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Zwischen germanischer Gottheit und Superheldenspandex? Für Thor kein Problem.

Thor. Gott des Donners (Band 3 und 4) rezensiert von Anna Kristina Springer

Thors Geschichte ist eine in den letzten Jahrhunderten viel adaptierte und immer wieder veränderte, doch was passiert, wenn sie in einem Comic erzählt wird? Kann Thor nicht nur ein Gott, sondern gleichzeitig auch ein glaubwürdiger Comic-Superheld sein? Band 3 und 4 der Serie Thor. Gott des Donners setzen die vielgehörte Geschichte einmal mehr spannend und neu um: Sie betten die Figur des Thor in einen modernen Kontext und hauchen ihr neues Leben ein.

Obwohl die Geschichte Thors schon mehrere hundert Jahre alt ist, verliert sie nicht ihren Reiz. Das erste Mal schriftlich festgehalten wird sie in der Edda, der skandinavischen Sagensammlung aus dem 13. Jahrhundert. Seinen ersten Auftritt als Comic-Figur hat Thor ganze 600 Jahre später in Venus #12 (1951), geschrieben von Stan Lee. Jason Aaron ist demnach nicht der Erste, der die Geschichte des Donnergottes weiterführt. Seine beiden hier vorgestellten Comic-Sammelbände 3 und 4 unterteilen sich jeweils in sieben Einzelgeschichten, die sich teilweise in eine Rahmenhandlung einfügen, aber auch durchaus neue Nebenhandlungen einführen. Doch was macht Thor auch nach 600 Jahren noch interessant? Warum wollen wir diesen Gott auch als Superhelden in unserem Leben?

In Band 3 und 4 der Reihe Thor. Gott des Donners muss sich Thor gegen diverse Gegner behaupten, die versuchen sein geliebtes Midgard, die Erde, zu vernichten. Thor zeigt sich hier nicht nur als germanischer Gott, sondern erfüllt ganz genretypisch alle Kriterien eines ordentlichen Comic-Superhelden. Peter Coogan definiert diesen in seinem Aufsatz »The Definition of the Superhero« folgendermaßen: Er besitzt einen heldenhaften Charakter, handelt selbstlos und ist mit einer sozialen Mission beauftragt. Er darf sich demnach nicht an seiner Mission bereichern oder aus egoistischen Motiven handeln(vgl. Coogan, 77). Thors Mission in beiden Bänden gestaltet sich thematisch simpel, denn im Mittelpunkt steht immer die Rettung von Midgard, trotz dessen vielseitig und variabel, da er gegen die verschiedensten Bösewichte antreten muss.

So wird zum Beispiel Malekith, der König der Dunkelelfen, aus dem Totenreich Niflheim befreit und versucht seine Macht zurückzuerlangen. Thor verfolgt die Dunkelelfen mit Hilfe der Liga der Welten. Trotz interner Unstimmigkeiten schafft es die Gruppe um Thor am Ende Malekith zu überlisten. Der Höhepunkt ereignet sich auf Midgard – und ist somit auf der Welt der fossilen Brennstoffe angesiedelt, was Thors Kampf um die Zerstörung der Erde gewissermaßen bereits vorwegnimmt.

Ein Superheld hat Superkräfte, die entweder aus außerordentlichen Fähigkeiten oder fortgeschrittener Technologie bestehen sowie hochentwickelter physikalischer, mentaler oder mystischer Natur sein können (vgl. Coogan, 77–78). Auch Thor ist so dargestellt: übernatürlich stark und ausgerüstet mit seinem Hammer Mjölnir. Zu Beginn des Comics ist Thor ein raufender Teenager, der sich im Laufe der Geschichte zu einem einfühlsamen Erwachsenen entwickelt, um am Ende dann als weiser alter Mann aufzutreten. Der mit übernatürlicher Kraft ausgestattete Held Thor trifft ausschließlich auf ebenbürtige Feinde, die sich durch ihre ebenfalls übernatürlichen Fähigkeiten auszeichnen (vgl. Ekenstedt, 28–29), zum Beispiel Dario Agger, der seine menschliche Gestalt gegen die eines »Bären-Biests« tauschen kann.

