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Panisches Rot, lähmendes Blau: Trauma in Farbe?
Farbeinsatz in bandes dessinées über das Attentat auf Charlie Hebdo am 7. Januar 2015

 
Myriam Macé (Bremen)

Einleitung

Am Vormittag des 7. Januar 2015 stürmten zwei al-Qaida Terroristen die Redaktionssitzung von Charlie Hebdo, erschossen 10 Personen und verletzten mehrere schwer. Einige Redaktionsmitglieder entkamen dem Attentat durch Zufall. Drei Überlebende verarbeiteten ihre Traumata in autobiografischen bandes dessinées (BD).1 Kommt in Catharsis (2015) von Luz das Zeichnen einem selbsttherapeutischen Mittel gleich, so sucht Meurisse verzweifelt La Légèreté (2016) angesichts einer anhaltenden kreativen Ohnmacht und Coco rekonstruiert in Dessiner encore (2021) den mehrfach durch Anschläge gestörte Kampf der Redaktion um Meinungsfreiheit.2

Das Attentat (inter-)nationaler wie individueller Tragweite führte zu multiplen Konfrontationen mit dem ›Ende‹. Seine multidimensionalen Auswirkungen sind für die Betroffenen mit einem klaren Vorher und Nachher verbunden und werden in diesem Text als ›Enderfahrungen‹ bezeichnet: So bedeutete die brutale Ermordung ihrer Kolleg_innen und Freund_innen für Luz, Meurisse und Coco eine drastische Konfrontation mit dem unausweichlichen Ende des Lebens. Zudem erlebten sie nicht nur das Ende eines vertrauten Redaktionsteams, sondern mussten sich zu den öffentlichen Vorwürfen, die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten zu haben, positionieren. Der als Konsequenz auf das Attentat folgende Personenschutz schränkte ferner ihre persönliche Freiheit und Privatsphäre in dem Maße ein, dass Meurisse ihn gar mit dem Tod gleichsetzt (L, 45). Verlor sie durch den traumatischen Schock ihr Erinnerungsvermögen (L, 33), so bedeutete das Erlebnis für Coco das Ende ihrer Unbeschwertheit (D, 309). Alle drei brechen mit ihrer bisherigen künstlerischen Praxis als Pressezeichner_innen durch das nun selbstbezügliche Zeichnen. Indem sie ihre Enderfahrungen auf Papier bringen, erkunden sie zugleich die Grenzen der Erzählbarkeit von Trauma in autobiografischen BD.

Alle drei Werke werden wissenschaftlich als hybride Traumanarrationen betrachtet. Unter Bezugnahme auf Earles (2017), der feststellt, dass traumatische Erlebnisse in Bildern oft leichter zu vermitteln sind, als durch reine Sprache sowie auf die psychoanalytische Perspektive von Miller (2007), analysiert Childress (2019) Meurisses Selbstportraits und den Seitenaufbau in La Légèrté. Schröer (2018) erforscht, worin sich der ›Esprit Charlie‹ in den BD von Luz und Meurisse manifestiert,3 während Boukala (2015) sich wiederum aus anthropologischer Perspektive mit Luz‘ Trauma und seiner (Re-)Konstruktion beschäftigt. Amsbeck & Cassiau-Haurie (2023) ordnen Cocos Dessiner encore als faktuale BD in der Kategorie »Témoignages, parcours individuels au service de l‘Histoire«4 ein. Bisher wurde jedoch nicht ausführlicher beachtet, wie alle drei Zeichner_innen ihre Traumanarrationen nicht nur in schwarz-weiß zeichnen, sondern sie auch farblich ausgestalten. Dabei verfolgen sie ganz unterschiedliche Ansätze, die weit über Kolorationen zur ästhetischen Aufwertung oder Lesbarkeit hinausgehen. Inwiefern tragen Farben hier dazu bei, traumatische Unsagbarkeiten visuell auszudrücken? Inwiefern sind sie ein signifikativer Teil des subjektiven Darstellungsraums für Enderfahrungen in den BD? Inwiefern sind sie innerhalb der individuellen Bildsprachen von Luz, Meurisse und Coco bedeutungstragend? Um diese Fragen zu beantworten, werden zunächst die Funktionen von Farben sowie visuelle Metaphern in BD erläutert, bevor der Farbeinsatz in den drei Werken untersucht und abschließend in Hinblick auf die subjektive Darstellung von Enderfahrungen bilanziert wird.

