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Ethnografische Einblicke in die Welt einer Comic-Convention

It Happens at Comic-Con rezensiert von Rabea Koch

Die Comic-Con International in San Diego – »the Super Bowl of comic book conventions« (3) – ist eine jährlich stattfindende Convention der populären Künste in Nordamerika und die größte ihrer Art. Die Autor_innen des Sammelbandes It Happens at Comic-Con liefern, ausgehend von ihrer eigenen Verankerung innerhalb eines (Comic-)Fandoms, unterschiedliche wissenschaftliche Einblicke in die Welt einer Comic-Convention.

Der Sammelband It Happens at Comic-Con vereint unterschiedliche ethnografische Essays von Autor_innen, die seit 2007 unter der Leitung von Prof. Matthew J. Smith jedes Jahr kulturelle und soziale Phänomene der Comic-Con untersuchen und durch teilnehmende Beobachtungen empirisch belegen. Die essayistische Form der Aufsätze bündelt einerseits theoretische Konzepte und empirische Daten, ermöglicht andererseits aber auch kurze und prägnante Einsichten in die komplexen Strukturen der Convention. Durch die subjektive Schreibweise verschwimmen jedoch die Grenzen zwischen wissenschaftlichen Beobachter_innen und konsumierenden Teilnehmer_innen, wodurch sich der Fokus auf den persönlichen Umgang mit den Phänomenen verschiebt und der wissenschaftliche Anspruch der Essays in den Hintergrund gerät.

Zentraler Aspekt der Aufsätze ist die Verhandlung unterschiedlicher kultureller und im erweiterten Sinne auch literaturwissenschaftlicher Praktiken, die jährlich auf der Comic-Con stattfinden. Die gut strukturierte Unterteilung der Essays in verschiedene Kategorien ermöglicht ein gezieltes Nachschlagen von thema­tischen Schwerpunkten. So beschäftigen sich die Teile I und II hauptsächlich mit den kultur­wissen­schaftlichen Konzepten von Identität und Gender. Catherine Thomas beispielsweise stellt in ihrem Essay den Aspekt »En(gendering) Identities Through Crossplay« in den Vordergrund. Crossplay – eine Variante des Cosplays – ermöglicht nach Thomas den Fans einen flexiblen Umgang mit normativen Gendergrenzen, der wiederum eine Reinterpretation von gesellschaftlichen Konventionen und Symboliken in Bezug auf Geschlechterkategorisierungen zulässt. Essentiell dabei ist, dass im Fandom Gender­zugehörigkeiten über die Tätigkeit des Crossplays oftmals stereotypisiert dargestellt werden (vgl. 33). Auch Lisa H. Kaplan analysiert die Konstruktion von Geschlechterrollen auf empirischer Basis, indem sie das Aufkommen von neuen, oftmals zugeschriebenen Frauentypen – Killergirl / Geek Girl – erforscht und in den Rahmen des post-feministischen Diskurses stellt.

In Teil III, der sich mit der Verhandlung von Fandoms durch kommunikative Praktiken beschäftigt, stehen besonders die ambivalenten Beziehungen von Konsument_innen, Autor_innen und der Comic-Industrie im Vordergrund. Die Essays thematisieren vor allem die aus diesen Beziehungen entstandenen kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Praktiken. Beispielsweise untersucht Brian Swafford die sozialen Regeln des Fan Talks. Daran anschließend fokussieren Cameron Catalfu und Tanya D. Zuk im Teil IV des Sammelbandes die Wechselbeziehung zwischen den technischen und partizipatorischen Möglichkeiten für Konsument_-­innen, die sich durch das Internet etablieren und so den Umgang mit medialen Produkten prägen – sie führen zum einen den Zusammenhang zwischen weiblicher Partizipation in der Online-Serie Red vs. Blue und zum anderen den Umgang mit Web Shows an. Der fünfte und letzte Teil zeigt unter dem Titel »Attending Con« die tatsächliche Ausprägung der entstehenden Praktiken. So hat sich Regina C. Gasser auf das Phänomen des Schlange- Stehens vor den einzelnen Aktivitäten und Diskussionsforen spezialisiert. Mit Hilfe von Interviews analysiert die Autorin die Motivationen der Besucher_innen, sich für die Veranstaltung eines Fandoms anzustellen, und zeigt auf, dass sich diese »Line Culture« als soziale Praktik mit eigenen Reglementierungen und Normierungen lesen lässt (vgl. 145).