Ein weiterer Aspekt, an dem ein Superheld erkannt werden kann, ist seine Identität – sie setzt sich zusammen aus dem Kostüm und dem Decknamen des Helden (vgl. Coogan, 78). Hier fällt Thor jedoch aus dem Muster, denn er benutzt keinen Decknamen, sondern zeigt seine Identität offen der Welt. Darüber hinaus besteht das Kostüm eines Superhelden aus einer simplifizierten Idee, die sich in den Farben und dem Design des Kostüms ausdrückt, so Coogan. Farbe spielt hierbei eine besonders wichtige Rolle: Traditionell waren Comics vierfarbig und dies spiegelt sich bis heute in den Kostümen der Superhelden wider (vgl. Coogan, 79–80). Thors Umhang ist rot, sein Haar blond (gelb), ebenso wie seine Stiefel und sein Gürtel. Seine Rüstung, die eigentlich blau gestaltet war, mutet hier nun silbern oder schwarz an. Alles in allem entsteht so der Eindruck eines düstereren Thors als desjenigen aus den 50er/60er Jahren.

Die drei Elemente – Mission, Kräfte und Identität (auch MPI genannt) – bilden nach Coogan normalerweise den Kern eines Superhelden-Comics (vgl. Coogan, 82). Auch wenn Thor von diesen drei Elementen nur zwei aufweist, da seine Identität jedem bekannt ist, wird er als ein waschechter Superheld wahrgenommen. Darüber hinaus zeigt er sich als präsenter Gott, dem die Menschheit und die Erde am Herzen liegen. Sinnbildlich stellt der Comic dies durch eine Metaphorik dar, die trotz des Hintergrundes der germanischen Gottheit eher christlich anmutet: Thor erweckt den Planeten Erde mit seinem Blut wieder zum Leben und opfert sich somit für die Menschheit. Der Comic macht aus seinem Superheldengott eine Art Messias – er ist omnipräsent und kümmert sich um die Belange eines jeden Menschen, unabhängig von Hautfarbe oder Religion. Besonders nachvollziehbar wird durch diese Figurenkonzeption die Sehnsucht nach einem Helden aufgezeigt, zu dem die Menschheit aufschauen kann und der sie wieder auf den richtigen Weg bringt.

Gesucht wird ein Held, der nahbar ist und der der Menschheit in schweren Zeiten beisteht – tatsächlich und nicht nur als eine Malerei an der Wand. Thor beweist in einer seiner jüngsten Adaptionen demnach erneut, dass er nicht nur das Zeug zur germanischen Gottheit hat, sondern auch als unterhaltender Comic-Superheld ernst zu nehmen ist. Dass »die letzten Tage von Midgard […] zugleich die ersten« (Aaron/Svorcina/inter alia 2014) sein werden – daran hat der Leser nach der Lektüre von Thor. Gott des Donners keinen Zweifel mehr.

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Bibliografie

  • Coogan, Peter. 2009: The Definition of the Superhero. In: A Comics Studies Reader. Hg. v. Jeet Heer und Kent Worcester. Jackson, Mississippi: Univ. Press of Mississippi, 77-93.
  • Ekenstedt, Michael T.: Be He Worthy. Thor’s Journey from Edda to Avenger. University of Wisconsin, Eau Claire: McIntyre Library, 2012.

 

Thor. Gott des Donners 3
Der Verfluchte
Jason Aaron (W), Nic Klein (P), Ron Garney (P)
Stuttgart: Panini, 2014
164 S., 16,99 Euro
ISBN 978-3-8-6201-914-4

Thor. Gott des Donners 4
Die letzten Tage von Midgard
Jason Aaron (W), Esad Ribic (P), R. M. Guera (P), Simon Bisley (P)
Stuttgart: Panini, 2014
164 S., 16,99 Euro
ISBN 978-3-9-5798-149-3