›Räum’ auf, dann klappt’s auch mit dem Nachbarn‹

Die KonMari-Methode rezensiert von Christina Töpfer

Es klingt nach Zauberei: Räum einfach auf und verändere damit dein Leben. Die Japanerin Marie Kondo machte diesen Traum 2013 mit dem Erscheinen ihres ersten Buches Magic Cleaning wahr. Nicht umsonst zählt sie heute, laut Time Magazin 2015 zu den 100 einflussreichsten Frauen dieser Welt. Die von ihr entwickelte KonMari-Methode brachte schon Tausende zum Aufräumen und Entrümpeln. Seit diesem Jahr gibt es nun eine weitere Publikation, die ihren Platz in den Bücherregalen und Bestsellerlisten sucht: Die KonMari-Methode. Wie du Liebe, Job und Alltag in Ordnung bringst. Ein Ratgeber, der über die fiktive Geschichte um eine Klientin Kondos im japanischen Comicstil die Inhalte des KonMari vermittelt.

Das Besondere ist, dass die Herangehensweise beim Ordnung schaffen eine andere ist, als es sonst im Allgemeinen üblich erscheint. Es wird nicht Raum für Raum entrümpelt und neuangeordnet, sondern es wird nach Kategorien aufgeräumt. Marie Kondo empfiehlt, mit der Kategorie von Gegenständen anzufangen, bei der das Wegwerfen (oder Spenden) weniger schwerfällt und sich zu Dingen mit emotionalem Wert vorzuarbeiten. Also wird in der Regel mit Kleidung begonnen, im zweiten Schritt kommen Bücher an die Reihe, danach Unterlagen und Papiere, es folgt der Kleinkram und Nippes, auch ›Komono‹ genannt, und zu guter Letzt wird sich den Erinnerungstücken gewidmet. Wichtig ist dabei, dass nur Dinge behalten werden, die glücklich machen, also ein Gefühl von Freude hervorrufen. Oder wie Marie Kondo selbst regelmäßig fragt: »Does it spark joy?« (Kondo, 55) Das ›magic cleaning‹ soll den Alltag positiv verändern und neue Dinge möglich werden lassen, eben auf scheinbar magische Art und Weise, einfach nur durch das richtige Aufräumen. Das der englischen Umgangssprache entsprungene Verb ›to kondo‹, was etwa bedeutet radikal aufzuräumen, zeigt wie populär die Methode geworden ist. Inzwischen wurden ihre Bücher in über 40 Sprachen übersetzt und ihre Methode wird weltweit umgesetzt. Es folgten drei weitere Bücher sowie zwei Fernsehformate, darunter eine Miniserie auf Netflix, in denen die Aufräumexpertin Ordnung in das Leben ihrer Klient_innen brachte und es so rundum veränderte.

Nun also auch noch der Manga zum Phänomen KonMari. Anders als bei japanischen Bildgeschichten gewohnt, hat der Rohwolt-Verlag darauf verzichtet, dass das Buch von hinten nach vorne gelesen wird, auch die sonst übliche Leserichtung der Sprechblasen (von rechts oben nach links unten) wurde auf die westliche (links oben nach rechts unten) angepasst. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die neunundzwanzigjährige Vertriebsmitarbeiterin Chiaki, die in Tokyo lebt und mit einer vollkommen überladenen Wohnung und mit einem unsortierten Leben kämpft. Auch in ihrem Liebesleben findet sich ein gewisser Grad der Desorientiertheit. Sobald die junge Frau sich nämlich verliebt, beginnt sie die Hobbys der jeweiligen Männer anzunehmen und auszuleben. Dies tut sie aber nur, um eben diesen zu gefallen, nicht, weil sie selbst die Sachen als spannend empfindet. Da sie dafür jedes Mal das passende Equipment anschafft, quillt ihr Heim über mit nicht wieder verwendeten Dingen und Kram (japanische Wohnungen sind in der Regel sehr klein, daher geschieht das sehr schnell). Ihr Leben erhält eine neue Wendung, als es abends an der Tür klingelt und der gutaussehende Nachbar auf ihrer Fußmatte steht. Ein peinlicher Moment, denn sie schämt sich zutiefst für den Zustand ihrer vier Wände und die Bitte des nicht weiter benannten Nebenmanns, ihren Müll doch endlich vom Balkon zu entfernen, bringt die junge Frau noch weiter in peinliche Erklärungsnot. Doch führt die Begegnung auch dazu, dass sie der Realität ins Auge schaut und beschließt aufzuräumen.

