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Die ernsthafte Seite der Comics

Comics & Politik rezensiert von Roger Dale Jones

Was haben die Leichtigkeit von Comics und die Ernsthaftigkeit von Politik gemeinsam? Comics werden oft als Unterhaltungsmedium gesehen, das überwiegend ein jugendliches Publikum erreicht und wegen seiner ›Bildsprache‹ keine Diskurstiefe erreichen kann. Trotz dieser vermeintlichen Oberflächlichkeit zeigen Comics eine breite Tradition ernsthafter politischer Arbeit. Der Sammelband Comics & Politik taucht in diese ein und untersucht sowohl das Politische in Comics als auch Comics in der Politik – und zwar auf mehreren Kontinenten und in verschiedenen historischen Kontexten.

Comics & Politik entstand aus der 7. Jahrestagung der Gesellschaft für Comicforschung als Reaktion auf die mehrfach gestellte Frage, ob Comics politisch sein könnten. Diese wird hier mit 22 englisch- und deutschsprachigen Beiträgen beantwortet. Der Band, von Stephan Packard herausgegeben und von Ch. A. Bachmann publiziert, enthält Beiträge internationaler Autor_innen, die sich mit Themen aus verschiedenen kulturhistorischen Kontexten befassen, und bietet damit einen multiperspektivischen Blick auf die Problemstellung. Die Beiträge sind unter vier Schwerpunkte gruppiert.

Im ersten Themenfeld Politische Ästhetik der Comics präsentiert Ann Miller einen Beitrag über Konsens und Dissens in der bande dessinée mit einer von Rancière entnommenen Differenzierung von Polizei und Politik (vgl. 27). Dieser Differenzierung und Millers daraus resultierender Comic-Analyse gelingt es nicht nur, eine politische Ästhetik der ausgewählten Comics (insbesondere von Karikaturen berühmter französischer Politiker wie Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal) aufzudecken, sie bietet auch einen analytischen Rahmen für die Kategorisierung der restlichen Beiträge. Millers Beitrag kann also als eine Art ›zweite Einführung‹ in den Sammelband gesehen werden und ermöglicht einen tieferen Einblick auf die aktuellen politischen Comics in Frankreich.

Während Miller ihre Analyse auf französische Comics konzentriert, richten Rikke Platz Cortsen, Ralf Kauranen, Louise C. Larsen, Anne Magnussen und Michael Scholz ihren Blick in Between Propaganda and Entertainment: Nordic Comics 1930s – 1950s nach Norden. Ihr Artikel findet sich im zweiten Themenfeld Comics der Politik und zeigt, wie politische Regimes Comics nutzen, um Informationen und Propaganda in Zeiten der Krise zu verbreiten. Dieser gemeinschaftliche Beitrag von mehreren skandinavischen Forscher_innen soll dazu dienen, eine »transnational nordic perspective« über Comics und Gesellschaft zu etablieren (111). Demzufolge bietet er Analysen von Comics aus drei verschiedenen skandinavischen Ländern zu Krisenzeiten: Dänemark in der Zwischenkriegszeit (1930er), Finnland und Schweden im Zweiten Weltkrieg und nochmals Dänemark, im Kalten Krieg (1950er). Diese Einblicke zeigen die prekäre politische und militärische Lage Skandinaviens und verdeutlichen, wie Comics zur tatsächlichen Bedrohung der nationalen Sicherheit (vgl. 116) bzw. zum Mittel der Information und Propaganda (vgl. 118), sowie sogar der politischen und militärischen Deeskalation (vgl. 129) werden können.

