Ganz im Rahmen

Breaking the Frames. Populism and Prestige in Comic Studies rezensiert von Ole Frahm

Marc Singer will in Breaking the Frames keine Rahmen überschreiten, sondern vielmehr einen herstellen, er will nicht zerstreuen, sondern sammeln und versammeln, vor allem will er den Rahmen für eine verbindliche Kritik sichern.

Was für ein toller Titel: Breaking the Frames. Das verspricht Überschreitungen in jeder Hinsicht. Nicht nur der Rahmen der eigenen Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit wird überschritten, sondern auch der Methode und der Gegenstände. Denn es geht um Comics!
Spoiler alert: Das Versprechen des Titels wird nicht gehalten. Denn Marc Singer, der Englisch an der Howard Universität in Wahington lehrt, will in Breaking the Frames gar keine Rahmen überschreiten, sondern vielmehr einen herstellen, er will nicht zerstreuen, sondern sammeln und versammeln, vor allem will er den Rahmen für eine verbindliche Kritik sichern. Sein Buch endet mit dem etwas pathetischen Satz: »Comics scholars, assemble.« (249) Zuvor hat er allerdings einige dieser komischen Gelehrten aus einer solchen Versammlung herausgeworfen.

Gleich in der Einleitung wendet er sich gegen die von Henry Jenkins in seinem Essay Introduction. Should We Discipline the Reading of Comics? 2012 vorgetragene Fanboy-Attitüde, die das Baumhaus nicht verlassen will. Singer schwebt etwas anderes vor: »I’m looking for a professional academic discipline, one that is open to scholars from other disciplines and comics fans too, but also those who have never read a comic before.« (6) Abgesehen von der im folgenden unbeantworteten Frage, warum Leute, die noch nie einen Comic gelesen haben, über Comics forschen sollten (es wäre nur einmal auf andere Disziplinen zu übertragen), besteht für Singer die Professionalität zuerst einmal in Selbstverständlichkeiten: das Objekt der Forschung ernst zu nehmen und in seiner Tradition zu verorten und zu verstehen. Aber wie sind Comics ernst zu nehmen, wenn sie sich doch gerade über diese Attitüde lustig machen? Hieße nicht ernst nehmen hier gerade: sich lustig machen?

Für Singer nicht, was vielleicht auch an den Comics liegt, die er im  Verlauf seines Buches untersucht: von einer eher ungenauen Referenz auf die frühen Superhelden-Serien abgesehen ist kein Comic vor 1985 erschienen, die meisten sind noch jüngere Beispiele. Und die sind zweifellos meist ernster. Singer begründet seine Auswahl nicht, deutet aber mehrfach an, dass es ihm darum geht, das Phänomen der Postmoderne in den Blick zu bekommen, für das die Comics und vor allem die Gelehrsamkeit, die sich ihnen widmete, symptomatisch sein könnten.

Professionalität besteht für Singer vor allem in Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Forschung, was in eben dieser Postmoderne nicht mehr so selbstverständlich ist, wie es klingt, denn, so beschwert sich der Autor, seit vierzig Jahren werde von den <<humanities<<, den Geisteswissenschaften, gegen die eigene Existenz argumentiert, die Grundlagen der eigenen Arbeit befragt und vor allem die Empirische, die durch Fakten belastbare Forschung desavouiert: »Unfortunately, this belief in the evidentiary power of referentiality has been devalued in contemporary critical theory, which often presumes – and sometimes insists – that not only texts but whole interpretive frameworks are governed solely by social and linguistic determinations, with no possibility of external verification.« (237) Singer nennt nicht, wer tatsächlich behauptet, dass interpretative Strukturen ausschließlich durch Sprache und das Soziale beherrscht werden. Und er versäumt, diese Überlegungen wenigstens so weit nachzuvollziehen, dass er deren Pointe entkräften könnte: dass nämlich gerade die offensichtliche Macht der Referentialität ein Effekt der performativen Macht der Sprache in sozialen Situationen ist. Und wäre es nicht das, was in Comics gerade vorgeführt wird in der Zerstreuung der Zeichen zwischen Schrift und Bild, in den Wiederholungen, die eben die Referentialität durch ihre Selbstreferentialität befragen? Gerade die Comics machen sich über diejenigen lustig, die auf die Möglichkeit einer von außen kommenden Verifikation beharren.

