Verzweigte Wege statt Einbahnstraße
Grenzverkehr. Comic und Bildende Kunst rezensiert von Nina Eckhoff-Heindl
Comic und Bildende Kunst sind von jeher in ein ambivalentes Bezugssystem eingespannt. High und Low, Populär- und Hochkultur sind immer wieder Schlagworte, die auf die eine oder andere Weise eine Grenze ziehen. Dietrich Grünewald beschäftigt sich mit den verschiedenen Facetten des Übertritts zwischen diesen beiden Bereichen, mit dem ›Grenzverkehr‹, der zwischen Comics und Bildender Kunst stattfindet. Die Monografie überzeugt durch die Fülle an Beispielen und dem dazugehörigen überwiegend farbigen Bildmaterial voll und ganz, dem systematischen Ansatz und der theoretischen Rahmung gelingt dies teilweise.
Den Grenzgängen zwischen Comic und Kunst wurden bereits mehrfach Publikationen gewidmet, meist in Form von Ausstellungskatalogen – begonnen mit Kirk Varnedoes und Adam Gopniks High & Low. Modern Art and Popular Culture (1990) als begleitende Veröffentlichung zur gleichnamigen Wanderausstellung im New Yorker Museum of Modern Art, dem Art Institute Chicago sowie dem Museum of Contemporary Art in Los Angeles. Auch wenn es ausdrücklich nicht das Ziel der Schau war, hat sie durch die Identifizierung und Gegenüberstellung von Hoch- und Trivialkunst doch das Gefälle zwischen bildender Kunst und Comics noch größer werden lassen (vgl. Munson 2009). Weitere Ausstellungskataloge folgten, so etwa Funny Cuts. Cartoon und Comics in der zeitgenössischen Kunst (2004), herausgegeben von Kassandra Nakas, und Kaboom! Comic in der Kunst (2013), herausgegeben von Ingo Clauß.1 Diesen beiden zuletzt genannten ist gemein, dass sie das Aufgreifen von Comics als motivische Anleihe, in Comicelementen und weiteren comicspezifischen Charakteristika innerhalb zeitgenössischer bildender Kunst zum Thema machen. Der Ausstellungskatalog »Mit Pikasso macht man kasso« (1990), herausgegeben von Cuno Affolter, Urs Hangartner und Martin Heller, fokussiert sich dagegen auf die Darstellung von Bildender Kunst und Kunstwelt in Comics. Dietrich Grünewald liefert mit seiner Monografie eine umfassende Bestandsaufnahme insbesondere des westeuropäischen und US-amerikanischen Bereichs, die es vermag, beide Bezugssysteme gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Mit Fokus auf formal-ästhetische Aspekte sowie wiederkehrende Motive bietet das Buch zudem eine größere Bandbreite an Referenzen, als es bei einem Ausstellungskatalog möglich wäre, der stets durch Faktoren wie die Begrenzung von Exponaten oder räumlichen Kapazitäten reglementiert ist.
Eine besondere Chance von Grünewalds monografischem Ansatz liegt in den Möglichkeiten des Vergleichs der beiden Felder: Wie werden Comics innerhalb der bildenden Kunst aufgegriffen und wie wird bildende Kunst innerhalb von Comics verhandelt? In weiten Teilen folgt die Schrift eben dieser Zweiteilung. Der Bereich der Comics wird ergänzt um »Bildende Kunst als Thema im Comic«. Darin werden insbesondere die Strategien innerhalb von Comic-Produktionen thematisiert, die Kunstwelt als System bzw. Institution darstellen. Allerdings könnten einige der Unterkapitel auch den Kunstzitaten in Comics zugeschlagen werden (etwa 4.4.1 »Gang durch die Kunstgeschichte« und 4.4.2 »Künstlerinnen und Künstler«). In der systematischen Erschließung zur bildenden Kunst hat Grünewald ein derartiges Reflektieren der Comicwelt als System allerdings nicht angelegt. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Form der Bezugssetzung nicht existiert oder ob es schlicht im Zitat-Kapitel subsumiert wird, wie es das Unterkapitel 2.4 Künstler-Comics nahelegt.
Diese Asymmetrie in der Systematik folgt aus der womöglich nicht weit genug ausdifferenzierten Gegenüberstellung von Comics und bildender Kunst – denn: Sind diese beiden Bereiche, oder wahlweise »Systeme« und »Kunstformen« (43), tatsächlich miteinander vergleich- und kontrastierbar? Grünewald unterscheidet zunächst auf formaler Ebene zwischen darstellender bildender Kunst und narrativer Bildgeschichte (58). Dabei setzt er Comics mit dem Begriff der »Bildgeschichte« gleich, was in Hinblick auf das durch Grünewald etablierte »Prinzip Bildgeschichte« (Grünewald 2010) etwas irritiert. Denn unter diesem Begriff subsumierte der Autor bislang nicht allein Comics, sondern auch weitere Formen von Bilderzählungen, die aber im Kontext von Grenzverkehr als bildende Kunst gewertet würden (z.B. Lucas Cranach d. Ä.: Das Paradies, 1530). Dementsprechend kann die Linie zwischen Comics bzw. Bildgeschichte und bildender Kunst nur schwer so trennscharf gezogen werden, wie es hier suggeriert wird. Doch lediglich die Karikatur sieht Grünewald als »Grenzgänger zwischen Bildender Kunst und Bildgeschichte« (83).