Zu Farben und visuellen Metaphern im Comic

Im Comic als multimodales Text-Bild-Medium haben Farben als semiotische Elemente eine bedeutungstragende Funktion (Packard, 49). Obwohl die grundlegenden Umrisslinien als primär gelten, da sie die wesentlichen Informationen bereits vermitteln (Bartosch, 76), hebt Ciment die »fonction polysémique« von Farben im Zusammenspiel mit der Zeichnung hervor (Ciment, 177), die über die tradierte symbolische und metaphorische Bedeutung der Farben nach Goethe hinausgeht. Farbauswahl und -intensität fungieren auch als »nonnarratoriale Strategie subjektiver Darstellung« (Packard, 91f), die im Spektrum von »monochromem und multi- oder polychromem graphischem Erzählen« angewendet wird (Baetens, 115). Bartosch verweist auf die kulturhistorische Varianz der symbolischen Bedeutung von Farben, die Unzuverlässigkeit ikonischer Ähnlichkeit zu den dargestellten Gegenständen und ihre Selbstreferentialität, mit der sie auf die spezifischen Umstände ihrer Anwendung im Werk hinweisen. Farbe sollte daher als ein Element betrachtet werden, das unter bestimmten Bedingungen operiert und durch diese seine charakteristischen Eigenschaften offenbart (Bartosch, 78). Der spezifische Einsatz von Farben in der Verarbeitung des Attentats auf Charlie Hebdo muss daher im sprachlich-visuellen Kontext gedeutet werden. Dies korrespondiert mit Baetens’ Aussage, dass »the paradigmatic value of color in the light of a certain poetics« betrachtet werden muss (Baetens, 118).

Die individuellen Poetiken, die Luz, Meurisse und Coco in der Verarbeitung ihres Traumas entwickeln, äußern sich in visuellen Metaphern. Majetschak zufolge eröffnen Metaphern grundsätzlich »Denk- und Sagbarkeitsräume«, die es ermöglichen, einen »bislang intern diffusen oder als anders organisiert gedachten Gegenstandsbereich ihnen gemäß neu zu interpretieren« (Majetschak, 243f). Als Hybrid der Bild- und Erzählkunst eröffnen visuelle Metaphern laut Dürrenmatt einen Darstellungsraum für subjektive Gefühlswelten (Dürrenmatt, 451). (Quasi-)perzeptuelle Überlagerungen oder Point-of-View-Sequenzen in BD (Packard, 87-98) sind insofern für visuelle Metaphern fruchtbar, als sie im Rahmen der dargestellten Welt »eklatant falsch« erscheinen und damit für Metaphern prädestiniert sind (Majetschak, 248). Vermeintlich Unsagbares wird somit visuell vermittelbar. In Traumanarrationen schreibt Dürrenmatt visuellen Metaphern letztlich das transformierende Potenzial einer »esthétisation critique« zu, denn statt das Trauma zu repetieren, »il s’agit par l’art de le mettre à distance«5 (Dürrenmatt, 449).

Luz’ metaphorisches Rot in Catharsis (2015)

Renald Luzier, bekannt als Luz, verpasste am 7. Januar 2015 – seinem Geburtstag – den Sitzungsbeginn und war einer der Ersten am Attentatsort, wo er seine Freund_innen tot oder schwer verletzt vorfand. Obwohl er zuerst das Zeichnen für unmöglich hielt, begann er kurz nach dem Anschlag in einem künstlerisch-kathartischen Prozess das Erlebte zu verarbeiten (Hanne). In schlaflosen Nächten brachte er die traumatischen Bilder aus seinem Kopf auf Papier – und nicht wie sonst die allgemeine Welt- und Gesellschaftslage in satirischen Karikaturen (Bry). Als er seinem Freund und Verleger Alain David diese kreative Externalisierung als »vital« beschrieb, ermutigte dieser ihn, sie in eine Publikation umzusetzen (Morel, 257). Bis Ende März 2015 entstanden 30 undatierte Sequenzen, die chronologisch geordnet das Buch6 Catharsis bilden, das am 21. Mai 2015 auf 125 Seiten veröffentlicht wurde. Der fragmentarische Aufbau des Buchs, die unterschiedlichen Stile und Themen bilden Luz’ innere Zerrissenheit ab. Luz erklärte, dass er durch den thematischen Fokus auf seine Privatsphäre das zurückgewinnen wolle, was ihm durch das Attentat und dessen Nachwirkungen abhandengekommen sei: seine Intimität. Um sich beim Zeichnen größtmögliche Freiheit zu geben, habe er bewusst auf den Rahmen der cases7verzichtet (Bry). Die Farbgebung ist stark reduziert: Nur in 6 der 30 Fragmente verwendet er neben schwarzen Federzeichnungen auch ein intensives Rot und Blau. Diese polychromen Sequenzen eröffnen eine Sub-Welt aus (Alb-)träumen und Visionen im Wachzustand, in der die Farbe zur Metapher wird. So lässt sich die These aufstellen, dass der konstante Rotton in der Diegese um zwei Bedeutungen kämpft, die sich teils diametral gegenüberstehen – ähnlich dem freudschen Gegensatzpaar von »Eros«, dem erhaltenden Liebes-, und »Thanatos«,8 dem destruktiven Todestrieb, auf die Luz selbst auch anspielt (C, 12-14).

Das Rot erscheint erstmals in der zweiten Sequenz der BD: »Un rêve«9 (C, 9f), in dem Luz’ Avatar mit Brille, Schnäuzer und Haartolle hinter dem Redaktionstisch an der Redaktionssitzung teilnimmt. Derlei Träume zeichne er, so Luz, um sie zu verstehen und aus seinem Kopf zu vertreiben (Brunner), wodurch er seine innere Welt visualisiert. Luz’ Avatar wiederholt sich in den cases in der gleichbleibenden räumlichen Anordnung. Sein rechtes Auge bleibt zunächst im Profil verborgen, bevor er ab der zweiten bande10 frontal aus dem Bild herausschaut. So rückt der/die Betrachter_in auf die Position seines Gegenübers. An der Stelle eines zweiten Auges klafft ein rot untermaltes Einschussloch. Seine Wunde offenbar nicht wahrnehmend, spinnt Luz monologisch Ideen für die kommende Ausgabe und bricht am Ende der ersten planche11 in einen Lachanfall aus. Während er mit seiner Faust das entstellte Auge reibt, wird auch sie rot (Abb. 1). 

