»Schneiden! Mixen! Wichsen!« – Ein Wimmelbuch für Vulven

Spring #16 Sex rezensiert von Annemarie Mönch

14 Zeichnerinnen zeigen den Facettenreichtum von Sex und Sexualität – von Körpergefühl zu Geschlechtsidentität, von expliziten Sex(dar)stellungen bis zu in sich verwobenen Bildern, die Sex als Gefühl einzufangen versuchen – und setzen dabei politische und kulturelle Debatten zeichnerisch in Szene.

Texte wie Mithu Sanyals Vulva. Die Enthüllung eines unsichtbaren Geschlechts (2009), diverse Dokumentarfilme der letzten Jahre (etwa Female Pleasure,2018) bis hin zur Netflix-Serie Sex Education (2019) stellen Sexualität – vor allem die weibliche* – als emanzipatorischen Akt heraus. Es geht um das (selbst)bewusste Lusterlebnis, aber auch darum, heteronormative Strukturen zu durchbrechen. Selbst in der Mainstreampornographie hält die weibliche* Sexualität durch Filmemacherinnen wie Erika Lust Einzug und versteht es, den male gaze in Frage zu stellen. Zeichnerisch hat sich zuletzt Liv Strömquist mit Der Ursprung der Welt (2018) auf die Suche nach weiblicher Sexualität begeben. In den sozialen Medien freut sich die Vulva Gallery über steigende Klickzahlen. Keine Frage, Frauen* beim spaßerfüllten Sex zu zeigen, hat in den letzten Jahren zugenommen – so auch die ›Normalisierung‹ weiblicher Sexualität und Lust. Einiges hat sich also getan seit 1975 das erste Cunt Coloring Book (Tee Corinne), in dem die Betrachterin Vulven nach Lust und Laune ausmalen konnte, auf den Markt kam. Nun hat sich das SPRING Kollektiv in der Anthologie Sex (2019) dem Thema ebenfalls gewidmet. 14 Zeichnerinnen zeigen den Facettenreichtum der Sexualität – von Körpergefühl zu Geschlechtsidentität, von expliziten Sex(dar)stellungen bis zu in sich verwobenen Bildern, die Sex als Gefühl einzufangen versuchen. Ein wenig irritierend sind hierbei die schrillen Pinktöne, die in Abstufungen in der kompletten Anthologie verwendet werden – während die kreischende Farbe Aufmerksamkeit auf sich zieht, so erinnert sie doch an konventionelle Vorstellungen, nach denen das rosa Spielzeug für Mädchen, das blaue für Jungen gedacht ist.

Auf meist seitenfüllenden Zeichnungen, die die klassische Panelstruktur auflösen, wenn nicht sogar ganz außen vorlassen, ist die Anthologie am stärksten: Da, wo sie ohne viele Worte auskommt – also zeigt, anstatt zu beschreiben. So zeigen die zart gezeichneten Bilder von mokis »Where I end and you begin« (in welchen verwobene Lebewesen, Tiere wie Menschen, aber auch das Körperinnere in leuchtenden Pinktönen dargestellt sind) Sex nicht als expliziten Akt. Den Darstellungen geht es vielmehr um Intimität und Geborgenheit fernab der heteronormativen Vorstellung von Sex als Penetration. Ähnlich ›wohlig‹ arbeitet Larissa Bertonasco in »Connected«, in dem in lose aneinandergereihten Szenen nach Körpergefühl und Selbstakzeptanz gesucht wird – eine zeichnerische Hommage an Sexworkshops. Auf explizite Sex(dar)stellungen verzichtet auch Kati Szilagyi in »Afterglow«, das den walk of shame als Zelebrierung des Morgen danachs umdeutet – fröhliche Menschen auf dem Weg nach Hause (oder ins Zimmer des Altenheims, S. 220-221) von einer gelungenen Nacht; im Kopf noch die Erinnerung an das Geschehene. Hier wird sich nicht verschämt nach Hause geschlichen, sondern selbstbewusst und stillvergnügt der Weg ins eigene Heim zelebriert. Jul Gordons »001« ist hingegen eine Reminiszenz an eine Urlaubsaffäre, dargestellt durch das Zimmer der Sprecher_in. Die Bilder folgen deren Blick, verweilen mal am Fenster, mal an der Deckenlampe, während die Captions mit dem Gesehenen brechen, indem die Sprecher_in ihnen von ihrer Affäre erzählt – allerdings nicht die sexuelle Begegnung mit einem Fremden in den Vordergrund stellt, sondern einen Kuss und das Verlangen nach weiteren solcher Küsse. Einen Bruch stellt Stephanie Wunderlichs »Adult Corner« dar, das von großformatigen Sex(dar)stellungen, die vermittels ihrer Explizität, übergroßen Körperöffnungen und ausdruckslosen Gesichtern das ›rein-raus‹ der Mainstreampornographie evozieren. Ihr Beitrag steht dem überwiegenden Sexpositivismus der Anthologie gegenüber und erinnert daran, dass die Zeiten, in denen patriarchale und heteronormative Vorstellungen in Sex eingeschrieben werden, (noch) nicht vorbei sind. Während Wunderlich Sex explizit zeigt, nähern sich Moki, Bertonasco, Szilagy und Gordon eher dem Körpergefühl zu, das Sex vorausgeht oder folgt und zeigen, dass Sex mehr bedeutet als Penetration.

