Was aus dem Rahmen fällt. Ein neuer Sammelband spürt Verfahren des Framings nach

Framing [in] Comics and Cartoons: Essays on Aesthetics, History, and Mediality rezensiert von Jörn Ahrens

Wenn aktuell das Konzept der ›Rahmung‹, oder des ›Framing‹, heftig Konjunktur hat, dann bieten sich Comics zweifellos als dasjenige Medium an, das geradezu prädestiniert ist, um ästhetisch-performative, theoretische und diskurspraktische Varianten des Framings, deren Schnittmengen, Differenzen, Einflüsse und Bedingungen zu untersuchen.

Zunächst einmal zielt Framing darauf ab, dass Gegenstände, Themen, Probleme, etc., nahezu zwingend unter einem bestimmten Blickwinkel präsentiert werden. Framing wäre insofern nichts anderes als die interessegeleitete Zurichtung des jeweiligen Themas und meint insofern ästhetisch, aber durchaus auch weltanschaulich, die Form seiner Repräsentation. Damit schließt das Konzept einerseits an Nietzsches Begriff der Perspektivierung an, indem deutlich wird, dass jeder Zugriff auf eine spezifische Thematik immer erstens selbst einen spezifischen Blickwinkel einnimmt und zweitens nahezu jeder Gegenstand des Interesses nicht erschöpfend behandelt werden kann, sondern nur in einem bestimmten Ausschnitt zugänglich ist.

Für Nietzsche richtet dies die Perspektive aus, die von außen, seitens der Betrachtenden oder der gewählten Analyse an den Gegenstand angelegt wird. Hingegen geht das Konzept des Framing vom Gegenstand selbst aus und fragt, wie dieser sich in seinem Feld aufstellt. Andererseits verweist Framing natürlich auf die über Foucault etablierten Konzepte von Diskurs und Dispositiv, die jeweils die Organisation von Wahrheitspolitiken sowie die Formatierung von Interaktionsstrukturen besorgen und damit Handlungsspielräume, Subjektmöglichkeiten, vor allem aber auch Machtpositionen festlegen. Hier schließt das Framing an, wenn es nach den Effekten bestimmter Repräsentationsmodi fragt. All diese Kontexte werden in einem Medium wie dem Comic geradezu vorbildlich veranschaulicht, das sich schon in seinem graphischen Aufbau über eine Anordnung von Rahmenstrukturen definiert. Freilich greift auch der Film über Techniken der Kadrierung und Bildkomposition auf Rahmungselemente zurück und zeigt jedes Foto mit seinen Bildgrenzen auch eine sichtbare oder virtuelle Rahmung an. Für den Comic jedoch übernimmt die Rahmung eine sichtbare, systematische und offensichtlich sowohl ästhetisch als auch narrativ ordnungsgebende Funktion. Insofern ist es nicht nur an der Zeit, sondern auch verdienstvoll, dass Johannes Schmid und Christian Bachmann nun einen Sammelband vorlegen, der das Feld zwar nicht komplett erfindet, wohl aber für breiter angelegten Reflexionen und Forschungsarbeiten eröffnet. Der Titel des Bandes verweist bereits darauf, dass es sowohl um die (diskursive) Rahmung von Comics als auch Rahmungspraktiken in Comics geht, mithin die ganze Breite des Themenfeldes in den Blick genommen wird.

Der Band selbst geht zurück auf eine Tagung und das merkt man auch, denn was fehlt, ist eine systematisch angelegte Struktur, sozusagen ein explizites und konzeptionelles Framing der Beiträge. Diese stehen nun etwas unverbunden nebeneinander, gehen, wie das bei Sammelbänden naturgemäß ist, mal generell auf formale Aspekte ein, legen dann wieder close readings einzelner Arbeiten oder historisch angelegte Fallbeispiele vor oder wollen das Diskursnetz aufzeigen, in dem einzelne Comics stehen. Das hätte eine Ordnung der Bandstruktur über die Bildung thematischer Cluster leisten können, vor allem aber wäre hier sicher eine Einleitung notwendig gewesen, die in die vielfältigen Verzweigungen des Framing-Konzeptes und dessen Anwendung auf den Comic eingeführt hätte, um daraus die Ausrichtung der Beiträge abzuleiten. Dass diese fehlt, ist wohl das größte Manko eines ansonsten grundsätzlich verdienstvollen Bandes, der wie jeder Sammelband seine Höhen und Tiefen hat. Hier helfen denn auch die Abstracts zu den Aufsätzen nicht wirklich weiter, die etwa die Hälfte des knapp bemessenen Vorworts ausmachen.

