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Dissensuale Erzählungen
Der Comic als Medium der Politik bei Philippe Squarzoni

Karen Genschow (Frankfurt a. M.)

Der französische Comicautor1 und ATTAC-Aktivist Philippe Squarzoni wendet sich in seinem Werk immer wieder schwierigen Themen zu: In Saison brune (2012) befasst er sich mit dem Klimawandel; seine Dilogie, die aus Garduno, en temps de paix (2002) und Zapata, en temps de guerre (2003) besteht, unternimmt den Versuch einer Analyse der neoliberalen Globalisierung seit den 1990er Jahren, ausgehend von der zapatistischen Bewegung im mexikanischen Dschungel um den damals allgegenwärtigen subcomandante Marcos. Torture blanche (2012)2 nimmt sich des Konflikts zwischen Palästina und Israel an.

Bei allem ›Realitätsbezug‹, der sich aus den politischen Themen ergibt, finden sich jedoch in den comicspezifischen Darstellungsformen wie auch auf der Inhaltsebene sowohl metaphorische als auch fiktionalisierende Elemente, die einer Einordnung seiner Comics als rein faktuale Erzählungen entgegenstehen. Zudem greift Squarzoni immer wieder auf vorgängige Bilder (Fotografien, Filmstills, Zeitungsausschnitte u. a.) zurück, die er sowohl auf der Bild- als auch auf der Textebene einer Analyse unterzieht, d. h. seine Arbeiten zeichnen sich durch eine starke Reflexion von Medialität aus. Gemeinsam ist seinen Comics weiterhin die autobiografische Verortung, mittels derer sich Squarzoni nicht nur als Instanz der Wahrnehmung und der Erzählung, sondern auch der Autorschaft inszeniert. Dieser – wenn auch vergleichsweise geringe – autobiografische Anteil wird hier, so scheint es, zu anderen Zwecken und mit anderen Wirkungen eingesetzt als in dem mittlerweile auch in Frankreich boomenden Genre des autobiografischen Comics mit dem international wohl bekanntesten Beispiel von Persepolis (2000), nämlich im Sinne eines politischen Engagements.

Ausgehend von diesen spezifischen Elementen in Squarzonis Werk und vor dem Hintergrund der übergreifenden Fragestellung nach den Möglichkeiten des Comics als faktualer Erzählung und als Medium der Politik geht es im Folgenden darum, in der Dilogie Garduno, en temps de paix und Zapata, en temps de guerre3 die Mittel und Strategien zu untersuchen, mit denen Squarzoni die politischen, medialen und ökonomischen Zusammenhänge der Globalisierung darstellt und einer kritischen Analyse unterzieht. Damit setzen die Comics, so die These, zugleich einen neuen Politikbegriff in Verbindung mit einem neuen politischen Subjekt in Szene.

Garduno und Zapata, die in den 1990er Jahren spielen, befassen sich mit dem globalen Siegeszug des neoliberalen Modells. Eine ›Geschichte‹ lässt sich nur schwer rekonstruieren, denn es handelt sich um meist nur lose miteinander verknüpfte Sequenzen, die inhaltlich etwa Squarzonis Reisen nach Kroatien, England und Mexiko, Gespräche mit seiner Freundin, den politischen Mitstreiter_innen von ATTAC, ausführliche und faktenreiche Darstellungen globaler wirtschaftlicher Prozesse sowie Analysen der Medien umfassen. Die Integration dieser Sequenzen in eine umfassende Erzählung bzw. einen übergreifenden, strukturierten Handlungsstrang erschließt sich zumindest nicht auf den ersten Blick. Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass die Dilogie nicht nur inhaltlich verschiedene Typen von Sequenzen umfasst, sondern diese sich sowohl, was ihren Status in Bezug auf die Realität betrifft, als auch im Hinblick auf die Art der Erzählung differenzieren lassen: Die Comics wechseln zwischen fiktionalen und faktualen Sequenzen, narrativen und ›expositiven‹ Passagen, die jeweils auch in ihren Panelübergängen und Text-Bild-Verhältnissen äußerst heterogen konstruiert sind. Als fixer Bezugspunkt, welcher der Abfolge der einzelnen Sequenzen schließlich doch Kohärenz verleiht, lässt sich die Erzählinstanz bestimmen, die sich vor allem auf der Textebe­ne zeigt und sich durch die autobiografische Verortung auszeichnet: Diese legitimiert die assoziative Logik, deren Darstellungsweise dem Stream-of-consciousness-Verfahren ähnelt, in dem »Wahrnehmungen, Empfindungen, Assoziationen aller Art, Erinnerungen, Überlegungen« (Vogt, 185) ohne die Vermittlung einer ordnenden Instanz präsentiert werden. Den inhaltlichen Fluchtpunkt der verschiedenen Sequenzen bildet die Darstellung der Globalisierung als politisch-ökonomisches Phänomen, das sich aller Lebensbereiche bemächtigt hat und das in der Dilogie sicht- und lesbar gemacht wird.

Im Folgenden wird zunächst, ausgehend von den Gattungsmerkmalen des Sach- und Reportagecomics, das Verhältnis von Faktualität und Fiktionalität in Squarzonis Dilogie genauer untersucht. Es folgt eine Analyse jener comicspezifischen Mittel, die den Comic als Erzählung konstituieren bzw. der Erzählung entgegenstehen. In einem nächsten Schritt geht es im Zusammenhang mit dem Konzept der Remediation um die medialen Darstellungsformen und -mittel, auf die beide Comics zurückgreifen; schließlich werden die autobiografischen Anteile untersucht, um dann den aus den untersuchten Aspekten konstruierten Politikbegriff genauer zu bestimmen.

Faktualität und Fiktionalität im Reportagecomic: Garduno und Zapata

Als zwei zentrale Anliegen, die den Comics zugleich ihre narrative und analytische Kohärenz verleihen, formuliert Squarzonis Dilogie die eminent politische Frage »Qui dessine notre réalité?«4 (G, 42) und behauptet eine »envie de résistance«5 (Z, 150) – zwei Schlüsselaussagen zum Verständnis der Comics: Einerseits wird die Realität als ›Produkt‹ gefasst, das von jemandem entworfen wird, zum anderen lässt sich, simultan mit dem Anliegen des Widerstands, eine subjektive Perspektive konstatieren (»envie«).

Was das Genre betrifft, lässt sich von diesen Aussagen ausgehend die Dilogie zum einen dem Sachcomic zuordnen, dem es darum zu tun ist, zu »vermitteln, [zu] informieren, an[zu]leiten« (Hangartner, 15), wie sich an den ausführlichen und faktenreichen Darstellungen im Zusammenhang mit der Globalisierung zeigt. Zum anderen lässt sich die Dilogie dem Reportagecomic zuordnen, als dessen zentrales Merkmal Dietrich Grünewald eine subjektive Perspektivierung festhält:

Die Bildreportage ist stets subjektiv, vermittelt ­einen persönlichen Blick (was Wertung einschließt) über die gewählten Bildausschnitte, die Perspektive, über den spezifischen Stil, die pointierte, emotional geprägte Ausdrucksqualität, die eindringlich Verstand wie Gefühl des Betrachters ansprechen und entsprechende Wirkung erzielen will. (Grünewald, 11)

Diese Form des dokumentarisch-reportagehaften Erzählens leidet allerdings, so stellen Julien Orselli und Philippe Sohet für den französischen Kontext fest, wie das gesamte Medium des Comics an einem Legitimationsmangel: »L’idée de construire une œuvre documentaire sur la base d‘images dessinées ne va pas de soi lorsque le médium souffre d‘un défaut de légitimité.«6 (Orselli/Sohet, n. pag.) Insofern verwundert es nicht, dass die Veröffentlichung von Garduno von einem Vorwort Ignacio Ramonets, dem damaligen Herausgeber von Le monde diplomatique, flankiert wird, dessen Artikel Désarmer les marchés innerhalb des Comics genannt wird (G, 134) und der als Vordenker der altermondialisation mithin als Gewährsmann für das politische Anliegen beider Bände fungiert. Seine On a raison de se révolter (G, 4) betitelte Vorrede zielt auf die politische Funktion des Comics ab, sagt dabei aber wenig zu künstlerisch-medialen Aspekten.7 Eine ästhetische Reflexion erfolgt allenfalls ›nebenbei‹, wenn er Garduno mit einem klassischen narrativen Genre, dem Detektivroman, in Verbindung bringt:

L’histoire passionante d’un détective amateur qui tenterait de retrouver le plus grand criminel de ­notre temps, celui qui tue 30 millions de personnes par an. Et qui découvre que cet assassin n’est autre que la mondialisation libérale.8 (Ramonet, 4)

Die hier konstruierte Analogie zwischen einem fiktionalen Genre und einem anscheinend prinzipiell faktualen Genre (wenngleich mit subjektiver Perspektivierung), dem dokumentarischen Comic, wirft die Frage nach dem Verhältnis von Fiktionalität und Faktualität im Reportagecomic allgemein und in der Dilogie im Besonderen auf.9 Es wäre demnach zu fragen, welcher Status der Rede bzw. den Bildern gegenüber der extradiegetischen Wirklichkeit zukommt. Dieses Verhältnis betrachtet Grünewald zunächst im Zusammenhang mit der comicspezifischen Bildlichkeit:

Ästhetische Aspekte, also das Wie der Bildgeschichte (Gestaltung wie Erzählmodus), spielen somit eine bedeutende Rolle. Gute Reportagen sind mehr als die Addition von Fakten. Bilder sind Artefakte, also immer etwas Gemachtes, damit subjektive und keine objektiven Informationen. (Grünewald, 13)

In dieser Feststellung, welche die Gemachtheit von Bildgeschichten hervorhebt und damit zunächst die Möglichkeit von ›Objektivität‹ in dokumentarischen Comics anzweifelt, wird implizit die Frage aufgeworfen, wie sich fiktionale von faktualen Erzählungen überhaupt unterscheiden lassen (was allerdings nicht nur für den Comic gilt). Aus Grünewalds Sicht liegt das Problem faktualer Erzählungen im Comic darin, dass sie nicht ›objektiv‹ operieren können, sondern durch ihre offen ausgestellte Gemachtheit notwendigerweise eine subjektive Perspektive einführen. Gezeichnete Bilder gehen – im Gegensatz zu fotografischen – immer auch über reine Faktualität hinaus. Aufgrund der Tatsache, dass die Bilder nicht ›transparent‹ auf außersprachliche Fakten verweisen, führen sie auch einen gewissen Grad von Fiktionalität ein.

