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»The End is Here«

Über diese Ausgabe

Mit großer Freude präsentieren wir die elfte Ausgabe von CLOSURE Kieler Journal für Comicforschung. Aufmerksamen Leser_innen wird nicht entgangen sein, dass wir uns vom kleinen ›e‹ des ›e-Journals‹ in unserem Titel verabschiedet haben – schließlich passt es thematisch perfekt zu dieser Ausgabe, wenn selbst im Journalnamen ein kleines Ende stattfindet. Diese besondere Edition war eigentlich schon für eine Publikation 2024 vorgesehen gewesen und hätte damit punktgenau das zehnjährige Jubiläum unseres Journals markiert. Nun haben wir diese Wegmarke bereits passiert und freuen uns, dass es uns immer noch gibt! Mit dem Thema »The End is Here« haben wir uns auch für ein Gegenstück zu unserer Ausgabe von 2017 über »Anfänge« im Comic entschieden und wenden den Blick nun entsprechenden Untersuchungen zu.

Die Idee eines Endpunktes in Bezug auf Comics mag zunächst paradox erscheinen. Schließlich erlebt das Medium in den letzten Jahrzehnten eine erstaunliche Renaissance, sowohl in seiner Vielfalt als auch in seiner kulturellen Bedeutung. Dennoch gibt es zahlreiche Brüche und Transformationen, die uns veranlasst haben, die Frage nach Endpunkten innerhalb der Tradition der Bildgeschichte zu untersuchen, die uns seit dem 19. Jahrhundert begleitet.

Die historische Betrachtung zeigt mehrere Momente, die als potenzielle ›Endpunkte‹ in der Comicgeschichte interpretiert werden könnten – insbesondere die Ära der Comics Code Authority in den 1950er Jahren, die die Branche drastisch veränderte. In jüngerer Zeit haben wir einen weiteren Wandel erlebt, was Adrienne Resha (2020) als das »blue age« des Comics bezeichnet, angetrieben durch den technologischen Fortschritt. Die Art der Erstellung, Verteilung und Konsumption von Comics hat sich radikal verändert. Bedeuten Webcomics, digitale Plattformen und interaktive Medien das Ende der traditionellen Comicwelt? Steht der von menschlichen Autor_innen und Künstler_innen geschaffene Comic durch KI-generierte Geschichten vor dem Aus?

Das Phänomen des Endes spielt selbstverständlich auch als narratives Element eine wichtige Rolle – jede Geschichte muss zu ihrem (vorläufigen) Abschluss kommen. Dies kann als harmonische Auflösung von Konflikten dienen oder völlig neue Perspektiven und Fragen aufwerfen, wie etwa die finale Interaktion zwischen Batman und dem Joker in Alan Moores und Brian Bollands ikonischem The Killing Joke (1988) zeigt. Gerade die Serialität, eine der formalen Säulen des Comicmediums, erscheint in sich eine Herausforderung für den Abschluss, da sie typischerweise auf Fortsetzung statt auf Beendigung abzielt. Wie finden Serien letztendlich dann doch ihr Ende? 

Darüber hinaus können Variationen des Endes – sei es durch den Abschied von Charakteren oder apokalyptische Szenarien – Handlungsstränge grundlegend bestimmen, wie in Moores und Gibbons' Watchmen (1986/87) zu sehen ist, das als kritischer Abgesang auf die Superhelden diente und wesentlich zur Neubewertung des Comics Mitte der 1980er Jahre beitrug. Und nicht zuletzt (no pun intended!) das Weltende erfreute sich in den letzten Jahren besonderer Beliebtheit, exemplarisch dargestellt durch Robert Kirkmans globales Phänomen The Walking Dead (2003-), was Kyle Bishop dazu veranlasste, 2009 von einer »zombie renaissance« zu sprechen.

Diese Ausgabe erkundet nun die vielfältigen Dimensionen des ›Endes‹ im Comic. Unsere Autor_innen haben sich diesen Fragen aus verschiedenen Perspektiven genähert und bieten aufschlussreiche Analysen, die unser Verständnis der Comicforschung bereichern.

Alissa Burger nimmt konzeptuelle Ironien in »Afterlife with Archie« in den Blick, einer fragmentarisch gebliebenen Horrorserie über das Ende der Welt. Die Zombie-Apokalypse, entstanden aus der Verschmelzung übernatürlicher Kräfte und menschlicher Grausamkeit, zerstört das idyllische Riverdale und offenbart dabei die Etymologie des Begriffs »Apokalypse« als »Enthüllung«. Burger zeigt, wie der Zusammenbruch der gewohnten Gemeinschaftsstrukturen die Figuren zwingt, ihr wahres Wesen zu erkennen – ein Prozess der Selbstfindung durch Verlust. Die Analyse demonstriert, wie Comics apokalyptische Narrative nutzen können, um etablierte Charaktere neu zu interpretieren und die Grenzen zwischen narrativem Ende und transformativer Fortsetzung zu verwischen.

Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo finden die überlebenden Zeichner_innen Luz, Meurisse und Coco in ihren autobiografischen Comics eigene visuelle Sprachen für das Trauma und ihre ›Enderfahrungen‹. Während in Luz' minimalistischer Farbgebung das intensive Rot zwischen Leben und Tod changiert, sucht Meurisse ihre verlorene Leichtigkeit in der farbenfrohen Schönheit der Kunst. Cocos komplexes Farbsystem kodiert ihre traumatischen Emotionszustände und zeigt, wie sie mit dem lähmenden Blau der Überwältigung und dem panischen Rot der Todesangst ringt. Myriam Macé untersucht ihrem Beitrag diese einzigartigen Farbmetaphern, die das scheinbar Unsagbare sichtbar machen und heilsame Ausdrucksräume für die Überlebenden des Endes einer Ära schaffen.

Birte Svea Philippi untersucht in ihrem Beitrag die visuelle Darstellung von Sterben und Tod in Barbara Vanistendaels Graphic Novel »Als David seine Stimme verlor.« Anhand von Schlüsselbildern, wie dem personifizierten Tod als Sensenmann im Totentanz mit Davids Tochter, zeigt Philippi, wie der Comic als Medium sein scheinbar unendliches Formeninventar nutzt, um das Ende darzustellen. Diese individuellen Visualisierungen des Endes, etwa durch Skelette und Totenkopfzeichnungen, demonstrieren das Potential des Comics, abstrakte Konzepte bildlich zu konkretisieren und verdeutlichen, wie das Ende eines Lebens paradoxerweise den Anfang der Trauerarbeit markiert.

Lena Henningsen untersucht in ihrem Beitrag die Darstellung des Todes und das posthume Vermächtnis des chinesischen Autors Lu Xun in chinesischen Lianhuanhua-Comics. Anhand von Beispielen aus den späten 1970er Jahren zeigt sie, wie diese visuellen Erzählungen das Ende eines Lebens inszenieren und gleichzeitig den Beginn eines neuen kulturellen Narrativs markieren. Die Analyse demonstriert, wie der Tod Lu Xuns zwar sein physisches Ende bedeutete, aber gleichzeitig den Anfang seines Nachruhms einläutete – wobei die Comics nicht nur zur Propagierung eines offiziellen Bildes dienten, sondern auch subtile künstlerische Freiräume schufen, in denen die Mehrdeutigkeit und der Modernismus des Autors weiterleben konnten. Unser besonderer Dank gilt John Crespi von der Colgate University für sein externes Fachgutachten und seine Expertise zu diesem Aufsatz.

Im offenen Themenbereich findet sich eine Reflexion der monumentalen Ausstellung »La BD à tous les étages«, mit der das Centre Pompidou Paris im vergangenen Jahr den endgültigen Durchbruch des Comics in den Kunstkanon zelebrierte – doch die Nobilitierung hat ihren Preis. Von der ursprünglich anonymen, anarchischen Produktion bis zur Fetischisierung des Originals und der Künstler_innenfigur transformiert sich mit der Musealisierung das Medium selbst. Felix Keller hat für CLOSURE die Ausstellung gesehen und reflektiert, ob das subversive Potenzial des Comics – sein »anarchistisch Anderes« – im Prozess der Kunstwerdung womöglich verloren geht?

In unserer Rubrik ComicKontext bringen wir ein Interview zwischen Jaja-Verlegerin Anna Köhn mit dem Comickünstler Jonas Fischer, anlässlich der Publikation der deutschen Ausgabe des Comics Toxic. Im Team mit Autorin Amelia Fiske erzählt er darin eine Geschichte aus der Region um Lago Agrio im Amazonas-Regenwald Ecuadors, wo in den 1960er Jahren mit der Erdölextraktion durch Texaco (heute Chevron) ohne Rücksicht auf die Folgen vorangetrieben wurde.

Abb. 1: NEUROLUS, Cover CLOSURE #11.

Für unser Cover bedanken wir uns bei NEUROLUS, Illustrator und Comiczeichner aus dem Saarland.

Wir danken allen Autor_innen, die diese Jubiläumsausgabe möglich gemacht haben, und unseren Leser_innen, die CLOSURE im vergangenen Jahrzehnt (plus einem Jahr) unterstützt haben. Während wir über ›Enden‹ nachdenken, feiern wir auch neue Anfänge und Kontinuitäten und freuen uns darauf, unsere Reise in der Comicforschung fortzusetzen.

Kiel, April 2025
Susanne Schwertfeger und Cord-Christian Casper für das CLOSURE-Team


Bibliografie

  • Bishop, Kyle: Dead Man Still Walking: Explaining the Zombie Renaissance. In: Journal of Popular Film and Television 37.1 (2009), S.16 –25.
  • CLOSURE #4 (2017), https://www.closure.uni-kiel.de/closure4/start
  • Grünewald Dietrich: Das Prinzip Bildgeschichte. Struktur und Geschichte der Comics. In: Beiträge zur Comicforschung. Hg. Dietrich Grünewald. Bochum: Bachmann, 2010, S. 11–31.
  • Lent, John (Hg.): Pulp Demons: International Dimensions of the Postwar Anti-Comics Campaign. London: Associated University Presses, 1999.
  • Palandt, Ralf (Hg.): Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics (Archiv der Jugendkulturen). Berlin: Hirnkost 2011.
  • Resha, Adrienne: The Blue Age of Comic Books. In: Inks: The Journal of the Comics Studies Society 4.1 (2020), S. 66–81.
  • Stierle, Karlheinz / Warning, Rainer (Hg.): Das Ende. Figuren einer Denkform (Poetik und Hermeneutik 16). München: Fink 1996.