Auffallend ist, dass viele der Beiträge (Bachmann, Christina Meyer, Roger Sabin) explizit frühe Comics in den Blick nehmen. Hier wäre es von großem Interesse gewesen, zu erfahren, ob es für diese Auswahl konzeptionelle Gründe gab oder ob sie sich aus den thematischen Interessen der Autor_innen ergibt. Selbst dann aber wäre eine Reflexion auf diese Häufung zweifellos instruktiv gewesen. Freilich ist der frühe Comic, der noch über kein festes formales Raster verfügt, und dem so gesehen selbst das mediale, aber auch das kultur-diskursive Framing abgeht, aus heutiger Perspektive ausgesprochen experimentell aufgestellt. Experimentiert wird mit Rahmen, Linien, Narrationslogiken und das Potential des Mediums Comic bzgl. möglicher Gestaltungen und Verwendungen von Rahmen und deren Aufhebung wird nahezu komplett ausgeschöpft. Insofern bietet sich das Segment deutlich an. Signifikant ist ja, dass von der graphischen Struktur her am stärksten gerahmt einerseits der klassisch, seriell angelegte Comic ist, andererseits aber auch ein großer Teil zeitgenössischer Autor_innencomics, die geradezu programmatisch am klassischen Gridmuster einer Seitenarchitektur gleichförmiger Panels festhalten, mögen sie inhaltlich auch noch so innovativ sein. Hingegen fehlt im Band völlig die Auseinandersetzung mit neueren Arbeiten, die narrativ wie auch graphisch experimentell angelegt, Rahmungen auflösen.

Was im Band leider auch vollkommen fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit möglichen metaphorologischen Gehalten von Framings. Da es sich bei Comics und ihren graphisch vorgenommen Rahmungen immer um Praktiken ästhetischer Repräsentation handelt, müsste auch in Rechnung gestellt werden, dass die Synchronizität zwischen Form und Aussage nicht zwingend gewährleistet, oder auch gar nicht beabsichtigt ist. In dieser Perspektive zeigt der Band denn auch, ungewollt, das Framing einer Praxis der Kritik. Dann geht es nicht mehr nur um die Analyse von Praktiken des Framings in einzelnen Comics, sondern umgekehrt speziell um deren Anwendung im Modus der Kritik und mit dem Ziel eines inhaltlich-konzeptionellen Agenda-Setting. Beispiele dafür sind im vorliegenden Band die Beiträge von Lukas Wilde und Tobias Yu-Kiener. Ersterem geht es unter dem schönen Titel Falling in Line darum, anhand von Cartoons in Reaktion auf die Anschläge von 09/11 aufzuzeigen, wie sehr hier Medienkommunikation diskurspolitisch instrumentalisiert wurde und wie stark darin islamophobische Tendenzen mitschwingen. Dabei fällt der Beitrag erstens selbst zurück auf ein politisches rechts-links-Schema, das analytisch zweifellos stark vereinfacht, und macht sich zweitens auch nicht die Mühe, eine Kontextanalyse der Cartoons und der spezifischen historischen und politischen Situation ihrer Veröffentlichung im Anschluss an die massivste Terrorattacke in der Geschichte der USA zu liefern. So folgt der Beitrag aber selbst einem ausgesprochen rigiden Medien-Framing, legt seine eigene Perspektivierung nicht offen und arbeitet vor diesem Hintergrund mit normativen Rahmungen, die zum einen nicht mehr argumentiert werden und zum anderen den eigenen Gegenstand dekontextualisieren. Am problematischsten aber ist sicher der Text von Yu-Kiener zum Beitrag von Yslaire und Carrière zur Comic-Reihe des Louvre, der diesem Comic ernsthaft vorwirft, historisch nicht absolut akkurat zu arbeiten, zitierte Gemälde nicht nachzuweisen und insgesamt nicht wissenschaftlichen Standards gemäß zu arbeiten. Muss der Autor, der sich nicht zu schade ist, Yslaire wegen der Adaption von im Louvre ausgestellten Gemälden des Plagiats zu bezichtigen (S. 190ff.), noch ins Proseminar zu Narratologie und Fiktion eingeladen werden? Die Zitation existierender Bildwerke ist wohl Gemeingut in Comics; zumal bietet sich in einer Arbeit zum und für den Louvre deren systematische Aneignung an. Sofern die Erzählung dann nicht mit den historischen Fakten korrespondiert (übrigens selbst häufig Gegenstand des wissenschaftlichen Disputs), findet eine Umschrift statt, die hier im Spannungsfeld zwischen künstlerischem Artefakt und scheinbarer, in der Repräsentation (Rahmung) beanspruchter, historischer Stringenz liegt. Daran ist aber kaum etwas auszusetzen und das muss auch nicht pädagogisch annonciert werden. Die ganze Kritik am semi-fiktionalen Ansatz des Comics ist haltlos und läuft ins Leere. Die Kritik wiederum, der Louvre wolle sich mit seiner Reihe lediglich eines populären Mediums bedienen, um mehr Publicity zu generieren, mag zwar stimmen, ist aber sicher nur ein kleinerer Baustein innerhalb einer globalen Eventisierung der Museumskultur.