Innerhalb seiner Analysen folgt Singer übrigens dann einem anderen Weg und beruft sich nie auf die Evidenz der Evidenz, sondern er liest Comics gerade innerhalb ihrer zeichenhaften, sozialen und kulturellen Kontexte – vor allem auch in den Texten anderer Forschender. Der kulturelle Kontext wird, wie erwähnt, durch die Postmoderne gesetzt, wie Fredric Jameson in seinem berühmten Buch Postmodernism, or, the Cultural Logic of Late Capitalism formuliert hat. Davon ausgehend kritisiert Singer eben die Forschung, die sich ganz immanent innerhalb der Superhelden-Universen aufhält, ohne den Status dieser kulturellen Objekte selbst zu betrachten. Natürlich läßt sich The Return of the Dark Knight von Frank Miller als »opaque and ambivalent« verstehen, wie Sean Carney es vorschlägt, doch Singer kritisiert: »he reads the comics allegorically to save them from themselves« (82). Solche allegorischen Lektüren, später bezeichnet er sie als Hermeneutiken des Verdachts, möchte Singer durch Lektüren der Oberfläche ersetzen (238-239). Das ist ein interessantes, ausbaufähiges Programm, auch wenn seine Hoffnung, dass sich so feststellen ließe, was ein Text ohne die Intervention der Lektüre sage (240), sicherlich enttäuscht werden muss. Abgesehen davon fällt sie hinter jede marxistische und dekonstruktive Kritik, aber wahrscheinlich auch hinter die gängigen Narrationstheorien und Hermeneutiken zurück.

Die durch die Einleitung und das Schlußwort gerahmten sechs Kapitel können ihren unterschiedlichen Entstehungskontext nicht ganz verbergen. Besonders das vierte Kapitel über Chris Ware, dessen erste Fassung schon 2010 veröffentlicht wurde, wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen, weil es sich sehr konkret auf eine Diskussion bezieht, als die Graphic Novel längst noch nicht so etabliert war wie es heute der Fall ist. Gleichwohl liest sich Singers Kritik unterhaltsam, wenn er behauptet, dass die ästhetischen Vorlieben wie sie Ware in seiner Herausgabe von McSweeney’s 2004 bewies eher bieder sind und seine Favorisierung journalistischer und autobiographischer Ansätze ganz der Nachkriegsliteratur entsprächen. Aber der Forscher prüft nicht, ob sich für Ware 9/11 eben so darstellt? Oder die Zeit nach 1989? Ihn interessiert eher, wie sich Ware in der high/low-Diskussion positioniert und kritisiert dessen Entscheidung für die größere institutionelle Unterstützung. Dass sich diese Tendenz in reichhaltigen Genres stabilisiert hat und so zu einer umfänglicheren Analyse einlädt, wertet Singer nicht aus.

Stattdessen reflektiert er die aus seiner Perspektive verkürzte Wahrnehmung von Persepolis (2000, 2004) von Marjan Satrapi, das völlig mit den Lehren des Neoliberalismus übereinstimme: »subordinating public tragedies to personal epiphanies, rejecting social solidarity in favor of an undfined universalism and presenting the consumption of Western popular culture as a form of individualised revolt« (154). Zudem übersehe die Forschung den Kontext des Erscheinens im Verlag L’Association und den deutlichen Bezug auf David B.’s Arbeiten, weil sie den Comic als »isolated creation« verstehe wolle (156). Wie oft endet auch dieses Kapitel mit einer Aufforderung, die als Debattenbeitrag bedenkenswerte Momente beinhaltet: »Scholars must begin to confront the possiblility that Persepolis has become canonized precisely because it doesn’t seriously challenge its audience, narratively or politically, while it presents a subject matter and point of view that academics, journalists and other readers rich in cultural capital are likely to celebrate.« (186-187) Singer geht es darum, das erklärt den Untertitel seines Buches, den Preis zu benennen, den das gewonnene Prestige der Comics gekostet hat: nämlich deren Kritik – wobei offen bleibt, ob Comics jemals ein Ort für diese waren.

Doch wäre die Wissenschaft schließlich der Ort, diese Kritik an den Werken zu formulieren. Die ersten drei Kapitel widmen sich in diesem Sinne den Superhelden. Er beginnt mit einer Lektüre von Umberto Ecos Der Mythos von Superman, der in Singers Perspektive zuviel subversives Potential in der Serie ausmacht. Wenn seine Lektüre auch nicht die Dichte von der in Ian Gordons Superman. The Persistence of an American Icon (2017) erreicht, kann er doch zeigen, wie einflußreich Ecos Ansatz war und kritisiert: »Collins, Ndalianis, Kukkonen, and Jenkins all either overlook or oversimplify the production contexts and political economies that influence their subjects« (58). Was nach einem etwas simplen Überbau klingen könnte, ist vor allem ein Plädoyer für sorgfältige Lektüre.

