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Philosophische Mahlereien

Partyspass mit Kant rezensiert von Kévin Fischer

Ob Aristoteles, Kant oder Deleuze – wir haben uns ein völlig falsches Bild von ihnen gemacht. Nicolas Mahler lädt deshalb zum philosophischen Sit-in und zeichnet den Weg ihrer Räsonnements für uns noch einmal mit vergnügter Mine nach. Doch wird er seinem Vorhaben gerecht? Ich begab mich auf die exquisite Party und ging der Wahrheit auf den Grund ...

Wer sich in Philosophie, Psychologie oder Literaturwissenschaft ein wenig auskennt, der weiß, dass das Phänomen des Staunens schon seit Platon mit dem Philosophieren einhergeht und das des Lachens bereits von mehr als nur einem klugen Kopf untersucht wurde (z. B. von Aristoteles, Bergson, Freud). Sieht man von Nietzsches dionysischem Lachen (das seine Hörer wohl eher in Schrecken versetzt haben dürfte, als irgendwelche Sympathien in ihnen geweckt zu haben) einmal ab, so dürften Philosoph_innen höchstwahrscheinlich nur das Lachen der epikureischen Götter kennen, nicht jedoch ihr eigenes. Philosophie selbst scheint demnach genuin unwitzig zu sein. Oder haben Sie schon einmal einen transzendentalen Witz erzählt bekommen? Und wenn Philosoph_innen schon nicht selbst zum Lachen neigen, wieso dann nicht einfach über Philosoph_innen lachen?

Partyspass mit Kant lautet das neue Werk des preisgekrönten Wiener Zeichners Nicolas Mahler, dessen Titel, das bunt gestaltete Soft-Cover und der Klappentext seinem Leser suggerieren, die unterhaltsame Synthese aus Philosophie und Karikatur zu sein. Ein Cocktail aus Philosophie und Karikatur also – geht das?

Ja, das geht überraschend gut. Aber: Wer auf der Party mit Kant und Co. voll auf seine Kosten kommen möchte, der sei zugleich auf die Bedingung dieser Möglichkeit hingewiesen, welche jene ist, dass man nur über das lachen kann, was man auch bereits kennt. Wer mit den Aussagen des streunenden Philosophen auf der Party von Bekannten bereits überfordert ist und schlichtweg nichts mit diesem komischen Kauz anzufangen weiß, der sollte sich hüten, auf eine Philosophenparty mit dem hiesigen Kant zu gehen. Denn – und wie sollte es auch anders sein – Kant ist nicht allein auf der Party, sondern feiert zusammen mit 21 Kollegen seines Faches. Wer also die Theorien der verschiedenen Philosoph_innen nicht kennt, der wird aus den Zeichnungen Mahlers vermutlich nicht schlau werden. Falls Sie, verehrte Leserin und verehrter Leser, nicht wissen sollten, was es mit dem Kugelmenschen auf sich hat, wofür Simone de Beauvoir eingestanden hat oder warum sich die Vorstellung als lustig erweisen könnte, Wittgenstein einen ›Besen‹ in ›Stiel‹ und ›Bürste‹ zerlegen zu lassen, dann täten Sie gut daran, die 14 Euro in die nächstbeste philosophische Anthologie zu investieren. Nota Bene: Dem Lachen über geht hier notwendig ein Lachen mit dem jeweiligen Philosophen voraus.

Indes verhält sich die Party, nähme man denn die titelgebende Geschichte Partyspass mit Kant als Analogon zu einer tatsächlich stattfindenden Philosophenparty, äußerst realistisch: 22 kurze und voneinander unabhängige Geschichten von und über 22 Philosoph_innen, die sich am liebsten selbst beim Reden zuhören und sich fragen dürften, was die anderen denn überhaupt auf der Party zu suchen haben. Mag der Titel dem Buch als Philosophenparty zwar gerecht werden, so darf man sich von ihm jedoch nicht über den Inhalt der einzelnen Geschichten hinwegtäuschen lassen. Die Geschichten und Anekdoten, die man auf einer Party zu hören bekommt, haben in den seltensten Fällen selbst etwas mit dem Thema ›Party‹ zu tun. Zwar ließe sich Michel Foucaults Auftritt als Leiter eines Kuriositäten-Kabinetts durchaus auf das Werk als Party rückbeziehen, doch spätestens bei Geschichten wie Fahrschule Schopenhauer oder Platons Zeugenaussage wird deutlich, dass der Spaß nicht wirklich etwas mit einer Party, sondern vielmehr mit der Philosophie der einzelnen Denker_innen in einer für sie absurden Alltagssituation zu tun hat: Kleine, philosophische Canapés für zwischendurch. Wer solch eine Art kognitiver Leckerbissen zu verdauen weiß, dem werden sie unter Garantie auch munden.