Folgerichtig schreibt Grünewald dem Reportagecomic eine Position zwischen fiktionaler und faktualer Erzählung zu:

Bekanntlich hat Aristoteles in seiner Poetik zwischen dem Geschichtsschreiber, der ›erzählt, was geschehen ist‹, und dem Dichter, der erzählt, ›was geschehen könnte‹ […] unterschieden. Der (Bild-) Reporter vermittelt zwischen beiden. (Grünewald, 12)

Diese Bestimmung ist allerdings insofern problematisch, als die darin implizierten Konzepte von Fiktionalität und Faktualität selbst höchst umstritten sind und ihr Potenzial zur Beschreibung literarischer und künstlerischer Phänomene in Zweifel gezogen wird. Selbst Genette, der von einer prinzipiellen Unterscheidbarkeit ausgeht, bemerkt dennoch, dass sich

Fiktionalisierungsverfahren seit einigen Jahrzehnten auf bestimmte Formen von faktualen Erzählungen wie die Reportage oder die journalistische Enquête (das, was man in den Vereinigten Staaten den ›New Journalism‹ nennt) und andere abgeleitete Gattungen, wie die Non-Fiction-Novel ausgedehnt [haben]. (Genette 1992, 91)

Die Unterscheidungsmöglichkeit wird damit nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern das Problem auf bestimmte Gattungen und Formen begrenzt, die in einer Art ›Zwischenraum‹ agieren, indem sie Verfahren aus ihnen prinzipiell fremden Gattungen übernehmen. Grünewald selbst scheint diese Sicht zu teilen, wenn er auf eine zentrale Schwierigkeit des Begriffs ›Faktualität‹ hinweist und diese Problematik auf bestimmte Modalitäten des Reportagecomics begrenzt, die in verschiedener Weise ›Authentizität‹ produzieren:

Neben dem Zeichner, der vor Ort skizziert oder fotografiert und dann – nach der Reise, dem Erlebnis […] das gesammelte Material zu einem Comic verarbeitet, dabei aber so authentisch und faktengetreu wie möglich sein will, gibt es Autoren, die in genauer Beobachtung gesellschaftlicher Prozesse zu fiktiven ›Reportagen‹ finden, die aber im Kern, in der zentralen Aussage wiederum ›wirklichkeitsgetreu‹ sind. (Grünewald, 12)

Diese weit gefasste Bestimmung von »Authentizität« führt zu der Frage, wie genau sich ›Wirklichkeitstreue‹ äußert und legt die Vermutung nahe, dass es sich hier um eine qualitative Bewertung aus subjektiver Perspektive handelt. Dies macht zugleich deutlich, dass eine klare Trennung von Fiktionalität und Faktualität im Genre des Reportagecomics nicht möglich scheint. Wenn man zunächst aber der Argumentation Grünewalds folgt, ließe sich als ein Fall von ›wirklichkeitsgetreuer‹ Fiktionalität in Squarzonis Zapata beispielsweise eine Sequenz fassen, die ein fiktives Treffen ehemaliger US-amerikanischer Präsidenten in Szene setzt und Carter, Kissinger, Kennedy, Clinton, Bush senior und junior etc. sich über ihre jeweilige Politik mit ungeschminkter Offenheit austauschen lässt. Dabei sagt Kennedy über Kissinger:

»Ce mec a soutenu toutes les dictatures militaires de droite. Les pires régimes. Pinochet, Videla, Marcos. Résultat? Prix Nobel de la Paix en 1973.«10 (Z, 114)

Selbstverständlich ist dieses Treffen gänzlich fiktiv, dennoch liegt in den Worten der Präsidenten eine Wahrheit, die als hinter dem medialen Schein liegend inszeniert wird – zumindest scheint dies die Intention jener fiktionalen Dramatisierung zu sein (Abb. 1).

Abb. 1: Zapata (Squarzoni, 114).

Als Beispiel für den gegenteiligen Fall einer faktualen Sequenz, in dem auch die von Grünewald genannte Fotografie als Mittel zur ›wirklichkeitsgetreuen‹ Darstellung im Comic eine Rolle spielt, lässt sich ein größerer Teil des dritten Kapitels von Garduno anführen: Hier beschreibt Squarzoni seinen Aufenthalt in Kroatien Mitte der 1990er Jahre, wobei immer wieder auch die Gemachtheit sowohl der Fotografien als auch der Zeichnungen hervorgehoben wird, deren Referenzialität durch Verzerrung oder Verfremdung in Zweifel gezogen wird (Abb. 2).

Abb. 2: Garduno (Squarzoni, 60f.).

Squarzonis Dilogie scheint demnach auf den ersten Blick Grünewalds Bestimmung des Reportagecomics als zwischen Faktualität und Fiktionalität angesiedelte Erzählung zu entsprechen. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass die Dilogie die Problematik von Fiktionalität und Faktualität auf noch grundlegendere Weise thematisiert, indem sie die ›Gemachtheit‹ nicht auf das Erzählen mittels Comic-Bildern beschränkt, sondern auf die einer faktualen Erzählung zugrunde liegende Wirklichkeit selbst ausweitet und »réalité« mit »dessiner« (G, 42) in Zusammenhang bringt. Sie stellt damit nicht nur eine fundamentale Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Faktualität und Fiktionalität von Erzählungen in Frage, sondern fasst die ›Realität‹ selbst als etwas Gemachtes, als medial produzierte Erzählung auf. Die »envie de résistance« (Z, 150) richtet sich demnach nicht allein auf den Widerstand gegen ›etwas‹, gegen einen bestimmten Aspekt innerhalb ›der‹ Realität, sondern zum einen gegen die fundamentale Annahme, diese Realität sei prinzipiell von Fiktion unterscheidbar, und zum anderen gegen die Globalisierung als einzig legitime Erzählung.

Die Frage nach dem Verhältnis von Faktualität und Fiktionalität wird in der Dilogie also an zentraler Stelle verhandelt, und es geht dabei weniger darum, eine Reportage über die Globalisierung zu produzieren, als vielmehr die (mediale) Konstruiertheit der Realität und ihre Wahrnehmung als Erzählung zu analysieren. Der Begriff der ›Erzählung‹ wird im Folgenden genauer analysiert, indem exemplarisch die comicspezifischen Formen, die eine Erzählung konstruieren, Panelübergänge und das Text-Bild-Verhältnis, untersucht werden.

Gegen die Erzählung erzählen: Panelübergänge und Text-Bild-Verhältnis

Zunächst lässt sich feststellen, dass die in Zapata formulierte »envie de résistance« auch Konsequenzen für die in der Dilogie entworfene Erzählung zeitigt, die sich – aus Leser_innenperspektive – ebenfalls als ›widerständig‹ erweist. Dem abstrakten Thema (›réalité dessinée‹, d. h. konstruierte Realität) und dem politischen Anspruch (»résistance«) gemäß widersetzen sich die Comics einer gängigen Erzählstruktur, wie sie beispielsweise Thierry Groensteen vorschlägt:

Le propre du récit […] est qu’il comporte néce­ssairement un début et une fin, ou, pour le dire autrement, un élément de progressivité de l’action, d’évolution d’une situation donné, d’un état A à un état B.11 (Groensteen, 22)

Die Titel beider Bände – für sich genommen zunächst rätselhaft – erweisen sich in diesem Sinne als aufschlussreich; sie werden nicht in den Comics, sondern nur in den Umschlagtexten genannt:

Il y a, au Mexique, un village dont le nom a été oublié par les cartes de voyage. Les paysans qui l’habitent disent qu’il s’appelle Garduno, en temps de paix … et Zapata, en temps de guerre.12

Dieser Text ist insofern als programmatisch zu verstehen, als er wie der Anfang einer Erzählung formuliert ist, die jedoch in den Bänden nicht weitergeführt wird. So fungiert diese Erläuterung zugleich in elliptischer, indirekter Form als Erklärung, denn sie konstruiert eine utopische – und damit fiktionale – Verortung dessen, was wir lesen werden, einen Ort, dessen Name auf keiner Karte verzeichnet ist und der damit zum (fiktiven) Ort des Widerstands wird. Dieser Widerstand ist, da die auf dem Umschlag begonnene Geschichte nicht wieder aufgegriffen wird, auch gegen die Erzählung gerichtet.

Diese Verweigerung einer einfachen Erzählkontinuität13 weist auf eine grundlegende »crise narrative« hin, die Orselli/Sohet für diesen wie auch andere Reportagecomics diagnostizieren:

les véritables grands reportages sont ceux qui portent en eux cette révélation d’une crise narrative. Dans l’œuvre de grand reportage se jouent des éléments primordiaux de notre époque: notre rapport au monde dans sa dimension géopolitique, notre rapport à l’autre souffrant. Comment dire pour l’autre ou comment rapporter sa parole et sa douleur dans la lourde concurrence de la sphère médiatique comme matrice de représentations du monde?14 (Orselli/Sohet, n. pag.)

Die Unmöglichkeit, geradlinig und kontinuierlich zu erzählen, läge mithin bereits im Gegenstand der Reportagecomics, die das Verhältnis zum ›Anderen‹ als Subalternem, Marginalisiertem und Unterdrücktem problematisieren und die Frage aufwerfen, wie man überhaupt von und für diesen ›Anderen‹ sprechen kann. Insbesondere die ›mediale Sphäre als Matrix der Repräsentation der Welt‹ spielt eine zentrale Rolle in der Dilogie, und strukturell findet die »crise narrative« (ebd.) darin Ausdruck, dass sie die Kontinuität der Erzählung verweigert und stattdessen die globalisierte, neoliberale Realität selbst als Erzählung begreift. Damit unternimmt die Dilogie eine Analyse dieser Repräsentation von Realität (»qui dessine notre réalité?«) und konstruiert zugleich eine eigene diskontinuierliche Erzählung. Die Verweigerung der kontinuierlichen Erzählung kann in diesem Sinne genau als die Artikulation der »resistance« verstanden werden, welche die Dilogie als Anliegen formuliert. Sie wird anhand zweier comicspezifischer Mittel, der Panelübergänge und des Text-Bild-Verhältnisses, deutlich, die prinzipiell für die Konstruktion eines Handlungsablaufs verantwortlich sind.

Abb. 3: Garduno (Squarzoni, 15).

In Bezug auf die Panelübergänge lässt sich in einer ersten Annäherung, wie auch Orselli/Sohet bemerken, vor allem eine fehlende narrative Linearität feststellen:15

Pourtant, l’absence de linéarité est bien à l’image des errances du personnage-narrateur régulièrement représenté en déambulation (dans la rue ou un supermarché).16 (Orselli/Sohet, n. pag.)

Hier (Abb. 3) wird eine sich in Variationen mehrfach wiederholende Sequenz, Squarzonis gedankenverlorene Wanderungen durch seine Heimatstadt Lyon, mit den anscheinend ziellosen und zeitlich unbestimmten Assoziationen und Digressionen als narrativem Muster parallelisiert.

Innerhalb dieses Musters, das von der Logik der Gedanken des Erzählers geprägt ist, lassen sich verschiedene Arten von Sequenzen feststellen, bei denen man – provisorisch – zwischen solchen unterscheiden kann, die auf Aktivitäten der Figur Squarzoni, und jenen, die auf Gedanken des Erzählers Squarzoni bezogen sind. Erstere kommen, einer linguistischen Beschreibung von Texttypen folgend, in zwei Varianten vor: als deskriptive Sequenzen und narrative Passagen. Deskriptive Texttypen zeichnen sich dadurch aus, dass der »Sprecher den Blick auf ihre Position [der Gegenstände und Sachverhalte] […] im Raum« richtet (Werlich, 38). So lassen sich etwa solche Sequenzen fassen, die Spaziergänge, Telefonate oder Gespräche darstellen. Die zweite Variante, die tendenziell narrativen Passagen, stellen die Gegenstände und Sachverhalte »durch ihre Position im Zeitkontinuum (durch Narration)« (ebd.) dar – übertragen auf das Medium ›Comic‹: Die entsprechenden Panels konstruieren auch auf visueller Ebene eine Abfolge von Handlungen und damit eine Erzählkontinuität.

Abb. 4: Garduno (Squarzoni, 14).

