Zwischen Mensch und Maschine

Lady Mechanika: Das Geheimnis der mechanischen Leiche, Bd. 1 rezensiert von Anna-Lena Weise

England im späten 19. Jahrhundert. Im Zeitalter der industriellen Revolution treffen Fantastik und eine Prise Wahnsinn aufeinander. Eine alternative Entwicklung der Technik verwoben mit einem Touch viktorianischer Epoche. Dieser Mischung, auch Steampunk genannt, widmet sich Joe Benitez in seinem »Überraschungshit« Lady Mechanika. Das Ganze serviert mit einer Spur Horror, jeder Menge Abenteuer und Fortschrittsfanatismus, der selbst vor Mord nicht Halt macht.

Wer sie ist, dass wüsste Lady Mechanika auch gern. Und zudem, wer ihre Arme durch mechanische Gliedmaßen ersetzt hat. »Teils Mensch« – »Teils Maschine« und ohne jegliche Erinnerung an ihre Vergangenheit betätigt sie sich in London als Ermittlerin. Immer auf der Suche nach Informationen zu ihrem Background.

Die Story beginnt, ein Jahr vor Einsetzen der eigentlichen Geschichte. In einer dunklen Gasse jagt Mechanika ein Wesen mit maschinellen Körperteilen, in der Hoffnung eine Verbindung zu ihrem eigenen Schöpfer zu finden. Doch noch bevor das vermeintliche Monster der Dame die ersehnten Antworten liefern kann, wird es erschossen. Verantwortlich dafür sind die Handlanger des unheimlichen Lord Blackpool, dessen Firma Blackpool Armaments im weiteren Verlauf eine undurchsichtige Rolle spielt.

Ein ganzes Jahr später. Ein Mädchen mit künstlichen Armen flieht vor ihren Verfolgern durch einen dunklen Wald, bevor es am Bahnhof von Mechanika City tot zusammenbricht. Seine Leiche wird in das Ministerium für Gesundheit gebracht. Unsere Heldin wittert einen Zusammenhang zwischen der Verstorbenen und ihrer eigenen Person. Um die junge Frau zu untersuchen, bricht sie in die Institution ein. Da ist sie jedoch nicht die Einzige: Lord Blackpool und seine Gefolgschaft versuchen ebenfalls die Tote in die Finger zu bekommen. Darunter Katherine Winter, die Mechanika einmal nahestand, mittlerweile aber zu einer erbitterten Gegnerin geworden ist. Sowie ein mysteriöser Dritter, Mr. Cain, der einst als Forscher zu Blackpools Entourage zählte. Die Spur führt schließlich zum Cirque du Romani, in dem das tote Mädchen gelebt haben muss. Deren Bewohner sind der halbmechanischen Lady zuerst nicht wohl gesonnen. Ob sie sich als weitere hilfreiche Gefährten herausstellen werden? Wie jede gute Heldin verfügt auch Lady Mechanika über einen Sidekick. Doch während sie gegen monströse Gestalten kämpft, bekämpft ihr offensichtlich einziger Verbündeter Lewis seine Dämonen mit Alkohol. Der teilweise unbeholfene Erfinder steht ihr auch in brenzligen Situationen zur Seite. Am Ende des ersten Bandes befinden sich die beiden auf der Mechani-Con, wo atemberaubende Erfindungen vorgestellt werden. Ein humorvoller Dialog zwischen den Protagonist_innen läutet das offene Ende ein, denn noch ist nicht ersichtlich, welchen Plan Mechanikas Gegner verfolgen und wofür sie die mechanische Leiche benötigen.

Benitez, der sowohl einige Jahre für Top-Cow als auch für DC tätig war, schafft mit seinen Zeichnungen koloriert von Peter Steigerwald eine durchweg düstere Atmosphäre, bei der sich das Geschehen überwiegend in den Abendstunden oder nachts abspielt. Unterstrichen wird dies durch gedeckte Farbigkeit in vorherrschend Grau-, Blau- und Brauntönen inklusive schwarzer Seitenbegrenzung. Die Illustrationen trumpfen mit großem Detailreichtum auf, der sich in etlichen Close-ups und seitenfüllenden Darstellungen ausbreiten kann. Pompöse Kostüme, fantasievolle Maschinen und metallene Körperteile werden im eindrucksvollen Retro-Look inszeniert. Lady Mechanika tritt als typische Steampunk-Heldin mit großer Oberweite, Wespentaille, und reizvoller Kleidung auf. Als bewaffnete Frau in Kostümen, die ihre Weiblichkeit unterstreichen, vereint sie sowohl männliche als auch weibliche Stereotype. Nachtschwarze Haare und rotglühende Augen, welche sie die meiste Zeit hinter einer Brille versteckt, runden ihre Erscheinung ab. Dazu kommen noch übermenschliche Kräfte, Zielsicherheit, bissiger Humor (Blackpool: »Madame, auf ein Wort, bitte.« Mechanika: »Hier sind zwei...Verpiss dich!«) und Einfallsreichtum. Das Ganze präsentiert sich als Hardcover mit griffigem Papier.

Die Erzählung beginnt bereits auf den ersten Seiten actiongeladen. Die meisten Szenen werden durch eine verspielte Anordnung der Panels bestimmt, die sich überlappen, ineinander übergehen oder Verschachtelungen aufweisen. Die Dynamik zeigt sich besonders in den splash panels mit eingesetzten kleineren Bildern, die mal über die Seitenmitte hinauslaufen oder schräg in die hintergründige Szenerie hineinragen. Hinzu kommen aus den Rahmen ausbrechende Figuren, häufige Perspektivwechsel, Variationen der Panelgrenzen in Form, Farbe, sowie Strichstärke und eine sketchartig anmutende Strichführung. In DC-Manier wird die schwungvolle, Energie geladene Umsetzung dazu durch speedlines und soundwords untermalt.

Doch so spannend das Seitenlayout daherkommt, führt es auf einigen Seiten zu einer Überforderung des Auges. Detailvielfalt, Panel- und Textanordnung vereinen sich zu einem fröhlichen Durcheinander. Nur wenige Seiten warten mit einem einheitlichen Raster und brav nebeneinander organisierten Bildfeldern auf. Ein bisschen Beruhigung täte dem Ganzen keinen Abbruch. Wer zudem auf Rückblicke wartet, die mehr Licht in die Dialoge zwischen der halbmenschlichen Lady und ihren Gegnern bringen, der tut dies vergeblich. Teils werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Größere Zusammenhänge werden lediglich angedeutet. Auf diese Weise bleibt der Spannungsbogen aber auch bis zum Ende des ersten Teils erhalten und macht Lust auf die fünf bereits erschienenen Fortsetzungen.

Die Steampunk-Optik von Lady Mechanika kann sich durchaus sehen lassen. Fans des Genres sollten die Gelegenheit nutzen, sich in die aufwendigen Zeichnungen, die im Zusammenklang mit der Farbigkeit ein stimmungsvolles Ambiente bieten, zu vertiefen. Und allen Nicht-Fans bleibt immer noch eine unterhaltsame Kriminalgeschichte mit einer Menge blutiger Szenen, bösen Schurken, hintergründigen Vernetzungen, fantastischer Technik und einer stets gut gekleideten Heldin.

 

Lady Mechanika Bd. 1
Das Geheimnis der mechanischen Leiche
Joe Benitez (A/Z)
Bielefeld: Splitter Verlag, 2017
112 S., 19,80 Euro

ISBN 978-3-95839-520-6