Da wäre zum einen die Rhetorik von Diagrammen, ihre tradierten, konventionellen Verwendungs­zusammenhänge, die quasi automatisch mit aufgerufen werden und das Diagramm in seiner Funktion naturalisieren. Eng damit verbunden ist die scheinbare Evidenz von Diagrammen, die ebenfalls auf einer Verschleierung ihrer Verfahren beruht. Mit diesen beiden Aspekten beschäftigt sich die zweite Hälfte des Kapitels, um gegen Ende deren Relevanz für das komische Diagramm aufzuzeigen. Um ein komisches Diagramm zu verstehen, muss man es nämlich letztlich selbst (mental) nachbauen und korrigieren können. Der Schlussteil der Untersuchung geht noch einmal genauer auf diese erkenntniskritische Dimension des komischen Diagramms ein. Als »medienrhetorische[n] Exorzismus« (157) bezeichnet es Wilde, wenn man im Diagramm auf eine komische Inkongruenz stößt und sich anschließend daran versucht, die ›dummen‹ Hypothesenbildungen und Schlussfolgerungen nachzuvollziehen. Das komische Diagramm stört die scheinbare Selbstverständlichkeit dieses Mediums, macht es als Medium erst sichtbar. Der Verfasser attestiert xkcd abschließend, dies auf besonders komprimierte Weise zu tun.

Der Witz der Relationen dürfte vor allem Medienwissenschaftler_innen und Medienphilosoph_innen ansprechen. Ob die Arbeit für Comicwissenschaftler_innen interessant ist, ist eine andere Frage, denn oftmals wird nur über Umwege etwas über xkcd als (Web-)Comic ausgesagt. Das soll keine Kritik sein, lediglich ein Hinweis darauf, dass ein etwas präziser formulierter Untertitel den eigentlichen Fokus verdeutlichen würde. Generell holen die späteren Kapitel, in denen Wildes eigener Ansatz klarer wird, einige der anfänglichen Mängel – wie etwa den fehlenden Bezug zur Komikforschung – auf. Tilgen können sie sie allerdings nicht. Neben den bereits benannten Schwachstellen kann man der Arbeit öfter theoretische Überfrachtung vorwerfen, insbesondere an den Stellen, an denen die Theoretiker ›ineinander geschachtelt‹ werden. Angesichts der hohen Dichte an teils inkompatiblen Theorieentwürfen, die präsentiert werden, lässt sich Wildes Argumentation nicht immer klar nachvollziehen und seine eigenen, durchaus relevanten Aussagen drohen gelegentlich unterzugehen. Dies soll aber letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier brauchbare Konzepte und Überlegungen zum komischen Diagramm zu finden sind, die zweifelsfrei Anschluss für zukünftige Forschung bieten.

 

Der Witz der Relationen
Komische Inkongruenz und diagrammatisches Schlussfolgern im Webcomic XKCD
Lukas R. A. Wilde
Stuttgart: Ibidem, 2012
170 S., 29,90 Euro
ISBN 383-8-20-406-9