In den Sequenzen wiederum, die sich auf Gedanken des Erzählers Squarzoni beziehen, geht es um verschiedene Situationen, Bilder und Assoziationen im Zusammenhang mit dem übergreifenden Thema der Globalisierung. Aus textlinguistischer Perspektive entsprechen diese Sequenzen einer »Kommunikation über begriffliche Vorstellungen der Sprecher (Konzepte), die aufgrund von Wahrnehmungen in Raum und Zeit gebildet wurden« (Werlich, 38). Hier lässt sich unterscheiden zwischen dem Modus der Exposition, wenn es um die Zusammensetzung der Konzepte »durch Analyse und/oder Synthese« (ebd.) geht, und dem der Argumentation, wenn es sich um die Relationen zwischen den Konzepten handelt.

Abb. 5: Zapata (Squarzoni, 24).

In der Dilogie zeigen sich diese beiden Modi der Präsentation von Gedanken in jenen Sequenzen, die nur auf Textebene Kontinuität konstruieren, wohingegen die Bilder keine zeitliche Abfolge bilden, sondern einen bestimmten Aspekt des Textes bildlich umsetzen. Als Beispiel für Letzteres – im argumentativen Modus – kann jene Sequenz gelten, in der Squarzoni anhand einer Postkarte, welche die ›Kunst des Kakaos‹ in euphemistischer Weise unter Aussparung des Leids der amerikanischen Indios illustriert, und dabei die Konzepte von Kolonisation, neutralisierter Geschichte und Konsum analysiert (Abb. 4). Auf visueller Ebene entsprechen die Panelübergänge in dieser thematischen Sequenz am ehesten der Kategorie »Von Gesichtspunkt zu Gesichtspunkt« (McCloud, 80), die sich dadurch auszeichnet, dass der »Blick über verschiedene Aspekte eines Ortes, einer Idee oder einer Stimmung schweif[t]« (ebd.). In diesem Fall allerdings sind die »Gesichtspunkte« über mehrere Jahrhunderte verteilt und bilden keine zeitliche Kontinuität, sondern sind eher argumentativ miteinander verbunden. Eine weitere Verwendung dieser Art von Panel­übergang lässt sich auch in der Darstellung von ATTAC-Versammlungen finden, bei der eher der Raum als die Zeit die Darstellung strukturiert und die damit dem deskriptiven Modus entspricht (Abb. 5). 

Abb. 6: Zapata (Squarzoni, 6).

In anderen thematischen Sequenzen wiederum herrschen Panelübergänge »Von Augenblick zu Augenblick« (McCloud, 78) vor. Dies ist vorwiegend in dialogischen oder monologischen Sequenzen der Fall, in denen sich Deskription und Narration verbinden und einen langsamen Erzählrhythmus bilden (Abb. 6). Eine dritte Variante »Von Handlung zu Handlung« (ebd.) ist McCloud zufolge in den meisten Comics vorherrschend. Diese Variante findet sich in den genuin narrativen Sequenzen der Dilogie, wie beispielsweise den Reiseberichten aus Kroatien und Mexiko, ist jedoch in Garduno schon sehr selten und kommt in Zapata schließlich kaum mehr vor (Abb. 7). Mit Hilfe der textlinguistischen Beschreibung der Texttypen, welche die einzelnen Sequenzen konstruieren, zeigt sich, dass innerhalb der Dilogie die Narration keineswegs – wie McCloud zufolge sonst in den meisten Comics – vorherrschend ist, sondern dass eine Vielzahl weiterer ›Texttypen‹ in Erscheinung tritt.

Abb. 7: Garduno (Squarzoni, 70).

Auch die Anordnung dieser Panelsequenzen untereinander entwirft insgesamt keine sequentielle Abfolge von Handlungen, sondern ist der assoziativen Logik der Gedanken unterworfen. Diese springen in der Zeit vor und zurück, ohne dass die Anachronien explizit markiert würden. So kann man über weite Strecken auf Grundlage von McClouds Kategorisierung Panelübergänge zwischen den verschiedenen Sequenzen feststellen, die vor allem auf der Bildebene immer wieder von Paralogien geprägt sind, einem Übergang, der »keinerlei logischen Bezug zwischen den Panels herstellt« (McCloud, 80) – zumindest keinen Bezug, der auf den ersten Blick zu erfassen wäre und zeitliche Kontinuität suggeriert (Abb. 8).

Abb. 8: Garduno (Squarzoni, 28).

Damit sind also sehr häufig solche ›seltenen‹, wenig narrativen Panelübergänge zu finden:17

Bei der fünften Kategorie [von Gesichtspunkt zu Gesichtspunkt] ›geschieht‹ gemäß Definition überhaupt nichts! Und Paralogien haben natürlich gar nichts mit Ereignissen oder sonstigen narrativen Absichten am Hut. (McCloud, 85)

Die Panelübergänge in der Dilogie schaffen einen Erzählrhythmus, der einer kontinuierlichen Erzählung entgegenwirkt.

Weitere Darstellungsformen, die ebenfalls auf der Ebene der Panelübergänge operieren und auch einer Erzählung entgegenstehen, sind die Wiederholung (über verschiedene Sequenzen hinweg) und die Deklination von Bildern (meist innerhalb von Sequenzen; vgl. Groensteen, 106). Die Wiederholung zeigt sich in dem Panel der gefesselten Hände, das mehrfach auftaucht – medial variiert als Zeichnung, Foto oder inhaltlich variiert als gefesselte Füße, wobei es nie in eine narrative Sequenz eingebunden ist, sondern immer in konzeptueller, expositiver Weise verstanden werden muss (Abb. 9). Durch den Bezug zu unterschiedlichen Sequenzen werden neue Bedeutungskontexte geschaffen: Das Konzept der ›Gefesseltheit‹ wird dabei als Teil des jeweils zur Debatte stehenden Konzepts von Unterdrückung – z. B. in Form der Kolonisation – analysiert.

Abb. 9: Garduno (Squarzoni, 15).

Für das Verfahren der ›Deklination‹, unter dem Groensteen mehrere Panels versteht, »where an identical motif is submitted to different stylistic treatments« (Groensteen, 106), kann beispielhaft die Panelfolge gelten, in der Passanten eine Zapatisten-Maske übergezogen, dann Handys ans Ohr gehalten und schließlich überfüllte Supermarktregale an die Seite gestellt werden (Abb. 10). Diese Artefakte (Handys, Zapatisten-Maske, Supermarktregale), mittels derer eine ›faktuale‹ Darstellung (Passanten auf der Straße) in fiktionalen Kasus ›dekliniert‹ wird, stehen metonymisch für verschiedene mögliche Subjektivitäten: als Produkt oder Objekt medialer Konfigurationen, als Konsument, als Verkörperung von Widerstand. Diese Deklination ›stört‹ die Erzählkontinuität zugunsten der Exposition eines politischen Konzepts, das die Möglichkeiten politischen Handelns dem ›normalen‹ Agieren im öffentlichen Raum gegenüberstellt.

Abb. 10: Garduno (Squarzoni, 91).

Ein zweiter Aspekt comicspezifischer Narration, auf Panelebene, besteht in der Unterscheidung von »Zeigen und Erklären« (McCloud, 146), also der Bild- und Textebene. Orselli/Sohet, die diese Differenzierung mit ›Zeigen und Erzählen‹ noch deutlicher fassen, diagnostizieren für den Reportagecomic prinzipiell die Möglichkeit der Nicht-Narrativität der Bilder:

La tentation du ›dessin non-narratif‹ guette la bande dessinée de grand reportage et ce n’est pas sans raison que le discours verbal y prend souvent le pas sur l’expression iconique. Les tentatives révèlent ce dilemme qui les traversent et les travaille, celui qui existe entre montrer et raconter, la ten­sion entre une description productrice de référentialité et la narration nécessaire à la transmission de l’expérience et de l’événement.18 (Orselli/Sohet, n. pag.)

Das hier implizierte Konzept des »dessin narratif« ist Groensteen zufolge dem Medium ›Comic‹ wesentlich und zeichnet sich durch verschiedene Eigenschaften aus: anthropocentrism, synecdochic simplification, typification, expressivity und rhetorical convergence (vgl. Groensteen, 161f.). Insgesamt ist es von der Konvergenz von Zeigen und Erzählen geprägt:

For the narrative drawing, showing and telling are one and the same thing. The narrative drawing does not return to a referent, but goes straight­away to being a signified. (ebd., 163)

Im Reportagecomic finden sich jedoch aufgrund der faktualen Anteile auch »dessins non-narratifs« (Orselli/Sohet, n. pag.), die aus der Spannung zwischen der Beschreibung (Zeigen) und der Vermittlung des Ereignisses (Erzählen) resultieren, wobei die ›Narration‹ sich tendenziell in den Text hinein verlagert (vgl. ebd.). Dieses Spannungsverhältnis und die Vorherrschaft des Textes lassen sich auch in Bezug auf Squarzonis Dilogie feststellen. Zwar ist das Text-Bild-Verhältnis darin variabel, insgesamt erweist dieses sich aber häufig als textlastig (vgl. McCloud, 161). Dies trifft insbesondere für die expositiven und argumentativen Sequenzen zu, in denen die Bilder keine Handlungsabfolge bilden, sondern Kohärenz lediglich über den Text erzeugt wird.

Abb. 11: Zapata (Squarzoni, 74).

Aber auch in den eher deskriptiven und narrativen – z. B. autobiografisch geprägten – Sequenzen finden sich Beispiele von Textlas­tigkeit, so in den langen Monologen, in denen nur der Sprecher zu sehen ist,19 oder auch in der Sequenz eines Telefonats, bei dem die Figur Squarzoni ihre Gedanken zum Zusammenbruch des Sozialismus in Russland und zu der Integration des Landes in das globalisierte Wirtschaftssystem äußert. In diesen Fällen trägt das Bild lediglich die Kommunikationssituation bei bzw. liefert den Anlass für den Text und funktioniert auf visueller Ebene deskriptiv.

Abb. 12: Garduno (Squarzoni, 30f.).

Insbesondere in den expositiven und argumentativen Sequenzen sind zugleich häufig solche Verbindungen anzutreffen, die McCloud als »parallele Verbindung« zwischen Text und Bild bezeichnet, in der die Inhalte voneinander abweichen, um »völlig unterschiedliche Richtungen zu nehmen, ohne sich zu überschneiden« (McCloud, 162; vgl. Abb. 11). Diese Abweichung von Bild- und Textebene wird besonders deutlich in einer Sequenz, die ein Gespräch Squarzonis mit seinem Vater, einem Wirtschaftsprofessor auf La Réunion, beschreibt. Darin geht es im Text um die neoliberale Neuordnung der Welt und in den Bildern um postkartenhafte Insel-Ansichten. Die im Text-Bild-Verhältnis evozierte Parallelität lässt sich unterschiedlich interpretieren: als Kontrast zwischen den ›monströsen‹ Fakten und dem Idyll der Bilder, mitunter auch als bildliche Umsetzung eines bestimmten Begriffs im Text – z. B. »patrimoine« (Abb. 12) – wobei das abgebildete Chamäleon auf das Naturerbe verweisen könnte. Aber auch diese homogenisierenden Lesarten werden durch Bilder unterbrochen, die in ganz anderer, z. B. symbolischer Weise funktionieren. Das Panel in Abb. 13 zeigt Rockefeller als Repräsentanten der Wirtschaftsmacht, der die Politik – dargestellt durch ein Weißes Haus in Miniatur in seiner Hand – nach eigenem Gutdünken einsetzt. Auch der Erzählertext legt diese Interpretation nahe. Das folgende Panel zeigt wiederum ein Haus, lässt sich aber nicht eindeutig ›lesen‹: Geht es um den Verfall des Hauses? Ist es das Haus, in dem Squarzoni aufgewachsen ist, und insofern ein autobiografischer Einschub? Oder symbolisiert sein Verfall die den privaten Interessen unterlegenen Interessen der Bevölkerung, von denen im Text die Rede ist?

