Zitatmaschine: Die Jamie Hewlett Retrospektive blickt zurück auf Jahrzehnte Popkultur

Jamie Hewlett rezensiert von Tristan Kugland

Kultstatus mit Tank Girl, Charterfolge mit den Gorillaz und, ebenfalls mit Damon Albarn, Opern über Affen – Jamie Hewlett ist seit Jahren ein umtriebiger Künstler mit eigener, inzwischen sofort identifizierbarer Bildsprache. Der vorliegende Band versammelt nun bekannte Bildkommentare zu Politik und Popkultur, aber auch überraschend feinsinnige dokumentarische Arbeiten und wunderbar in Szene gesetzte Einzelskizzen und Entwürfe.

Im Video zu Feel Good Inc gibt es eine Szene, in der 2D, der »charismatische, aber hohle« (Hewlett, 107, meine Übersetzung) Frontmann der Gorillaz, von Schlafentzug geplagt in die Kamera und – Perspektivwechsel – in einen plüschblauen Wattebauschwölkchenhimmel blickt. Der folkig-verspulte Refrain setzt ein und wir sehen zusammen mit 2D einen Windmühlenleuchtturmhybrid auftauchen, ein wenig herumfliegen, und wieder verschwinden. Die unmögliche Flugmaschine mit ihren viel zu kleinen Propellern wird im Video zum Sinnbild der Grenzenlosigkeit, zweckbefreit und augenscheinlich gelöst von materiellen Zwängen und physikalischen Gesetzen. Sie wird aber auch zur Zitatmaschine zwischen Don Quichotte und Apocalypse Now, wenn sie am Ende des Refrains wieder unter die Wolkendecke abtaucht, Hubschrauber in einen orangenen Sonnenuntergang entschweben und die nächste Strophe einsetzt.

Im Begleittext zum Gorillaz-Kapitel im vorliegenden Band finden sich dann überbordende Einschätzungen der Relevanz selbiger. Von einem umfassenden Paradigmenwechsel ist da die Rede, einer Neudefinition der musikalischen Landschaft und den Möglichkeiten einer Popband. Das wirkt in Anbetracht der völlig unproblematischen Kommodifizierung des Kunstproduktes Gorillaz zwar etwas hoch gegriffen (und riecht nach Selbstbeweihräucherung), ist aber insofern tragfähig, als die virtuelle Band Albarns und Hewletts tatsächlich erstaunlich geschickt die Mechanismen der Popwelt bedient. Oberflächlich, aber mit Tiefgang, unecht, aber in echt – wie die Monkees, nur radikal zu Ende gedacht. »Really cool« (Hewlett, 107, meine Hervorhebung), pretty vacant und Pop in Reinform.

Folgerichtig sind die besten Momente dieses monumentalen Sammelbandes dann auch die, in denen Bild und Bildunterschrift die Wirklichkeitsebenen zusammenfallen lassen und aus den Bildern der Gorillaz im Studio oder am Videoset(!) Dokumente ihres Schaffensprozesses werden. Die Anthologie, das wohl sicherste Zeichen der Arriviertheit Hewletts, bekommt hier durch das Spiel mit den Möglichkeiten des Mediums – Achtung, Selbstreflexivität! – dann doch die Art von Unterhaltungswert, die eine ansonsten prototypische Mischung aus mehr oder weniger losen Interviewfetzen, Werkretrospektive und Künstlerbiographie rechtfertigt. Der Band, und das ist keine Selbstverständlichkeit, kann auch jenseits der versammelten Auszüge bestehen.

Was immer wieder deutlich wird: bei allen Punk-Ästhetik Überbleibseln ist Hewlett ein vollkommen akzeptierter Mainstreamkünstler und -chronist. Auftragsarbeiten für Amnesty International, die BBC oder Oxfam mögen Tank Girl-Aficionados ein Dorn im Auge sein; wenn sich aber so etwas wie ein roter Faden im Gesamtwerk Hewletts identifizieren lässt, so ist das nicht etwa die selbstgewählte Einsamkeit des verkannten Künstlers mit einer singulären Vision. Im Gegenteil, die vorliegende Sammlung zeigt Hewlett selbst in aller Deutlichkeit als im Rahmen der Möglichkeiten erfreulich idiosynkratrische popkulturelle Zitatmaschine. Von Get the Freebees/Phoo Action bis zu den versammelten Einzelwerken, von Tank Girl zum Letzten Abendmahl der Star Wars Charaktere – Hewletts hier katalogisierte Arbeiten bieten eine Achterbahnfahrt durch die (multimediale) Popwelt der letzten 40 Jahre. Fans werden diese Sammlung eher nicht brauchen, aber Spaß macht das allemal, und wenn man am Ende die auf halbtransparentem Papier gedruckte Sketches-Sektion durchblättert, kommt tatsächlich so etwas wie Freude auf. Empfehlenswert.

 

Jamie Hewlett
Jamie Hewlett (A/Z)
Köln: Taschen, 2018
424 S., 40,00 Euro
ISBN 978-3-8365-6093-1