Doch wie räumt man eigentlich auf, wenn man es nie gelernt hat? Zum Glück setzt sich Chiaki mit einer Spezialistin in Verbindung: Marie Kondo. Über zehn Kapitel zieht sich die Geschichte der Umgestaltung ihres Zuhauses und - wie mag es für eine magic cleaning Geschichte anders sein? – die Liebesgeschichte mit dem Nachbarn hin. Stück für Stück befreit die Vertriebsmitarbeiterin ihr Heim mit Kondos Methode der in der Reihenfolge festgelegten Kategorien. Das klingt zunächst nach einer einfachen Handlung, dass aber auch das Ordnung schaffen seine Tücken mit sich bringt, bekommen die Leser_innen im Laufe des Manga durch die liebevollen Zeichnungen von Yuko Uramoto vor Augen geführt. Wie für einen Manga typisch, sind die Zeichnungen in schwarz-weiß getuscht. Die Zeichnerin ist in Japan kein unbeschriebenes Blatt. In Japan werden Mangas über Wochen in größeren Zeitungen Stück für Stück, bzw. für Kapitel veröffentlicht. Sind genug Kapitel zusammengekommen, werden einzelne Bände einer Serie veröffentlicht, die mehrere Kapitel zusammenfassen. So eine Serie kann dutzend Bände umfassen, wenn sie gut läuft. Die Tradition des Mangas als Unterhaltungsmedium reicht in Japan bis ins Mittelalter zurück und ist daher aus dem japanischen Alltag nicht wegzudenken. 2011 gewann Yuko Uramoto mit ihrem Debütmanga I Know den Aoharu Manga Award und ist inzwischen erfolgreiche Mangaka mit über sieben Serien. Ihre Figuren zeichnen sich stets durch klare Formen und Linien aus, wobei in Szenen, bei denen sich Chiaki an vergangene Ereignisse erinnert, auf kräftige schwarze Striche verzichtet wird, sondern eher, passend zu verblassenden Erinnerungen, auf Graustufen ausgewichen wurde. Auch sind die Panels nicht mit Details überladen, sodass der Lesefluss sehr flüssig vonstattengeht.

Besonders für Neulinge der KonMari-Methode ist dieses Werk gut geeignet, denn es vermittelt einen Überblick der Theorie und lädt schon nach kurzer Lektüre zur eigenen Praxis ein. Auch über die am Ende des Kapitels angefügten Zeichnungen zum Falten von Kleidung wird sich jeder Aufräumfrischling freuen, denn gerade zu Beginn steht man mit seinem T-Shirt planlos in der Hand da und fragt sich, wie man daraus nun ein Päckchen faltet. So kämpft auch die Protagonistin mit ihrer Kleidung und scheitert erst einmal an ihrer Aufgabe. Wenn Marie Kondo ein T-Shirt zusammenlegt, weckt ihr achtsames Handeln ein Gefühl der Ruhe. Chiaki wirkt auf den nachfolgenden Panels dagegen aufgebracht und enttäuscht. Doch die am Ende des Blattes erneut auftauchende Kondo bringt wieder Entspannung und Zuversicht in die Szene und weckt so erneut die Motivation bei den Betrachter_innen. Auf der darauffolgenden Doppelseite wird noch einmal aufgezeigt, wie sich denn nun ein T-Shirt korrekt zum Paket verwandelt und wie Chiaki selbst mit erstauntem Blick ein solches akkurat gefaltetes Bündel in den Händen hält. Es folgen einige Seiten, die andere Legeanleitungen zeigen, und schließlich endet das Kapitel mit einer Szene in der die Heldin der Geschichte auf dem Balkon steht und mit der kondo-typischen Geste des nach rechts oben gerichteten Zeigefingers (dies symbolisiert, dass die Energie ins Fließen gerät) auf ihren Nachbarn zeigt. Anscheinend ist hier mehr in Bewegung geraten als beim Aufräumen üblich.