Abb. 1: Auf meist seitenfüllenden Zeichnungen, die die klassische Panelstruktur auflösen, ist die Anthologie am stärksten.

Natürlich gibt es auch Vulven zu sehen – in Nina Pagalies‘ »Viva la Vulva« sogar seitenweise. Auf großformatigen, knallig-pinken Hintergründen kommen die feingezeichneten Vulven erst richtig zur Wirkung. Die knappen Redensarten und folkloristischen Vorstellungen, mit denen die Kraft der Vulva zelebriert werden, (ent)werfen einen empowernden Blick auf das weibliche Genital. Nicht nur der Äußerlichkeit der Vulva, sondern auch dem, was sie so kann, wird in der Anthologie nachgegangen: Doris Freigofas widmet sich in »Overflow« dem Thema der weiblichen Ejakulation (übrigens lange ein umstrittener Fakt, wohingegen heutzutage frau* nach Lust und Laune bei Workshops das Spritzen lernen kann). Die Seiten sind gefüllt von Wellen, auf der sich eine Frau in einem vulvaförmigen Boot liegend treiben lässt und bringen so Weiblichkeit und Wasser in einen lustvollen, emanzipatorischen Einklang.

Spielerisch und ein wenig partizipatorisch geht es in Kathin Stangls »Pleasure Play« und Katharina Gschwendtners »Schneiden! Mixen! Wichsen!« zu. Während Stangls im Popartstil gehaltene Zeichnungen optisch an Schiebepuzzle erinnern, in denen die Brüste und Vulven der dargestellten Frauen von großformatigen Zahlenpanels verdeckt werden, ist Gschwendtners Beitrag im Stil des Klappbuchs gehalten. Von der »starren Olga« (S. 168/9), über »Horny Vaclav« (S. 176/7) bis hin zum Cyborg (S. 170/1) steht es der Leser_in (bzw. Mixer_in) frei, Geschlechter, menschliche/mehr-als-menschliche Körper nach Lust und Laune zu verschieben und so Konventionen – buchstäblich – über den Haufen zu werfen. Normierungen stellt auch marialuisa in »Wähle mich! Wähle mich!« in Frage. Indem sie mittels menschlicher Figuren sexuelle Akte aus dem Tierreich nachzeichnet, stellt sie die Konstruiert- und Beengtheit menschlicher Sexualität und Geschlechteridentitäten aus: Während die Natur viele Geschlechter und Formen der Sexualität kennt, zwi/ängt sich der Mensch in binäre Zuordnungen.