Abb. 1: Trocknet der vor Lachen weinende Luz

ein paar blutrote Tränen?

Er interpretiert die Farbe allerdings als Tinte seines Stiftes und nicht als Blut. Vom imaginierten Gegenüber fehlt jede Reaktion. Und so pendelt in diesem Traum die Farbbedeutung zwischen dem vergossenen Blut des Attentats und der Tinte, die für die lebendige Arbeit der Charlie Hebdo Redaktion steht, ohne zu einer endgültigen Interpretation zu gelangen. Blut und Tinte, die Essenzen des Lebens und des Ausdrucks, werden vergossen. Im Kontext des Attentats auf Charlie Hebdo löste eine Karikatur das blutige Massaker aus – und dennoch überleben in diesem Traum alle. Diese visuelle Metapher verdeutlicht, dass Luz seine körperliche Unversehrtheit dem Zufall zuschreibt, denn auch ihn hätte es treffen können, nicht nur das Zeichnen zu verlieren, sondern auch sein Leben.

In einer zweiten (Alb-)traumsequenz (C, 24-26) folgt Luz’ Avatar roten Fußspuren zu den Redaktionsräumen. Nachdem er den Zugangscode eingegeben hat, offenbart sich ihm ein in Rot getauchter Raum (Abb. 2). Die zweite planche zeigt seinen subjektiven Blick auf das Geschehen darin: Nur eine einzig rote Fläche mit einem winzigen blauen Fleck unten rechts. In der dritten planche formt sich aus diesem von Rot umgebenen Blau zuerst der Mantel seiner Partnerin Camille, die ihn in der zweiten bande auf der Straße vor der Redaktion umarmt. Das Rot hat sich nun bis auf Camilles Lippen reduziert. Die abschließende dreigliedrige bande markiert den diegetischen Übergang zwischen Traum und dargestellter Welt: Als Luz aufwacht, fragt er Camille, ob sie an dem Morgen »Rouge à lèvres«,12 so auch der Titel, getragen habe, was sie verneint. Während das Blau Camilles Anwesenheit markiert, ersetzt das Rot metaphorisch den Anblick des realen Schreckens und wird zudem von Luz mit den Lippen seiner geliebten Partnerin assoziiert: Tod und Leben entspringen wieder demselben Farbton und ringen in Luz Gedanken um die Bedeutungshoheit.

Abb. 2: Die für Luz wahrnehmbare Präsenz von Camille

im Angesicht des Grauens zeigt sich im Blau.

In der dritten polychromen Sequenz »Nancy & Lee« (C, 62-64) aus dem (quasi-)perzeptuellen Blickwinkel von Luz, spielt sein Laptop das Lied Some velvet morning von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood von 1967 ab. Die Struktur der drei planches ist ein 9-teiliger gaufrier,13 in dessen cases die räumliche Perspektive gleichbleibt: Während der Laptop im Vordergrund sichtbar ist, geht Camille im Hintergrund ihrer Pflegeroutine nach. Das Rot das in der ersten bande nur das abgebildete CD-Cover ausfüllt, breitet sich ab der zweiten bande über das Gerät, auf den Raum und schließlich auch auf Camilles nackten Körper aus – steigt in ihm die Panik oder wächst sein Begehren? Gleich seiner Vision lösen sich in der letzten bande der zweiten planche alle Umrisslinien in einer roten Fläche auf (Abb. 3).

Abb. 3: Luz sieht vor seinem inneren Auge nur noch Rot, während

er die Musik und die Bilder seiner Umwelt immer weiter ausblendet.

Erst, als Camilles Worte an ihn sich in dieses Rot einschreiben, beginnt Luz‘ Rückkehr in die Außenwelt: Das Rot formt sich zu Raum- und Handlungszeichen, die wieder schwarz werden. Auf Camilles Frage »Ça va?«14 antwortet er wiederholt »Oui. Oui…«15 und lobt zugleich ihre Schönheit, wodurch die Deutung seiner Entgegnung ambivalent bleibt. Seine Liebe und seine Angst, für die das Rot steht, bleiben nebeneinander bestehen.

In der Sequenz »Pause clope«16 (C, 76-79) heben sich Luz als rote Fläche und Camille in Schwarz rauchend auf einem Sofa von einem weißen Hintergrund ab, während sie den Verlust ihrer »légèreté« und »insouciance«17 beklagen. Auf der zweiten planche mahnt Luz: »Faut pas qu’on sombre, hein?«18 – und genau das folgt wortwörtlich: Kurz bevor ihre Körper ganz im Sofa verschwinden, lässt ein Kuss sie wieder auferstehen. Sie entkleiden und umschlingen sich, während ihre Körper vom Sofa abheben und ihre flächigen Darstellungen sich zu roten und schwarzen Körperlinien reduzieren (Abb. 4). Im sexuellen Höhepunkt in der dritten planche lösen sie sich in eine Rauchwolke auf, bevor sich diese wieder zu ihren Figuren formt. Ihre flächigen Körper, die für die emotionale Last des Traumas standen, sind dünnen schwarzen Umrisslinien gewichen. Die sexuelle Intimität konnte sie also tatsächlich ›erleichtern‹, denn an ihr schwerwiegendes Gespräch vorab können sie sich in der allerletzten case nicht mehr erinnern.