Oberflächlich betrachtet handelt die Geschichte von einer Frau, die in ihrem Leben schon öfters geliebt hat und sich in ihren Beziehungsversuchen jedoch immer verstellt hat und selbst nicht wusste, wer sie ist. Durch die Begegnung mit dem Nachbarn rückt das Glück, das Happy-End, in greifbare Nähe. Es erscheint jedoch etwas veraltet, dass eine Frau unbedingt einen Mann benötigt, um glücklich zu werden. Aufgrund dessen wirkt der Manga manchmal etwas eindimensional und plump. In diesem Zusammenhang könnte man auch die Tatsache als klischeehaft abtun, dass Chiakis neu entdeckte Liebe zum Kochen direkt mit einem Gericht zelebriert wird, das der Nachbar ebenfalls gerne mag, und sie ihn schließlich in ihrer Wohnung bekocht. Betrachtet man die Handlung aber aus einem anderen Blickwinkel, gewinnt die Geschichte an Tiefgang. Chiaki verspürt scheinbar den Wunsch sich zu verlieben, einen erfolgreichen Job zu haben, Freizeit zu genießen und schön zu wohnen, vollkommen legitime Wünsche. Bisher ging sie deren Erfüllung damit an, sich anderen und vor allem sich selbst gegenüber zu verstellen. Sie wusste nicht, was sie selber glücklich macht, sondern wollte bei ihren Hobbies die gleiche Begeisterung wie ihre Partner spüren, eine künstliche Gemeinsamkeit und damit Attraktivität herstellten.

Im Laufe des Mangas aber erkennt Chiaki endlich, was ihre eigenen Interessen sind. Die Übereinstimmung mit den Hobbies ihres Nachbarn ist also originär und offenbart eine tatsächliche Gemeinsamkeit. Chiaki wird zu der Person, die sie in ihrem Inneren schon immer war, aber nicht gezeigt hat. Der Manga ist neben einem Aufräumratgeber auch eine Einladung, zu erforschen, welche Wünsche in einem selbst schlummern und welche Träume bisher nicht ausgelebt wurden. Die Leser_innen werden dazu ermuntert, achtsam mit sich umzugehen. Mit der Geschichte von Chiaki, so simpel sie erscheinen mag, kann man diese Wandlung begleiten und nachvollziehen. Etwas, was in den anderen Magic Cleaning Büchern der Autorin schwerer fällt, weil der emotionale Bezugspunkt fehlt. Dieser Manga ist damit die ideale Lösung für alle, die sich nicht gerne lange in Theorien vergraben, sondern gleich zur Tat schreiten möchten, oder eben über sachliche Ratgeber nur schwer einen Zugang finden. Praktisch ist auch, dass am Ende eines jeden Kapitels noch eine kurze Zusammenfassung des darin vermittelten Wissens angefügt wird, sodass ein gezieltes Nachschlagen jederzeit möglich ist. Durch Chiaki wird die Methode lebendig und erfahrbar, und vielleicht möchten die Leser_innen am Ende selbst die Magie des Aufräumens und den Zauber, der hinter einer aufgeräumten Wohnung steht, erfahren. Erst nachdem Chiaki erkannt hat, was für sie persönlich wichtig ist im Leben und wer sie selbst ist, kann sie eine echte Beziehung eingehen, und zwar eben mit dem freundlichen Nachbarn von nebenan. Es ist auch nicht wichtig, wie dieser Mann heißt, denn er muss nicht das endgültige Happy-End für Chiakis Geschichte sein, sondern eben nur eine Möglichkeit, nicht die Lösung selbst.

Vielleicht ist das die Magie, die hinter dieser Methode steckt, herauszufinden wer man ist und seinen Alltag durch dieses Wissen neu bestreiten zu können. Mit dieser Geschichte zeigen Marie Kondo und Yuko Uramoto, was für den Aufräum-Guru Kondo schon seit frühester Kindheit klar war: Nur ein ordentliches Zuhause ist Basis für innere Ordnung und der Weg in ein glücklicheres Leben.

 

Die KonMari-Methode
Wie du Liebe, Job und Alltag in Ordnung bringst
Marie Kondo (A), Yuko Uramoto (Z)
Hamburg: Rowohlt, 2019
192 Seiten, 15,00 EUR
ISBN 9783499634611