Abb. 13: Garduno (Squarzoni, 31).

Insgesamt werden insbesondere in den expositiven und argumentativen Sequenzen die Text- und Bildebene in einer Weise aufeinander bezogen, die eher assoziativ als narrativ ist. Dies ergibt sich, wie McCloud vorschlägt, aus der Textlastigkeit: »Wenn hingegen bereits der Text den ›Inhalt‹ einer Sequenz umreißt, dann stehen den Bildern alle Türen offen.« (McCloud, 167) Squarzoni nutzt diese ›offenen Türen‹ vor allem in den expositiven Sequenzen, die etwa die mediale Formierung der Realität beschreiben, um Bilder in freier Assoziation zu den Texten zu fügen und so einerseits zum Entziffern der Bilder einzuladen und andererseits die Schwierigkeit der Entzifferung ›der‹ Realität selbst bildlich darzustellen (Abb. 14).

Abb. 14: Garduno (Squarzoni, 46).

Vor dem Hintergrund der Feststellung, dass die Bilder dem Text oft untergeordnet zu sein scheinen, stellt sich dennoch die Frage, welche Art von Bildern Squarzoni jenseits des comicspezifischen ›dessin narratif‹ verwendet und welche Funktionen ihnen in der Dilogie zukommen. In vielen Fällen wird die assoziative Logik der Panelübergänge auch auf der Bildebene umgesetzt, indem Bilder als Metapher (wenn sie einen Aspekt der ›gemeinten‹ Bedeutung in einen anderen Bildbereich übersetzen) und Metonymie (wenn sie das Bild als einen Teil für das Ganze präsentieren) funktionieren. Als Metonymie ließe sich beispielsweise ein Panel begreifen, in dem ein Supermarkt den westlichen Lebenswandel oder das westliche Konsumverhalten im Ganzen bildlich umsetzt (vgl. Z, 72). Metaphern in piktoralen Darstellungen lassen sich ähnlich wie sprachliche Metaphern beschreiben, nämlich als »Repräsentation-als«, die

einem identifizierbaren Motiv […] auf buchstäblicher Ebene ein mindestens überraschendes, wenn nicht ›eklatant falsches‹ Attribut zu[ordnet], doch so, dass wir eine solche Zuschreibung in vielen Fällen nicht einfach als grotesken Unfug abtun, sondern gerade durch diese spezifische Darstellungweise motiviert werden, ›a gemäß den Attributen von b zu sehen‹. (Majetschak, 246)

Ein Beispiel für metaphorische Darstellungen stellt ein Schulbuch dar, das die französische Kolonisation aus der imperialistischen Sicht der Kolonialmacht behandelt (Abb. 15). Es wird – wenig subtil – als ›Fraß‹ in Form eines Hamburgers präsentiert, mit dem die französischen Schüler_innen gefüttert werden. Interessant ist dabei die Frage, ob eine solche Darstellung bereits ein Fiktionalitätsmerkmal darstellt, ob also durch diese Übertragung von einem Bildbereich auf einen anderen ein Grad von Fiktionalität in die Erzählung eingeführt wird. Als Beispiel, in dem die Metaphorik fiktionalisierend wirkt, lassen sich die Sequenzen anführen, in denen Squarzoni u. a. Bill Gates eine Torte ins Gesicht wirft (Abb. 16). Als Zitat einer klischeehaften Slapstick-Nummer ist die Sequenz fiktiv und funktioniert zugleich als Metapher, weil gerade die Abgedroschenheit des Bildes einen Ausdruck der Geringschätzung darstellt.

Abb. 15: Garduno (Squarzoni, 17).

In wiederum metonymischer Weise funktionieren jene Bilder, in denen Squarzoni direkt die Gemachtheit von Realität ›abzubilden‹ versucht. Sie verweisen zwar auf den Text, aber auf einer hohen Abstraktionsebene, und eher auf die mediale Formierung der Realität als die ›Realität‹ selbst. Dies ist der Fall, wenn im Panel das im Text thematisierte Informationsmonopol der Industrienationen mit gigantischen Satellitenschüsseln illustriert wird (vgl. G, 40); oder in jenen Panels, in denen Bilder aus Werbung, Nachrichten und dem Fernsehen stellvertretend für die Manipulation der Medien und ihr ›Wahrheitsmonopol‹ stehen (Abb. 17). Die Dilogie umkreist so auch in ihrer Bildlichkeit immer wieder das Problem der Darstellbarkeit der Globalisierungserzählung, die nur mit Hilfe einer Vielzahl visueller Strategien repräsentierbar, analysierbar und zugleich immer nur als medial vermittelt greifbar ist. Diese Verfahren stehen dabei zugleich der Erzählkontinuität ›im Weg‹ und sind als Voraussetzung für die kritische Analyse zu betrachten.

Abb. 16: Garduno (Squarzoni, 95).

Die Störung der Erzählkontinuität mit comicspezifischen Mitteln (Panelübergänge und Text-Bild-Verhältnis) ließe sich demnach als Strategie der ›résistance‹ verstehen, die der kontinuierlichen Erzählung der Globalisierung entgegenwirkt und sie durch metonymische, metaphorische und vor allem expositive oder argumentative Verfahren und Sequenzen zu durchbrechen versucht.

 

Abb. 17: Garduno (Squarzoni, 41).

Metamediale Strategien – Remediation

Auf den ersten Blick sind Squarzonis Comics recht ›konventionell‹, wie auch Orselli/Sohet in Bezug auf Garduno feststellen: meist gleichförmige Panels mit schwarzem Rand, keine ›Übertretungen‹ des Rahmens, nichts, was zunächst auf eine Reflexion des Mediums ›Comic‹ selbst hinzudeutet.20 Allerdings werden wiederholt Reflexionen von Medialität ins Bild gesetzt, beispielsweise in der essay­istischen Eröffnung von Garduno, in der die Begriffe »occupé« und »libre« (G, 7f.) anhand verschiedener medialer Umsetzungen reflektiert werden. Der Comic setzt hier Symbole als konventionelle Zeichen ins Bild und hinterfragt damit ihre politische Aussagekraft, wenn er in zwei aufeinanderfolgenden Panels Che Guevara zeigt, einmal auf einem Foto, das den toten Guerillero zeigt, versehen mit dem Adjektiv »libre«, und dann als massenmedial vereinnahmtes Bild auf dem Cover des Spiegels, auf einem T-Shirt der Band Rage Against the Machine oder auf einer kubanischen Briefmarke, versehen mit dem Attribut »occupé« (Abb. 18). Hier lassen sich verschiedene Lesarten differenzieren: Zum einen geht es um Medialität, und Che könnte deshalb als »libre« bezeichnet worden sein, weil es sich um ein Foto handelt, das indexikalisch auf den ›realen‹ Che und sein politisches Projekt verweist – im Gegensatz zu seiner (massen-)medialen Vereinnahmung durch den Spiegel oder die Popkultur. Ein zweiter Aspekt betrifft den Inhalt des Bildes, das den toten Che mit den Zeichen seines politischen Einsatzes auf dem Körper zeigt (als Symbol einer gescheiterten Utopie) – im Gegensatz zu dem bekannteren Bild, das ihn, wiederum auf einem Foto von Alberto Korda basierend, als erfolgreichen Revolutionär zeigt. Und schließlich ist auch die Position Squarzonis, der geradezu umzingelt von beiden Che-Darstellungen ist, in der Anordnung dieser drei Panels interessant: Seine Blickrichtung entspricht der des lebendigen Che, seine Körperhaltung (liegend im Bett) entspricht der des toten, aber »freien« Che. Neben der möglichen ideologischen Implikationen wird hier ›Medialität‹ thematisiert und dient so als Hinführung zu dem in der Dilogie zentralen Thema der medialen Formierung der Realität.

Abb. 18: Garduno (Squarzoni, 8).

Diese Eröffnungssequenz verweist auf den wohl wichtigsten Rekurs Squarzonis, das Einbeziehen anderer Medien: Fotos, Filme, Gemälde, Werbeplakate, technische Grafiken oder Satellitenbilder. Der Rückgriff auf vorhergehende mediale Darstellungen, insbesondere die Fotografie, ist Orselli/Sohet zufolge ein gängiges Verfahren bei Reportagen, das jedoch nicht folgenlos für die Gestaltung der Narration bleibt, denn die Zeitlichkeit der Fotografie ist grundlegend anders als die der Zeichnungen, selbst wenn sie in die Sequenz des Comics integriert ist:

les photos ont donc tendance à s’extraire du déroule­ment diégètique et s’offrir comme ­moments de pause, de contemplation dans le ­récit. Elles opèrent une césure.21 (Orselli/Sohet, n. pag.)

Die Fotos verweisen also ›direkter‹ auf die Realität als die ›dessins narratifs‹ (vgl. Groen­steen, 161f.) und fungieren durch den Verweis als Pause innerhalb der Erzählung. Ob sich diese Behauptung für die Art und Weise, in der Squarzonis Comics auf dokumentarisches Material zurückgreifen, aufrechterhalten lässt, ist allerdings fraglich und soll mit einem Blick auf das Verhältnis von Fiktionalität und Faktualität geklärt werden.

Abb. 19: Garduno (Squarzoni, 108).

Den Fotos kommt nämlich noch eine weitere Bedeutung, die sich als Strategie der Authentifizierung formulieren lässt: »assurer leur prétention à la véridicité.«22 (Orselli/Sohet, n. pag.) Allerdings, so Orselli/Sohet weiter, wird der fotografische Ursprung der Bilder oft unter einer grafischen Integration in die Comic-Erzählung maskiert, »afin de faciliter la continuité de la fiction«23 (ebd.), die damit homogenisiert wird. Die Möglichkeit, die Fotografie nicht zu maskieren, sondern als Fotos in den Comic-Diskurs aufzunehmen, verbinden sie mit einer Erhöhung des Realitätsbezuges: »la nature intrinsèque de la photographie comme trace indicielle du réel pourrait contribuer à valider le reportage.«24 (ebd.) Demzufolge böte der indexikalische Charakter des Fotos eine Möglichkeit zur Authentifizierung dessen, was erzählt wird. Dies wird allerdings von Squarzonis Comics insofern in Frage gestellt, als die in die Panelsequenzen montierten Fotos oft verzerrt oder verschwommen und damit nur schlecht entzifferbar sind und folglich nicht transparent auf die Realität referieren. Zudem konfrontiert er ein Foto mindestens zweimal unmittelbar mit einer zeichnerischen Bearbeitung, womit sein Charakter als ›dokumentarisches Material‹ wenn auch nicht getilgt, so doch zumindest in Frage gestellt wird (Abb. 19). Bei dieser Sequenzialisierung ist es die grafische Kopie, die gegenüber der verzerrten Fotografie durch ihre schematische Vereinfachung leichter entzifferbar ist. Die Fotografien werden gerade nicht als »trace indicielle du réel« (ebd.) genutzt, sondern im Gegenteil wird ihr privilegierter Zugriff auf die Realität in Frage gestellt: Die Fotografie konstruiert folglich die Realität auf dieselbe Art, wie es alle Medien tun, auch der Comic. In dieser Weise stellt sich Squarzonis Umgang mit dem fotografischen Dokument hier als gerade nicht homogenisierend und nicht authentifizierend dar. Tatsächlich verwendet er durchaus Fotos als Vorlagen für seine Panels, ohne diese jedoch zu ›maskieren‹, d. h. er verwendet sie selten in dem Sinne, den Groensteen »prographic« (41) nennt. Indem die Fotos neben die darauf basierende Zeichnung gestellt werden, zielen seine Comics nicht auf die ungestörte Erzählkontinuität ab, sondern loten die Möglichkeiten aus, inwiefern Realität überhaupt repräsentierbar ist.