Ziel der Essays ist es, mit Hilfe von ethnografischen Feldforschungsmethoden, hauptsächlich der teilnehmenden Beobachtung und/oder Interviews, einen empirischen Einblick in die kulturellen Praktiken der Comic-Con International zu geben. Die gewählten Methoden eignen sich besonders, um die kulturellen Phänomene der Convention zu untersuchen, da nicht nur eine Innensicht auf diese Phänomene etabliert wird, sondern auch Alltagswissen und persönliche Vorstellung der Besucher_innen einen wichtigen Teil im Forschungsprozess einnehmen. Durch die ethnografische Rahmung entsteht ein perspektivenreicher und multimethodischer Zugang zu einem aktiv gelebten Forschungsfeld. Die bereits erwähnte Ich-Perspektive der Aufsätze steht dabei stellenweise der Objektivität im Wege. Die Autor_innen verorten sich darüber hinaus innerhalb eines bestimmten Fandoms und können einerseits im positiven Sinne auf Insiderwissen zurückgreifen. Andererseits determiniert diese Sichtweise den Forschungsprozess und die leibliche Anwesenheit im Forschungsfeld beeinflusst ihrerseits die erhobenen Daten. Es ist schade, dass dieses Dilemma nur in geringem Maße in den Essays thematisiert wird. Die ethnografische Ausrichtung und die vielen Beispiele überlagern in einigen Aufsätzen teilweise die theoretische Fundierung und führen, neben der Ich-Form, zu einer Hervorhebung der erhobenen Daten. Dennoch zeigen die Autor_innen über die Wahl der Methodik auch, dass Forschung, die durch empirische Daten erweitert wird, einer breiten Leserschaft den Zugang zu wissenschaftlichen Thematiken ermöglichen könnte.

Zusammengefasst wird deutlich, dass die Autor_innen über ihren methodischen Rahmen der teilnehmenden Beobachtung und mit Hilfe der Interviews einen detaillierten Zugang zu unterschiedlichen Praktiken und kulturellen Phänomenen der Comic-Con liefern. Der Bezug zur Comic-Kultur wird durch den Fokus auf die Comic-Con in San Diego hergestellt, aber nicht nur Comics stehen im Vordergrund, sondern auch Manga, Computerspiele und die Populärkultur im Allgemeinen. Comics als literarisches Format werden daher nur am Rande thematisiert, denn die aktive Auslebung eines Fandoms beziehungsweise einer kulturellen Praktik nimmt einen größeren Stellenwert ein. In diesem Sinne bietet der Sammelband It Happens at Comic-Con ein Konglomerat aus unterschiedlichen Disziplinen und Thematiken rund um die Comic-Convention.

Es lässt sich also festhalten, dass die Essays der verschiedenen Autor_innen einen guten Einblick in die Welt der Comic-Con International in San Diego bieten, der wiederum Rückschlüsse über die Verhandlung von Fandoms und Fanpraktiken sowie über die ambivalenten Beziehungen zwischen Konsument_innen, Produzent_innen und der Comic-Industrie zulässt und so ein Bewusstsein für die wissenschaftliche und diskursive Relevanz der Convention schafft.

 

It Happens at Comic-Con
Ethnographic Essays on a Pop Culture Phenomenon
Ben Bolling u. Matthew J. Smith (Hg.)
Jefferson, N. C.: McFarland, 2014
216 S., 35,00 US Dollar
ISBN 978-0-78647-694-7