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Katastrophengeburtstag!
Die Tragödie in all ihren Facetten und ein Grund zu feiern

Spring-Magazin #10: ABC of Tragedy rezensiert von Rilana Kubassa

Gescheiterte Hoffnungen, Katastrophen, tragische Held_innen – anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums hält SPRING #10: ABC of Tragedy für seine Leser_innen einiges an Drama bereit. Vom Dilemma des täglichen Lebens und tragikomischen Situationen bis hin zu allerlei schicksalhaften Geschichten und Unglücksfällen, widmen sich 32 internationale Zeichnerinnen den Spielarten der Tragödie.

Ein Jubiläum ist immer ein besonderes Ereignis, doch das jährlich erscheinende Magazin SPRING, 2004 von der gleichnamigen Künstlerinnengruppe gegründet, hat mehr zu feiern als nur seinen zehnten Geburtstag. Komplett selbstverwaltet ist es mittlerweile zu einer festen Größe in der internationalen Comic-Szene herangewachsen und hat sich zu einem wichtigen Netzwerk für Comic-Zeichnerinnen, Illustratorinnen und freie Künstlerinnen entwickelt.

Durch die diversen Stile der verschiedenen Zeichnerinnen und ihre Herangehensweisen an das vorgegebene Thema werden in SPRING vor allem die vielfältigen Möglichkeiten der grafischen Darstellung an sich vorgestellt. Mit den zusätzlichen Gastzeichnerinnen bietet die vorliegende zehnte Ausgabe einen besonders großen Reichtum an unterschiedlichen Stilen und grafischen Erzählweisen.

Nach dem zuvor verarbeiteten Thema Reineke Fuchs widmen sich die SPRING-Zeichnerinnen nun der hohen Kunst der Tragödie. Birgit Weyhe erzählt unter »A wie Abziehbild« von dem unvergessenen Erlebnis einer Einschulung ohne Schultüte. In naivem Stil beschreibt sie mit schwarzen Umrandungen, sparsamer, monochromer Farbgebung und nahezu ohne räumliche Tiefe aus der Sicht eines Kindes, wie der große Tag der Einschulung zum Anlass einer großen Blamage wird. Maria Luisa Witte fasst in schlichten, mit Buntstift gezeichneten, ebenso zarten wie eindringlichen Bildern unter anderem zu »F wie Familie« Moment­aufnahmen innerer Dramen zusammen, die in ihrer Einfachheit und Klarheit die Tragödien ihrer Figuren auf den Kern reduzieren und, so freundlich und hell sie auf den ersten Blick wirken mögen, immer auch einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Ulli Lust beschreibt in ihren vielschichtigen, teils erotisch-über­sinnlichen Comics Tragisches wie die erektile Dysfunktion oder den Romantiker. Åsa Grennvall zeigt unter »W wie Worst«, wie schlimm Liebeskummer wirklich sein kann. In expressiven Schwarz-Weiß-Zeichnungen verleiht sie der alltäglichen Realität einer verlorenen Liebe die Stimmung einer fatalistischen Dramatik, nicht ohne dabei die Heldin und ihre Situation mit einem liebevollen, mitfühlenden Humor zu betrachten. Im ironisch abgewandelten Stil der griechischen Vasenmalerei findet sich mit Romy Blümels »Euripides – Die Bakchen« auch ein direkter Bezug zur klassischen griechischen Tragödie

Derart deutliche Hinweise auf das Titelthema des Heftes bleiben jedoch die Ausnahme, zumindest was die formale Ebene betrifft. Sie sind eher auf der inhaltlichen Ebene auszumachen. Wer nach einem kathar­tischen Lektüre-Erlebnis inklusive phobos und eleos sucht, kommt somit trotzdem auf seine Kosten. Zu nennen wären da die paradox-festgefahrene Situation eines Jungen, der keine Therapie anfangen mag, damit seine Mutter keine Schuldgefühle bekommt, oder die enttäuschten Ambitionen der Heimchen-Eltern, die ihr begabtes Kind und mit ihm die Hoffnung auf Erfüllung der eigenen, ungelebten Träume verlieren.

SPRING #10: ABC of Tragedy ist eine ebenso unterhaltsame wie eindringliche und deshalb uneingeschränkt lesens- und betrachtenswerte Anthologie der Tragödie und ihrer vielfältigen Ausprägungen. Es sind die kleinen und großen Katastrophen des Lebens, die hier in den Mittelpunkt gerückt werden und sich in all ihrer persönlichen Tragweite präsentieren: Die inneren Dramen, die unüberwindbaren Konflikte und schicksalhaften Augenblicke, die unser Leben bestimmen und für immer verändern, da sie, einmal geschehen, tief und unabänderlich in unserem Innern fortwirken und dort, wenn sie nicht gerade als Comic in SPRING erscheinen, oft genug für immer bleiben, ohne jemals erzählt zu werden.

 

Spring-Magazin #10
ABC of Tragedy
Birgit Weyhe, Maria Luise Witte, Åsa Grennvall, Ulli Lust, Romy Blümel et al.
Hamburg: SPRING GbR, 2013
250 S., 16,00 Euro
ISBN 978-3-9815384-1-0