Die Strategien, die hierbei zum Einsatz kommen und sich auf vorgängige – nicht nur fotografische – mediale Repräsentationen beziehen, lassen sich genauer mit dem Begriff der ›remediation‹ beschreiben. Dieses Konzept von Jay David Bolter und Richard Grusin meint das Verhältnis von Medien zueinander, das als »representation of one medium in another medium« (Bolter/Grusin, 45) gefasst wird und das zugleich jeder medialen Repräsentation inhärent ist:

each act of mediation depends on other acts of mediation. Media are continually commenting on, reproducing, and replacing each other, and this process is integral to media. (ebd., 55)

Die Wirkungen dieser Remediation gehen in zwei gegensätzliche Richtungen: »hypermediacy« und »immediacy« (ebd., 5), die Insistenz und Vervielfältigung der Medialität einerseits sowie der Versuch, die Medialität unsichtbar zu machen, andererseits. Bolter/Grusin betonen aber:

Hypermedia and transparent media are opposite manifestations of the same desire: the desire to get past the limits of representation and to achieve the real. (ebd., 53)

Im Fall von Garduno und Zapata findet sich neben den Fotografien eine Vielzahl weiterer Remediationen: So werden populärkulturelle Figuren und Repräsentationen (Darth Vader aus star wars, Hollywood-Filme, Werbung, Nachrichtensendungen, Unterhaltungsshows etc.) remedialisiert. Sie werden dabei meist einer Analyse oder Neubesetzung unterzogen und damit für eine politische Aussage eingesetzt, die ihrer ursprünglichen Bedeutung zuwiderläuft. Zu expositiven Zwecken werden beispielsweise eine Nachrichtensendung zum Ersten Golfkrieg und eine Unterhaltungsshow (Qui veut gagner des millions? – die französische Fassung von Wer wird Millionär?) dargestellt, um die manipulativen Funktionen des Fernsehen herauszustellen (vgl. G, 40). Eine eher ironisierende Neubesetzung, die argumentativ operiert, zeigt sich wiederum, wenn sich Squarzoni in einer Reihe mit populären Film-›Schurken‹ abbildet, sich also aufgrund seines ›falschen‹ Konsumverhaltens, um das es an dieser Stelle geht, mit dem ›absolut Bösen‹, das die Figuren jeweils verkörpern, gleichsetzt (Abb. 20). Vor diesem Hintergrund ist das Ende der Dilogie – wenn auch überraschend – durchaus konsequent, denn es gründet sich wiederum auf eine Remediation: Master Yoda aus star wars materialisiert sich in Squarzonis Wohnzimmer und steht trotz seiner popkulturellen und ›imperialistischen‹ Herkunft auf der ›richtigen‹ Seite im politischen Kampf um die Zukunft (vgl. Z, 176).

Abb. 20: Garduno (Squarzoni, 27).

Chaplins modern times (1936) ist eine weitere Remediation, die in beiden Bänden vorkommt, und stellt einen Rekurs auf Bilder des kollektiven Gedächtnisses dar, die mit wirtschaftlicher Modernisierung, Industrialisierung und Technisierung, aber auch der Unterwerfung des Subjekts unter eben diese Prozesse verbunden sind. In diesem Fall handelt es sich weniger um eine Neubesetzung als vielmehr um die Fortschreibung einer bereits existenten Bedeutung und damit um ein expositives Panel: die Kritik an der entfremdeten Arbeit in der modernen Wirtschaft, an die der Comic mehrere Jahrzehnte später anknüpft. 

Aus der Vielzahl und der Verschiedenartigkeit ergibt sich schließlich die Frage, welche Funktion die Remediation bei Squarzoni erfüllt und ob die in der Dilogie zu konstatierende »hypermediacy« (Bolter/Grusin, 5) dem Verlangen gehorcht, auf die Realität selbst zuzugreifen, wie Bolter/Grusin unterstellen. Hier könnte in der Tat ein inhärenter Widerspruch der Comics liegen, denn zum einen greift Squarzoni auf die Remediation zurück, um aufzudecken, dass unser Zugriff auf die Realität nicht unmittelbar, sondern vielfach vermittelt ist. Zum anderen aber scheint es genau das Ziel der Comics zu sein, mit der Strategie der Remediation das zu erfassen, was hinter der »hypermediacy« liegt und damit die »immediacy« (ebd., 5) anzustreben. Allerdings erweist sich, dass es kein ›Dahinter‹ gibt bzw. dass der Zugriff darauf nicht möglich ist: ›Die‹ Realität selbst erweist sich als Konstrukt. Dies zeigt sich vor allem in den bereits betrachteten Panels, die faktualen Sequenzen angehören und zunächst ›Authentizität‹ vermitteln, schließlich aber auch als ›gemachte‹ inszeniert werden. Auch Squarzonis eigene Position als Autor, Figur und Erzähler wird dekonstruiert, so dass selbst seine Autorschaft nicht als übergeordnete Position, als ›blinder Fleck‹ der Analyse erscheint, sondern als gleichermaßen ›hypermediatisiert‹.

Autobiografische Elemente: Das sprechende/handelnde/zeichnende Subjekt

Sowohl in Garduno als auch in Zapata sind die Ereignisse und Erkenntnisse einer autobiografischen Verortung unterworfen, die allerdings mit einer Autobiografie im Sinne Philippe Lejeunes nicht allzu viel gemeinsam hat:

[r]ückblickende Erzählung einer tatsächlichen Person über ihre eigene Existenz, wenn sie Nachdruck auf ihr persönliches Leben und insbesondere auf die Geschichte ihrer Persönlichkeit legt. (Lejeune, 14)

Dennoch kann man Lejeune auch zur Analyse des Autobiografischen bei Squarzoni hinzuziehen, weil auch dieser sich des autobiografischen Paktes bedient: »Der autobiografische Pakt ist die Behauptung dieser Identität [Autor/Erzähler/Protagonist] im Text, die letztlich auf den Namen des Autors auf dem Umschlag verweist.« (ebd., 27) Ein zentrales von Lejeune genanntes Problem ergibt sich allerdings im Fall des Comics zumeist nicht: die Frage, wer das ›Ich‹ ist, das hier spricht und handelt, denn Ann Miller erklärt:

[I]n the bande déssinée panel people or objects cannot be separated from their attributes, as they can in language (a drawn person is simultaneously both a person and a tall or short person), but selectivity is nonetheless a key source of a medium whose representational system is based on metonymy. (Miller, 245f.)

Bei aller schematischen Vereinfachung, die Squarzonis Zeichnungen ausmacht, ist er immer leicht wiedererkennbar, vor allem an der charakteristischen Form und Linie von Augenbrauen und Haaren. Insofern ist er als eine wiederkehrende Instanz zu betrachten, welche die Narration im Sinne Lejeunes als Autor, Protagonist und Erzähler trägt, die gewissermaßen auf visueller Ebene die Einheit des ›Ich‹ umsetzt. Damit wäre Lejeune zufolge die Möglichkeit der Fiktion ausgeschlossen – was sich allerdings in der Dilogie anders darstellt, wie etwa in der fiktiven Begegnung Squarzonis mit Bill Gates deutlich wird.

Was Squarzoni hier erzählt, ist jedoch weniger sein »persönliches Leben« und die »Geschichte seiner Persönlichkeit« (Lejeune, 14) als vielmehr seine Geschichte als ATTAC-Aktivist und als ›Amateur-Detektiv‹ (vgl. Ramonet, 4), die nur seine politische Biografie umfasst bzw. seine private Biografie als politische neu liest. In dieser Weise erhebt die Dilogie keinen Vollständigkeitsanspruch, sondern besteht bestenfalls aus selektiven ›Autobiographemen‹ (vgl. Barthes, 13), und zwar jenen, die für die Konstruktion seiner politischen Geschichte relevant sind.25

Es stellt sich deshalb die Frage nach der Funktion dieser ›Autobiographeme‹, wenn es nicht vordergründig um die Lebensgeschichte des Autors geht. Eine erste Funktion liege Orselli/Sohet zufolge in der Beglaubigung, die besonders in Bezug auf Squarzonis Reisen mit politischer Zielsetzung nach Kroatien und Mexiko zuzutreffen scheint.26

Eine zweite, wichtigere und eindeutige Funktion liegt in der autobiografischen Rückbindung der abstrakten Thematik, die Squarzoni mit einer persönlichen Frage und aus einer subjektiven Perspektive betrachtet, wenn er zu Beginn von Garduno fragt:

A quoi s’attaquer? Par où commencer? Par soi-même, ce serait déjà pas si mal. Voilà bien un ­domaine où les difficultés, et celui qui est en cause, sont concrets.27 (G, 10)

Zugleich erfüllen sie damit auch eine politische Funktion, denn in ihnen reflektiert Squarzoni sein eigenes Verhalten als Konsument, wie in jenem im Zusammenhang mit der Remediation analysierten Fall: Er hadert mit sich, weil er keinen Fairtrade-Kaffee, sondern noch immer seinen Kaffee im Supermarkt kauft – und stellt sich daher in eine Reihe mit Darth Vader und anderen ›Schurken‹. Die Widersprüche und Schwierigkeiten, die er exemplarisch an sich selbst in Szene setzt, sind hierbei als stellvertretend für ein politisches Subjekt zu lesen, das beständig wider besseres Wissen handelt, woran auch deutlich wird, dass politisches Handeln nicht allein eine Frage der Information ist.28

Zugleich impliziert gerade die autobiografische Verortung immer auch die gegenteilige Bewegung zu der von Orselli/Sohelli behaupteten Authentifizierung, nämlich eine Fiktionalisierung:

In der autobiographietheoretischen Diskussion ist gerade das Problem, wie der Autobiograph sein Material ordnet, als Einbruchstelle der Fiktion gesehen worden. (Wagner-Egelhaaf, 92)

Diese Feststellung schließt an die Gemachtheit der Bilder und Erzählweisen im Comic an (vgl. Grünewald), die notwendig eine subjektive Perspektive beinhalten. Martina Wagner-Egelhaafs Bemerkung geht darüber noch hinaus, wenn sie die Anordnung des Materials als einen per se fiktionalisierenden Mechanismus fasst. Bei Squarzoni zeigt sich diese Fiktionalisierung auch daran, dass auf bildlicher Ebene keine Unterscheidung zwischen der Darstellung von Gedanken und Handlungen vorzufinden ist, so dass nicht nur die Erzählkontinuität immer wieder unterbrochen wird, sondern auch empirische und gedankliche (und damit fiktive) Gegebenheiten gleichwertig nebeneinander stehen.

Abb. 21: Garduno (Squarzoni, 45).

