Wie kann ein postkolonialer Comic aussehen?

Widerstand. Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun rezensiert von Robin Frisch

In drei Comicreportagen zeichnen die kamerunischen Autoren Franky Mindja und Daniel Assako Widerstandsformen gegen den Kolonialismus nach. Wiederstand ist ein facettenreicher Comic mit postkolonialer Perspektive. Er zeigt, wie wichtig die Geschichte antikolonialen Protests ist – nicht nur für die Geschichtsschreibung, sondern auch für den Comic als Medium.

Comicklassiker wie Tim und Struppi, Donald Duck oder Spirou sind allesamt vor dem Hintergrund des Kolonialismus entstanden. Der Milliardär Dagobert Duck investiert Millionen in Minen im Kongo, Tim und Struppi zelebrieren koloniale Propaganda und Spirou reist auf einem Schiff in ein fiktives afrikanisches Königreich. Diese Geschichten, die ursprünglich in den 1930er und 1940er Jahren entstanden sind, enthalten stereotypisierte Vorstellungen von afrikanischer Wildnis, identitätslosen schwarzen Menschen und übermächtigen weißen Helden. Die europäischen Comicklassiker propagieren kolonialen Rassismus: überzeichnete rote Lippen, namenslose schwarze Charaktere und Sprechblasen mit unverständlicher Sprache erschaffen ein rassistisches und vollkommen geschichtsfernes Afrikabild. Diesem Bild widersetzen sich die kamerunischen Zeichner Franky Mindja und Daniel Assako (Negro Illustrator) mit dem 2021 erschienen Comic Widerstand – Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun entschieden.

In drei historischen Comicreportagen widmen sie sich Episoden kolonialer Herrschaft in Kamerun, die nicht nur facettenreich und gut recherchiert sind, sondern auch für eine ikonografische Wende sorgen. Die Schilderungen von antikolonialem Protest aus afrikanischen Perspektiven ist ein starkes Gegenstück zu kolonialen Darstellungen. Die erste Episode beschäftigt sich mit der Geschichte von Rudolf Manga Bell und seinem Protest gegenüber der deutschen Kolonialregierung in Kamerun. Bell, der selbst in Aalen zur Schule ging, wehrte sich gegen die Umsiedlungspolitik der Kolonialverwaltung in Douala. Die zweite Episode zur Anlu-Rebellion stellt kamerunische Frauen in den Vordergrund, die sich einer Landwirtschaftsreform der britischen Verwaltung widersetzen. Die Geschichte beruht auf Ereignissen im Nordwesten Kameruns, im Königreich Kom, was von 1918-1960 britisches Mandatsgebiet war. Tausende Frauen organisierten sich in Dorfräten und nutzen das traditionelle Strafinstrument Anlu, um die Würde und Autorität der Frauen sicher zu stellen. Die dritte Geschichte bringt uns in die Gegenwart und folgt dem Aktivisten André Blaise Essama, der sich für die Abschaffung von Statuen und Straßennamen ehemaliger französischer Kolonialherren einsetzt. Anstelle von französischen Kolonialhelden, fordert der déboulonneur (Denkmalstürzer), kamerunische Ikonen wir Ruben Um Nyobé oder Roland-Félix Moumié in Stein zu meißeln. Neben den Bildergeschichten enthält die Publikation jeweils ein Experteninterview. Roland Ndille Ntongwe (Universität Buea) kommentiert die Erinnerungskultur zum deutschen Kolonialismus in Kamerun, Jacqueline-Bethel Tchouta Mougoué (University of Wisconsin-Madison) bespricht aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive das Anlu-Ritual und Marilyn Douala Bell (Kunstforum doul’art) ordnet die erinnerungspolitischen Veränderungen im urbanen Raum in gegenwärtige Debatten ein.

