90.000 kurzweilige Kilometer durch die Meere

20.000 Meilen unter dem Meer rezensiert von Dominik Kaczmarek

Der Roman 20.000 Meilen unter dem Meer von Jules Verne zählt zu den Klassikern der Science-Fiction-Literatur. Mit dieser Comic-Adaption des Künstlers Gary Gianni bringt der Verlag Insektenhaus eine »prunkvoll ausgestattete Sonderedition« heraus, die optisch imponiert, allerdings in der inhaltlichen Umsetzung eher ein Schmuckstück im Regal bleiben sollte.

Der Roman 20.000 Meilen unter dem Meer von Jules Verne zählt zu den Klassikern der Science-Fiction-Literatur. Dieses Werk von ca. 267 Seiten (Verne 1966 [1869/70]) wird vom Künstler Gary Gianni im Insektenhaus-Verlag als Comic auf 45 farbigen Seiten adaptiert. Zusätzlich werden in der Ausgabe die achtseitige illustrierte Kurzgeschichte Räuber der Meere von H.G. Wells sowie fünf Seiten mit Bonus-Skizzen dargeboten. Warum ich so kleinlich mit den Zahlen bin? Wer den Klassiker kennt, weiß, auch Jules Verne schenkt den Details besondere Beachtung und hier hat die Comic-Adaption leider ihre Schwächen.

Bevor ich zu meiner Kritik an der inhaltlichen Umsetzung komme, gehe ich auf die positiven Seiten der Umsetzung ein, die Optik. Die Sonderedition kommt als »Hardcover mit Softtouch-Einband« in »edler Logbuch-Optik« mit zusätzlichen Metall-Ecken daher. Der Klappentext und Preis sind als großer Aufkleber auf der eingeschweißten Rückseite angebracht, wodurch nach dem Auspacken ein wunderschöner, von einem einzigen goldenen Kraken verzierter Einband zurückbleibt. Aber nicht nur äußerlich ist die Ausgabe ein Schmuckstück. Die Zeichnungen sind in Pastellfarben gehalten, detailliert und realistisch. Der Zeichenstil erinnert dabei an die Holzstiche der ersten französischen Gesamtausgabe und trifft sehr gut die Stimmung der Vorlage. Ich persönlich hätte mir die von Verne beschriebene Schönheit der Meere auch in kräftigeren Aquarellfarben gut vorstellen können, allerdings passt der Stil zu den wissenschaftlichen Schilderungen in der Geschichte. Das Buchcover bleibt allerdings leider nur von kurzer absoluter Schönheit, da dieses relativ empfindlich erscheint und jeder Fingerabdruck Spuren hinterlässt. Für Leser_innen, die das Original noch nicht kennen hier eine sehr kurze Inhaltszusammenfassung: Es tauchen Gerüchte um ein Monster der Meere auf und bald folgen erste Sichtungen. Der Meeresexperte Professor Pierre Aronnax nimmt mit seinem Begleiter Coseil an der Jagd nach dem Monster teil. Dabei landen sie zusammen mit dem Walfischjäger Ned Land in dem vermeintlichen Monster, welches sich als Tiefseeboot Nautilus unter Kapitän Nemo herausstellt. Fortan sind sie dazu verdammt 20.000 Meilen durch die Weltmeere zu fahren, während sie viele kleine Abenteuer erleben, sowie die Geheimnisse um Kapitän Nemo und die Tiefsee erforschen. Kurzes Trivia, die Nautilus geht dabei aber nicht, wie der Titel vermuten lässt, auf 20.000 Meilen Tiefe. Vielmehr ist diese Irritation auf einen Übersetzungsfehler aus dem Original-Titel Vingt mille lieues sous les mers zurückzuführen, da lieues französische Meilen meint, genau genommen ein altes französisches Maß für die unter Wasser zurückgelegte Strecke. Die nach Umrechnung ergebenden 90.000 km wären zumal in unseren Weltmeeren selbst mit einem Bohrer in der Tiefe nicht möglich.

Das Besondere an der Geschichte sind dabei aus meiner Sicht die eingangs erwähnten Details, wie z. B. die wissenschaftlichen Ausführungen des Professors zur Entstehung von Perlen:

»Tja, was is das: eine Perle«, sagte ich. »Für den Dichter ist sie die Träne des Meeres, für den Orientalen ein fest gewordener Tropfen Tau, für die Frauen ein länglich-ovales Schmuckstück aus Perlmutter, von durchsichtigem Glanz, getragen am Finger, Hals oder Ohr, für den Chemiker ist sie eine Mischung aus phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk, mit Bindemitteln versetzt, und für den Naturforscher ist sie nichts weiter als eine krankhafte organische Ausscheidung einiger zweischaliger Muscheln.«
»Familie Lamellibranchia, Ordnung Mollusca, Klasse Evertebrata, Unterreich Metazoa‹, sagte Conseil.
»Ja. Hauptsächlich eine Mollusca scheidet Perlen aus: die Perlenauster. Entweder sitzen diese Perlen an der Schale fest, oder sie sind ins weiche Fleisch des Tieres eingebettet. Der Kern dieser Perle ist ein harter kleiner Körper, ein unfruchtbares Ei oder ein Sandkorn, das im Laufe der Jahre mit Perlmuttringen überzogen wird. (Verne 1966 [1869/70], S. 142)

Auch die immer wieder durch Kapitän Nemo geäußerte Gesellschaftskritik, wenn er z. B. die Ausbeutung der Perlentaucher kritisiert, ist faszinierend:

Der Endverbraucher zahlt hohe Preise für Perlen, aber diese Fischer, die nun wirklich Gesundheit und Leben an ihrem Erwerb setzen, bekommen fast nichts dafür. In Panama beträgt der Wochenlohn eines solchen Tauchers zum Beispiel 1 Dollar. Und hier herum zahlen die Herren 1 Sou für die Muschel. Natürlich nur, wenn eine Perle drin ist. Haben Sie wirklich gedacht, nur in Europa gebe es Ausbeutung? (Verne 1966 [1869/70], S. 140).