Kalina Kupczynska schaut in Pathos Rules – Über Propagandistische Aspekte der Solidarność-Comics nach Osten. Dieser Beitrag befindet sich im dritten Abschnitt Politik der Comics und fokussiert Comics mit eigener politischer Initiative. Kupczynska vergleicht zwei Comics, welche die Ereignisse der Solidarność von August 1980 bis Dezember 1981 behandeln. Der erste stammt aus dem Jahr 1984 und war zu dieser Zeit in Polen verboten. Er versucht Solidarność durch einen Dialog von Fragmenten authentischer Aussagen und realistischer Darstellung der Figuren wahrheitsgemäß zu dokumentieren (vgl. 316). Der zweite Comic entstand 2006 und wurde von der damaligen polnischen Regierung zum 25. Jubiläum zur Gründung der Solidarność subventioniert und bietet eine starke Literarisierung der Ereignisse (321). Der Vergleich beider Comics zeigt, wie unterschiedliche Funktionen und historische Kontextualisierungen die gleichen Ereignisse auch unterschiedlich erscheinen lassen, und wirft die Frage auf, wie Comics Solidarność aufarbeiten werden.

Im letzten Themenfeld Politische Comic-Lektüren orientiert sich Hans Joachim Backe nach Westen und setzt das Wortspiel ›politrickery‹ (Politik + trickery) ein, um zwei Serien des US Amerikaners Brian K. Vaughan, The Last Man und Ex Machina, zu analysieren. Mit Hilfe von Habermas’ Unterscheidung zwischen policy, politics und polity (vgl. 448) zeigt Backe, wie Vaughans Comics Politik auf explizite und implizite Weise behandeln. Letztere, die sich laut Backe für die Fragestellung des Bandes als interessanter erweist, geht über Habermas‘ dreiteilige Unterscheidung hinaus und schlägt eine Politik zwischen Wissenschaft und Glauben vor (vgl. 454). Um mit dieser Dialektik umzugehen, braucht man, gemäß Backes Analyse, Common Sense (vgl. 452) und Nächstenliebe (vgl. 456). Sein Beitrag bietet passende Reflexionsanregungen für die Zukunft der Politik, indem er die Frage stellt, wie man heutzutage, in einer Welt geprägt von großen Gefahren und Komplexität, politisch aktiv sein sollte.

Der Sammelband Comics & Politik zeigt, dass Comics auf vielfältige Weise politisch sein können. Die zahlreichen Beiträge weisen darauf hin, dass Comics ihre eigene Politik betreiben, verdeutlichen aber auch, dass Comics immer wieder als politisches Werkzeug eingesetzt werden.

Andererseits ist es Comics möglich, Botschaften zu vermitteln, die tief in den Diskurs der Politik eingreifen. Die Publikation zeigt, dass diese mögliche Affinität zwischen Comics und Politik an keinen bestimmten Ort oder Zeitraum gebunden ist, indem er Artikel mit Blick auf verschiedene kulturelle und nationale Kontexte in unterschiedlichen historischen Räumen des 20. und 21. Jahrhunderts bietet. Trotz dieses Umfangs zeigen sich manche Vorlieben der Comicforschung: Obwohl diese Rezension einen skandinavischen und einen polnischen Beitrag hervorhebt, gibt es im Band eine starke Fokussierung auf franko-belgische und amerikanische Comics. Dieses könnte in Zukunft mit mehr Beiträgen, die sich auf andere Teile der Welt beziehen (auch auf deutsche Comics), ausgeglichen werden.

Weiterhin bietet der Band fast nur qualitative case studies und Analysen; die Fragestellung hätte sicherlich von mehr quantitativer Arbeit profitiert. Im Allgemeinen ist Comics & Politik eine gelungene Untersuchung zweier divergierender Forschungsfelder. Die vielen Abbildungen liefern einen zusätzlichen ästhetischen und unterhaltsamen Inhalt und die klare Unterteilung der Beiträge in die vier Themenfelder sorgt für eine einfache Orientierung innerhalb des Bandes. Darüber hinaus bieten die vielen theoretischen und konzeptuellen Analyserahmen eine feste Grundlage für die weitere Erforschung der Schnittpunkte von Comic und Politik.

 

Comics & Politik
7. Wissenschaftstagung der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor)
Stephan Packard (Hg.)
Berlin: Ch. A. Bachmann, 2014
495 S., 39,90 Euro
ISBN 978-3-941030-29-9