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Wie man eine Online-Rezension über Comics schreibt
Ein Werkstattbericht

Susanne Wegner (Eichstätt-Ingolstadt)

Informationen verdichten, Position beziehen und als Erzählung arrangieren. Comics lesen ist eine Sache, darüber zu schreiben, damit sie auch andere gerne lesen, ist eine besondere. Wertvolle Tipps, wie eine kritische Betrachtung gelingen kann.

Wie beginne ich eine Rezension und wie beende ich sie? Wie strukturiere ich den Text? Wie fasse ich meine Ergebnisse knapp zusammen? Und worauf muss ich sonst noch achten? Für die erste Ausgabe von CLOSURE (2014) gab es eine Reihe von Fragen zu beantworten. Susanne Wegner, freie Journalistin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Journalistik in Eichstätt, bot dem Redaktionsteam dazu einen Workshop an. Innerhalb eines Tages stellte sie Kieler Studierenden und angehenden CLOSURE-Redakteur_innen vor, wie Rezensionen mit einem wissenschaftlichen Anspruch unterhaltsam aufbereitet werden können. Aus dem Journalismus lässt sich einiges lernen.

Was ist eine Rezension?

Wie die wissenschaftliche Rezension basiert die journalistische auf drei Teilen: Darstellung, Einordnung und Bewertung. Sie stellt den Inhalt eines Buches vor, verortet es im öffentlichen Diskurs und reflektiert es kritisch. Auch das methodische Vorgehen ist Journalist_innen und Wissenschaftler_innen gemein: Sie setzen sich zunächst intensiv mit dem Gegenstand und seinem kulturellen Kontext auseinander, ehe sie daraus Schlüsse in Form einer eigenen Interpretation ziehen und diese einer Leserschaft darbieten, um ihr die Einordnung zu erleichtern.

Was im Journalismus hinzukommt: ein ›feuilletonistischer Stil‹. Damit sind sprachliche Darstellungsmittel gemeint, die der Schreiber_in erlauben, sachliche Information mit eigener Meinung und konkretem Nutzwert zu verbinden. Was die wissenschaftliche Kommunikation ausschließt, ist im Journalismus ausdrücklich gewünscht: Subjektivität! Diese spiegelt sich vor allem in einer einfachen, pointierten und unterhaltsamen Sprache wider, die der Deutung Leben einhaucht und so Interesse bei der Leser_in weckt, ohne die Informationsstandards zu verletzen.

Diese feuilletonistische Form der wissenschaftlichen Rezension eignet sich für e-Journals wie CLOSURE, um ein Publikum anzusprechen, das über einen bestimmten akademischen Fachkreis hinausgeht. Durch ihren pointierten Stil erleichtert sie nicht nur den Zugang, sie bietet eventuell auch Reibungspunkte und »Zeug zum Streit«, wie es der Buchwissenschaftler Georg Jäger ausdrückt.

Mut zur Einfachheit

Für die journalistische Sprache gilt: Sie ist knapp und klar. Das bedeutet: eher kurze Sätze (Richtwert: 20 Wörter), kraftvolle Verben und möglichst wenige Substantivierungen (Wörter, die auf -ung/-keit oder -heit enden). Dazu gehört auch, wichtige Fachbegriffe zu übersetzen, Füllwörter zu streichen und von Anfang an auf den Kern des Textes hinzuarbeiten. Verdichten heißt das Zauberwort: das Wesentliche herausarbeiten, Überflüssiges streichen und auf die eigene Stimme vertrauen. So entsteht ein pointierter Text, der gerne gelesen wird.

Wie anfangen?

Bevor die Autor_in jedoch mit dem Schreiben beginnt, sollte er oder sie genau wissen: Was ist der Kern meiner Rezension? Jeder Text muss einen ›Küchenzuruf‹ haben, um zu funktionieren. Der Begriff geht auf den Stern-Gründer Henri Nannen zurück und umschreibt die Forderung, die zentrale Botschaft des Textes in ein bis zwei Sätzen formulieren und Anderen zurufen zu können, die sich gerade auf einem anderen Wissensstand befinden (oder bildhaft gesehen in einem anderen Raum wie der Küche).

Bewährte Prinzipien

Nachdem der ›Küchenzuruf‹ dabei geholfen hat, die eigenen Gedanken zu strukturieren und zu gewichten, geht es an die eigentliche Textarbeit. Die Rezension besteht im Wesentlichen aus: einem Titel, einem Teaser, einem Haupttext mit eigener Beobachtung und Wertung, einem Bild und einer Bildunterschrift.