Abb. 1: Perlenjagd Abenteuer in der Comic-Adaption, S.19-21.

In der Comic-Adaption kommen solche Details weitestgehend nicht vor. Stattdessen werden Aronnax und Coseil zur Perlenjagd eingeladen und sind im nächsten Panel direkt unter Wasser. Doch auch hier bekommen wir keinen Blick auf eine Perlenauster, stattdessen wird in den folgenden Panels ein klarer Fokus auf den actionreichen Kampf mit einem Hai gelegt, der hierdurch viel stärker in den Fokus rückt als im Original, zumal hier der Kampf weitaus dramatischer geschildert ist. Einzig und allein der Satz: »Hier gab es endlosen Reichtum; die schöpferische Kraft der Natur war stärker als die destruktiven Instinkte des Menschen« (Verne, Gianni 2021, S. 19), zeigt Spuren von Gesellschaftskritik, allerdings eher zusammenhangslos eingestreut.

Es geht aber nicht nur um Perlen; im Laufe ihres Abenteuers gehen die Passagiere der Nautilus auch auf Unterwasserjagd, erkunden Atlantis, bergen Inkagold und erobern den Südpol – stets begleitet von Vernes malerischen Beschreibungen und mathematischer Präzision, sowie einer Prise Humor, die zuvor bereits in der Perlenjagdszene zu lesen ist. Die genannte Präzision äußert sich auch in den durch Verne stets angegebenen aktuellen Koordinaten in Längen- und Breitengrad oder wenn Professor Aronnax den Wasserdruck auf die Nautilus bzw. die verbleibende Luft vorrechnen lässt.

Abb. 2: Ausschnitt aus der Seefahrts- & Meeres-Zeitung

vom 16. Sept. 1866, S. 1.

In der Comic-Adaption wird kein Abenteuer ausgelassen, aber vieles komprimiert. Teils werden ganze Abenteuer in einem Panel zusammengefasst, wobei viele Details verschwinden, wie die oben aufgeführten Beispiele zu den Perlen und Perlentauchern zeigen. Die Adaption verkommt dadurch eher zu einer Zusammenfassung des Romans in Form einer Bildergeschichte. Dabei zeigen die ersten drei Seiten noch das enorme Potential einer Comic-Umsetzung, wenn z. B. die aufkommenden Gerüchte als Zeitungsartikel visualisiert werden. Im Gegensatz zum Original werden die Leser_innen somit noch authentischer in die Geschichte gezogen – auch da der Artikel den Anschein eines zeitgeschichtlichen Artefakts bewirkt und gleichzeitig dem »Seemonster« ein Gesicht gibt.

Ein weiteres Beispiel, das wiederum das Potential des Professors als visueller Erklärer des wissenschaftlichen Hintergrundes aufzeigt, findet sich auf Seite 3, wenn er als Meeresexperte an der Tafel seine Theorie zum Aussehen des Meeresungeheuers erläutert.

Abb. 3: Beispiel für potenzielle visuelle Erklärung von Wissenschaft durch den Professor, S. 3.

Leider bleiben diese Beispiele genauso vereinzelt wie die für eine visuelle Umsetzung logische Positionsangabe der Nautilus auf einer Karte, wie z. B. auf Seite 21 bei der Durchquerung des »arabischen Tunnels«, um vom roten Meer ins Mittelmeer zu gelangen. Diese Darstellung ist deutlich ansprechender als Längen- und Breitengradangaben, erfolgt aber auch nicht stringent, so dass die Leser_innen im Comic zwischenzeitlich ohne Orientierung durch die Weltmeere irren.

Abb. 4: Kartenausschnitt von der geplanten Durchquerung des »arabischen Tunnels«, S. 21.

Professor Aronnax wäre die perfekte Möglichkeit die Science hinter der Fiction zu erklären, während Kapitän Nemo sozialkritisches Hintergrundwissen liefern könnte oder auch geschichtliche Begebenheiten und Legenden (wie den Untergang von Atlantis), sodass der Comic das Original um einen Education-Anteil bereichern könnte. Natürlich wären ein größerer Umfang und zusätzlicher Aufwand nötig, allerdings würde ich lieber mehr für einen ausführlicheren Comic zahlen, in den ich auch zukünftig öfter reinblättere, anstatt diesen nach einmaligem Lesen als Schmuckstück in der Vitrine verstauben zu lassen. Für Sammler könnte die Comic-Adaption interessant sein. Ich als Leser rechne ihr aber nur hoch an, dass sie mein Interesse am Originalroman geweckt hat. Das tat sie allerdings nur, weil ich mich nach der Lektüre des Comics fragte, ob die Handlung wirklich schon zu Ende sei.

Bibliografie

  • Verne, Jules: 20 000 Meilen unter den Meeren. Frankfurt am Main: Verlag Bärmeier & Nikel, 1966.

 

20.000 Meilen unter dem Meer
Jules Verne (A), Gary Gianni (Z)
Marburg an der Lahn: Insektenhaus-Verlag, 2021
64 S., 17,90 Euro
ISBN: 9783948800161