Damit soll aber nicht der Großteil der wirklich instruktiven Beiträge verdeckt werden. So zeigt etwa Sabin am Beispiel von frühen britischen Comics vor 1914, wie sehr das Framing der kulturellen und produktiven Rahmenbedingungen in der Genese des Mediums die medialen Bedingungen und auch die medialen Eigenschaften von Comics selbst erst schafft. Das ist extrem spannend zu lesen und macht noch einmal deutlich, mit welch experimenteller Verve das neue Medium seinerzeit Möglichkeiten und Grenzen ausgelotet, gewissermaßen den eigenen Rahmen abgetastet hat. Ganz ähnlich, aber detaillierter entlang einzelner Beispiele früher US-amerikanischer Zeitungscomics, untersucht auch Meyer Verfahren der Steuerung von Aufmerksamkeitsökonomien einerseits sowie frühe Experimente mit Anordnungen der Seitenarchitektur andererseits. Besonders instruktiv ist hier sicher ein Beispiel von Frank A. Nankivell, das am klassischen Schema einer horizontal in Leserichtung geordneten Panelfolge festhält und diese gleichzeitig unterläuft, indem er eine vertikale Struktur einzieht, die parallel mitgelesen werden muss. Bachmann wiederum zeigt in seinem, auch über frühe amerikanische und deutsche Beispiele argumentierten Beitrag die Ähnlichkeiten zwischen Seitenarchitektur und Gebäudearchitektur. Mehr noch als diese oftmals graphisch eingesetzte Parallele auszuführen, verdeutlicht sein Aufsatz sicherlich die architektonische Logik von Panelstrukturen, die zugleich Repräsentanten des Sichtbaren sind und Unsichtbares zugänglich zu machen vermögen. Der Comic ähnelt also nicht nur strukturell der Architektur, sondern wendet Verfahren einer Repräsentation architektonischer Verfahren Objekte an, um seine eigene, über Rahmungen organisierte Bildsprache zu entfalten.

An diese Auseinandersetzungen mit Fragen des Framings schließt Jeff Thoss an, der allerdings mit Talbots Alice in Sunderland eine neuere Grundlage wählt (leider verwendet er keinerlei Abbildungen). Thoss arbeitet nicht nur nicht weniger als sieben verschiedene Varianten des Framings heraus, sondern bemüht sich auch vor allem auch um eine Einpassung des Comics in andere Medien wie Theater und Film und stellt einen Rahmen für andere Medien bereit. Interessant ist auch der Ansatz bei Sebastian Bartosch, der über eine Arbeit von Daniel Clowes zunächst nach der Funktionalität von Comic-Panels fragt, wenn sie isoliert und buchstäblich ausgeschnitten sind. Diese „disembodied frames“ (S. 38), wie er die isoliert, losgelösten, eher an Puzzles erinnernden Panels nennt, tragen schließlich maßgeblich bei zu Überlegungen bezüglich der Medialität von Comics. Während schließlich Böger der Ambiguität und den Aporien einer australischen Identität nachgeht, deren diffuse Repräsentation sich in der graphischen Ausstattung ihres Beispiels von Grant widerspiegelt und den darin liegenden Gewinn schon anzeigt, setzt Schmid in seinem Beitrag zwar mit interessanten Überlegungen zum Verhältnis von Framing und Theorie an, verliert sich dann aber zusehends in seinen Fallbeispielen, deren close readings ihn vom eigentlichen Thema seines Aufsatzes wegführen.

Framing [in] Comics and Cartoons: Essays on Aesthetics, History, and Mediality
Johannes C. P. Schmid/Christian A. Bachmann (Hg.)
Berlin: Christian A. Bachmann Verlag, 2021
220 S., 29,90 Euro
ISBN 978-3-96234-032-2