Abb. 4: Über das Teilen von Intimität wird das Trauma leichter erträglich.

In »Le petit marmiton«19 (C, 89-92) wird Luz’ Kopf von roter Farbe ergriffen, während er in einem hypnotischen Zustand am Herd mit Ausgaben von Charlie Hebdo hantiert. Als Camille ihn dabei überrascht, transformiert sich sein Kopf in eine gesichtslose, wütende Flamme. Die rote Farbe breitet sich weiter über seinem nackten Körper aus, bis auch alle Umrisslinien verschwinden. Es folgt ein hitziges Gerangel mit Camille, in dem sein blind schreiender Körper metaphorisch in loderndes Feuer ausbricht. Als sie ihn zu Boden ringt und zum Schweigen bringt, erlischt es (Abb. 5). Das Rot verflüchtigt sich und mit ihm Luz’ lebensbedrohlicher Anfall.

Abb. 5: Der Augenkontakt mit Camille holt Luz wieder in das Hier und Jetzt zurück.

Das letzte Polychrom schließt den Bogen: Hier verwandelt sich eingangs die ihr berühmtes Happy Birthday »… to you« (C, 117-122) singende Marylin Monroe in Camille. Diese verbringt mit Luz seinen Geburtstagsmorgen vor der Redaktionssitzung im Bett. Als er ihr kurz darauf vom Attentat per SMS berichtet, eilt Camille auch zur Redaktion. Monroe, anfangs in Weiß vor Schwarz dargestellt, wiederholt sich am Ende in Weiß vor rotem Flammengrund. Mit Luz’ Worten »c’est un carnage… / Je t’aime bordel«20 spielt die visuelle Metapher in einer Mischung aus Schock, Entsetzen und tiefer Liebe auf seine komplexe Gefühlswelt in der Krisensituation an.

Farbenfrohe Kunst und Natur in Meurisses La Légèrté (2016)

Ihre BD La Légèreté begann Catherine Meurisse kurz nach der Veröffentlichung von Luz’ Catharsis. Die erste Hälfte entstand von Juni bis August 2015, die zweite im Januar und Februar 2016 (L, 135). Im April 2016 wurde die BD veröffentlicht. Auf 133 Seiten erzählt sie in Schwarz-Weiß-Zeichnungen vom Verlust der Leichtigkeit im Zuge des Attentats – und von ihrer Wiederkehr. Wie Luz kam auch Meurisse verspätet zur Redaktionssitzung, da sie die Nacht zuvor über die Gründe nachgegrübelte, warum ihr Geliebter sie verlassen hatte, und deshalb verschlief (L, 10-15). Ähnlich wie Luz zieht sie keine schwarzen Rahmen um die cases, jedoch bringt sie Farben anders metaphorisch zum Einsatz. Es lassen sich vier Bereiche
differenzieren:
Zunächst fällt (1) in der Gestaltung des Avatars der grau-grüne Kapuzenmantel auf, den Catherine wiederholt trägt. Während Childress (139f) ihn metaphorisch als empfundene Last unter dem Trauma interpretiert, die mehr er- als getragen wird, kann er ebenso ein schützender Panzer sein. Tatsächlich trug Meurisse im Winter des Attentats einen Parker in Khaki.21

Meurisse nutzt (2) visuelle Darstellungen von Redewendungen, die praktisch konventionalisierte Metaphern sind (Majetschak, 241), in einer getrübten Farbpalette, um ihre desolaten Emotionen auszudrücken. In einer Albtraumsequenz droht sie vor Schüssen fliehend ›in blauen Wassern zu ertrinken‹22 (L, 42-45) und verliert dabei ihre »dix ans de bagages«23 bei Charlie Hebdo – ein Verlusttraum, der auf ihre veränderten Identitätsattribute verweist (Nathan, 249-261): Denn noch 2015 zieht sie sich aus der satirischen Zeitschrift zurück (Abb. 6).

Abb. 6: Ohne ihren Erinnerungsschatz an Charlie Hebdo ist Catherine eine andere.

Ihr Erinnerungsverlust wird durch den ›Fall durch eine graue Schlucht‹24 in eine »faille Temporelle«25 zwischen schwarz-blauen Felsen hindurch gezeigt. Ihr Therapeut bestätigt ihr diese Dissoziation durch den traumatischen Schock (L, 55). In einer weiteren planche sucht sie Trost bei ihrem Exgeliebten, in dessen Armen ihre ›Körperformen zu graublauen Tränen schmelzen‹26 (L, 65). Als sie die Nachricht von den islamistisch motivierten Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015 erreicht, wird sie ›von einem Blitz durchbohrt‹27 (L, 86), der sich hell vom blaugrauen Hintergrund abhebt. Derart kühle Kolorierungen alludieren in der ersten Hälfte der BD Catherines desolate Stimmung: z. B. in aquarellierten Traumblasen über ihre Trennung (L, 11f) oder Farbakzenten in der ersten bouclage28 nach dem Attentat, nach der ihr Gedächtnisverlust einsetzt (L, 33).