Was die Zeichnungen Mahlers betrifft, gibt es nichts auszusetzen. Sein typisch minimalistischer Stil harmoniert perfekt mit der Darstellung der philosophischen Charakterköpfe, sodass z. B. ein Schopenhauer oder Montaigne auch ohne Augen, Ohren und Mund deutlich als ein solcher zu erkennen ist.

Die Idee einer grafischen Umsetzung kleiner philosophischer Geschichten mit Schmunzelfaktor, in denen sich die jeweiligen Akteur_innen gleichsam selbst ad absurdum führen, ist hingegen keineswegs neu. Von französischer Seite konnten z. B. bereits Jul und Charles Pépin mit ihrem Zweiteiler Planet der Weisen. Enzyklopädie der Philosophie auf ganzer Linie überzeugen.1 Wer jedoch solch eine Qualität auch bei Partyspass mit Kant vermutet, wird bitter enttäuscht. Bereits im ersten Band liefern Mahlers französische Kollegen 53 (!) Geschichten, die jeweils sowohl von einem Teaser als auch von einer kurzweiligen und didaktisierten Biografie des jeweiligen Denkers und seines Denkens begleitet sind und zudem noch einen direkten Bezug zum Strip aufzuweisen haben. Von dem nützlichen Sach- und Personenregister, dem verdammt dicken Hardcover und der deutlich ästhetischeren Einbandgestaltung des Werks einmal abgesehen, erscheinen die 6 Euro, die man für dieses All-inclusive-Paket drauflegen muss, mehr als nur gerechtfertigt.

Man darf auch geteilter Meinung darüber sein, was den philosophischen Tiefgang Mahlers einzelner Geschichten betrifft. Zwar arbeitet er ausschließlich mit Originalzitaten – ich wiederhole: mit Originalzitaten –, ein Geniestreich, der als solcher bereits alle Achtung verdient, doch wer sich ein wenig im Werk der einzelnen, hier präsentierten Philosoph_innenen auskennt, der dürfte sich zu Recht fragen, ob nicht das eine oder andere Zitat dem Autor mehr karikaturalen Zündstoff hätte liefern können. Auch ein Readymade verdient, angemessen in Szene gesetzt zu werden! So fallen z. B. die Geschichten um Nietzsche oder Marx relativ schwach im Vergleich zu den wirklich gelungenen um Platon oder Kierkegaard aus, was bei Szenarien wie Mit Karl Marx im Supermarkt oder Pfadfinderlager Friedrich Nietzsche wahrlich nicht hätte sein müssen. Oder anders gesagt: Da ist noch viel ungenutztes (und vielleicht auch unbewusstes) Potenzial vorhanden! Und dies gilt nicht zuletzt auch in Bezug auf die zitierten Quellen. Man mag mich für einen Pedanten oder ›Spassverderber‹ halten, aber wenn man als Leser_in schon Eintrittsgeld in Form breiten Vorwissens zu entrichten hat, dann sollten einem auch die als gemeinhin zitierfähig geltenden, kritischen Ausgaben serviert werden und nicht die katerlastigen Surrogate der Hausmarke Suhrkamp. Man kredenze in Zukunft bitte Fisch oder Fleisch. Alles andere stößt nicht nur bitter auf, sondern erweckt zudem noch entweder den Verdacht auf unbedachtes Laientum oder stumpfes Product-Placement.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend: Partyspass mit Kant präsentiert sich seiner Leserschaft als Kompendium sogenannter Philosofunnies. In diesem Sinne darf man sich vielleicht auch in Zukunft auf weitere Symposien dieser Art freuen. Und wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, gehen Partys – und so auch diese – immer mit zwei Tatsachen einher: Irgendjemand, auf dessen Wiedersehen man sich ungemein freut, sagt im letzten Moment noch ab (Descartes oder Heidegger trifft man auf der Party z. B. nicht an) und irgendwer ist partytechnisch nicht in Höchstform (so z. B. Marx und Nietzsche).

Nichtsdestotrotz, Herr Mahler, es war eine weitestgehend amüsante Party mit alten Bekannten und neuen Geschichten. Doch in Zukunft muss da mehr kommen. Ansonsten gehe ich in Zukunft gleich auf die Party Ihrer französischen Kollegen oder lese lieber in den Originalquellen – Prost!

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  • 1] Charles Pépin (W), Jul (P): Planet der Weisen. Die Enzyklopädie der Philosophie. Ins Dt. übersetzt von Stephanie Singh. München: Knaus, 2013.

 

Partyspass mit Kant

Nicolas Mahler (W/A)
Berlin: Suhrkamp, 2015
191 S., 14,00 Euro
ISBN 978-3-518-46634-6 (Softcover)