Im Internet kommt der Sprache und dem Zusammenspiel dieser Textelemente eine besonders wichtige Rolle zu. Jede Online-Nutzer_in ist anders, allerdings ist Lesen am Bildschirm anstrengender als auf Papier und größeren Ablenkungen ausgesetzt. Das Rezept für erfolgreiche Rezensionen gibt es sicherlich nicht, aber eine Reihe von Maßnahmen, die die Aufmerksamkeit der Leser_in einfangen und halten können. Folgende Prinzipien haben sich in der Praxis und auch im Workshop bewährt:

1. Für den Titel gilt: So kurz wie möglich, so lang wie nötig! Die Überschrift gibt den ›Küchenzuruf‹ bzw. die zentrale Aussage des Textes in seiner verdichtetsten Form wieder – verblüffend einfach, spannend und knackig. Erlaubt ist, was beim Spiel mit der Sprache Spaß macht, aber dennoch verständlich ist. Das einfachste und meist erfolgreichste Prinzip ist: Subjekt, Prädikat, Objekt. Anspielungen auf Filmtitel und Zitate können dabei richtungsweisend sein. Es können, müssen aber keine ganzen Sätze sein. Ein Telegrammstil ist möglich, besonders wenn er sich durch Rhythmus äußert wie etwa bei Monster, Mythen, Mutationen. Diese Überschrift hat Yanine Esquivel gewählt, als sie Erik Krieks Comic Vom Jenseits und andere Erzählungen zu Kurzgeschichten von H. P. Lovecraft rezensierte. Hier zeigt sich, was feuilletonistische Sprache noch sein kann: ein Griff in die rhetorische Trickkiste durch die dreifache Alliteration und den regelmäßig alternierenden Rhythmus (eines vierfachen Trochäus). Ein einfaches, aber wirkungsvolles Stilmittel, das mit der Sprachmelodie spielt und dadurch besondere Aufmerksamkeit garantiert.

2. Die Perlen der Rezension schon auf der Startseite präsentieren! Hierfür eignet sich der ›Teaser‹ (›Anreißer‹). Es handelt sich dabei um einen journalistischen Kurztext, der das Interesse der Leser_in für den eigentlichen Text wecken und sie verleiten soll, dem weiterführenden Link zu folgen. Der Teaser greift die Überschrift auf und setzt sie fort – stilistisch wie inhaltlich. Der ›Anreißer‹ ist dabei ebenso kurz und knackig. Er formuliert in maximal drei Sätzen, was die Leser_in im Text zu erwarten hat, ohne zu viel vorwegzunehmen – wie folgender Teaser, der ebenfalls im Workshop entstanden ist:

Abb. 1: Ãœberschrift und Teaser zum Comic Reineke F., auf der Startseite von CLOSURE #1.

Julia Ingold und Nikolai Ziemer setzen das Prinzip des ›Anreißers‹ geschickt um. Er besteht aus drei Teilen: Reiz, Thesenkern und Rampe. Schon mit den ersten Worten wird die Leser_in eingefangen und ihr Interesse geweckt (Reiz) – erneut mithilfe einer Alliteration (»Zwölf Gesänge, zwölf Zeichnerinnen, zwölf Stile«). Daraufhin wird der Thesenkern, also die zentrale Aussage formuliert, die bereits mit dem ›Küchenzuruf‹ herausgearbeitet wurde (»Das Spring-Magazin erzählt Goethes Reineke Fuchs neu«). Mithilfe der Rampe wird nochmals Spannung erzeugt, indem ein weiterer Hinweis gegeben wird, was die Leser_in in dem Haupttext erwarten kann: »Herausgekommen ist dabei ein Comic, in dem die triebgesteuerten Zeitgenossen [...]«

Zudem haben die beiden Autor_innen darauf geachtet, dass Überschrift und Teaser eine Einheit bilden und sich ergänzen. Normalerweise sind Doppelungen mit der Headline zu vermeiden, in diesem Fall ist die Wiederholung der Zahl zwölf jedoch ein spielerisches Element, das sich wie ein roter Faden durch den Comic und durch die Rezension zieht.

3. Den Text zu einer Erzählung arrangieren! Für das Herzstück der Rezension, den eigentlichen Text, gibt es keinen festen Aufbau. Es empfiehlt sich jedoch folgende Reihenfolge: Im ersten Teil wird die Frage beantwortet: Worum geht es? Damit sind vor allem hard facts gemeint, also all das, was die Produktion und den Inhalt des Comics betrifft, wie etwa die erzählte Geschichte, die technische Umsetzung und die Hintergründe zur Verfasser_in. Im zweiten Teil geht es um die kritische Betrachtung und das eigene Urteil des Rezensenten. Diese Zweiteilung hat sich bewährt, damit die Leser_innen nicht nur informiert und unterhalten werden, sondern sich auch ein eigenes Urteil über den besprochenen Gegenstand bilden können.