Mit (3) polychromen inneren Seelenlandschaften spielt Meurisse teils auf Kunstwerke an.29 In kühlen Farbtönen leitet eine düstere Meeresansicht die BD ein: Die grauen, schweren Wolken über einer tief stehenden Sonne, auf die die Protagonistin am dunklen Horizont blickt, spiegeln ihr inneres Trübsal. Ihre Erkenntnis im Textblock, »que l’océan était là en premier, et qu’il est toujours là«30 vermittelt aber auch ein Gefühl des Trostes. In der nächsten planche wird die Naturszene von einer apokalyptisch anmutenden, (quasi-)perzeptuellen Rothko-Anspielung in scharfem Weiß sowie flammendem Orange und Rot überblendet. Hier löst sich der Avatar von Catherine nun in einer abstrahierten Version der ursprünglichen Bildkomposition auf (Abb. 7), die der verschwommenen und emotional tief resonanten Farbfeldmalerei von Mark Rothko gleicht.31

Abb. 7: Mark Rothkos überwältigende Gemälde in Signalfarben

alludieren Catherines inneren Ausnahmezustand.

Das Motiv des Verschwindens wird in einer dreiteiligen Aquarellserie mit warmer Farbpalette (L, 59-61) wiederholt. In diesen Bildern verwandelt sich ihr Avatar mit dem voranschreitenden Sonnenuntergang in einen Stein und gewinnt somit an psychologischer Schwere: Inmitten der errötenden Schönheit der Natur kann Meurisse nicht anders, als weiter über das erlebte »massacre « zu grübeln (L, 59). Diese Enderfahrung überschattet ihr ganzes Sein und Fühlen. Ihre innere Endzeitstimmung wird durch die Vision der schwarzen Silhouette eines Flugsauriers am blutroten Abendhimmel symbolisch verstärkt (L, 60f) (Abb. 8).

Abb. 8: Catherine kann die Schönheit der Natur angesichts

des erlebten Massakers nicht wahrnehmen.

Etwa in der Mitte des BD klettert Meurisse mit einer weiteren Figur über schroffe braune Felsen, während im Hintergrund eine blau-grüne Landschaft in der Ferne verschwimmt (L, 78f). Gleich dem Wanderer über dem Nebelmeer32 aus Caspar David Friedrichs wohl berühmtester Seelenlandschaft erhascht Meurisses Avatar von dort einen ersten befreienden Blick auf eine hoffnungsvollere Zukunft. In dieser Natur kehren Catherines Erinnerungen langsam zurück und sie erkennt, dass »la beauté«33 seit dem Attentat das Wertvollste für sie ist. Die BD schließt dort, wo sie begann, an einem gelben Sandstrand (Abb. 9) (L, 131-133) – jedoch mit dem Unterschied, dass der Himmel wolkenlos im gleichen Blau wie das Meer strahlt und Catherine ein weißes Trägerkleid anstelle des dunkelgrünen Kapuzenmantels trägt. Auf den Horizont blickend erklärt sie sich süchtig nach »Cette beauté qui me sauve, en me rendant la légèreté«34 (L, 133).

Abb. 9: Durch den Perspektivwechsel kommt mit der Schönheit auch die Leichtigkeit zurück..

Neben diesen metaphorischen Kunstanspielungen zitiert Meurisse (4) explizit Gemälde und Kulturorte. Nach der Rothko-Allusion (Abb. 7) folgt Munchs Der Schrei,35 den sie als visuelle Metapher für ihre ersten Emotionen nach dem Attentat einsetzt.36 In der Sequenz (L, 18-20) wandelt sie durch die grauen Räume und Wände eines imaginären Museums, das mit völlig leeren Leinwänden bestückt ist. Als ihr Kopf in der letzten case in der Wand verschwindet, wird der über ihrem Körper hängende berühmte farbintensive Aufschrei zu ihrem und drückt ihre innere Verzweiflung aus. In einer weiteren Sequenz treibt sie wie die todgeweihte Ophelia37 von John Everett Millais in einem Bach aus intensivem Grün und Blau, während sie Baudelaires Les fleur du Mal liest und ein Frosch ihr therapeutische Fragen stellt. Dieser ermutigt die depressiv gestimmte Meurisse, ihr Trauma ähnlich dem Stendahl-Syndrom zu verarbeiten: Indem sie sich nämlich einem »déluge de beautés«38 (L, 91) aussetzt, um vor lauter Begeisterung in Ohnmacht zu fallen, könne sie versuchen, sich von ihren morbiden Gedanken zu befreien und ihre Leichtigkeit zurück zu gewinnen. Dazu begibt sie Catherine in die Villa Médici, Sitz der Académie de France und Zentrum der französischen Künste (L, 93f). In den Romsequenzen steigen Farbintensität und -varianz der Kolorierungen, die nun ihre reale visuelle Wahrnehmung der Villen Médici und Borghese, vom Forum und Palatin, dem Palazzo Massimo sowie von römischen Sakralbauten wiedergeben (L, 96-122). Nichtsdestotrotz rezipiert sie weiter im Spiegel des Traumas: Anstatt von Caravaggios Virtuosität überwältigt zu werden, ruft die dargestellte Grausamkeit in den dramatisch aufgeladenen Meisterwerken doch wieder das Attentat und dessen traumatische Auswirkungen auf ihre emotionale Welt hervor. So identifiziert sie sich selbst mit deren Hauptfiguren: Als David hält sie nicht Goliaths Kopf, sondern das abgeschlagene Haupt des Terrorismus; gemeinsam mit der Jungfrau Maria tritt sie als Christ auf die sündhafte Schlange, deren Körper das Wort »daech«39 formt; als Hieronymus brütet sie über die Sterblichkeit und die »Légèreté«; schließlich wird sie als Europa auf dem Rücken eines schwarzen – nicht weißen – Stiers entführt (L, 101) (Abb. 10).40