Der bilinguale, deutsch-französische Comic wurde in einem kollektiven Arbeitsverfahren von der kamerunisch-deutschen Initiative Perspektivwechsel e.V. erarbeitet. Auch in dieser Hinsicht ist die Publikation richtungsweisend, weil der Verein einen beispielhaften Umgang mit Wissen in der postkolonialen Gesellschaft entwickelt hat. Der Comic wurde zur Grundlage einer digitalen (und analogen) Ausstellung (https://www.initiative-perspektivwechsel.org/zwischen-petition-und-rebellion/) und dient als Lehrmaterial in deutschen sowie kamerunischen Schulen. Außerdem hat Initiative Perspektivwechsel umfangreiches Lehrmaterial für Lehrkräfte ab der 9. Klasse erstellt.

Die Bildsprache ist sehr klar und versucht die Figuren realistisch, aber auch historische Quellen so wirklichkeitsnah wie möglich darzustellen. Dabei setzen die beiden Zeichner in ihren Arbeiten auf klare Linien, teils in schwarz-weiß, teils in satten Farben koloriert. Stilistisch ähneln die Geschichten einer Dokumentation oder historischen Reportage. Es gibt wenig Raum für Interpretation, offene Deutungen oder Leerstellen. Das Narrativ, das gewählt wird, ist eindeutig eine antikoloniale Rede, welche die willkürliche (staatliche) Kolonialherrschaft kritisiert. Da diese Widerstands-Perspektive im Comic, aber auch in der deutschen Geschichtskultur so unterrepräsentiert ist, schafft die Publikation einen wichtigen Diskurswechsel. In vergleichbaren historischen Graphic Novels zum Thema Kolonialismus wie z. B. Abina and the Important Men von Trevor Getz und Liz Clarke oder Raus Rein von der Comic-Klasse Kassel zur Reichskolonialschule in Witzenhausen werden auch mehrdeutigere geschichtliche Narrative gewählt. Trevor Getz und Liz Clarke versuchen sich differenziert dem Schicksal einer versklavten Frau zu widmen und kritisieren sehr detailliert das System kolonialer Justiz. In Raus Rein gehen die Kasseler Zeichner_innen – wie in einer Geschichtswerkstatt – mit einem offenen Visier an das Archiv der Reichskolonialschule heran. Die Kurzgeschichten sind auffallend kreativ und zeigen, anders als in Widerstand, auch historisch ambivalente Figuren in Zwischenräumen von Kolonisierten und Kolonisierenden.

In der Geschichte Afrikas steht der Forschungsansatz der resistance studies seit einigen Jahren in der Kritik. Seit den 1980er Jahren haben sich Historiker_innen wie Terence Ranger, Luise White oder Jean-Suret Canale immer wieder mit verschiedenen Widerstandsformen in afrikanischen Ländern befasst. Dieses sehr produktive und einflussreiche Paradigma hat es ermöglicht, die Handlungsmacht afrikanischer Gesellschaften an Stelle der übermächtigen Kolonialmacht zu betonen. Auch in den 1990er Jahren interessierten sich Historiker wie Achille Mbembe oder Jean-Francois Bayart nach wie vor für Widerstand – nun allerdings mit einer subtileren Perspektive, nicht nur auf lautstarke Gruppen, sondern auch auf leise und teilweise versteckte Kritik im Alltag. Auch wenn diese Ansätze fachspezifische Entwicklungen darstellen, lässt sich das Public History Projekt Widerstand mit ihnen verbinden. Die Zeichner schaffen es, sowohl alltäglichen Widerstand als auch organisierte Gruppen wie die Kom-Frauen in den Fokus zu rücken.

Letztlich gibt es nur wenige Comics im deutschsprachigen Raum, mit einem derartig anspruchsvollen, postkolonialen Ansatz. Die Initiative Perspektivwechsel steht ihrem Namen in nichts nach und hat einen zugänglichen und lehrreichen Comic zur Kolonialgeschichte in Kamerun produziert.

 

Widerstand
Drei Generationen antikolonialer Protest in Kamerun
Initiative Perspektivwechsel (Hg.)
Berlin: o.A., 2021
296 S., Preis auf Spendenbasis auf der Seite www.initiative-perspektivwechsel.org
oder für 4,50 € bei der Bundeszentrale für politische Bildung