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Ausgefuchst: 12 auf einen Streich!

Spring-Magazin #9: Reineke F. rezensiert von Julia Ingold und Nikolai Ziemer

Zwölf Gesänge, zwölf Zeichnerinnen, zwölf Stile: Das Spring-Magazin erzählt Goethes Reineke Fuchs neu. Herausgekommen ist dabei ein Comic, in dem die triebgesteuerten Zeitgenossen Reineke F. und Co skrupellose Macht- und die Künstlerinnen wagemutige Formspielchen treiben.

Das Hamburger Magazin Spring bündelt auch in der neunten Ausgabe das »Ungewöhnliche zwischen Comic, Illustration und freier Zeichnung«, wie es im Klappentext heißt, diesmal in einer Adaption der Fabel Reineke Fuchs von J. W. Goethe. Seit 2004 erscheint das Magazin jährlich, immer mit Beiträgen von mehreren Künstlerinnen zu einem bestimmten Thema. Die zwölf Gesänge aus Goethes Vorlage boten daher die ideale Voraussetzung, eine zusammenhängende Geschichte aus verschiedenen gestalterischen Sichtweisen zu erzählen. Der aufmüpfige Vierbeiner bleibt im Kern bei seinen altbekannten Spielchen, in deren Regelwerk das Gute, das dem Bösen entgegentritt, nicht vorgesehen ist. Denn Reineke übertrumpft zwar alle anderen Tiere an Listenreichtum, aber nicht an Boshaftigkeit. Nur deshalb bleiben seine Intrigen ungesühnt und er entkommt immer wieder der Schlinge des königlichen Henkers.

Einige der Gesänge sind dabei ohne weiteres als ›typische Comics‹ zu lesen, während sich andere sehr weit an die Grenzen dieser Kunstform wagen. So zeigt sich der Auftakt, gestaltet von Sophia Martineck, noch traditionell mit Sprechblasen, Panels und einer originalgetreuen Umsetzung des literarischen Vorbilds, während Nina Pagalies schon in der nachfolgenden Interpretation wesentlich experimenteller an das Thema herangeht. Braun der Bär knickt dort nicht mehr für Honig ein, sondern für Koks und Nutten. Im neunten Gesang ist ein Bezug zur ursprünglichen Geschichte dann kaum noch herstellbar. Almuth Ertl kombiniert hier schemenhafte Darstellungen menschlicher Gestalten und geometrische Formationen mit zusammenhanglosen Textfetzen. Die einzelnen Interpretationen spielen mit den Erwartungen der Leser_innen, um so etwa Komik oder Zynismus herzustellen. Komik, wenn sich Reineke und Isegrim der Wolf zum Showdown im Boxring gegenüberstehen, wobei Reinekes gestählter Körper über und über mit Sentenzen wie »I love Goethe« und Hexametern aus der Vorlage tätowiert ist. Zynisch wird es, wenn der Fuchs in einer feurigen Rede mit leerer Rhetorik ein Millionenpublikum vor den Fernsehbildschirmen von seiner Unschuld, Ehrlichkeit und seinem Engagement für das Wohl der Tierwelt überzeugt. Dargestellt hat Barbara Yelin diese Szene sehr beeindruckend mit orangenfarbenen Schwaden, die sich aus dem Mund Reinekes auf die Zuhörer_innen und in die Stadt hinein ausbreiten, bis die Tiere sich darin verfangen und zu ersticken drohen. Auch im siebten Gesang findet sich eine Stelle, wo Ludmilla Bartscht den Originalausspruch der Tiere gegenüber dem König, »Wir werden gehorchen!«, mit Panzern, ausgestreckten Armen und der Hiroshima-Atombombe little boy illustriert.

Braun der Bär knickt für Koks und Nutten ein.

Schon Goethe wollte mit der „unheiligen Weltbibel“, wie er seine Version des Stoffes nannte, die ewig menschliche (Macht-)Gier veranschaulichen. Eben weil Reineke sich auf diese Gier bei den  anderen Tieren verlassen kann, setzt er seinen Willen immer wieder durch. So antwortet der wortgewandte Fuchs an einer Stelle im Original auf die Frage »Aber wie sollte die Welt sich verbessern?« mit »Es läßt sich ein jeder/ Alles zu und will mit Gewalt die andern bezwingen./ Und so sinken wir tiefer und immer tiefer ins Arge.«

Auch das Platzhirschgehabe der Mächtigen, das Goethe mit seinem Reineke subtil auf die Schippe nahm, wird in der Adaption mehrmals gekonnt inszeniert. Am deutlichsten ausgearbeitet findet es sich im dritten Gesang von Anne Vagt, in welchem Grimbart der Dachs, Isegrim und Reineke als wortkarge, muskelbepackte Anabolika-Ungetüme in Erscheinung treten, die zu kaum mehr in der Lage sind, als ihre niedrigsten Bedürfnisse zu befriedigen. Ihre Macht gewinnen sie aus ihrer Gewalt, Bestien ohne Intelligenz, die sich rücksichtslos an allem bedienen, das schwächer ist als sie.

Diese unterschiedlichen Herangehensweisen sind durch ein im ganzen Heft eingehaltenes Farbspektrum und eine kurze Hinführung zum jeweiligen Abschnitt verbunden. Da das Heft auch im Ausland erscheint, sind im Übrigen alle Texte im Buch zweisprachig, englisch und deutsch, gehalten.

Die zwölf Herausgeberinnen haben mit Hintergedanken diese Fabel gewählt, denn die derben Streiche des wohl berühmtesten Fuchses der Literaturgeschichte, die schon im Mittelalter kleine und große Kinder unterhielten, haben Ihre Aktualität nicht verloren. Der Reiz der Anthologie besteht aber darin, dass sie nicht den alten Klassiker neu vermitteln will. Zwar eröffnet sich im Dialog mit Goethes Text ein spannendes Spiel, jedoch mit strikten Regeln. Ohne die Spielanleitung von 1794 tritt die grafische Adaption als ein ganz eigenes Kunstwerk auf, das sich nicht nur in der Erzählweise sehr weit aus der Konvention, sondern auch als Comic unterhaltsam aus der Sprechblase wagt.

 

Spring-Magazin #9
Reineke F.
Sophia Martineck, Nina Pagalies, Anne Vagt, marialuisa, Katrin Stangl, Romy Blümel, Ludmilla Bartscht, Katharina Gschwendtner, Almuth Ertl, Barbara Yelin, Stephanie Wunderlich und Carolin Löbbert
Wuppertal: MSW Medien Service GmbH, 2012
210 S., 16,00 Euro
ISBN: 978-3-981-5384-0-3