Abb. 10: Wie Europa in der griechischen Mythologie weiß die

entführte Catherine nicht, wie ihr geschieht, als sie auf die heimatlichen Ufer zurückblickt.

Und auch in den nur teils erhaltenen antiken Skulpturen des Palazzo Massimo vermag sie ausschließlich die massakrierten Opfer zu erkennen (L, 110f). Diese unwillkürlichen Assoziationen zum Attentat schwinden aber mit fortlaufender Kontemplation. Catherine entwickelt eine größere emotionale Distanz zum Trauma. Zum Schluss offenbart der Schein ihrer Taschenlampe in der dunklen Grande Galerie des Louvre ihr Caravaggios Gemälde Die Wahrsagerin41 in all seiner Farbenpracht: Dieses allegorische Genregemälde über Illusion und Naivität scheint auf die Rolle der politischen Satire, das Herzstück von Charlie Hebdo, in der heutigen Welt zu verweisen. Gleichzeitig schließt sich damit der Bogen zu den eingangs leeren Leinwänden: Die Schönheit der Kunst ist für Meurisse am Ende der BD wieder wahrnehmbar.

Cocos individuelles Farbsystem in Dessiner encore (2021)

Coco verpasst anders als Luz und Meurisse nicht den Beginn der Redaktionssitzung am 7. Januar 2015. Allerdings verlässt sie die Sitzung vor dem Ende, da sie ihre Tochter abholen muss. Im Treppenhaus begegnet sie den zwei Terroristen, die sie dazu zwingen, den Zugangscode für die Redaktionstür einzugeben. Sie hört die todbringenden Schüsse und die Rufe »On a vengé le prophète / On a tué Charlie Hebdo«42 (D, 126) aus nächster Nähe. Wie bei den anderen löst diese Enderfahrung bei Coco einen traumatischen Schock aus, mit dem Unterschied jedoch, dass sie seitdem Gefühle der Schuld und der Scham umtreiben, die die BD besonders prägen. Die 346 Seiten umfassende BD wurde erst 2021, sechs Jahre nach dem Attentat publiziert. Dies lag laut Coco an einer notwendigen Distanznahme durch die therapeutische Aufarbeitung des Attentats (France culture), die sich bei ihr offenbar gerade auch im exzessiven Zeichnen äußerte (D, 21).

Coco rahmt ihre Zeichnungen im Gegensatz zu Luz und Meurisse meist in Schwarz. Mit Aquarellfarben etabliert sie ein metaphorisches Farbsystem, das den Rhythmus der BD bestimmt. Dieses System umfasst vier Aspekte: (1) reine Schwarz-Weiß-Zeichnungen, (2) farbintensive polychrome Aquarelle, (3) eine von Baetens  beschriebene Sonderform von Monochromen, die durch eine zusätzliche Farbe ergänzt werden (Baetens 114f) und (4) spezifische Bedeutungen, die bestimmten Farbtönen und -nuancen zukommen.

Abb. 11: Wenn sie in Therapie ihr Trauma bearbeitet, imaginiert

sich Coco in die beruhigende, farbenfrohe Natur.

Ein (1) strukturierendes Element der BD sind die dargestellten Psychotherapiesitzungen (Abb. 11). Sie bilden die intradiegetische Ebene. Coco und ihr Therapeut sitzen sich darin auf zwei Stühlen gegenüber. Sowohl die Gesprächssituation in der Praxis als auch die hypodiegetische Ebene der reflektierten Erinnerungen in Form von Rückblenden werden in schwarz-weiß gezeichnet. Der schwarz-weiße Avatar von Coco hat ihren markanten schwarzen Haarschopf, eine lange Nase, große Augen mit Augenringen und vereinfachte Gliedmaßen – einen Mund nur dann, wenn sich Coco tatsächlich verbal äußert. Die beiden Attentäter, die Coco verfolgen, reduzieren sich auf zumeist schwarze Gespenstersilhouetten mit zwei leeren weißen Augenhüllen.

