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Ein Buch für alle Fälle

Superheroes! Capes, Cowls, and the creation of Comic Book Culture rezensiert von Ullrich Cochanski

Michael Kantor drehte 2013 für den amerikanischen Sender PBS die dreiteilige Dokumentarserie superheroes: a never-ending battle, welche sich dem Genre überwiegend durch ausführliche Interviews mit Autoren und Künstlern näherte. Zusammen mit dem Autor Laurence Mason entstand aus dieser der Begleitband Superheroes! Capes, Cowls, and the Creation of Comic Book Culture, mit dem Mason und Kantor das ultimative coffee table book über den Superhelden – seine Genese, seine Historie und die wichtigsten Figuren – vorlegen möchten.

Jedes derartige Projekt muss, wenn es den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, letztendlich an diesem scheitern. Das wissen auch die Autoren und schicken daher ein Caveat vorweg: Nicht jede Geschichte und jede Superheld_in haben es tatsächlich in das Werk geschafft. Die Auswahl, die getroffen wurde, könne nicht jeden Fan des Genres zufrieden stellen, ziele aber auf eine Repräsentation aller wichtigen Diskurse, Epochen und Strömungen ab.

Aus demselben Grund versuchen sich die Autoren erst gar nicht an der Definition von Superhelden oder Superheldencomics. Stattdessen präsentieren sie uns die allgemein als ikonisch anerkannten Vertreter_innen des Genres und arbeiten die Einflüsse, die diese aus den ersten funnies beziehen, heraus. So entsteht eine chronologische Struktur, die ganz selbstverständlich die Genese und frühen Jahre von Superman und Batman ins Zentrum des ersten Parts stellt. Danach löst sich das Werk von Pulpmagazin und Comicstrip als Medium und zeichnet den Siegeszug der Superheld_innen durch Radio und Fernsehen nach, der das Genre nicht nur einem größeren Publikum bekannt machte, sondern ihm noch einmal neue Impulse zuführte, die es dann zum Teil, wie zum Beispiel das tödliche Kryptonit oder der Butler Alfred, auch zurück in die Ursprungsversionen schafften. Damit beginnt ein chronologischer Streifzug durch die Welt der Superheld_innen von den 1930er Jahren bis heute.

Maslon und Kantor haken alle wichtigen Epochen ab und gehen auf Frederic Werthams Seduction of the Innocent ebenso ein wie auf die Wiederbelebung der X-Men als Allegorie für den Kampf um die Rechte von Minderheiten. Die Chronologie der verschiedenen Phasen des Superheldencomics von Golden Age über Dark Age bis hin zu den Eventcomics des letzten Jahrzehnts ist somit sehr vollständig geraten. Insgesamt jedoch wird Kontroversen und kulturkritischen Abschnitten weit weniger Platz eingeräumt als den Entstehungsgeschichten populärer Held_innen und Serien.

Im Klappentext wird Stan Lee mit der Aussage zitiert, Superheldencomics seien eine identitär US-amerikanische Kunstform, und ausführliche Exkurse zum patriotischen Superhelden und den Jahren des zweiten Weltkrieges tragen dieser Sichtweise Rechnung. Die Autoren gehen hier in einer angemessenen Deutlichkeit auf den alarmierenden Rassismus ein, der sich im Comic stärker noch als in anderen Medien zu dieser Zeit Bahn bricht und verweigern sich der Lesart, dieser habe lediglich dem herrschenden Zeitgeist entsprochen. Dazu passend nimmt die Rezeption der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung im Comic einen wichtigen Platz im Kapitel über die Nachkriegsjahre ein. Leider deutet das Werk dabei allerdings an, das genreimmanente Problem des Comics mit der Darstellung von Minderheiten sei mit dem Auftauchen der ersten minoritären Superheld_innen bereits gelöst und blickt eher durch die Brille der Blaxploitation auf Figuren wie Black Panther und Luke Cage.

Zusammen mit dem Aufstieg von Marvel Comics und seiner Comicfiguren ab den 1960er Jahren widmen sich Maslon und Kantor ausführlich der Biografie Stan Lees und der sogenannten ›Marvel Method‹, die auf dessen Person und Schaffensprozess zugeschnitten war. So schildern sie die Genese von Helden wie Spider-Man oder dem Hulk, denen Lee die Leitlinien vorgab und die dann von talentierten Künstlern und Co-Autoren wie Steve Ditko und Jack Kirby mit Leben gefüllt wurden.

Spätestens hier werden die Schwächen des Vorgehens deutlich, die beteiligten Künstler_innen und Autor_innen selbst zu zitieren oder andere Comicschaffende über ihre Vorbilder zu Wort kommen zu lassen. Zwar ist dies im Sinne einer internen Ideengeschichte des Genres Superheldencomic, redet aber ohne eine entsprechende Kadrierung auch bereits widerlegten Legenden fleißig das Wort. Einerseits weisen die Autoren zwar auf die schwierige Historie des Mediums mit Autorenrechten und geistigem Eigentum hin und schildern etwa die Enteignung Bill Fingers durch Bob Kane, der sich die alleinige Autorenschaft für Batman anmaßte, oder das Überstrahlen anderer Marvel-Autoren durch das wortgewaltige PR-Genie Stan Lee. Andererseits lassen Maslon und Kantor dann allerdings eben jenen Stan Lee seine Version der Geschehnisse ausführen, oder geben Jim Steranko, der zwar aus künstlerischer Hinsicht unbedingt erwähnenswert ist, Raum für das Erzählen seiner fragwürdigen persönlichen Heldentaten. Hier wird eindeutig, dass die Autoren weder Kritiker noch Historiker des Genres sein wollen; sie sind Fans, denen die Nähe zu ihren Idolen stellenweise wichtiger scheint als der Wahrheitsgehalt von deren Ausführungen. Dies äußert sich auch in einem gewissen Favoritismus, wenn beispielsweise die dunkleren, gewalttätigeren Inkarnationen der späten 1930er, 1980er und 1990er Jahre als der »wahre« Batman bezeichnet werden, dessen Essenz durch die farbenfrohe TV-Serie der 1960er Jahre verletzt, wenn nicht gar verzerrt worden sei.

Ärgerlich sind außerdem mehrere kleinere Fehler, die auf eine fehlende editorische Sorgfalt hinweisen. So widersprechen sich manches Mal Bilder und Bildbeschreibungen, oder Daten und Orte sind falsch wiedergegeben.

Unter dem Strich bleibt Superheroes! eine lesenswerte Fleißarbeit, ein bildgewaltiger und sehr vollständiger Überblick über die Welt der Superheld_innen, der aber etwas unter seinem mangelnden Willen zum Detail und zur Genrekritik leidet. So ist der Band für all diejenigen gut geeignet, die sich zu einem popkulturellen Phänomen das entsprechende popkulturelle Buch wünschen.

 

Superheroes!
Capes, Cowls, and the Creation of Comic Book Culture
Laurence Maslon u. Michael Kantor
New York: Crown Archetype, 2013
304 S., 39,99 US Dollar
ISBN 978-0-5-9459-654-7