Diese will er im zweiten und dritten Kapitel des Buches vornehmen. Zuerst untersucht er Warren Ellis und John Cassadays Serie Planetary (1999-2009), Frank Millers The Dark Knight returns (1986) und Kingdom Come (1996) von Mark Waid und Alex Ross. Sie alle nimmt er als revisionistische Projekte wahr, deren kommerziellen Strukturen samt ihrer Ideologien betrachtet werden müssten, statt sie ausschließlich wie oft üblich nur als Metakommentare zum eigenen Genre zu lesen. Wer wollte dem widersprechen? Ebenso ist es sicher plausibel, in The League of Extraordinary Gentleman (1999-2019) »unreflected racial caricatures« und »rampant sexual violence« (126) zu diagnostizieren, wie Singer im dritten Kapitel: statt sich in dem postmodernen Zitatenspiel Moores zu verlieren, wie manch andere Analyse, kennzeichnet er die ebenfalls reaktionäre Tendenz dieses Comics. Bezeichnend an diesen Analysen ist, dass seine verständlich motivierte Ablehnung einer gewissen Postmoderne ohne sein Zurückfallen auf Referentialität auskäme. Auch wenn der Literaturwissenschaftler immer wieder betont, die materiellen Prozesse zu berücksichtigen, bleiben diese in seinen Analysen nur eines unter anderen Momenten und keineswegs immer das erhellendste.

Das sechste Kapitel überzeugt, weil es ein historiographisches Argument macht, das auf einer genauen Lektüre beruht. Singer kritisiert Kyle Bakers vielgelobte Graphic Novel Nat Turner (2006). Nat Turner, Anführer einer der wenigen Sklavenrebellionen im Amerika des 19. Jahrhunderts, wird hier zum Helden, ja sogar – vom Idiom – zu eine Art Superhelden, wie sich Singer mit Michael Chaney einig weiß (191). Das hält einer historischen Perspektive nicht stand, zumal die Überlieferung, auf die sich Baker bezieht, das Buch eines weißen Rechtsanwalts ist, Thomas Ruffin Grays The Confessions of Nat Turner, das noch im Jahr der Hinrichtung Turners, 1831, erschien. Singer weist unschwer nach, wie unkritisch sich Baker dieser Quelle nähert und wie wichtig es gewesen wäre, weitere Quellen zu Rate zu ziehen. Noch fataler sei es allerdings, dass die Kritik mit wenigen Ausnahmen wie Chaney das Werk als skeptisch gegenüber der Quelle pries.
So loben Jan Baetens und Hugo Frey in The Graphic Novel. An Introduction (2015) die Zeichnung eines Gewehrs, die mit ihrem Detailreichtum als Beitrag zum historischen Realismus des Comics begriffen werden könnte. Singer zeigt demgegenüber, wie anachronistisch diese Darstellung ist, denn das Gewehr wurde erst über siebzig Jahre nach dem Aufstand hergestellt. Es gehe in Nat Turner nur um eine »general aura of antiquation« (219), die nicht einmal zeitgenössische Mittel aufruft, sondern Fotografie und frühen Film. Bakers »careless disregard for truth, accuracy and referentiality« (224) sei aber vor allem in der Hinsicht, dass die Heldengeschichte die vielen afroamerikanischen Opfer unerwähnt lässt, falsch. All das wurde von den bisherigen Lektüren dieses Comics ignoriert. Singer resümiert: »An intellectual climate that disdains truth claims has allowed comics scholars not only to accept Baker’s poor history but to defend and compound it.« (222)

Gewiß belegen die von ihm nachgewiesenen Ungenauigkeiten und die ebenso nachlässigen Analysen von Bakers Nat Turner diese Feststellung. Und doch bleibt zu fragen, ob der historische Wahrheitsanspruch davon absehen kann, umkämpft zu sein. Singer mag Bakers Konturierung der Geschichte aus vielen guten Gründen falsch finden, doch wäre es selbst historisch fahrlässig zu behaupten, solche Geschichtsklitterung sei erst in der Postmoderne aufgekommen. Zudem lässt sich die historische Wahrheit keineswegs so eindeutig festhalten, wie Singer sich dies manchmal zu wünschen scheint. Die eingangs erwähnte »evidentiary power of referentiality« überzeugt bei historischen Quellen nicht notwendig, denn wie Singer selbst anführt können Quellen entstellt oder sogar gefälscht sein.

Trotz all meiner Einwände muß ich unterstreichen, dass es Bücher wie Breaking the Frames mehr geben sollte. Es ist auf seine Art ein mutiges Buch, weil es versucht, die akademische Debatte zu repolitisieren. Bücher wie Breaking the Frames regen die Diskussion über die Disziplinarität, das Selbstverständnis und die Möglichkeiten wie auch Grenzen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Comics an. Ob das Plädoyer immer so bieder ausfallen muß wie in Singers Aufruf, zu Empirie und Referentialität zurückzukehren, um so alle erkenntnistheoretischen Fragen zu eskamotieren, die Comics im 20. Jahrhundert aufgeworfen haben und welche die Graphic Novels beerben, bleibt zu bezweifeln.

 

Breaking the Frames
Populism and Prestige in Comic Studies
Marc Singer
Austin: University of Texas Press, 2019
292 S., 34,95 USD
ISBN 9781477317112