Erzählen heißt in diesem Sinn, Beobachtung und Wertung so zusammenzufügen, dass sie fließend ineinander übergehen. Der erste Teil sollte auf die eigene Interpretation hinführen und jene Informationen liefern, die es braucht, um die eigene Analyse schlüssig darzulegen. Aber nur wer sich traut, Position zu beziehen und seine eigene Meinung zu entwickeln, kann den Text zum ›Leuchten‹ bringen.

4. Mit Schlüsselszenen aus dem Buch arbeiten! Je detaillierter diese beschrieben und interpretiert werden, desto ›leuchtender‹. Es gibt zwei Möglichkeiten, Szenen in die Analyse einzuarbeiten: durch Kontextualisieren oder Symptomatisieren.

Kontextualisieren meint das, was der Autor sieht, mit Kontexten zu kombinieren, also mit dem, was unmittelbar mit dem Comic verwoben ist, aber nicht unmittelbar zu ihm gehört. Symptomatisieren hingegen kombiniert nicht nur solche Kontexte. Ausgehend von einer Schlüsselszene werden größere Zusammenhänge hergestellt und eine These für das Allgemeine gewagt – etwa für das Leben an sich.

5. Die Bildebene nicht vergessen! Nicht nur der Inhalt der Schlüsselszene ist wichtig, sondern auch ihre Ästhetik. In welchem Verhältnis stehen Zeichenstil und Aussage des Autors? Wie wird die Botschaft des Comics durch seine Bilder unterstrichen? Wird gar eine neue Bedeutungsebene eröffnet?

In folgendem Beispiel wird beides versucht: Die Autorinnen kontextualisieren die Hauptfigur des Comics Skydoll anhand ihres Aussehens in mehreren Szenen:

Abb. 2: Auszug aus Schaulust und Sinnsuche im Plastikparadies, der Comic Skydoll rezensiert von Jenifer Baer und Marie-Luise Meier in CLOSURE #1.

6. Zum Schluss: Der letzte (Ab-)Satz bringt es nochmals auf den Punkt! Er kommt nicht überraschend, sondern ergibt sich aus den vorherigen Schritten und Aussagen. So kann etwa am Ende die Kontextualisierung bzw. Symptomatisierung auf eine griffige Formel gebracht und mit einer Leseempfehlung verknüpft werden. Um beim Beispiel Skydoll zu bleiben: Für die Autorinnen gibt der Comic keine Deutung vor, vielmehr ist das »freudvolle[] Durcheinander der Lesarten« das, was das Buch auszeichnet. Das Symptomatisieren wird damit dem Publikum überlassen:

Abb. 3: Auszug aus Schaulust und Sinnsuche im Plastikparadies, der Comic Skydoll rezensiert von Jenifer Baer und Marie-Luise Meier in CLOSURE #1.

Der letzte Abschnitt eignet sich auch, um über den Comic hinauszuweisen, wie es drei Autoren des Workshops am Beispiel Infinity gemacht haben. Sie geben am Ende einen Lektürerat und gehen vom Comic zu den Filmen über:

Abb. 4: Auszug aus Ein neuer Superhelden-Blockbuster zum Marvel-Comic Infinity rezensiert von Florian Schulz, Lukas Städing und Simon Wecker in CLOSURE #1.

7. Den Text mit weiteren Orientierungshilfen abrunden! Um das Lesen am Bildschirm zu erleichtern, sollte mit Absätzen und Zwischenüberschriften gearbeitet werden. Zwischenüberschriften sind genauso kurz und prägnant wie Überschriften. Sie stehen meist an strategischen Punkten des Textes und eröffnen ein neues Thema. Und bei Absätzen gilt: pro Absatz eine Gedanke.

8. Insgesamt kurz halten! Die Länge ist vom jeweiligen Medium abhängig, CLOSURE etwa hat einen Richtwert von 7.000 Zeichen. Auch beim Überarbeiten kürzerer Texte empfiehlt es sich, zu prüfen, wo weiter verdichtet werden kann – auch an den Stellen, die man als besonders gelungen empfindet. Bei der Überarbeitung hat sich diese journalistische Weisheit als sinnvoll erwiesen: »Kill your Darlings«.

Und nun: selber schreiben!

Um einen letzten Rat zu geben: Die Übung macht’s. Am besten gleich zum Lieblings-Comic greifen und ausprobieren. CLOSURE nimmt stets pointierte und klug konzipierte Texte entgegen, die die Anforderungen an eine fundierte, wissenschaftliche Rezension mit einem lebendigen, feuilletonistischen Ton verbinden. Gesucht werden Beiträge, die die Comicforschung einen Schritt weiterbringen und die vielschichtige Welt der Comics für alle Interessierten erfahrbar machen, so dass durch sie hindurch das Leben in einem neuen Licht erscheint.

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