Über das gesamte Buch hinweg illustriert Grünewald überzeugend die enge Bezogenheit zwischen Comics/Bildgeschichte und bildender Kunst (besonders stark im Unterkapitel 2.4 Künstler-Comics). Zudem ordnet er die Scheidung zwischen High und Low Art kritisch ein (29–30). So macht er deutlich, dass die Diskrepanz zwischen populären, massenmedialen Erzeugnissen (Bilderbogen, Comic) und einem Einzelstück (Tafelgemälde) nicht durch qualitative Kriterien, sondern »ideologisch begründet [wird], wie auch die religiösen Werke des Mittelalters (darunter zahlreiche Bildgeschichten) belegen, die […] heute in der Kunstwissenschaft durchweg als ›Kunst‹ gewertet werden« (30). In Konsequenz hätte es nahe gelegen, auch in der Gliederung des Buches weniger die beiden Bereiche Comic/Bildgeschichte und bildende Kunst voneinander zu trennen, sondern vielmehr – um im Sprech des Buchtitels zu bleiben – deren Kreuzungspunkten auf die Spur zu kommen. Hierfür liefert Grünewald überzeugende Beispiele im Unterkapitel 2.2 »Prinzip Nachbild« (58–81), wenn er Edvard Munchs Schrei oder Edouard Manets Frühstück im Freien in eine Reihe folgender Bild- und Comiczitate einordnet. Doch der gewählten Systematik nach sind diese Kreuzungsmomente hier fehl am Platze, handelt es sich doch eigentlich um das Kapitel zu Comic-Zitaten in der bildenden Kunst.
So bleibt unklar, was das Buch eigentlich so ganz genau will: Es argumentiert auf formaler Ebene und veranschaulicht die enge Beziehung zwischen bildender Kunst und Comics vortrefflich, doch klingt immer wieder das Anliegen durch, die hinter den Zitaten liegenden ideologischen Einschreibungen bzw. Bewertungen des Kunstsystems zu befragen – hierfür müsste aber noch tiefergehend beleuchtet werden, wie bildende Kunst und Comics/Bildgeschichten miteinander korrelieren. In der Conclusio wird noch einmal eine weitere Facette in der programmatischen Ausrichtung eröffnet, da aufgezeigt werden sollte, »wie Bildende Kunst, Literatur und Theater in der Bildgeschichte zusammenfinden« (279) – auch dies klingt immer wieder in den verschiedenen Kapiteln des Buches an und untermauert den Eindruck der Parteinahme für die unterschätzte Kunstform des Comics. Das ist durchaus legitim, doch sollte es nicht über eine abwertende Verallgemeinerung zeitgenössischer Kunst geschehen, die besonders deutlich wird, wenn von Gegenwartskunst als Installationen mit »oft doch sehr banalen, platt-direkten, nicht selten modisch-aktuellen Aussagen« die Rede ist, die lediglich »von der meist applaudierenden, weil kunstmarktorientierten Kunstkritik« (243) Kunstwert zugesprochen bekommt.
Grenzverkehr von Dietrich Grünewald wartet mit einer bemerkenswerten Fülle an Beispielen zum Verhältnis von Comics und bildender Kunst auf sowie, insbesondere im letzten Drittel des Buches, umfangreiche Einordnungen der Comic-Beispiele. Man merkt Grenzverkehr durchweg die Freude am Entdecken von Zitaten an, und die kenntnisreichen Einbettung in die Kunst- und Comicgeschichte lassen diese Auseinandersetzungen zu einem wahren Lesegenuss werden. Dennoch bleibt anzumerken, dass die übergeordnete theoretische Rahmung einer tiefergehenden Fokussierung und einer darauf aufbauenden, präziseren Systematik bedurft hätte.
Bibliografie
- Munson, Kim. 2009. Beyond high and low: How comics and museums learned to co-exist. In: International journal of comic art 11.2, 283–298.
- Grünewald, Dietrich (2010): Das Prinzip Bildgeschichte. Konstitutiva und Variablen einer Kunstform. In: Dietrich Grünewald (Hg.): Struktur und Geschichte der Comics. Beiträge zur Comicforschung. Bochum u.a: Bachmann, 11–32.
- Ausst.-Kat. Kaboom! Comic in der Kunst. Ingo Clauß (Hg.). Kehrer: Heidelberg u. Berlin, 2013
- Ausst.-Kat. Funny Cuts. Cartoons und Comics in der Zeitgenössischen Kunst. Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart. Hrsg. von Kassandra Nakas. Bielefeld: Kerber, 80–103.
- Varnedoe, Kirk/Gopnik, Adam. Hrsg. 1990. High & Low. Modern art and popular culture. Ausst.-Kat. The Museum of Modern Art New York. New York: Abrams.
- Eckhoff-Heindl. 2015. Rez: Ausst.-Kat. Kaboom! Comic in der Kunst. in: Closure. Kieler e-Journal für Comicforschung 2 (2015). Open Access: http://www.closure.uni-kiel.de/data/pdf/closure2/closure2_heindl.pdf
- Affolter, Cuno/Hangartner, Urs/Heller, Martin. Hrsg. 1990. »Mit Pikasso macht man kasso«. Kunst und Kunstwelt im Comic. Ausst.-Kat. Museum für Gestaltung Zürich. Zürich: Edition Moderne.
Grenzverkehr. Comic und Bildende Kunst
Dietrich Grünewald
Berlin: Christian A. Bachmann Verlag, 2024
328 S., 29,90 Euro (Hardcover)
ISBN 978-3-96234-089-6