Auch in (2) planches mit polychromem Farbeinsatz bleiben diese handlungsleitenden Figuren konsequent in schwarzen Umrisslinien und weißen Flächen bestehen. Besonders deutlich heben sie sich in mehrfarbigen Aquarellen hervor, die selbst kaum schwarze Linien enthalten. Diese farbenfrohen Sequenzen repräsentieren einerseits Cocos Visionen eines »endroit-refuge«43 (D, 34), den sie sich mental erschafft, um dorthin in Momenten der Überwältigung fliehen zu können: eine einsame Insel (D, 37), ein rosafarbener Abendhimmel (D, 39), der Wald ihrer Kindheit – allesamt Naturallusionen. Fortan öffnet sich im Fenster der monochromen Innenansicht des Therapiezimmers eine weitere räumliche Ebene (Abb. 11): Vor blauem Himmel zeichnet sich das intensiv grüne Blattwerk eines Baums und von Büschen ab – der therapeutische Gesprächsrahmen selbst scheint für Coco mit einer (ver-)sichernden Schutzhülle umgeben. Andererseits existieren in der BD polychrome Reproduktionen fotografisch dokumentierter Ereignisse, wie die erste Redaktionssitzung nach dem Attentat in der Salle du Hublot (D, 154f), Verwüstungen von der Redaktion im Zuge eines vergangenen Brandanschlags auf Charlie Hebdo (D, 158f) oder eine zurückliegende Gerichtsverhandlung zur Meinungsfreiheit (D, 182-186). Die Authentizität der repräsentierten Fakten in den Rückblenden wird durch die Verwendung von Farbe unterstrichen, sodass diese sich metaphorisch von der monochromen Erzählung abheben.

Abb. 12: Jeden Moment kann die blaue Welle über Coco hereinbrechen –

wie Die große Welle vor Kanagawa (Katsushika Hokusai, 1830-1832).

Eine Besonderheit bilden (3) zwei visuelle Metaphern, die jeweils mit einer emblematischen Farbe verbunden sind. Die BD ist  strukturiert durch eine wiederkehrende tiefblaue Welle (Abb. 12): Sie leitet die Narration ein (D, 8-23), überfällt Coco zwei weitere  Male (D, 192-199, 283-288), bricht sogar durch das Fenster des Therapiezimmers in ihren sicheren Ort (D, 302). Erst zum Schluss  beruhigt sie sich zu einer glatten Wasseroberfläche, auf der Coco sich final treiben lässt (D, 341-246). Ihre metaphorische Bedeutung der Überwältigung offenbart sich sowohl visuell in ihrem Ringen mit den Wassermassen, als auch verbal in ihren Äußerungen: »Des fois, ça me submerge. Ça m’emporte. C’est plus fort que moi«,44 sodass sie die Kontrolle verliert (8f). »La résistance. / La  combativité.«45 reichen zunächst, dem Trauma zeichnend zu entgegen (D, 20f). In den blauen Tiefen ist sie jedoch »Dépossédée. Pétrifiée. Sidérée. Glacée.«46 (D, 307) und sie »vis l’expérience d’une mort en moi: celle de l’insouciance.«47 (D, 309). Auch am Ende existieren die Emotionen in den beruhigten Wassern fort, Je n’oublierai jamais… // Je dois dessiner, dessiner encore…«48 (D, 344f). Die Farbe Rot eröffnet in einer mittig situierten Sequenz eine weitere visuelle Metapher. Als Coco hypothetische Wendungen ihrer Begegnung mit den Terroristen erwägt, ringt sie mit tiefer Schuld, Scham und Reue (D, 134-143). Neben dem verwendeten Konjunktiv »Et si« zeigt sich ihre innere Zerrissenheit im Seitenaufbau: Die vier cases der ersten planche teilen sich immer weiter auf, abwechselnd reiht sich eine blutrote Farbfläche an ein schwarz-weiß gezeichnetes Szenario (Abb. 13).

Abb. 13: Die zunehmenden Fragmente beschleunigen den visuellen Rhythmus

– und den Herzschlag von Coco.

Die kontinuierliche Fragmentierung der abwechselnden Panels erzeugt einen metaphorischen Effekt unendlicher Potenzierung: In einem sich beschleunigenden, fast filmischen Rhythmus sieht Coco buchstäblich rot, während sie alle möglichen alternativen Reaktionen auf ihre lebensverändernde – und lebensbeendende – Begegnung an jenem 7. Januar 2015 durchdenkt. Diese Schachbrettstruktur zerfällt schließlich in Dreiecke, bevor das panische Rot der Flächen ganz in das lähmende Blau einbricht und sich mit ihm zu einem dunklen Ton trübt (Abb. 14) (D, 144-149), der Coco in den Tiefen an den Rand des Todes bringt: »La mort est là. Tout près.«49 (D, 148).

Abb. 14: Wenn Überwältigung und Panik sich mischen, ist der Tod nicht mehr weit..