Ein weiterer Aspekt der autobiografischen Narration in der Dilogie, der sich ebenfalls der Authentifizierung widersetzt, umfasst die Strategie der ironischen und metaleptischen Brechung. Squarzoni ist nicht nur Figur seiner autobiografisch motivierten Erzählung, sondern tritt zugleich auch als Autor in Erscheinung, indem er sich am Schreibtisch sitzend und zeichnend darstellt (Abb. 21). Dabei dient der Verweis auf die eigene Autorschaft u. a. der ironischen Distanzierung, wenn er von der Festnahme Pinochets in London und den Freudenfesten auf den Straßen Frankreichs erzählt und diese dann zweifach unterbricht: visuell durch ein Panel, das ihn als Zeichner zeigt, und textuell mit den ironischen Worten »je déconne« (Abb. 22).29 Dass er die Erzählung an dieser Stelle stört, ist insofern von Bedeutung, als er sich just hat verleiten lassen, eine hoffnungsvolle Gegenerzählung der Globalisierung zu formulieren – eine Unternehmung, die sich mit seinem dekonstruktiven Projekt nicht in Einklang bringen lässt und über die er sich schließlich selbst lustig macht.

Abb. 22: Zapata (Squarzoni, 43).

Diese Strategie der Selbstthematisierung und -distanzierung findet sich in einer weiteren Sequenz, die geradezu mustergültig eine Metalepse als Überschreitung eigentlich getrennter diegetischer Ebenen bildlich umsetzt:30 In dieser Panelsequenz stellt sich Squarzoni auf dem Bett sitzend in Gedanken über die Umverteilung von Reichtum dar (Abb. 23). In der folgenden Panelsequenz reproduziert er eben diese Darstellung als Hintergrund für eine ›Selbst-Reflexion‹ (Abb. 24). In diesem konkreten Fall, in dem er sich zuerst einem in nüchternen Zahlen formulierten Gedanken der Umverteilung hingibt, führt der Comic visuell eine zweite Realitätsebene ein, die diese einfache Lösung als ›unrealistisch‹ markiert: »Présenté comme ça, on se dit que les solutions sont à portée de main. Ce n’est pas l’argent qui manque.«31 (G, 93) Diese Distanzierung wird in einer Art Dreischritt immer weitergeführt: Im ersten Panel wird nur die vorherige Sequenz reproduziert, im zweiten kommt Squarzoni als Betrachter dieser Reproduktion und damit seiner ›eigenen‹ Gedanken hinzu, und im dritten Panel schließlich tritt auch dieser Squarzoni insofern aus der Darstellung heraus, als er den Blick aus dem Panel heraus auf die Leser_in richtet und damit eine weitere Ebene extradiegetischer Realität eröffnet. Diese zunehmende Distanzierung wird nur auf der visuellen Ebene dargestellt, die im Text keine Entsprechung findet. Die textuelle Ebene, die eine fiktive Lösung des Armutsproblems behandelt, wird paralogisch mit der bildlichen Darstellung alltäglicher Verrichtungen im Bad verbunden.

Abb. 23: Garduno (Squarzoni, 92).

Dieses Moment des Infragestellens von Identität korrespondiert mit jener Eigenschaft, die konstitutiv für den Comic allgemein ist:

The sense of continuing identity is precarious for any bande déssinée character, given that it is drawn anew in each panel. This very instability makes the medium peculiarly apt for the portrayal of the autobiographical self. The dialectic between iteration and transformation, on which the medium depends, may be compared to the simultaneous will-to-form and the desire for open-endedness. (Miller, 250)

Über die vier Erzählebenen, drei visuelle und eine textuelle, wird die von Miller genannte Dialektik von Wiederholung (»iteration«), die sich in der dreimaligen Wiederholung einer Panelsequenz zeigt, und Wandel (»transformation«), der in der Variation derselben Sequenz zum Ausdruck kommt, als Darstellung prekärer Identität umgesetzt. Durch die Textebene wird dieser Dialektik eine politische Wendung gegeben, während der Blick aus dem Panel hinaus auf die Leser_innen jenes »desire for open-endedness« in Szene zu setzen scheint: Die Leser_innen werden in eine Selbstreflexion und eine politische Erzählung einbezogen, die trotz aller nüchternen Analyse noch nicht abgeschlossen ist.

Abb. 24: Garduno (Squarzoni, 93).

Insgesamt stellt sich die Frage, welche Funktion diesen metaleptischen und ironischen Distanzierungen im Comic zukommt. Eine mögliche Antwort lässt sich in der Reflexion Genettes über Metalepsen finden:

Das Verwirrendste an der Metalepse liegt sicherlich in dieser inakzeptablen und doch so schwer abweisbaren Hypothese, wonach das Extradiegetische vielleicht immer schon diegetisch ist und der Erzähler und seine narrativen Adressaten, d.h. Sie und ich, vielleicht auch noch zu irgendeiner Erzählung gehören. (Genette 1998, 169)

Über die Metalepse wird zum einen die klare Trennung zwischen der Erzählung und dem, was außerhalb ihrer liegt, grundsätzlich in Frage gestellt, so dass auch diese Strategie letztlich darauf zielt, ›die‹ Realität als Erzählung zu entlarven und damit analysierbar und hinterfragbar zu machen. Zum anderen installiert sie das ›Ich‹ auf der Ebene von Figur, Erzähler und Autor als ein Ich der Erkenntnis, das jedoch nicht einheitlich ist, sondern als sich ständig neu ›(In-)formierendes‹, als mitunter gespaltenes und immer auch zu Reflektierendes darstellt. Auch wenn die explizit autobiografischen Sequenzen nur einen geringen Umfang ausmachen, so haben sie doch einen speziellen Wert für die Thematisierung der Globalisierung, der mit Wagner-Egelhaafs Autobiografie-Begriff korrespondiert:

Es geht in der Autobiographie niemals darum, wie es ›wirklich‹ gewesen ist, selbst wenn ein auto­biographisches Ich dies vermeint; es geht immer darum, was das eigene Leben für den Autobio­graphen/die Autobiographin im Prozess des Schreibens ist. Der Betrachter/die Betrachterin ist im Bild und ein Teil des Bildes. Und es sind die Bilder und d.h. auch die Schrift-Bilder, die es uns ermöglichen, ein Verhältnis zu uns selbst und zu unserem gelebten und weiter zu lebenden Leben zu gewinnen. In diesem Sinn ist das Medium, sind die Schrift und der Akt des Schreibens konstitutiv und vielleicht sogar ›authentisch‹. (Wagner-Egelhaaf, 97)

Das bedeutet, dass die autobiografische Erzählung über die zeitliche Distanz eine Differenz zwischen dem Moment des Erlebens und dem Moment des Schreibens einführt, die das ›Ich‹ als nicht identisch mit sich selbst konstituiert. Zugleich verschiebt Wagner-Egelhaaf damit den Begriff der ›Authentizität‹ im Sinne eines direkten Verweises auf etwas ›Reales‹ von der Referenzialität auf die Repräsentation. Zwar bezieht sie sich nicht direkt auf das Medium ›Comic‹, dennoch trifft die Begrifflichkeit ›Bild‹ recht genau die Dilogie Squarzonis. In Garduno wird eine Reflexion dieses verschobenen Authentizitätsbegriffs in Bezug auf das autobiografische Ich auch daran deutlich, dass Squarzoni sich in einigen Panels ohne Gesicht zeichnet und damit als ein ›Ich‹ darstellt, das nicht immer als klare Referenz auf eine extradiegetische Realität verweist. In wiederum anderen Panels ist sein Gesicht durch Schrift ersetzt, so dass er sich damit als durch Schrift und mithin als medial konstituiertes Subjekt präsentiert (Abb. 25). In diesem Sinne erweist sich die (Selbst-)Darstellung Squarzonis, dessen wiedererkennbares Gesicht Figur, Erzähl­instanz und Autorschaft auf visueller Ebene in sich vereint und als visuelles ›Ich‹ fungiert, als ebenso hypermediatisiert wie auch die Darstellung ›der‹ Wirklichkeit.

Abb. 25: Garduno (Squarzoni, 89).

Was die autobiografischen Sequenzen betrifft, lässt sich, wenn man Paul Ricœurs Auffassung von Erzählung hinzuzieht, eine letzte Schlussfolgerung ziehen. Ihm zufolge besteht eine Erzählung darin »zu sagen, wer was getan hat, wie und warum – indem man die Verknüpfung zwischen diesen Gesichtspunkten in der Zeit ausbreitet« (Ricœur, 181). Zugleich stellt er eine enge Verbindung zwischen Erzählung und Identität her:

Die Erzählung konstruiert die Identität der ­Figur, die man ihre narrative Identität nennen darf, ­indem sie die Identität der erzählten Geschichte konstruiert. Es ist die Identität der Geschichte, die die Identität der Figur bewirkt. (ebd., 182)

Der Umkehrschluss lässt sich auf die autobiografischen Anteile der Dilogie anwenden: Im Rahmen einer diskontinuierlichen Erzählung ist auch eine »narrative Identität« nur als diskontinuierliche möglich und dem politischen Anliegen angemessen.

Squarzonis Comics als Medium der Politik – im Sinne Rancières

Wie bis hierher gezeigt, fasst Squarzonis Dilogie die neoliberale Globalisierung weniger als ein zu lösendes politisches Problem innerhalb ›der‹ Realität, sondern vielmehr analysiert er die Realität selbst als neoliberale Erzählung. Durch die Verfahren der Remediation und der autobiografischen Verortung nimmt der Comic eine Neurahmung der medial konstruierten Realität vor, die gerade nicht auf die Transparenz und Unmittelbarkeit (»immediacy«; Bolter/Grusin, 5) abzielt, sondern darauf, den Blick auf den Rahmen selbst zu richten, in der Weise, wie Slavoj Žižek in Bezug auf den Begriff des Ereignisses vorschlägt:

In seiner grundlegendsten Definition ist ein Ereignis nicht etwas, das innerhalb der Welt geschieht, sondern es ist eine Veränderung des Rahmens, durch den wir die Welt wahrnehmen und uns in ihr bewegen. (Žižek, 16)

In derselben Weise geht es auch in der Dilogie weniger um die Darstellung der Globalisierung als Ereignis, das am Beginn einer Erzählung steht, sondern als Ereignis in dem von Žižek dargelegten Sinne, d. h. als veränderter Rahmen und die in ihm sichtbaren Formierungen von Wirklichkeit. Es bietet sich an, hier einen Zusammenhang mit dem comicspezifischen Begriff des frame herzustellen, der auch die Wahrnehmung der im Comic erzählten Welt strukturiert. Anders als im Film-frame dient der Comic-frame nicht der Extraktion aus einem Kontinuum:

the frame of a comics panel does not remove­ anything; it is contented to circumscribe. It ­delimits an area offered to the inscription of a drawing and, if need be, to verbal statements. (Groensteen, 40)

Wenn sich ein Comic-frame allerdings auf ein präexistentes Bild bezieht, beispielsweise ein fotografisches Dokument, wird eine Operation vollzogen, die derjenigen des Films ähnlich ist und die Groensteen als »Reframing« bezeichnet (ebd., 41). Angesichts der oben analysierten Remediationen als zentrale visuelle Strategie kann man die Dilogie selbst als ein Reframing, als Veränderung des Rahmens, d. h. der Möglichkeiten der Wahrnehmung und der Identifikation verstehen, innerhalb dessen die Globalisierung dargestellt wird. So lässt sich die Dilogie als eminent politische Unternehmung begreifen, die in enger Verbindung mit Jacques Rancières Begriff von Politik steht:

Politics is first of all a way of framing, among sensory data, a specific sphere of experience. It is a partition of the sensible, of the visible and the sayable, which allows (or does not allow) some specific data to appear; which allows or does not allow some specific subjects to designate them and speak about them. (Rancière 2004, 10)

Die bis hierhin untersuchten Verfahren in Squarzonis Dilogie zielen offenbar genau darauf ab, jene ›Aufteilung des Sinnlichen‹ sichtbar und sagbar zu machen und zwar innerhalb desjenigen Mediums, in dem Text und Bild in einer zumeist engen Verbindung miteinander stehen und das folglich die Artikulation des Sichtbaren und Sagbaren ermöglicht. Vor allem über die oben analysierten parallelen Text-Bild-Verbindungen, die oft assoziativ vorgehen und damit die visuellen und textuellen Aspekte des Sinnlichen neu verknüpfen, werden jene »specific data« zum Vorschein gebracht, die in der Repräsentation in den Medien ansonsten nicht sichtbar sind und nicht gesagt werden. In Rancières Terminologie gehorcht diese gängige mediale Repräsentation der Ordnung der ›Polizei‹, ein Begriff, den er von ›Politik‹ abgrenzt und folgendermaßen beschreibt:

Allgemein benennt man mit dem Namen der ­Politik die Gesamtheit der Vorgänge, durch welche sich die Vereinigung und die Übereinstimmung der Gemeinschaften, die Organisation der Mächte, die Verteilung der Plätze und Funktionen und das System der Legitimierung dieser Verteilung vollziehen. Ich schlage vor, dieser Verteilung und dem System dieser Legitimierungen einen ­anderen Namen zu geben. Ich schlage vor, sie Polizei zu nennen. (Rancière 2002, 39f.)