Etwas schwächer fallen hingegen die in der ›klassischen‹ Panelstruktur gehaltenen Beiträge aus. Im Gegensatz zu den wenig bis gar nicht beschrifteten, seitenfüllenden Zeichnungen, die sich Sex vor allem über das Visuelle annähern und damit heteronormativ-patriarchal geprägte Sehgewohnheiten subvertieren, wirken die Comics eher belehrend und bieten weniger Überraschendes. Das aus-dem-(Panel-)Rahmen Fallende, den Rahmen sogar Sprengende, vermag es stärker, das ›Außer-sich-Sein‹, welches George Bataille in Das obszöne Werk (1972) dem Lustempfinden zuschreibt, auszudrücken. Die oft nur lose in Verbindung stehenden Zeichnungen, die die geordnete Panel-Struktur durch- und unterbrechen, öffnen den Blick auf Sexualität, die sich nicht nach heteronormativen Mustern verhalten will, und zeichnen vielmehr das Gefühl von Nähe und Intimität nach. Aisha Franz stellt mit »Gendertraffic« eine klassische Geschlechter-Umkehr-Situation dar – Frauen verhalten sich wie Männer und umgekehrt (da pfeifen Bauarbeiterinnen einem spärlich bekleideten Mann hinterher, S. 124). Auch Birgit Weyhe greift in »Gendering Gustavito« das Thema Gender als gesellschaftliches Konstrukt auf. Hier verhandelt sie den Diskurs über die Gemachtheit von Geschlecht: Drei Generationen von Frauen – Großmutter, Mutter und Tochter – kommen in den Panels zu Wort. Vermittels ihrer persönlichen Erfahrungen wird so Geschlecht als soziales und (durch die drei Altersstufen) historisches Konstrukt nachvollzogen. Weder Franz noch Weyhe schaffen leider den Sprung zu einer weniger binären und damit enthierarchisierten Geschlechterdarstellung. Mit dem ähnlich problematischen Konstrukt der ›Jungfräulichkeit‹ arbeitet Stephanie Wunderlich in »Enden als jungfräulicher Freak«, in dem sie der Angst ihrer weiblichen Hauptfigur vor dem ersten Sex (aber auch der Angst davor, keinen zu haben) nachgeht. Dabei thematisiert sie mangelnde Aufklärung und den daraus resultierenden Rückgriff auf Pornos und deren unrealistische Darstellung von Sex. Jedoch bleibt Wunderlichs Comic bei dem patriarchalen Konstrukt der Jungfräulichkeit stehen, ohne dieses als solches zu problematisieren. Ähnlich wie Wunderlich thematisiert Carolin Löbbert in »Das Fest der Liebe« gesellschaftliche Vorurteile und Verklemmtheit, mit der Sex begegnet wird. Sie verbindet die Scheinheiligkeit der japanischen Gesellschaft – die zu Ehren des Penis ein Fest veranstaltet, gleichzeitig aber Künstler_innen zensiert, wenn diese ihre Vulva zeigen – mit der vermeintlich aufgeklärten ›westlichen‹ Kultur, in der Man(n) schon ins Schwitzen kommt, sobald eine Frau ihm gegenüber die Worte »Penis« und »Vulva« verwendet.

Als Fazit kann Nadine Redlichs titelloser Beitrag begriffen werden. Ein Stein betrachtet zwei Kaninchen beim Sex und schwankt zwischen Begeisterung und Ablehnung: Einerseits wirkt der Akt anstrengend, andererseits aber auch wie etwas, wo die/der Betrachtende »gerne mal ran« (S. 227) möchte . Ähnlich verfährt die Anthologie: auf über 200 Seiten wird Sex als emanzipatorischer Akt dargestellt, dennoch werden auch ›leidige‹ Aspekte wie Mainstreampornografie, gesellschaftliche Normierung und patriarchale Strukturen in Erinnerung gerufen. Sex wird demnach als befreiend wie beengend dargestellt – wenngleich der Sexpositivismus überwiegt und die knallig pinke Aufmachung sicherlich als Zelebration von Sex und Sexualität verstanden werden möchte.

 

Spring #16: Sex
Larissa Bertonasco, Aisha Franz, Doris Freigofas, Jul Gordon, Katharina Gschwendtner, Carolin Löbbert, marialuisa, moki, Nina Pagalies, Nadine Redlich, Karin Stangl, Kati Szilagyi, Birgit Weyhe, Stephanie Wunderlich
Hamburg: mairisch, 2019
252 S., 24,00 Euro
ISBN 978-3-938539-54-5