< Über die blaue Welle und die rote Fragmentierung erhalten beide Farbtöne (4) eine spezifische Bedeutung. Ein weiteres Merkmal von Coco besteht also in emotionalen Farbkodierungen: Das tiefe Blau der Überwältigung wiederholt sich als Wasser, in dem sie unterzugehen droht. Darüber hinaus färbt sich die Haut ihres Avatars in der Rückblende auf ihre reale Begegnung mit den Attentätern im selben Blau (Abb. 15). Das Rot verweist auf ihre Todespanik. In einem rot getünchten, überwältigenden Sonnenuntergang, angesicht dessen sie in einem blauen Gewässer wie in Schockstarre unterzugehen droht, statt seine Schönheit genießen zu können, kondensieren sich ihre plagenden Emotionen in dem Fazit: »Il y a dans la beauté quelque chose d’insoutenable«50 (D, 274f). Ferner drückt sich die aus dem Gefühl der Schuld resultierende innere Isolation in lila, türkis und beige getönten cases aus (Abb. 15), in denen sich einzig Cocos schwarz-weißer Avatar von der Umgebung abhebt – auf dem nationalen Trauermarsch (D, 224f) oder während der ersten bouclage der überlebenden Redaktion nach dem Attentat (D, 230-243). Die direkten Konfrontationen mit dem Tod, am Tatort kurz nach dem Attentat (D, 248) sowie bei den Beerdigungen (D, 257), sind in getrübtes Ockergelb getaucht.

Abb. 15: Mit dem Dilemma, zwischen eigenem Tod und Zugangscode

gewählt haben zu müssen, muss Coco alleine fertig werden.

Fazit

Vor dem Hintergrund dieser Untersuchungen wird deutlich, dass jede individuell gewählte Farbe auf einzigartige Weise den persönlichen Weg der drei Autor_innen durch das unaussprechliche Trauma und ihre Erholung von den Enderfahrungen widerspiegelt. In der minimal kolorierten BD Catharsis verleiht das intensive Rot den visuellen Metaphern der Sub-Welt von Luz’ starken Emotionen angesichts der Enderfahrung durch seine kontextbezogene Ambivalenz ihre Komplexität. Farbe dient hier als  hinreichender Indikator für das Trauma. In La Légèreté wirkt sie als metaphorisches Heilmittel: Die vermisste emotionale Leichtigkeit, die Meurisse in der Schönheit der Kunst und der Natur sucht – und schlussendlich findet, wird in der BD in einer großen Farbpalette dargestellt. Bei Coco sind die leuchtenden Kolorierungen zwar weniger signifikativ bei der Interpretation ihrer visuellen Metaphern als bei Luz, doch das etablierte Farbsystem in der BD Dessiner encore funktioniert als eine (quasi-)perzeptuelle Kodierung ihrer traumatisch bedingten wiederkehrenden Gefühlszustände. Aufgrund der für sie schwer zu ertragenden Sonderrolle innerhalb der Geschehnisse des 7. Januar 2015, umfassen ihre Emotionen ein anderes Spektrum, als die der anderen beiden.

Die Arten und Weisen, wie Luz, Meurisse und Coco Farbe in den subjektiven Darstellungen ihrer Traumata im Medium BD einsetzen, sind so vielschichtig wie individuell und übersteigen die wirkungsästhetische Farbenlehre von Goethe. Der Farbeinsatz in ihren BD orientiert sich, in einem quasi-therapeutischen Sinne, insbesondere am produktivheilenden Bedürfnis, als direkt Betroffene des Attentats auf Charlie Hebdo vom 7. Januar 2015 ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen und somit das scheinbar Unsagbare visuell darzustellen.

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Bibliografie

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Abkürzungen der Primärtexte
C = Luz (A): Catharsis. Paris: Futurpolis, 2015.
D = Coco (A): Dessiner encore. Paris: Les Arènes BD, 2021.
L = Meurisse, Catherine (A): La Légèreté. Paris: Dargaud, 2017 [2016].

Abbbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: Luz: Catharsis. Paris: Futurpolis, 2015, S. 10.
  • Abb. 2: Luz: Catharsis. Paris: Futurpolis, 2015, S. 24f.
  • Abb. 3: Luz: Catharsis. Paris: Futurpolis, 2015, S. 63.
  • Abb. 4: Luz: Catharsis. Paris: Futurpolis, 2015, S. 78.
  • Abb. 5: Luz: Catharsis. Paris: Futurpolis, 2015, S. 91.
  • Abb. 6: Meurisse, Catherine: La Légèreté. Paris: Dargaud, 2017 [2016], S. 44.
  • Abb. 7: Meurisse, Catherine: La Légèreté. Paris: Dargaud, 2017 [2016], S. 9.
  • Abb 8: Meurisse, Catherine: La Légèreté. Paris: Dargaud, 2017 [2016], S. 60f
  • Abb. 9: Meurisse, Catherine: La Légèreté. Paris: Dargaud, 2017 [2016], S. 103.
  • Abb. 10: Meurisse, Catherine: La Légèreté. Paris: Dargaud, 2017 [2016], S. 101.
  • Abb. 11: Coco: Dessiner encore. Paris: Les Arènes BD, 2021, S. 82.
  • Abb. 12: Coco: Dessiner encore. Paris: Les Arènes BD, 2021, S. 19.
  • Abb. 13: Coco: Dessiner encore. Paris: Les Arènes BD, 2021, S. 141.
  • Abb. 14: Coco: Dessiner encore. Paris: Les Arènes BD, 2021, S. 148f.