Die Politik wird im Gegensatz dazu als diejenige Tätigkeit gefasst, die diese Ordnung in Frage stellt:

diejenige, die die sinnliche Gestaltung zerbricht, wo die Teile und Anteile oder ihre Abwesenheit sich durch eine Annahme definieren, die darin per definitionem keinen Platz hat: die eines Anteils der Anteillosen. (ebd., 41)

Dies betrifft auch die Subjekte, die in der Dilogie zur Sprache kommen bzw. selbst sprechen und innerhalb des Comic-framing ›gehört‹ werden. Hier ließen sich, um nur ein Beispiel zu nennen, die Zapatisten in Mexiko erwähnen (vgl. G, 18), die zu politischen Subjekten werden, indem sie – in der Terminologie Rancières – ihre Nichtexistenz als ›Anteil der Anteillosen‹ in Frage stellen und die ›natürliche‹ Aufteilung des Sinnlichen neu verhandeln. Die Darstellung der Zapatisten in der Dilogie lässt sich beispielhaft für das fassen, was Rancière als »Subjektivierung« bezeichnet:

Jede Subjektivierung ist eine Ent-Identifizierung, das Losreißen von einem natürlichen Platz, die ­Eröffnung eines Subjektraums, in dem sich jeder dazuzählen kann, da es ein Raum einer Zählung der Ungezählten, eines In-Bezug-Setzens eines Anteils und der Abwesenheit eines Anteils ist. (Rancière 2002, 48)

Die ›Ent-Identifizierung‹ wie auch die ›Ungezähltheit‹ werden auf visueller Ebene durch die Masken der Zapatisten verdeutlicht, die damit als Individuen nicht mehr erkennbar sind, und auf textueller Ebene durch die Formulierung »nous sommes le produit de 500 ans de luttes« (Abb. 26). Die Zapatisten stehen hier folglich nicht für sich als Individuen, sondern eröffnen einen Subjektraum, »zu dem sich jeder dazuzählen kann« (Rancière 2002, 48). Das dritte Panel der Sequenz (Abb. 26) verdeutlicht zugleich, inwiefern es sich um eine politische Geste im Sinne Rancières handelt. Durch die Remediation eines Fernsehbildes des ersten öffentlichen Auftritts der Zapatisten beginnen sie nun, zu ›zählen‹: Der Raum, den sie damit eröffnen­ – durch das Fernsehbild, die Remediation und durch ihre spezifische Darstellung in Garduno insgesamt – ist damit der »einer Zählung der Ungezählten« (ebd.), in dem dieser neue Anteil an der Aufteilung des Sinnlichen zu seiner vormaligen Abwesenheit in Bezug gesetzt wird.

Abb. 26: Garduno (Squarzoni, 18).

Die Subjektivierung betrifft vor allem auch die autobiografischen Anteile des Comics, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die Logik der Gedanken die narrative Struktur beider Comics liefert. In politischer Hinsicht erzählen sie – im Sinne Rancières – die Geschichte von Squarzonis eigener Subjektivierung. Darin, dass Squarzoni sich immer auch als Aussagesubjekt thematisiert, liegt eine zentrale Übereinstimmung mit Rancières Politikbegriff:

Die Politik ist Sache der Subjekte oder vielmehr der Subjektivierungsweisen. Unter Subjektivierung wird man eine Reihe von Handlungen verstehen, die eine Instanz und eine Fähigkeit zur Aussage ­erzeugen, die nicht in einem gegebenen Erfahrungsfeld identifizierbar waren, deren Identifizierung also mit der Neuordnung des Erfahrungsfeldes einhergeht. (Rancière 2002, 47)

In diesem Sinne beinhaltet die autobiografische Ordnung des Materials in der Dilogie zugleich eine subjektive und auch alternative Ordnung der Zeit, wie sie Rancière mit der Subjektivierung der Zeit als Geste der Emanzipation vorschlägt: »[E]mancipation is in fact a way of putting several times into the same time, it is a way of living as equals in the world of inequality« (Rancière 2012, 31f.). Beispielhaft lässt sich dies auch an der Zeitlichkeit der Zapatisten zeigen, die ihr Lebensalter in Jahren des Widerstands gegen die Kolonialisierung messen, deren ›natürlicher‹ Nachfolger die neoliberale Globalisierung ist, so dass capitaine Maribel statt 15 nun 502 Jahre alt ist (vgl. G, 18). Diese Koexistenz verschiedener Zeiten benennt Rancière in Anlehnung an Foucault als Heterochronie: »A heterochrony is a redistribution of times that invents new capacities of framing a present.« (Rancière 2012, 36) In der Dilogie insgesamt schlägt sich diese Neuverteilung der Zeit in den Assoziationen, die Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges innerhalb von Comic-frames nebeneinander reihen, nieder, die damit die Gegenwart der neoliberalen Globalisierung neu rahmen, also ein reframing vornehmen. Dies bedeutet, dass die Subjektivierung der Zeit durch die autobiografische Logik der Narration sowie die Achronien als wesentliche Strategien jener »envie de résistance« (Z, 150) zu verstehen ist, die Squarzoni als zentrales Anliegen benennt. Die Gleichzeitigkeit von politischer Geste und Fiktionalisierung, die sich laut Wagner-Egelhaaf aus der Anordnung des Materials und der Neuordnung der Zeitlichkeit ergibt, steht zugleich in Verbindung mit dem allgemeinen Verhältnis von Politik und Kunst, das Rancière beschreibt:

Die Fiktion ist nicht die Erschaffung einer imaginären Welt, die der wirklichen Welt entgegengesetzt ist. Sie ist die Arbeit, die Dissense vollzieht, die die Modi der sinnlichen Präsentation und die Formen der Aussage verändert, indem sie die Rahmen, die Maßstäbe oder die Rhythmen ändert, indem sie neue Verhältnisse zwischen der Erscheinung und der Wirklichkeit, dem Einzelnen und dem Allgemeinen, dem Sichtbaren und seiner ­Bedeutung herstellt. (Rancière 2008, 79)

Squarzonis Dilogie ist in dieser Weise als Darstellung des ›Dissens‹ zu verstehen: Durch die assoziative Verbindung von Bild- und Textebene werden in comicspezifischer Weise neue Verhältnisse hergestellt, welche die gängigen Zu- und Anordnungen verändern. Da zudem die in den Panelübergängen häufigen Paralogien wiederum die Rhythmen des Erzählens ändern, beinhaltet die Dilogie eine Veränderung der Modi der sinnlichen Präsentation und der Formen der Aussage.

Mittels der analysierten comicspezifischen Strategien wirkt Squarzonis Fiktion (welche die Arbeit des Dissenses vollzieht) in einer Weise, die ›die‹ Realität, das Sinnliche im Sinne Rancières, als ebenso fiktiv entlarvt und sie als neoliberale Konsensfiktion erscheinen lässt. Ihre destabilisierenden Auswirkungen auf das ›Wir‹ dieser Konsensfiktion stehen in Verbindung mit dem, was der »dezentrierende Journalist« unternimmt, wie Orselli/Sohet in Anlehnung an Muhlheim beschreiben:

Le journaliste décentreur vise à installer dans le public qui ›reçoit‹ son regard, une chose tout autre, profondément dérangeante pour le ›nous‹. Pas simplement une pomme de discorde grâce à laquelle, pour finir, la communauté se reconstruit, mais une altérité propre à dissoudre le ›nous‹. Quelque chose qui dise au ›nous‹: vous n’existez guère comme ›nous‹ constitué ou à constituer; le ›nous‹ que vous êtes ou croyez être est défait.32 (Orselli/Sohet, n. pag.)

Dieses ›Wir‹ ließe sich am ehesten als das ›Wir‹ jener Konsensfiktion beschreiben, die dezentriert und destabilisiert wird. Statt der Konsensfiktion wird die auf Dissens abzielende Form politischer Subjektivität geltend gemacht, deren ›Wir‹ sich fundamental von dem zu dezentrierenden ›Wir‹ unterscheidet und demjenigen ähnelt, das Rancière expliziert:

Wenn die Politik im eigentlichen Sinne in der ­Erzeugung von Subjekten besteht, die den ­Namenlosen eine Stimme verleihen, dann besteht die Politik der Kunst, die dem ästhetischen Regime eigen ist, in der Ausarbeitung der sinnlichen Welt der Namenlosen, der Arten des Dies und des Ich, aus denen eigene Welten des politischen Wir hervortreten. (Rancière 2008, 80)

Die Dilogie lässt sich also als Fiktion begreifen, die es unternimmt, den gängigen Politikbegriff selbst zu hinterfragen und neu zu definieren, im Sinne Rancières und auch im Sinne von ATTAC. Diese Gruppierung wird im Comic als Instanz inszeniert, die als ›politisches Wir‹ an die Stelle des konsensualen ›Wir‹ der Erzählung der Globalisierung tritt. Anders als die von Rancière als ›Polizei‹ bezeichnete konsensuale Politik zielt die Dilogie auf den Dissens, die Abweichung und den Ausdruck von Subjekten, die in der ›Aufteilung des Sinnlichen‹ nicht repräsentiert sind. In gewisser Weise enthält der ATTAC-Slogan ›Another world is possible‹ als Minimalversion der von Rancière beschriebenen Fiktion bereits in konziser Form diese Arbeit des Dissenses, der auf die »Ausarbeitung der sinnlichen Welt der Namenlosen« (Rancière 2008, 80) abzielt.

Dieser neue Politikbegriff wird mit den Mitteln der Remediation, dem parallelen Text-Bild-Verhältnis und den paralogischen Panelverbindungen dargestellt. Insofern lassen sich Zapata und Garduno weder eindeutig dem Sachcomic, der Fakten oder Wissen über die Globalisierung vermittelt, noch dem Reportagecomic zuordnen, der, zwischen Fiktionalität und Faktualität situiert, ›wirklichkeitsgetreu‹ die Realität beschreibt. Vielmehr handelt es sich um einen politischen Comic, der mit comicspezifischen Darstellungsmöglichkeiten experimentiert, um zum einen die ›Gemachtheit‹ der Realität und der ›Aufteilung des Sinnlichen‹ ins Bild zu setzen und um zum anderen eine neue Form der résistance zu erproben.

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Bibliografie

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Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: Zapata (Squarzoni, 114).
  • Abb. 2: Garduno (Squarzoni, 60).
  • Abb. 3: Garduno (Squarzoni, 15).
  • Abb. 4: Garduno (Squarzoni, 14).
  • Abb. 5: Zapata (Squarzoni, 24).
  • Abb. 6: Zapata (Squarzoni, 6).
  • Abb. 7: Zapata (Squarzoni, 70).
  • Abb. 8: Garduno (Squarzoni, 28).
  • Abb. 9: Garduno (Squarzoni, 15).
  • Abb. 10: Garduno (Squarzoni, 91).
  • Abb. 11: Zapata (Squarzoni, 74).
  • Abb. 12: Garduno (Squarzoni, 30).
  • Abb. 13: Garduno (Squarzoni, 31).
  • Abb. 14: Garduno (Squarzoni, 46).
  • Abb. 15: Garduno (Squarzoni, 17).
  • Abb. 16: Garduno (Squarzoni, 95).
  • Abb. 17: Garduno (Squarzoni, 41).
  • Abb. 18: Garduno (Squarzoni, 8).
  • Abb. 19: Garduno (Squarzoni, 108).
  • Abb. 20: Garduno (Squarzoni, 27).
  • Abb. 21: Garduno (Squarzoni, 45).
  • Abb. 22: Zapata (Squarzoni, 43).
  • Abb. 23: Garduno (Squarzoni, 92).
  • Abb. 24: Garduno (Squarzoni, 93).
  • Abb. 25: Garduno (Squarzoni, 89).
  • Abb. 26: Garduno (Squarzoni, 18).

 

  • 1] Aus praktischen Gründen wird im Folgenden statt ›bande déssinée‹ der Begriff ›Comic‹ benutzt, wohl wissend, dass es zahlreiche Unterschiede in der französischen und der anglophonen Tradition der Bildgeschichte gibt.
  • 2] Vgl. dazu die wenig differenzierte Analyse von Chantal Catherine Michel (2013), die den Comic der dichotomischen Gattungszuschreibung »Bericht oder Propaganda« unterwirft und im Wesentlichen propagandistische Elemente innerhalb des Comics herauszuarbeiten versucht.
  • 3] Beide Bände werden im Folgenden als Garduno (Sigle G) und Zapata (Sigle Z) abgekürzt.
  • 4] »Wer entwirft unsere Realität?« Ãœbers. d. Verf.
  • 5] »Lust am Widerstand« Ãœbers. d. Verf.
  • 6] »Ein dokumentarisches Werk auf Grundlage von Zeichnungen konstruieren zu wollen, versteht sich nicht von selbst, da das Medium an einem Legitimationsmangel leidet.« Ãœbers. d. Verf.
  • 7] In ähnlicher Weise wird auch Joe Saccos Palestine durch ein Vorwort von Edward Said, dem Vordenker des Orientalismus, ›legitimiert‹.
  • 8] »Die fesselnde Geschichte eines Amateurdetektivs, der versucht, dem größten Kriminellen unserer Zeit – der 30 Millionen Menschen pro Jahr auf dem Gewissen hat – auf die Spur zu kommen,. Und der entdeckt, dass es sich dabei um niemand anderen als die liberale Globalisierung handelt.« Ãœbers. d. Verf.
  • 9] Eine prägnante Zusammenfassung dieser Begriffe im Rahmen der Erzähltextanalyse schlagen Martinez/Scheffel vor: »Die Werke der Dichter sind fiktional in dem Sinne, daß sie grundsätzlich keinen Anspruch auf unmittelbare Referenzialisierbarkeit, d. h. Verwurzelung in einem empirisch-wirklichen Geschehen erheben […]. Fiktional steht im Gegensatz zu ›faktual‹ bzw. ›authentisch‹ und bezeichnet den pragmatischen Status einer Rede.« (Martinez/Scheffel, 13)
  • 10] »Der Typ hat alle rechten Militärdiktaturen unterstützt. Die schlimmsten Regimes. Pinochet, Videla, Marcos. Was kommt dabei heraus? Der Nobelpreis 1973.« Ãœbers. d. Verf.
  • 11] »Das Spezifische der Erzählung liegt darin, einen Anfang und ein Ende zu beinhalten oder, um es anders auszudrücken, ein Element des Voranschreitens der Handlung, der Entwicklung einer gegebenen Situation, von einem Zustand A zu einem Zustand B.« Ãœbers. d. Verf.
  • 12] »Es gibt in Mexiko ein Dorf, dessen Name in den Reisekarten vergessen wurde. Die Bauern, die es bewohnen, sagen, es heiße Garduno in Zeiten des Friedens […] und Zapata in Zeiten des Kriegs.« Ãœbers. d. Verf.
  • 13] Michael Hanke zufolge ist das Wesentliche einer Erzählung, dass sie »Diskontinuität in eine Erzählkontinuität überführt.« (Hanke, 33)
  • 14] »Die wahrhaften Großreportagen sind solche, die die Krise der Erzählung enthüllen. In Werken der Großreportage spielen sich die grundlegenden Merkmale unserer Zeit ab: unser Verhältnis zur Welt in ihrer geopolitischen Dimension, unser Verhältnis zum leidenden Anderen. Wie kann man für den Anderen sprechen, wie kann man sein Wort weitertragen inmitten der harten Konkurrenz der medialen Sphäre als Matrix der Repräsentation der Welt?« Ãœbers. d. Verf.
  • 15] Damit ist nicht die formale Linearität der Panelsequenzen gemeint, die im Sinne einer Abfolge von Panels sehr wohl vorhanden ist, sondern die Linearität als Erzählkontinuität: »Linearität wird als zentrale Eigenschaft einer Erzählung angesehen, die sich aus Zeitlichkeit und Kausalität ergibt.« (Hanke, 33)
  • 16] »Dennoch entspricht die Abwesenheit von Linerarität dem Umherirren des Protagonisten und Erzählers, der regelmäßig auf der Straße oder im Supermarkt umherlaufend gezeigt wird.« Ãœbers. d. Verf.
  • 17] Diese Aussage, die er nicht wörtlich trifft, sondern anhand statistischer Grafiken ins Bild setzt, bezieht sich auf eine Auswahl amerikanischer und europäischer Comics (McCloud, 83f.).
  • 18] »Die Versuchung der ›nicht-narrativen Zeichnung‹ bedroht den Reportagecomic und nicht ohne Grund nimmt der verbale Diskurs oft Zuflucht im ikonischen Ausdruck. Die Versuche decken das Dilemma auf, das die Comics durchzieht und in ihnen bearbeitet wird, das Dilemma zwischen Zeigen und Erzählen und die Spannung zwischen einer produktiven Beschreibung von Referenzialität und der nötigen Narration zur Vermittlung der Erfahrung und des Ereignisses.« Ãœbers. d. Verf.
  • 19] Diese Form ist vor allem in Saison Brune immer wieder anzutreffen, aber auch – weniger häufig – in der Dilogie.
  • 20] Orselli/Sohet konstatieren: »A première vue, rien de bien flamboyant dans Garduno. Le trait de Squarzoni n‘affiche pas l‘expressivité marquée que l‘on peut retrouver chez Baudoin ou Sacco. Mais il ne recherche pas le réalisme le plus précis non plus, se résorbant quelques fois à des traces quasi schématiques ou au recyclage de divers documents externes. La mise en page frappe par sa sobriété : l‘alignement régulier des vignettes se voit systématiquement encadré d‘une marge noire. Apparemment, rien pour laisser entrevoir un questionnement sur le médium.« (Orselli/Sohet, n. pag.)
  • 21] »Die Fotos haben folglich die Neigung, sich dem diegetischen Verlauf zu entziehen und sich als Momente der Pause, der Kontemplation innerhalb der Erzählung anzubieten. Sie bewirken einen Einschnitt.« Ãœbers. d. Verf.
  • 22] »Ihren Anspruch auf Wahrheitsgetreue zu beglaubigen.« Ãœbers. d. Verf.
  • 23] »um die Kontinuität der Fiktion zu erleichtern« Ãœbers. d. Verf.
  • 24] »Die intrinsische Natur der Fotografie als indexikalische Spur des Realen könnte dazu beitragen, der Reportage Gültigkeit zu verleihen.« Ãœbers. d. Verf.
  • 25] Den Begriff ›Biographem‹ prägt Roland Barthes in Sade, Fourier, Loyola (1986): »[W] äre ich Schriftsteller und tot, wie sehr würde ich mich freuen, wenn mein Leben sich dank eines freundlichen und unbekümmerten Biographen auf ein paar Details, einige Vorlieben und Neigungen, sagen wir auf ›Biographeme‹, reduzieren würde« (Barthes, 13).
  • 26] »Par ailleurs, la présence sur le terrain et la saisie physique du réel constituant le mode cognitif du reportage, le pacte de référentialité se construit également par une quantité de précisions verbales ou dessinées d‘ordre historique ou géographique sur le territoire parcouru. Manière de dire: ›J‘y étais !‹« (Orselli/Sohet, n. pag.) »Da im Ãœbrigen die Anwesenheit auf dem Terrain und die physische Greifbarkeit des Realen den kognitiven Modus der Reportage bilden, konstruiert sich der Referentialitätspakt auch mittels einer Anzahl von verbalen Angaben oder Zeichnungen historischer oder geographischer Art über das bereiste Terrain – eine Art zum Ausdruck zu bringen: ›Ich bin dort gewesen!‹« Ãœbers. d. Verf.
  • 27] »Woran sich halten? Wo anfangen? Bei sich selbst, das wäre schon mal nicht schlecht. Das ist ein Bereich, wo die Schwierigkeiten und das, was auf dem Spiel steht, konkret sind.« (Squarzoni 2012, 10) Ãœbers. d. Verf.
  • 28] Dieses Moment spielt in Saison brune eine zentrale Rolle für die Selbstthematisierung Squarzonis, der hin und her gerissen ist zwischen dem Verlangen, zu reisen, die Welt zu sehen und dem Wissen um den CO2-Ausstoß, den eine Flugreise bedeutet.
  • 29] »Ich erzähle Mist« Ãœbers. d. Verf.
  • 30] Als narrative Metalepsen definiert Genette »jedes Eindringen des extradiegetischen Erzählers oder narrativen Adressaten ins diegetische Universum (bzw. diegetischer Figuren in ein metadiegetisches Universum usw.) oder auch […] das Umgekehrte.« (Genette 1998, 168)
  • 31] »So dargestellt, erscheinen die Lösungen als zum Greifen nah. Es ist nicht das Geld, das fehlt.« Ãœbers. d. Verf.
  • 32] »Der dezentrierende Journalist zielt darauf ab, in dem Publikum, das seinen Blick ›empfängt‹, etwas ganz Anderes zu installieren, etwas zutiefst Verstörendes für das ›Wir‹. Nicht einfach einen Zankapfel, dank dessen die Gemeinschaft sich am Ende wieder neu aufbaut, sondern eine zur Auflösung des ›Wir‹ geeignete Alterität. Etwas, das dem ›Wir‹ sagt: Ihr existiert nicht mehr als konstituiertes oder zu konstituierendes ›Wir‹; das ›Wir‹, das ihr seid oder zu glauben seid, ist zerstört.« Ãœbers. d. Verf.